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Agomelatin

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Strukturformel
Agomelatin
C15H17NO2
Allgemeines
Freiname Agomelatin
Andere Namen

N-(2-(7-Methoxy-1-naphthyl)ethyl)acetamid

Summenformel C15H17NO2
Externe Identifikatoren/Datenbanken
CAS-Nummer 138112-76-2
PubChem 82148
Wikidata Q395229
Arzneistoffangaben
ATC-Code

N06AX22

Wirkstoffklasse

Antidepressiva

Eigenschaften
Molare Masse 243,30 g·mol−1
Sicherheitshinweise
Bitte die Befreiung von der Kennzeichnungspflicht für Arzneimittel, Medizinprodukte, Kosmetika, Lebensmittel und Futtermittel beachten
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Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen (0 °C, 1000 hPa).

Agomelatin (Handelsname Valdoxan® ; Hersteller Servier) ist eine dem Melatonin strukturell verwandte chemische Verbindung, ein Arzneistoff aus der Gruppe der Antidepressiva, der in der Behandlung von Episoden einer Major Depression bei Erwachsenen eingesetzt wird.

Chemische Struktur

Die Molekülstrukturen von Agomelatin und Melatonin sind einander sehr ähnlich. Der Unterschied liegt im Ringsystem: Während Melatonin einen Indol-Kern hat, besitzt Agomelatin ein Naphthalin-Gerüst.

Pharmakologie

Agomelatin ist im Vergleich zu dem endogenen Neurohormon Melatonin metabolisch stabiler. Es bindet als selektiver und spezifischer Agonist an Melatonin-Rezeptoren vom Typ MT1 und MT2 im Nucleus suprachiasmaticus des Hypothalamus, dem Sitz der Inneren Uhr. Diese beiden Rezeptorsubtypen sind verantwortlich für die Funktion von Melatonin in der Regulation des circadianen Rhythmus. Agomelatin wirkt gleichzeitig auch als kompetitiver Antagonist an Serotonin-Rezeptoren (5-HT2C und 5-HT2B). Bei Ratten kommt es dadurch zu einer vermehrten Ausschüttung von Noradrenalin und Dopamin im frontalen Cortex.[1] Die kombinierten melatonergen und 5-HT2C-antagonistischen Eigenschaften von Agomelatin könnten zu dessen antidepressiver Wirkung beitragen.[2]

Klinische Prüfung

Studienlage

Die antidepressive Wirkung von Agomelatin wurde im Rahmen des Zulassungsverfahrens (s.u.) in mehreren großen, placebokontrollierten Studien untersucht. Zur Kurzzeitwirksamkeit von Agomelatin wurden 6 Studien durchgeführt, darunter eine Dosisfindungsstudie mit drei Dosisgruppen. In zwei der sechswöchigen Studien sowie bei den Patienten, die in der Dosisfindungsstudie 25 mg Agomelatin täglich erhielten, zeigte sich ein wesentlicher Wirkunterschied zu Placebo.[3][4][5] Eine weitere Studie verlief negativ, in zwei Studien unterschieden sich sowohl Agomelatin als auch die Referenzsubstanzen (Paroxetin, Fluoxetin) nicht signifikant von Placebo.[6] Diese Studien blieben unveröffentlicht.

In weiteren randomisiert-kontrollierten Studien wurde Agomelatin mit anderen Antidepressiva hinsichtlich Verträglichkeitsparametern (sexuelle Dysfunktion und Schlafqualität) verglichen. Bei der zusätzlich geprüften antidepressiven Wirkung unterschied sich Agomelatin z.B. nicht von Venlafaxin, die Patienten konnten jedoch mit Agomelatin besser einschlafen.[7] Allerdings ist Schlaflosigkeit eine häufige unerwünschte Wirkung von Venlafaxin.

In den Studien zum Effekt auf den gestörten Schlaf und circadianen Rhythmus depressiver Patienten verbesserte sich die Schlafqualität und -struktur (Leichtigkeit des Einschlafens, nächtliches Erwachen, Tiefschlafphasen) während Einnahme von Agomelatin.[7][8] Keine der bislang zu dieser Frage publizierten Studien war placebokontrolliert. Daher lässt sich aus den Befunden nicht ableiten, inwiefern Agomelatin normalisierend auf einen gestörten Schlaf-Wach-Rhythmus bei depressiv Erkrankten wirkt.

Eine erste Langzeitstudie über 34 (bis 52) Wochen konnte keinen Wirkunterschied zwischen Agomelatin und Placebo nachweisen.[6] In einer zweiten, sechsmonatigen Studie zur Rückfallprophylaxe erlitten Patienten, die nach anfänglichem Ansprechen von Agomelatin auf Placebo umgestellt wurden, signifikant häufiger Rückfälle (46,6%) als die Teilnehmer, die weiterhin Agomelatin einnahmen (21,7% Rückfälle).[9]

Verträglichkeit

In den klinischen Studien wurde Agomelatin gut vertragen. Typische Nebenwirkungen anderer Antidepressiva wie Libidoverlust, Erektionsstörungen und Gewichtszunahme waren bei Einnahme von Agomelatin seltener als unter den aktiven Vergleichssubstanzen. In Einzelfällen können Leberfunktionsstörungen auftreten, deshalb sind zu Beginn der Therapie regelmäßige Laborkontrollen erforderlich.[10]

Nach abruptem Absetzen von Agomelatin traten in einer speziellen Studie seltener Absetzerscheinungen auf als nach Absetzen von Paroxetin.[11] Durch unsystematische Erfassung der Symptome blieb aber unklar, in welchem Maße Agomelatin selbst Absetzbeschwerden auslöst.

Zulassungsverfahren

Der Markenname Valdoxan® wurde im April 2005 von dem französischen Hersteller Servier registriert. Ein Zulassungsantrag wurde 2006 abgelehnt, nachdem der Ausschuss für Humanarzneimittel (Committee for Medicinal Products for Human Use, CHMP) der Europäischen Arzneimittelagentur aus den eingereichten Studienunterlagen keinen ausreichenden antidepressiven Effekt erkennen konnte.[12]

Am 19. Februar 2009 erteilte die Europäische Kommission dem Unternehmen Les Laboratoires Servier eine Genehmigung für das Inverkehrbringen von Valdoxan in der gesamten Europäischen Union.[13]

Ausblick

Die Firma Servier hat die Rechte an Agomelatin für die USA und weitere Staaten an Novartis lizenziert.[14] Novartis startete anschließend mehrere neue klinische Studien mit der Substanz.[15]

Einzelnachweise

  1. Journal of Pharmacology And Experimental Therapeutics - JPET 306:954-964, 2003. PMID 12750432
  2. Pandi-Perumal SR et al., Could agomelatine be the ideal antidepressant? Expert Rev. Neurother. 2006;6:1595-1608. PMID 17144776
  3. Loo H et al., Int. Clin. Psychopharmacol. 2002;17:239-247. PMID 12177586
  4. Kennedy SH, Emsley R, Europ. Neuropsychopharmacol 2006;16:93-100. PMID 16249073
  5. Olié JP, Kasper S, Int. J. Neuropsychopharmacol 2007;10(5):661-73. PMID 17477888
  6. a b Refusal CHMP Assessment Report for Valdoxan (Agomelatine); Europäische Arzneimittelagentur, 27. Juli 2006.
  7. a b Lemoine P et al., J. Clin. Psychiatry 2007;68:1723-1732. PMID 18052566 Referenzfehler: Ungültiges <ref>-Tag. Der Name „Lemoine P et al.“ wurde mehrere Male mit einem unterschiedlichen Inhalt definiert.
  8. Quera Salva MA et al., Int. J. Neuropsychopharmacol. 2007;10:691-696. PMID 17477886
  9. Goodwin G et al., Europ. Neuropsychopharmacol. 2007;17(Suppl. 4):S361.
  10. Wirkstoff AKTUELL 5/2010
  11. Montgomery SA et al., Int Clin Psychopharmacol. 2004 Sep;19(5):271-80. PMID 15289700
  12. Questions and Answers on Recommendation for Refusal of Marketing Authorisation for VALDOXAN/THYMANAX (PDF) - Europäische Arzneimittelagentur, 18. November 2006.
  13. COMMITTEE FOR MEDICINAL PRODUCTS FOR HUMAN USE SUMMARY OF POSITIVE OPINION for VALDOXAN
  14. Servier and Novartis sign licensing agreement for agomelatine; Meldung von Servier UK, 29. März 2006.
  15. ClinicalTrials.gov: Studien mit dem Wirkstoff Agomelatin, Stand Dezember 2007.