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Seegfrörnen des Bodensees

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Seegfrörni in Zürich,
Januar 1880
Seegfrörni 1880 vor Wollishofen
Seegfrörni in Zürich 1891
Seegfrörni 1963 auf dem Bodensee
Seegfrörni 2006 auf dem Pfäffikersee

Als Seegfrörni bezeichnet man in der Schweiz das Zugefrieren oder Zugefrorensein eines Sees. Der ursprünglich aus dem Schweizer Wortschatz stammende Begriff mit alemannischer Dialektfärbung[1] wurde erst 1963 in den Duden aufgenommen. In südlichen Teilen Deutschlands und westlichen Teilen Österreich wird der Begriff Seegfrörne verwendet.

Entstehung

Der Prozess der Abkühlung beginnt bereits im Spätsommer und wird durch klare Nächte und kalte, kräftige Winde gefördert. Generell gilt, dass ein tiefer See länger braucht, um abzukühlen, als ein flacher. Allerdings spielen auch andere Faktoren wie warme Zuflüsse aus Kläranlagen oder Berge, die die Wärme reflektieren, eine Rolle. Da Wasser bei 4 Grad Celsius seine größte Dichte besitzt (siehe Dichteanomalie), bleibt das kältere Wasser an der Oberfläche und der See gefriert von oben her zu. In der Tiefe bleibt die Temperatur bei etwa 4 Grad.

Während kleinere, flache Seen in jedem kälteren Winter zufrieren, ist dies bei großen Seen ein seltenes Naturschauspiel, das Menschenmassen auf die Eisfläche lockt und lange in der Erinnerung der Bevölkerung hängen bleibt. Die letzte große Gfrörni fand im Winter 1962/63 statt, als sowohl der Bodensee als auch der Zürichsee von einer dicken, begehbaren Eisschicht überzogen waren. Einige Schweizer Seen, wie etwa der Brienzersee oder der Urnersee, sind in historischer Zeit noch nie zugefroren.

Bodensee

Bekannte Seegfrörne des Bodensees

Statistisch gesehen ist mit einer Seegfrörni des Bodensees etwa alle 70 Jahre zu rechnen. Es sind ein extrem kalter Sommer, lang anhaltende Ostwinde und sehr kaltes Wetter in Herbst und Winter erforderlich, damit der Bodensee im Januar oder Februar vollständig überfriert. Eine Seegfrörne ist erstmals im Jahr 875 belegt[1]. Seit dem ist der Bodensee 33 Mal zugefroren[1], jüngst im Winter 1962/63.

Die bekannten Seegfrörnen fanden statt in den Jahren:

  • 1077 (unsicher),
  • 1326 (teilweise), 1378 (teilweise),
  • 1435, 1465 (teilweise), 1477 (teilweise), 1491 (teilweise?),
  • 1517 (teilweise), 1571 (teilweise), 1573,
  • 1600 (teilweise), 1684, 1695,
  • 1709 (teilweise), 1795,
  • 1830, 1880 (teilweise),
  • 1929, 1963

Eine Marmorstele im Uferbereich von Lochau/Hörbranz dokumentiert Seegfrörnen in den Jahren 1830, 1880, auch 1929 sowie 1963.

Der Reiter über den Bodensee

Martin Walser als Bodenseereiter, Brunnenfigur von Peter Lenk

Literarisch überliefert ist, dass am 5. Januar 1573 der Elsässer Postvogt Andreas Egglisperger mit seinem Ross den zugefrorenen Bodensee nach Überlingen überquerte. Dieses Ereignis inspirierte den schwäbischen Dichter Gustav Schwab 1826 zu seiner Ballade Der Reiter und der Bodensee.[2] Schwab erlebte 1830 dann selbst eine Seegfrörni und schrieb hierüber das Gedicht Der Spuk auf dem Bodensee.[3]

Selbiges Ereignis wurde vom Konstanzer Maler Wendelin Moosbrugger in drei bzw. vier Landschaftsgemälden dokumentiert.[4]

Hieran erinnert auch der Brunnen in der Nähe der Seepromenade, bei der Schiffsanlegestelle, in Überlingen „Der Reiter über den Bodensee“ des früheren Töpfers und heutigen Künstlers Peter Lenk.

Eisprozession Münsterlingen - Hagnau

Büste des Heiligen Johannes

Seit 1573 wird bei jeder Seegfrörni eine Büste des Heiligen Johannes in einer feierlichen Eisprozession wechselseitig vom schweizerischen Kloster Münsterlingen ins deutsche Hagnau am Bodensee über das Eis getragen und bei der nächsten Seegfrörni wieder zurück.

Auf dem Postament des Brustbildes von Johannes dem Evangelisten ist die Geschichte der Eisprozession von 1573 bis 1830 dokumentiert. Die Seegfrörne und Eisprozession von 1830 wurde von Heinrich Hansjakob in seinem Buch Schneeballen vom Bodensee beschrieben. [5] Bilder von der Eisprozession von 1963 sind im Buch von Werner Dobras Seegfrörne enthalten. [6] Im Hagnauer Museum in Hagnau am Bodensee sind die Entstehungsgeschichte der Eisprozession und die Überquerungen des Sees zwischen Münsterlingen und Hagnau dokumentiert. [7]

Seegfrörne 1573

Dies ist die erste Eisprozession die dokumentiert wurde, und zwar auf dem Sockel der Johannesbüste. Bei zugefrorenem See wurde die Büste am 17. Februar 1573 von Münsterlingen nach Hagnau gebracht und im Hagnauer Rathaus aufgestellt. [8]

Seegfrörne 1684?

Nach hundert Jahren wurde die Büste wieder von Hagnau nach Münsterlingen gebracht. [9]

Seegfrörne 1796?

Die Büste kam das zweite Mal nach Münsterlingen zurück und wurde von F. X. Faivre renoviert. [10]

Seegfrörne 1830

Unter „Tosen und Donnern“ wurde in der Nacht vom 1. und 2. Februar 1830 ein gewaltiger Eisblock mit einem Felsblock an Land geschleudert. Am 3. Februar überquerten zwei Hagnauer den See und gingen bis nach Altnau. Am 4. und 5. Februar kamen mehrere Schweizer Schulklassen aus thurgauischen Dörfern nach Hagnau. Am 6. Februar um 12:00 Uhr überquerten der Hagnauer Pfarrer, Vogt und Kaplan, 100 Schulkinder sowie die Eltern in Volkstracht in einer Prozession den See, besuchten die Altnauer und führten nachmittags von Münsterlingen die Johannesbüste nach Hagnau, wo sie nachts ankamen. Die Büste wurde im Hagnauer Rathaus aufgestellt.[11]

Seegfrörne 1880

Anfang Februar 1880 gab es wieder eine Seegfrörne, aber keiner der Münsterlinger kam, um die Johannesbüste in Hagnau abzuholen. Als Einzige aus Hagnau wagten sich neun Burschen über den See und dokumentierten später ihre Tat auf dem Findling von 1830 mit einem Vers von Münsterpfarrer Brugier von Konstanz:

„Als anno dreißig brach das Eis,
Entfloh ich meinem Wassergrab,
Ruht' aus am Dorfbach fünzig Jahr',
Wer jetzt den Ehrenplatz mir gab?
Lies hier die Neun, die Unverzagten,
Die heuer übern See sich wagten. - “

Dieser Findling befindet sich in der Grünanlage bei der Landestelle in Hagnau.

Der damalige Dorfpfarrer Heinrich Hansjakob ließ die Johannesbüste 1880 aus dem Hagnauer Rathaus holen und in der Kirche aufstellen. [12]

Seegfrörne 1963

Findling in Hagnau

Eine Tafel auf einem Findling am Seeufer dokumentiert die Eisprozession von 1963:

WÄHREND DER SEEGFRÖRNE 1963 ÜBERQUERTEN AM 6. FEBRUAR ZWEI GRUPPEN HAGNAUER BÜRGER AN DIESER STELLE ALS ERSTE DEN ZUGEFRORENEN BODENSEE.
ES WAREN: BERTHOLD ARNOLD - KONRAD MAIER - MANFRED MAIER - JOSEF RITTER - HERMANN URNAUER - KLAUS WINDER - ALBERT BERGER - OSKAR EHRLINSPIEL - HEINZ GANSER - BERNHARD GUTEMANN - WALTER KRESS - FRANZ MÜLLER - ANTON PREYSING - WALTER STÄRK
IN DEN FOLGENDEN VIER WOCHEN WECHSELTEN TAUSENDE VON UFER ZU UFER. DEN HÖHEPUNKT DER SEEGFRÖRNE BILDETE DIE EISPROZESSION AM 12. FEBRUAR 1963. SIE GELEITETE DIE JOHANNESBÜSTE, DIE 1830 ÜBER SEN NACH HAGNAU GEBRACHT WORDEN WAR, WIEDER HINÜBER IN DIE KIRCHE NACH MÜNSTERLINGEN.

Seit 1963 steht die Büste in der Pfarrkirche des ehemaligen Benediktinerklosters in Münsterlingen.

Zürichsee

Der Zürichsee war in den folgenden Jahren vollständig zugefroren:

  • 1223, 1259, 1262
  • 1407, 1491
  • 1514, 1517, 1573
  • 1600, 1660, 1684, 1695
  • 1709, 1716, 1718, 1740, 1755, 1763, 1789
  • 1829/30, 1880, 1891, 1895
  • 1907, 1929, 1963

Literatur

  • Christof Hamann: Seegefrörne Roman; Verlag Steidl; 2001; ISBN 3-88243-780-4
  • Werner Dobras: Wenn der ganze Bodensee zugefroren ist... Verlag Stadler, Konstanz, 1983, ISBN 3-7977-0112-8
  • Werner Dobras: Seegfrörne. Die spannende Geschichte der Seegfrörnen von 875 bis heute. Stadler Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz, 2. veränderte Auflage 1992, ISBN 3-7977-0266-3.
  • Kurt Brunner: Die Seegfrörnen des Bodensees - Eine Dokumentation in Bilddarstellungen, Schriften des Vereins für Geschichte des Bodensees und seiner Umgebung. 122. Heft, Jan Thorbecke Verlag, Ostfildern 2004, S. 71-84
  • Jan Buisman: Duizend jaar weer, wind en water in de lage landen. Uitgeverij Van Wijnen, Franeker 1995, ISBN 9051940750
Commons: Gefrorene Seen – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. a b c Weitersagen. Wussten Sie eigentlich, dass… In: Südkurier vom 1. Dezember 2010
  2. Der Reiter und der Bodensee von Gustav Schwab bei Wikisource.
  3. Der Spuck auf dem Bodensee von Gustav Schwab bei Wikisource.
  4. Michael Bringmann, Sigrid von Blanckenhagen, Kunstverein Konstanz (Hrsg.): Die Mosbrugger : die Konstanzer Maler Wendelin, Friedrich und Joseph Mosbrugger Weißenhorn Konrad 1974, ISBN 387437100x, S. 67 ff.
  5. Schneeballen vom Bodensee. Neuauflage 2002 von der Waldkircher Verlagsgesellschaft, Waldkirch, ISBN 3-87885-190-1. S. 165-173
  6. Werner Dobras: Seegfrörne. Die spannende Geschichte der Seegfrörnen von 875 bis heute. Stadler Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz, 2. veränderte Auflage 1992, ISBN 3-7977-0266-3. S. 15-19.
  7. Internetseite des Hagnauer Museums, Ausstellungsraum Seegfrörne
  8. Inschrift auf Sockel der Johannesbüste.
  9. Inschrift auf Sockel der Johannesbüste.
  10. Inschrift auf Sockel der Johannesbüste.
  11. Schneeballen vom Bodensee. Neuauflage 2002 von der Waldkircher Verlagsgesellschaft, Waldkirch, ISBN 3-87885-190-1. S. 167-172
  12. Schneeballen vom Bodensee. Neuauflage 2002 von der Waldkircher Verlagsgesellschaft, Waldkirch, ISBN 3-87885-190-1. S. 166, 169-171