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Gedenkdienst

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1. September 1992: Erster Gedenkdiener im Museum Auschwitz-Birkenau

Der Gedenkdienst ist ein mindestens zwölfmonatiger Auslandsdienst Österreichs, der im Rahmen des Wehrersatzdienstes an Gedenkstätten im Ausland abgeleistet wird und in § 12b des Zivildienstgesetzes geregelt ist. Seit 1992 haben hunderte junge Gedenkdiener in 22 Ländern weltweit die Geschichte des Holocausts aufgearbeitet.

Der österreichische Gedenkdienst ist ein weltweit einzigartiges Netzwerk für Holocaust-Gedenkstätten und Museen, die Mithilfe in ihren Archiven, Bibliotheken etc. in Anspruch nehmen wollen. Die Intention des Gedenkdienstes ist es, das Eingeständnis der Mitschuld Österreichs am Holocaust zu betonen, und uns allen unsere Verantwortung bewusst zu machen, für ein „Nie wieder“ zu kämpfen. (Auszug aus der Rede des früheren österreichischen Bundeskanzler, Franz Vranitzky, in Jerusalem, Juni 1993).

Geschichte

Andreas Maislinger als ASF-Freiwilliger in Polen (1981)
Vorgeschichte ab 1980

Der Innsbrucker Politikwissenschaftler und wissenschaftliche Leiter der Braunauer Zeitgeschichte-Tage Andreas Maislinger setzte sich ab dem Ende der 1970er Jahre[1] für die gesetzliche Verankerung dieser Art des Militärersatzdienstes ein, die die Aufklärung über den Holocaust zum Ziel hatte.[2] Am 10. Oktober 1980 hatte er auf Einladung von Anton Pelinka die Möglichkeit in der von Dolores Bauer geleiteten ORF-Sendung „Kreuzverhör“ seinen „Zivildienst in Auschwitz“[3] vorzustellen. Bundespräsident Rudolf Kirchschläger hatte sein Konzept jedoch mit der Begründung „ein Österreicher hat in Auschwitz nichts zu sühnen“ abgelehnt. Später anerkannte Kirchschläger „das positive Ergebnis“ des von Maislinger „durchgesetzten Gedenkdienstes[4].

1980/81 war Maislinger mit Joachim Schlör Freiwilliger im von Volker von Törne und Christoph Heubner geleiteten Polenreferat der deutschen Aktion Sühnezeichen Friedensdienste tätig. [5] Im Museum Auschwitz-Birkenau betreute er deutsche Jugendgruppen. Nach seiner Rückkehr war er noch stärker davon überzeugt ein ähnliches Programm auch in Österreich zu verwirklichen.[6] Unterstützt wurde er dabei vor allem von Simon Wiesenthal, Teddy Kollek[7], Ari Rath, Herbert Rosenkranz, Gerhard Röthler und Karl Pfeifer. Einer der Söhne Röthlers hat später Gedenkdienst geleistet und Pfeifer veröffentlichte ein Interview in der IKG-Zeitschrift „Die GEMEINDE“.[8]

Realisierung 1991

Im Mai 1991 wurde Andreas Maislinger schließlich in einem Brief[9] von Innenminister Franz Löschnak darüber informiert, dass der Gedenkdienst von der österreichischen Regierung als Alternative zum Zivildienst zugelassen wird und die dafür notwendigen Mittel bis zu einem festgelegten Rahmen vom Bundesministerium für Inneres getragen werden. Am 1. September 1992 konnte der erste Gedenkdiener seinen Dienst im Museum Auschwitz-Birkenau antreten.[10]

Übergeordneter Auslandsdienst-Förderverein 2001

2001 wurde unter Innenminister Ernst Strasser ein Auslandsdienst-Förderverein[11] eingerichtet, der die Mittel an unabhängige Trägerorganisationen, wie zum Beispiel den Österreichischen Auslandsdienst, weiterverteilt.

Anerkennungen

Władysław Bartoszewski (2005)
Datei:Portrait Teddy Kollek.jpg
Teddy Kollek
Simon Wiesenthal, etwa 2000

Als ehemaliger polnischer Polithäftling eines faschistischen Konzentrationslagers und als Historiker des Zweiten Weltkrieges möchte ich die ehrenvolle Gelegenheit, vor dem Hohen Haus sprechen zu dürfen, nutzen, um von ganzem Herzen jenen vielen Österreichern zu danken, die sich unermüdlich für das Gedenken an die Vergangenheit einsetzen. Dabei denke ich besonders an die Menschen aus dem Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes unter Leitung von Herrn Prof. Wolfgang Neugebauer, an die österreichische Lagergemeinschaft Mauthausen, an den Gedenkdienst, und auch an die örtlichen Initiativen der Gemeinden Gusen, Langenstein und St. Georgen in Oberösterreich, an den Arbeitskreis für Heimat-, Denkmal und Geschichtspflege.

Władysław Bartoszewski

Ich danke Ihnen für die Information über das positive Ergebnis des von Ihnen durchgesetzten Gedenkdienstes. Ich anerkenne, dass das von Ihnen initiierte Projekt fruchtbringender und wohl auch heilsamer geworden ist, als ich mir seinerzeit vorgestellt habe.[12]

Der Gedenkdienst ist eine besonders eindrucksvolle Initiative.

Ich fühle mich dieser Organisation sehr nahe und habe ungemein großen Respekt vor den Gedenkdienern, denn das, was sie leisten, ist der richtige Weg für Österreich – der Vergangenheit direkt in die Augen zu schauen und dagegen etwas zu tun. Und nicht zu sagen, wir waren die ersten Opfer.[13]

Ich habe oft behauptet, daß es keine österreichische Vereinigung gibt, die wie die deutsche Organisation „Aktion Sühnezeichen“ junge Menschen nach Israel entsendet. Es hat mich daher berührt zu lesen, daß nun dank Ihres Einsatzes die Möglichkeit besteht, den österreichischen Zivildienst im Rahmen eines „Gedenkdienstes“ zu absolvieren.

Die Initiative „Gedenkdienst“ unterstütze und empfehle ich gerne. Sie ist ein wirklicher Dienst, den unser Land und junge Menschen leisten können und sollen.

Viele Mensche haben gar keine Vorstellung von dem, was diese jungen Österreicher für sie leisten, daß sie ihnen das Rückrat wieder aufrichten, damit wir alle wieder aufrecht gehen können, auch ich, der ich selber dieser Generation angehöre.[14]

Ich erachte das Projekt Gedenkdienst als eine wichtige und wertvolle Initiative im Dienste des Friedens und der Völkerverständigung.

Gedenkdienst ist Erinnerungsarbeit, die gleichzeitig einen Brückenschlag zwischen der „Welt von gestern“ und dem heutigen, modernen und demokratischen Österreich ermöglicht. Er stellt aber ebenso eine Mahnung dar, dass auch in der heutigen Zeit Werte wie Verantwortungsgefühl und Zivilcourage nicht an Bedeutung eingebüßt haben.

Jede Generation muß sich der Schrecken einer vergangenen Zeit bewusst werden, um mitbauen zu können an einer Welt des Friedens und der Achtung der Menschenrechte. Das Projekt Gedenkdienst dient dieser wichtigen Aufgabe der Bewusstseinsbildung im Sinne des Wortes „Niemals Vergessen“.

Ich verfolge die Arbeit des Gedenkdienst mit großem Interesse, und der Gedenkdienst hat meine volle Unterstützung.

Trägervereine

Verein Gedenkdienst ab 1992

Walter Guggenberger (SPÖ), Andreas Hörtnagl (ÖVP) und Andreas Maislinger (parteilos) gründeten 1992 den Verein Gedenkdienst, der Aufklärungsarbeit über den Holocaust, seine Ursachen und Folgen leisten sollte. Der Verein organisiert die Auswahl und Betreuung von Zivilersatzdienern, die sich für eine von 20 Stellen im Ausland beworben haben, vor, während und nach deren Dienst. Die Rolle von Österreichern und Österreicherinnen als Täter, Opfer und Zuschauer wird dabei besonders berücksichtigt. Auch Frauen haben als Freiwillige die Möglichkeit, einen einjährigen Gedenkdienst im Rahmen des Europäischen Freiwilligendienstes (European Voluntary Service, EVS) zu leisten. 2008 werden erstmals weibliche Freiwillige aus Mitteln des neu geschaffenen Geschwister-Mezei-Fonds gefördert. Dieser wurde mit dem Ziel eingerichtet, Frauen die Möglichkeit zu bieten, zu den gleichen Bedingungen wie Zivilersatzdienstleistende Gedenkdienst zu leisten.

Verein Niemals Vergessen ab 1994

Der Verein bietet Stellen an insgesamt 19 Gedenkstätten in Deutschland und Polen an. Er zeichnet sich durch einen relativ unkomplizierten Ablauf des Einsatzes aus und ist im Gegensatz zu den anderen Vereinen nicht so stark überlaufen. Der Verein Niemals Vergessen ist aktiv in der Jugendarbeit gegen das Vergessen und ist Mitgestalter des seit mehr als 10 Jahren stattfindenden Hermann Langbein Symposiums- Ideologie und Wirklichkeit des Nationalsozialismus zur Lehrerfortbildung.

Verein Österreichischer Auslandsdienst, Verein für Dienste im Ausland, ab 1998

Andreas Maislinger und Andreas Hörtnagl wurden 1997 als Vorsitzende des Vereins Gedenkdienst abgewählt[15][16] und so gründeten sie, nach einer längeren Auseinandersetzung mit dem neuen Vorstand des Vereins Gedenkdienst, im Januar 1998 den Verein für Dienste im Ausland heute: Österreichischer Auslandsdienst.[17]

Gerhard Skiba, Andreas Maislinger und Gedenkdiener erinnern an Gerechte vor Hitlers Geburtshaus. (2002)

Der Österreichische Auslandsdienst zeichnet sich durch eine große Eigeninitiative der Mitarbeiter aus. Er bietet ihnen auch die Möglichkeit, selbst Einsatzstellen aufzubauen, was für sie einen großen Zeit- und Arbeitsaufwand, jedoch größere Eigenständigkeit im Vorfeld des Einsatzes bedeuten kann. Dadurch ist seit 1998 ein Netzwerk auf vier Kontinenten und in insgesamt 37 Ländern entstanden. Seit 2009 wird dieses durch einen Internationalen Rat unter Vorsitz von Ernst Florian Winter unterstützt.

Neben dem Programm Österreichischer Gedenkdienst bietet dieser Verein auch die Programme Österreichischer Sozialdienst und Österreichischer Friedensdienst an.

Einsatzstellen

Jüdisches Museum Berlin
Jüdisches Museum München
Gefangene im KZ Buchenwald, 1945
Gedenkstätte Oradour-sur-Glane
Amicale de Mauthausen (Paris)
Yad Vashem: Halle der Namen
Datei:Museo della Deportazione.JPG
Museo della Deportazione, Prato
Denkmal für die Opfer des KZ Jasenovac, „Die steinerne Blume“, entworfen von Bogdan Bogdanović
Österreichische Gedenkdiener Auschwitz Jewish Center (2009)
Forum för levande historia
Simon Wiesenthal Center in L.A.
Virginia Holocaust Museum in Richmond

Argentinien

  • Buenos Aires – Asociación Filantrópica Israelita (AFI) – Hogar Adolfo Hirsch (San Miguel)
  • Buenos Aires – Fundación Memoria del Holocausto

Australien

Belgien

Brasilien

Bulgarien

China

Deutschland

England

Frankreich

Israel

Italien

Kanada

Kroatien

Litauen

Niederlande

Norwegen

  • Oslo – Jodisk Aldersbolig

Polen

Russland

Slowenien

  • Laibach – Nationalmuseum der Zeitgeschichte

Schweden

Tschechien

Türkei

  • Istanbul – Jüdisches Museum (geplant)

Ukraine

Ungarn

USA

Bekannte ehemalige Gedenkdiener

Andreas Maislinger und Branko Lustig in Los Angeles (2009)

Auszeichnungen

Einzelnachweise

  1. Pressearchiv und Briefarchiv dokumentieren das erwähnte Engagement für den Gedenkdienst seit 1977.
  2. März 1988.html „Zivildienst in Holocaust Gedenkstätten“: Dr. Peter Huemer und Dr. Andreas Maislinger, ORF Moment – Leben Heute, 9. März 1988
  3. Andreas Maislinger: „ZIVILDIENST“ in Auschwitz, Stattblatt – Linzer Programm- und Belangzeitschrift 22/1980
  4. Brief von Dr. Rudolf Kirchschläger an Dr. Andreas Maislinger, Wien 3. Februar 1995
  5. Juli 1982.html Einsam unter Friedensengeln: Wehrdienstverweigerer Andreas Maislinger lebt alternativen Friedensdienst vor, PROFIL, 12. Juli 1982
  6. März 1988.html „Zivildienst in Holocaust Gedenkstätten“, Dr. Peter Huemer und Dr. Andreas Maislinger, ORF „Moment – leben heute“, 9. März 1988
  7. Januar 1993.html Teddy Kollek zum Projekt Gedenkdienst (Tiroler Tageszeitng, 12. Jänner 1993)
  8. Dezember 1982.html Interview mit Dr. Andreas Maislinger, Die GEMEINDE, 22. Dezember 1982
  9. Juli 1991.htm Brief von Innenminister Franz Löschnak an Andreas Maislinger, Die GEMEINDE, 22. Juli 1991
  10. September 1992.html Positives Echo auf Österreichs ersten Zivildiener, der in ehemaligem KZ Auschwitz dient, Tiroler Tageszeitung, 12./13. September 1992
  11. März 2001.htm Zivildiener: Neuer Verein für Auslandsdienste – „Verein zur Förderung des Auslandsdienstes“, Der Standard, 5. März 2001
  12. Brief von Rudolf Kirchschläger an Andreas Maislinger, 3. Februar 1995
  13. Gerhard Marschall: Kohns großes Lob für den Gedenkdienst, Oberösterreichische Nachrichten, 9. November 1999
  14. Gespräch mit Dietmar Schönherr, auslandsdienst.at, 27. Oktober 2001
  15. Gerhard Marschall: Juni 1997.html „Keine Spielwiese“, Oberösterreichische Nachrichten vom 18. Juni 1997
  16. Dezember 1997.html „Einem Obmann zum Gedenken“, KURIER, Tirol, 5. Dezember 1997
  17. Februar 1998.html Gedenkdienst nicht mehr nur rückwärtig, Oberösterreichische Nachrichten, 2. Februar 1998
  18. Leute – Dr. Andreas Maislinger, Braunauer Rundschau, 29. September 2005
  19. Auszeichnung durch den Weltmenschverein, 10. Oktober 2009
  20. Gedenkdienst: Auszeichnung in den USA, salzburg.orf.at, 28. August 2009

Literatur