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Merit-Order

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Als Merit-Order (englisch für Reihenfolge der Leistung / des Verdienstes) bezeichnet man die Einsatzreihenfolge der Kraftwerke. Diese wird durch die variablen Kosten der Stromerzeugung bestimmt.

Merit-Order des deutschen konventionellen Kraftwerkparks im Jahr 2008,
Quelle Forschungsstelle für Energiewirtschaft e. V.

Beginnend mit den niedrigsten Grenzkosten werden solange Kraftwerke mit höheren Grenzkosten zugeschaltet, bis die Nachfrage gedeckt ist. An der Strombörse bestimmt das letzte Gebot, das noch einen Zuschlag erhält, den Strompreis (Market Clearing Price). Der Preis für Strom wird also durch das jeweils teuerste Kraftwerk bestimmt, das noch benötigt wird, um die Stromnachfrage zu decken.

Merit-Order-Effekt

Der Merit-Order-Effekt ist die Verdrängung teuer produzierender Kraftwerke durch den Markteintritt eines Kraftwerks mit geringeren variablen Kosten, z. B. durch Aufschaltung eines solchen Kraftwerks auf das Netz. Entsprechend der Ausgleichsmechanismus-Verordnung wird in Deutschland der nach EEG (Strom aus Wind, Wasser, Solarenergie, Biomasse, etc) eingespeiste Strom seit 2010 von den Übertragungsnetzbetreibern (ÜNB) am Spotmarkt (EEX) vermarktet[1]. Vor 2010 mussten die ÜNB die fluktuierenden EEG-Strommengen zu einem Leistungsband veredeln und waren dazu auch an der Strombörse aktiv. Dieser "EEG-Strom" verdrängt gegebenenfalls das aktuell teuerste Kraftwerk und senkt so über den Merit-Order-Effekt den Börsenpreis.

Datei:Merit-Effikt.png
Merit-Order-Effekt

Scheint Mittags (zu Spitzenlastzeiten) viel Sonne, dann verdrängt der Strom aus Photovoltaikanlagen häufig teure Öl- oder Gaskraftwerke. Dadurch fällt der Strompreis. Auch der Windstrom verdrängt große Mengen konventioneller Kraftwerke und lässt über den Merit-Order-Effekt den Stromeinkauf im Handel günstiger werden. Dies war im Jahr 2006 in einem Ausmaß der Fall, dass eine durchschnittliche Preisreduktion von 7,83 € je Megawattstunde bewirkt wurde, wie eine Studie[2] des Fraunhofer-Instituts zeigt. Ein wesentlicher Faktor dafür waren die hohen Brennstoffpreise (besonders Gas). Eine Studie[3] der Forschungsstelle für Energiewirtschaft weist einen Preissenkungseffekt von 2,4 (€/MWh)/GWhREG aus. Mit einer mittleren Einspeisung von 4,6 GW an Windstrom ergibt sich eine durchschnittliche Senkung des Strompreises um 11,0 €/MWh. Hochgerechnet auf den Verbrauch von 492 TWh errechnet sich ein Merit-Order-Effekt in Höhe von 5,4 Mrd. € für das Jahr 2008.

Die Grafik verdeutlicht die Wirkung des Effekts. Die aggregierte Angebotfunktion (blau) bildet sich aus den Geboten einzelner Stromanbieter und entspricht im Allgemeinen deren Grenzkosten. Die am Vortag durch Schätzung ermittelte Nachfrage (grün) ist unelastisch und wird zunächst aus den Quellen nach dem EEG befriedigt, so dass nur die Restnachfrage unter anderen Anbietern verteilt wird, wobei die teuersten nicht mehr zum Zuge kommen und der so ermittelte Strompreis um Δp sinkt. So senken die erneuerbaren Energien den Strompreis an der Börse, weil teure Spitzenlastkraftwerke immer seltener das preisbestimmende Kraftwerk am Markt sind, sondern Kraftwerke mit geringeren variablen Kosten.

Damit reduziert sich der Deckungsbeitrag der günstigen Grundlastkraftwerke wie z. B. Laufwasser-, Atom- und Braunkohlekraftwerke, die nun bei p2 weniger Überschuss erwirtschaften als bei p1. Der Merit-Order-Effekt kann damit den Börsenpreis für Strom zu Lasten der Kraftwerksbetreiber senken. Eine Nettoentlastung für den Verbraucher kann entstehen, selbst wenn die Vergütung durch das EEG über dem Preisniveau p1 liegt, wenn die durch den Merit-Order-Effekt verursachte Ausgabenreduktion für konventionellen Strom (p1-p2)*N2 insgesamt größer ist als die Ausgaben für den Strom aus erneuerbaren Energien (N1-N2)*(pEEG-p1). In diesem Fall ist die Steigung der Merit-Order-Kurve (p1-p2)/(N1-N2) bei hoher Last recht steil und der Aufpreis für EEG-Strom (pEEG-p1) liegt nur relativ wenig über dem Börsenpreisniveau, wie z.B. an manchen Wintertagen mit mäßigen Winderträgen.

Neben der Strombörse tritt der Merit-Order-Effekt immer dort auf, wo Commodities gehandelt werden, d. h. Waren mit identischen Eigenschaften ("vertretbare Sache"). Dies betrifft z. B. auch den physischen Handel mit Rohöl, da die Förder-Kosten der letzten zur Deckung der Nachfrage benötigten Ölquelle den Preis bestimmen.

Auswirkungen

Die Kosteneinsparungen über den Merit-Order-Effekt der erneuerbaren Energien lagen in Deutschland nach dem Erfahrungsbericht [4] des Bundesministeriums für Umwelt im Jahre 2006 bei 5,0 Mrd. € und damit über den Mehrkosten von 3,3 Mrd. € gegenüber konventioneller Stromerzeugung. Die Modellrechnung zur Berechnung des Merit-Order-Effekts der EEG-Stromerzeugung für 2006 findet sich in einer Studie[2] des Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung (ISI, Karlsruhe). Dabei wurden auf den Strommarkt unterschieden

  • der Marktwert-Effekt,
  • der CO2-Effekt und
  • der Merit-Order-Effekt

Zitat: “Wenn man den Marktwert der erneuerbaren Energien und das in dieser Studie bestimmte Volumen des Merit-Order-Effektes gemeinsam betrachtet, kommt es zu einer erheblichen Reduktion der durch das Erneuerbaren-Energien-Gesetz verursachten Kosten. Für das Jahr 2006 ist die Summe aus Marktwert und Merit-Order-Effekt sogar höher als die gesamte EEG-Vergütungssumme.“

Kritik

In einem Arbeitspapier des Energiewirtschaftlichen Instituts an der Universität zu Köln (EWI)[5] wird kritisiert, dass das Merit-Order-Modell nur zur Berechnung kurzfristiger Effekte geeignet sei, nicht aber zur Berechnung langfristiger Auswirkungen, weil sich durch erneuerbare Energien längerfristig die Zusammensetzung des Angebots an konventionellen Kraftwerken ändere. Außerdem wird bemängelt, dass das Modell davon ausgehe, dass sämtlicher produzierte Strom an einer Börse gehandelt werde, was aber tatsächlich nur für einen kleinen Teil der Fall ist. So muss z. B. der nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz eingespeiste Strom von den Netzbetreibern auch dann zu den in diesem Gesetz festgelegten Vergütungssätzen abgenommen werden, wenn der Börsenpreis weit darunter liegt und manchmal sogar negativ ist[6]. Auch die Forschungsstelle für Energiewirtschaft (FfE)[3] betont, dass es sich um kurzfristige Preiseffekte handelt. Bei verstärkter Nutzung der erneuerbaren Energien passe sich der Kraftwerkspark an. Dadurch ergibt sich dann eine neue Merit-Order.

Die niedrigeren Börsenpreise bedingen ihrerseits höhere EEG-Differenzkosten. Dadurch ergibt sich eine höhere EEG-Umlage für den Letztverbraucher [7]. Die Zunahme der EEG-Umlage entspricht hierbei der Abnahme des Börsenwertes des EEG-Stromes, so dass aus Verbrauchersicht lediglich eine Umschichtung von den Strombezugsausgaben auf die EEG-Umlage vorliegt.

Mittel- bis langfristig ist damit zu rechnen, dass die derzeitige Preisfindung nach Merit-Order ergänzt werden muss. Bei einem Einkommen, welches allein auf der gelieferten Arbeit beruht, fehlt der Anreiz zum Aufbau und Halten von Reservekapazitäten mit geringer Auslastung. Daher wird über die Gestaltung von Kapazitätsmärkten[8] nachgedacht, welche eine leistungsbezogene Vergütung ähnlich dem Regelenergiemarkt bietet.

Literatur

  • Jürgen Neubarth, Oliver Woll, Christoph Weber, Michael Gerecht: Beeinflussung der Spotmarktpreise durch Windstromerzeugung. Energiewirtschaftliche Tagesfragen, Jg. 56 Heft 7, 2006, S. 42-45.
  • Serafin von Roon, Malte Huck: Merit Order des Kraftwerkparks. Forschungsstelle für Energiewirtschaft e. V. 2010.
  • Erneuerbare Energien in Zahlen - nationale und internationale Entwicklung (PDF-Datei; 6,26 MB)

Quellen

  1. Bernd Wenzel, Jochen Diekmann: Ermittlung bundesweiter, durchschnittlicher Strombezugskosten von Elektrizitätsversorgungsunternehmen. - Vergleichende Darstellung bekannter Ansätze und Erarbeitung von Alternativen auf Basis von Börsendaten zur Berechnung von EEG-Differenzkosten. auf der Webseite des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. September 2006.
  2. a b Frank Sensfuß, Mario Ragwitz: Analyse des Preiseffektes der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien auf die Börsenpreise im deutschen Stromhandel. auf der Webseite des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. 18. Juni 2007.
  3. a b Serafin von Roon, Malte Huck: Merit Order des Kraftwerkparks. auf der Webseite der Forschungsstelle für Energiewirtschaft. Juni 2010.
  4. Erfahrungsbericht 2007 zum Erneuerbare-Energien-Gesetz. auf der Webseite des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit.
  5. Ralf Wissen, Marco Nicolosi: Anmerkungen zur aktuellen Diskussion zum Merit-Order Effekt der erneuerbaren Energien. auf der Webseite des Energiewirtschaftlichen Instituts an der Universität zu Köln. September 2007. (EWI Working Paper, Nr. 07/3.)
  6. Andreas Mihm: Verbraucher zahlen für Überangebot an Öko-Strom. In: FAZ. 10. Dezember 2009.
  7. Bernd Wenzel, Joachim Nitsch: Langfristszenarien und Strategien für den Ausbau der Erneuerbaren Energien in Deutschland bei Berücksichtigung der Entwicklung in Europa und global. Juni 2010, S. 22. (Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit)
  8. Oliver Kopp: Kapazitätsmärkte: Stromhandel im neuen Design, Impulsvortrag auf dem Fachgespräch "Neue Energien, neuer Markt" Bündnis 90/ Die Grünen, Berlin, 27. Oktober 2010.