Junge-Freiheit-Urteil
In der Erwähnung eines Presseorgans im Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen als rechtsgerichtete Publikation kann eine unzulässige Einschränkung der Pressefreiheit liegen. Das Bundesverfassungsgericht stellte mit Urteil (1 BvR 1072/01) vom 24. Mai 2005 im Rechtsstreit der Wochenzeitung Junge Freiheit mit den Land Nordrhein-Westfalen fest, dass es sich bei Erwähnung um einen Eingriff in die Pressefreiheit handelte, der nicht gerechtfertigt war. Deshalb weist das Gericht die Beurteilung der Sache jetzt an das Verwaltungsgericht Düsseldorf zurück. Das Verwaltungsgericht muss jetzt "erneut prüfen, ob die tatsächlichen Anhaltspunkte für einen Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen" ausreichen.
Sachverhalt
In den Verfassungsschutzberichten wurde die "Junge Freiheit" im Rahmen der Berichterstattung über rechtsextremistische Bestrebungen ausführlich behandelt. Die in ihr veröffentlichten Beiträge enthielten nach Einschätzung des Landes Anhaltspunkte für den Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen. Die Junge Freiheit klagte vor dem Verwaltungsgericht gegen das Land Nordrhein-Westfalen unter anderem auf Unterlassung der Verbreitung der Verfassungsschutzberichte, wenn nicht die Passagen über die "Junge Freiheit" entfernt würden, auf Feststellung, dass das Land nicht befugt sei, die "Junge Freiheit" in die Rubrik "Rechtsextremismus" einzuordnen, solange es nur Anhaltspunkte für einen Verdacht habe. Das Verwaltungsgericht wies die Klage im Jahre 1997 ab. Den Antrag auf Zulassung der Berufung wies das Oberverwaltungsgericht im Jahre 2001 zurück.
Zusammenfassung des Urteils
Mit diesem Urteil bestätigte das BVerfG frühere Aussagen zur Pressefreiheit. Die Aufnahme eines Presseorgans in die Rubrik "Rechtsextremismus" eines Verfassungsschutzberichtes bedeutet einen staatlichen Eingriff, der einer Rechtfertigung bedarf. Ein auf einzelne Artikel gestützter Verdacht reicht dazu nicht aus. Eine Zeitung muss auch nicht den gesamten Markt der Meinungen abbilden, sondern darf sich auf ein bestimmtes politisches Spektrum beschränken. Meinungsvielfalt wird auf dem Markt der Printmedien durch die Vielzahl unterschiedlicher Medien verschiedener Ausrichtung gewährleistet.
Aus den Gründen
"Die Veröffentlichung verletzt die Junge Freiheit in ihrem Grundrecht auf Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG. Das Grundrecht sichert die Freiheit der Herstellung und Verbreitung von Druckerzeugnissen und damit das Kommunikationsmedium Presse.
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Gegenstand der Verfassungsschutzberichte ist der Hinweis auf den Verdacht, dass die Junge Freiheit bestrebt sei, mit Hilfe der Zeitung die freiheitliche demokratische Grundordnung in Bund und Ländern zu beseitigen. Die Verfassungsschutzberichte greifen zum Beleg einzelne Artikel aus der "Jungen Freiheit" heraus, um auf dieser Grundlage ein Gesamturteil über die Zeitung und die hinter ihr stehende Gruppierung zu begründen.
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Aufgabe der Presse ist es, umfassende Information zu ermöglichen, die Vielfalt der bestehenden Meinungen wiederzugeben und selbst Meinungen zu bilden und zu vertreten. Dies setzt ihre Unabhängigkeit vom Staat voraus. Die Pressefreiheit schützt die Grundrechtsträger daher vor Einflussnahmen des Staates auf die mit Hilfe der Presse verbreiteten Informationen, insbesondere vor negativen oder positiven Sanktionen, die an Inhalt und Gestaltung des Presseerzeugnisses anknüpfen
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Der Verfassungsschutzbericht ist kein beliebiges Erzeugnis staatlicher Öffentlichkeitsarbeit. Er zielt auf die Abwehr besonderer Gefahren (§ 1 VSG NRW) und stammt von einer darauf spezialisierten und mit besonderen Befugnissen (vgl. §§ 5 ff. VSG NRW), darunter der Rechtsmacht zum Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel, arbeitenden Stelle.
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Der Verlag und die Redaktion der "Jungen Freiheit" werden durch die Erwähnung in den Verfassungsschutzberichten zwar nicht daran gehindert, die Zeitung weiter herzustellen und zu vertreiben sowie auch zukünftig Artikel wie die beanstandeten abzudrucken. Ihre Wirkungsmöglichkeiten werden jedoch durch den Verfassungsschutzbericht nachteilig beeinflusst. Potenzielle Leser können davon abgehalten werden, die Zeitung zu erwerben und zu lesen, und es ist nicht unwahrscheinlich, dass etwa Inserenten, Journalisten oder Leserbriefschreiber die Erwähnung im Verfassungsschutzbericht zum Anlass nehmen, sich von der Zeitung abzuwenden oder sie zu boykottieren. Eine solche mittelbare Wirkung der Verfassungsschutzberichte kommt einem Eingriff in das Kommunikationsgrundrecht gleich.
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Der Schutzgehalt der Kommunikationsgrundrechte kann Auswirkungen sowohl auf die Anforderungen an die Feststellung von Bestrebungen oder eines entsprechenden Verdachts als auch auf die rechtliche Bewertung der ergriffenen Maßnahme haben, insbesondere im Hinblick auf ihre Angemessenheit.
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Dementsprechend reicht die bloße Kritik an Verfassungswerten nicht als Anlass aus, um eine verfassungsfeindliche Bestrebung im Sinne des § 15 Abs. 2 in Verbindung mit § 3 Abs. 3 VSG NRW zu bejahen oder allein deshalb die negative Sanktion einer Veröffentlichung in den Verfassungsschutzberichten zu ergreifen.
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Es bedarf daher besonderer Anhaltspunkte, warum aus den Artikeln von Dritten, die der Redaktion nicht angehören, entsprechende Bestrebungen von Verlag und Redaktion abgeleitet werden können. Dies kann der Fall sein, wenn durch die redaktionelle Auswahl der von Dritten geschriebenen Veröffentlichungen verfassungsfeindliche Bestrebungen von Verlag und Redaktion zum Ausdruck kommen.
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Bei der Bewertung ist allerdings zu berücksichtigen, dass Zeitungen sich üblicherweise nicht alle veröffentlichten Inhalte zu Eigen machen, auch wenn sie sich nicht jeweils ausdrücklich von ihnen distanzieren.
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Von der Pressefreiheit ist auch die Entscheidung erfasst, ein Forum nur für ein bestimmtes politisches Spektrum bieten zu wollen, dort aber den Autoren große Freiräume zu gewähren und sich in der Folge nicht mit allen einzelnen Veröffentlichungen zu identifizieren. Die "Junge Freiheit" ist nach eigener Einschätzung rechtskonservativ, veröffentlicht aber im rechten Spektrum Artikel höchst unterschiedlicher Autoren mit unterschiedlichen Anliegen. Darunter sind zum Teil auch Artikel von prominenten konservativen Politikern und Schriftstellern, die nicht im Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen stehen. Es bedürfte also besonderer Anhaltspunkte dafür, warum die Redaktion sich nicht mit diesen Artikeln, wohl aber mit den von den Gerichten herangezogenen Beiträgen identifiziert, oder aber dafür, dass sie sich dieses Spektrums von Meinungen nur bedient, um in einem solchen Umfeld verfassungsfeindliche Beiträge plazieren und der Öffentlichkeit besser vermitteln zu können.
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Obwohl die Behörde nur von tatsächlichen Anhaltspunkten für einen Verdacht ausgegangen ist, hat sie die Beschwerdeführerin unter den Überschriften "Rechtsextremismus", "Rechtsextremistische Publikationen, Verlage, Vertriebe, Medien" beziehungsweise "Rechtsextremistische Organisationen, Gruppierungen und Strömungen" ohne jede Differenzierung in der Gliederung oder in den Überschriften des Berichts auf die gleiche Stufe gestellt wie Gruppen, für die sie verfassungsfeindliche Bestrebungen festgestellt hat.
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Auch ist zu berücksichtigen, dass die Medien bei ihrer Berichterstattung über verfassungsfeindliche Bestrebungen im Text enthaltene Nuancierungen üblicherweise nicht wiederzugeben pflegen, sondern alle im Verfassungsschutzbericht in der gleichen Rubrik aufgeführten Organisationen auf eine Stufe stellen."
Reaktion des Verfassungschutzes NRW auf das Urteil
Die Behörde geht weiterhin davon aus, dass es rechtsmäßig war, die Junge Freiheit als rechtsextreme Zeitung in ihrem Bericht aufzuführen. Die jetzt anstehende Prüfung des Verwaltungsgerichts Düsseldorf "werde eindeutig belegen, dass die verfassungsfeindlichen Positionen externer Autoren der Jungen Freiheit zuzurechnen seien". (Spiegel-online, 28. Juni 2005)
Verfassungsschutzchef Hartwig Möller: „Wir werden weiterhin darauf aufmerksam machen, welche Gefahren der Demokratie durch den intellektuellen Rechtsextremisten drohen. ... Hinter ihrem (Junge Freiheit) gemäßigten Duktus verbergen sich oft antidemokratische und fremdenfeindliche Konzepte.“ (SZ, 28. Juni 2005)