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Kirchentonart

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Die Kirchentonarten (auch genannt Modi oder Kirchentonleitern, lat. toni ecclesiastici) sind modale, diatonische, heptatonische, hiatuslose Tonleitern im Halbtonraum, die im antiken Griechenland entstanden sind. Sie haben zunächst nichts mit der christlichen Kirche zu tun, wurden aber ab dem 9. Jahrhundert in der mittelalterlichen Liturgie verwendet -- und zwar sowohl in der West- wie auch in der Ostkirche --, um das melodische Feld der Responsorien und Antiphonen zu definieren.

Die Kirchentonarten sind – trotz ihres Namens – keine Tonarten, sondern Tonleitern (Skalen), da sich Tonarten (z.B. C-Dur) immer auf einen konkreten Grundton beziehen. Jede Kirchentonart (z.B. dorisch) kann auf einem beliebigen Grundton beginnen. Der synonyme Begriff Kirchentonleiter ist insofern weniger verwirrend, aber in der Sprache wenig verbreitet.

Die Kirchentonarten waren für die Entwicklung der abendländischen Musik von fundamentaler Bedeutung. Zudem bilden sie durch die Quintenreinheit der Confinalis die Grundlage für die spätere Entwicklung der Klauseln und Kadenzen und damit auch der funktionsharmonischen Entwicklung der Stufentheorie im 18. Jahrhundert.

Darüber hinaus hatten alle Kirchentonarten symbolische Bedeutung im Mittelalter und weit über dieses hinaus. Marienanbetungen etwa wurden meist in lydischen Tonarten verfasst, aber auch der zweite Satz des Streichquartetts op. 132 von Ludwig van Beethoven trägt die Überschrift "Heiliger Dankgesang eines Genesenen an die Gottheit, in der lydischen Tonart". Besonders auch in den Tonarten der klassischen und romantischen Epoche scheint diese Symbolik, wenngleich auch verändert, wiederzuhallen.

In der U-Musik tauchen die Kirchentonarten ebenfalls auf, so bildet der dorische Modus die "neutrale Skalenbasis" des Jazz. Auch in der Rockmusik, etwa bei Van Halen und Joe Satriani, finden sich Kirchentonarten.

Allgemeines

Grundsätzlich besitzen Kirchentonarten, unabhängig von ihrer strukturellen Definition, die Eigenschaft, authentisch oder plagal zu sein und sind damit auch formbildend. Bei authentischen Kirchentonarten fallen tiefster Ton und Schlusston (Finalis) zusammen; bei plagalen Kirchentonarten setzt der Gesang eine Quarte (bei den Kirchentonarten "Tetrachord" genannt) unterhalb der Finalis ein.

Alle echten Kirchentonarten sind quintenrein, ihre Confinalis liegt eine Quinte über der Finalis. Dies gilt für alle Kirchentonarten außer dem lokrischen Modus, der nur aus Vollständigkeitsgründen eingeführt wurde und für die frühe abendländische Kirchenmusik deshalb von geringer Bedeutung ist, weil in ihm die Confinalis durch den Tritonus, das diabolische Intervall ersetzt ist.

Der Rezitations- oder Reperkussionston (lat. repercussa) ist ein weiterer besonderer Ton, dem in mittelalterlichen Gesängen besonderes Gewicht zukam, entweder dadurch, dass er für längere Strecken als Tonzentrum bevorzugt wurde, um das die Melodie kreiste, oder auf ihm nach Atemzäsuren wieder eingesetzt wurde. Er entspricht bei authentischen Modi der Confinalis (Ausnahme: phrygisch) und liegt dagegen bei plagalen Modi tiefer, eine Terz oder Quarte über der Finalis.

Zusätzlich zu den hier beschriebenen Tonleitermodellen waren den verschiedenen Kirchentonarten in früherer Zeit auch jeweils eigene rhythmische, melodische und artikulatorische Aspekte zugeordnet. Einige Varianten der Kirchentonarten, besonders in ostkirchlichen Formen, enthalten Drittel- und Vierteltöne.

Übersicht

Die Kirchentonarten

Der Einfachheit halber wird die bekannte diatonische C-Dur-Skala mit den Tönen

c – d – e – f – g – a – h

zugrunde gelegt. Eine Kirchentonart kann auf einem beliebigen Ton beginnen, sofern sie nur die intervallische Struktur des jeweiligen Modus beibehält.

Für die folgenden Definitionen gilt: Westkirchlicher Name/Ostkirchlicher Name. F = Finalis (Hauptton), R = Reperkussa, T = tiefster Ton.

Die 4 alten authentischen Modi

  1. Dorisch/Erster Ton. F = d, R = a, T = d.
  2. Phrygisch/Dritter Ton . F = e, R = c, T = e.
  3. Lydisch/Zweiter Ton. F = f, R = c, T = f.
  4. Mixolydisch/Vierter Ton. F = g, R = d, T = g.

Die 4 alten plagalen Modi

  1. Hypodorisch/Fünfter Ton. F = d, R = f, T = A.
  2. Hypophrygisch/Schwerer Ton. F = e, R = a, T = H.
  3. Hypolydisch/Sechster Ton. F = f, R = a, T = c.
  4. Hypomixolydisch/Achter Ton. F = g, R = c, T = d.

Die 4 neuen Modi

Diese wurden erst nach der Kirchenspaltung im 12. Jahrhundert im Westen eingeführt; in der ostkirchlichen Liturgie existieren sie nicht. Bemerkenswert ist, dass die späteren Tongeschlechter Natur-Moll (äolisch) und Dur (ionisch) erst aus dieser Zeit stammen. Eine bedeutende Abhandlung über diese Modi ist bei Glarean 1547 zu finden.

  1. Äolisch. F = a, R = e, T = a.
  2. Hypoäolisch. F = a, R = e, T = e.
  3. Ionisch. F = c, R = g, T = c.
  4. Hypoionisch. F = c, R = g, T = G.

Achtung: Die Namen sind nicht mit den gleichnamigen altgriechischen Tonleitern identisch!

Der Vervollständigungsmodus

  1. Lokrisch: F = h, kein R, T = h.

Zyklische Verwandtschaft

Klaviatur von Tasteninstrumenten

Wie man sieht, besteht zwischen den Kirchentonarten eine zyklische Verwandtschaft. Man kann mit denselben 7 Noten alle Kirchentonarten spielen, wenn man jeweils eine andere Note als Grundton benutzt.

Als Beispiel bieten sich wie im obigen Notenbeispiel die Noten c, d, e, f, g, a und h an (die weißen Tasten auf einer Klaviatur).

  • Grundton = c: C-Dur (C-Ionisch)
  • Grundton = d: d-Dorisch
  • Grundton = e: e-Phrygisch
  • Grundton = f: F-Lydisch
  • Grundton = g: G-Mixolydisch
  • Grundton = a: a-Moll (a-Äolisch)
  • Grundton = h: h-Lokrisch

Bildliche Darstellung

Die folgenden Grafiken stellen die sieben Modi bildlich dar. Hier ist das Schema der Grafiken erläutert.

Datei:Tonleiter bildlich dur.png
Ionisch (Dur)
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Datei:Tonleiter bildlich dorisch.png
Dorisch
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Phrygisch
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Datei:Tonleiter bildlich lydisch.png
Lydisch
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Mixolydisch
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Äolisch (reines Moll)
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Lokrisch
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Siehe auch