EU-Anleihe
Als EU-Anleihe (auch Euro-Staatsanleihe, Euro-Bonds, E-Bonds) wird ein Vorschlag zur Reform der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion bezeichnet, über den infolge der weltweiten Finanzkrise ab 2007 und vor allem der Euro-Krise 2010 vermehrt diskutiert wurde. Der Vorschlag existiert in verschiedenen, leicht unterschiedlichen Varianten. Er sieht vor, dass die Mitgliedstaaten entweder der Europäischen Union oder der Eurozone gemeinsame Staatsanleihen aufgeben. Das mit diesen Staatsanleihen erzielte Geld soll entweder unmittelbar dem Haushalt der Europäischen Union zugute kommen oder zwischen den beteiligten Staaten aufgeteilt werden. Als Garantie für die Euro-Anleihen soll entweder der reguläre EU-Haushalt oder wechselseitige Bürgschaften der Mitgliedstaaten dienen.
Ziel der Euro-Staatsanleihen ist es, die Liquidität des Anleihemarktes zu erhöhen und so die durchschnittliche Zinslast für alle beteiligten Staaten zu senken. Insbesondere die wirtschaftlich schwächeren Staaten sollen auf diese Weise Zugang zu besseren Kreditbedingungen erhalten. Allerdings wird befürchtet, dass die Einführung von Eurobonds für die wirtschaftlich stärkeren Staaten zu einer Erhöhung der Zinslast führen könnte. Zudem würde sie umfangreiche Änderungen der vertraglichen Grundlagen der EU, insbesondere der Nichtbeistands-Klausel in Art. 125 AEU-Vertrag, notwendig machen. Verschiedene EU-Mitgliedstaaten, insbesondere Deutschland und Frankreich, lehnen Euro-Staatsanleihen daher ab. Andere Mitgliedstaaten, etwa Luxemburg sowie die Europäische Kommission und ein großer Teil des Europäischen Parlaments befürworten sie hingegen.[1]
In kleinem Umfang existierten gemeinschaftlich abgesicherte Anleihen unter der Bezeichnung Neues Gemeinschaftsinstrument bereits in den 1970er und 1980er Jahren. Sie wurden jedoch lediglich für einzelne Investitionsprojekte oder für kurzfristige Nothilfesituationen, etwa nach Erdbeben in Italien und Griechenland, eingesetzt.[2] Solche „gegenseitigen finanziellen Garantien für die gemeinsame Durchführung eines bestimmten Vorhabens“ sind von Art. 125 AEU-Vertrag ausdrücklich vorgesehen, während ansonsten die wechselseitige Haftung der Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten füreinander durch die Nichtbeistands-Klausel ausgeschlossen ist. EU-Kommissionspräsident José Manuel Durao Barroso schlug im Dezember 2010 die Wiedereinführung solcher Euro-Projektbonds in größerem Umfang vor.[3]
Ursprung des Vorschlags
Der Vorschlag, durch den Haushalt der Europäischen Union auch durch EU-Staatsanleihen zu finanzieren, wurde erstmals 2003 von Jacques Delors thematisiert, der als EU-Kommissionspräsident Ende der 1980er Jahre den Plan für die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion entwickelt hatte. Auch der damalige Kommissionspräsident Romano Prodi befürwortete die Idee. Der Europäische Rat griff sie jedoch nicht auf, da befürchtet wurde, dass EU-Anleihen letztlich zu einer von den Mitgliedstaaten nicht gewollten Ausweitung des EU-Haushalts führen würden.[2]
Im Zuge der weltweiten Wirtschaftskrise wurde die Idee Ende 2008 wieder aufgegriffen. So forderte Jean-Claude Juncker, der Ministerpräsident von Luxemburg und Vorsitzende der Euro-Gruppe, durch Anleihen der EU die finanziellen Ressourcen zu schaffen, um gemeinsame konjunkturpolitische Maßnahmen durchzuführen.[2] Auch die sozialdemokratische Fraktion im Europäischen Parlament unterstützte den Vorschlag, die Fraktion der Europäischen Volkspartei (Christdemokraten) lehnte ihn hingegen zunächst ab, ebenso wie die Regierungen von Deutschland und Frankreich.[2] Die Kommission blieb zunächst zurückhaltend; Anfang März 2010 schloss sich jedoch der damalige Kommissar für Wirtschaft und Währung, Joaquín Almunia, dem Vorschlag an.[4] Zugleich deutete er an, dass EU-Anleihen eine Möglichkeit sein könnten, um Mitgliedstaaten zu helfen, die ihre Schulden nicht mehr aus eigener Kraft refinanzieren könnten.
Öffentliche Debatte 2010
Während der griechischen Finanzkrise und der anschließenden Euro-Krise 2010 spielten EU-Anleihen zunächst allerdings keine unmittelbare Rolle. Der Europäische Stabilisierungsmechanismus, mit dem Mitgliedstaaten in einer Schuldenkrise geholfen werden sollte, sah hingegen multilaterale Kreditgarantien der Mitgliedstaaten füreinander vor, ohne dass dafür gesamteuropäische Anleihen ausgegeben wurden. Dennoch wurde der Vorschlag im Zusammenhang mit der Debatte über eine Reform der Währungsunion 2010 insbesondere von Jean-Claude Juncker und dem italienischen Wirtschaftsminister Giulio Tremonti wieder vorgebracht. Er sah nun allerdings nicht mehr Anleihen auf den EU-Haushalt vor, sondern spezielle Euro-Anleihen vor, die zur Finanzierung der nationalen Etats der Mitgliedstaaten der Eurozone dienen und für die diese gemeinschaftlich haften sollten. Zur Ausgabe dieser Anleihen sollte eine neue Institution, die Europäische Schuldenagentur gegründet werden.[5] Jeder Mitgliedstaat sollte Euro-Anleihen maximal bis zu einem bestimmten Prozentsatz des nationalen BIP begeben können (vorgeschlagen wurden zunächst 60%, später 40%), darüber hinausgehende Schulden sollte jeder Staat weiterhin selbst tragen. Die Vorsitzenden der großen Fraktionen im Europäischen Parlament unterstützen diesen Vorschlag, wenn auch mit unterschiedlicher Entschlossenheit.[1] Guy Verhofstadt, Vorsitzender der liberalen Fraktion ALDE, schlug zudem vor, dass Staaten, die den Stabilitäts- und Wachstumspakt nicht einhielten, vom System der Euro-Anleihen ausgeschlossen werden sollten. Damit sollte dieser besser durchsetzbar werden.[1] Auch die deutschen SPD-Politiker Frank-Walter Steinmeier und Peer Steinbrück sprachen sich mittelfristig für die Einführung von Euro-Anleihen aus.[6]
Von Seiten verschiedener Regierungen – insbesondere Deutschlands, aber auch Frankreichs und Österreichs – wurde der Vorschlag hingegen erneut abgelehnt, da durch Euro-Anleihen der Anreiz für einzelne Staaten sinke, eine verantwortungsvolle Fiskalpolitik zu betreiben, da sich die Zinslast für eine schlechtere Kreditwürdigkeit auf alle Mitgliedstaaten verteile.[1] Euro-Bons bieten also weniger Anreiz zur Sparsamkeit. Experten gehen zudem davon aus, dass die Zinsen eines Euro-Bonds 0,5 bis ein Prozentpunkt über den Zinsen läge, die Deutschland heute zahlen muss. Auf den deutschen Staat käme eine jährliche Mehrbelastung des Bundeshaushalts von mindestens 17 Milliarden Euro zu. Um die Kosten aufzufangen, hätte Deutschland hätte keine andere Wahl, als bei den Ausgaben zu kürzen oder die Steuern zu erhöhen. Dies würden sodann nur die Bürger in Deutschland zu spüren bekommen. Zugleich sehen Kritiker in den Euro-Bonds einen verdeckten Weg in die Transferunion.
Einzelnachweise
- ↑ a b c d Spiegel Online, 14. Dezember 2010: EU-Parlamentarier sprechen sich für Euro-Bonds aus.
- ↑ a b c d EurActiv, 19. November 2008: Rezession trifft Europa: EU-Bonds regen Diskussionen an.
- ↑ EurActiv, 15. Dezember 2010: Barroso verspricht Fortschritte bei EU-Projektbonds.
- ↑ EurActiv, 4. März 2009: Almunia für EU-Anleihen, Rettungsplan für Eurozone existiert.
- ↑ Focus, 6. Dezember 2010: Bundesregierung lehnt neue Rettungsidee ab.
- ↑ Financial Times, 14. Dezember 2010: Germany must lead fightback (Englisch).