Acheuléen
Steinzeit – Altpaläolithikum | |
ca. 1,5 Millionen – 150.000 Jahre vor heute | |
Ausdehnung | |
Afrika, Europa, Eurasien, Naher Osten, Indien | |
Leitformen | |
bifaciale Faustkeile, Kratzer, grobe Spitzen |
Das Acheuléen ist eine Periode der Altsteinzeit (Paläolithikum).
Leitform des Acheuléen ist der Faustkeil, der in Afrika vor etwa 1,5 Millionen Jahren (Altsteinzeit) erstmals auftritt, in Europa allerdings deutlich später. Hersteller waren wahrscheinlich die Hominini-Arten Homo habilis, Homo rudolfensis und Homo ergaster / Homo erectus. Faustkeile kommen im gesamten Afrika und in den meisten Regionen Eurasiens vor. Neue Funde aus Südchina (zum Beispiel Bose-Region) sowie von der philippinischen Insel Luzon zeigen die Verbreitung von Faustkeilen bis ins östliche Südostasien an und damit weit jenseits der sogenannten Movius-Linie.[1] Diese hatte eine bislang angenommene östliche Grenze des Vorkommens von Faustkeilinventaren definiert. Neben Faustkeilen gibt es noch andere Gerätegruppen, wie große Hackmesser (Cleaver) und einfache Abschläge.
Das Acheuléen ist eine Archäologische Kultur. Da aber kaum mehr als die Steinartefakte bekannt sind, spricht man auch von einer „Acheuléen-Industrie“.
Älter als die Steingeräte des Acheuléen sind nur die einfachen Geröllgeräte des Oldowan.

Forschungsgeschichte
Namengebend ist einer der forschungsgeschichtlich frühesten Fundorte von Faustkeilen, Saint-Acheul, ein Vorort von Amiens. An dieser Stelle befindet sich heute der Archäologische Garten von Saint-Acheul. Der ca. 500.000 Jahre alte Fundplatz wurde 1838 von Jacques Boucher de Perthes entdeckt. 1872 schuf Gabriel de Mortillet anhand von namengebenden Fundstellen in Frankreich eine Klassifizierung und Nomenklatur der Perioden des Paläolithikums unter Einbeziehung des Acheuléens. Das europäische Acheuléen (ab ca. 500.000 vor heute) wurde 1924 von Hugo Obermaier in Alt- und Jung-Acheuléen geteilt (Grenze bei ca. 300.000 vor heute). Klaus Günther führte 1964 zusätzlich das Spätacheuléen ein. Heute gilt eine (chronologisch nicht klar fassbare Unterteilung) in Alt-, Mittel- und Jung-Acheuléen. Besonders das Ende des Acheuléens ist unklar umrissen. So zeigt sich, dass viele Inventare der 1967 von Gerhard Bosinski eingeführten „Lebenstedter Gruppe“ des Jungacheuléen heute in die mittlere Würmeiszeit bzw. Weichseleiszeit (60.000 bis 50.000 vor heute) zu datieren sind. Seit ca. 100.000 vor heute bestehen fließende Grenzen des Acheuléen zum Mousterien de tradition Acheuléen (zum Beispiel Fundstelle Ochtmissen bei Lüneburg) und dem Micoquien (zum Beispiel Fundstelle Salzgitter-Lebenstedt). Hauptcharakteristikum ist stets das Vorhandensein von Faustkeilen, verbunden mit einer großformatigen Abschlag-Industrie mit Schabern. Sowohl die evolutionistische Sichtweise eines primitiven Acheuléen (Abbevillien oder Protoacheuléen), als auch die Gegenüberstellung faustkeilfreier Inventare als Clactonien sind heute überholt. Obwohl ein genereller Entwicklungstrend zu regelmäßigen und dünneren Faustkeilen besteht, kommen diese vereinzelt schon ca. 500.000 v.h. vor (zum Beispiel Boxgrove, England).
Verbreitung
Die geographische Verbreitung des Acheuleen ist in paläoklimatischen und ökologischen Faktoren begründet, wobei sowohl die Eiszeiten als auch die Desertifikation der Sahara eine Rolle gespielt haben.[2] Werkzeuge des Acheuléen wurden auf dem gesamten afrikanischen Kontinent gefunden, bis hin zum Regenwald am Kongo. Die Verbreitung nach Norden erfolgte vermutlich über Kleinasien und die Arabische Halbinsel ins heutige Iran[3] und Pakistan bis nach Indien und darüber hinaus. In Europa reicht der Fundhorizont von den südlichen Donauländern und dem westlichen mediterranen Raum sowie über das jetzige Frankreich, Westdeutschland, Süd- und Mittelengland.
Acheuléen-Industrie

Alt-Acheuléen
Auch im Alt-Acheuléen sind die Werkzeuge noch den Chopper bzw. Chopping Tools zuzuordnen. Zum Teil treten jedoch schon weiterentwickelte Geräte auf, sogenannte Protofaustkeile. Aus dem Alt-Acheuléen haben sich nur wenige Funde erhalten, es trat in Europa erstmals während des Mindel-Riß-Interglazials auf, die Mehrzahl der Fundorte dürfte durch Solifluktion des Riß zerstört worden sein.
Die neue und wichtigste Form für das Acheuléen ist der Faustkeil. Er stellt eine wichtige Entwicklungsstufe in der Herstellung von Werkzeugen dar. Die Faustkeile des Archeuléen sind in der Regel beidseitig (bifacial) bearbeitet. Erstmals wurden für einzelne Tätigkeiten spezialisierte Typen hergestellt. Faustkeile stellen jedoch nur einen geringen Teil der gefundenen Artefakte für das Acheuléen dar. Weitaus häufiger sind Abschläge und daraus gearbeitete Geräte (zum Beispiel Schaber).

Mittel-Acheuléen
Im Mittel-Acheuléen verbessert sich die Fundlage, neue und besser bearbeitete Geräte wurden gefunden. Die Faustkeile sind lanzenförmig, die Abschlaggeräte zahlreich, es finden sich Schaber, Spitzen, gezähnte Werkzeuge und Bohrer. Bereits ab dem mittleren Acheuléen wurden vereinzelt Geräte in der sogenannten Levallois-Technik (Schildkern-Technik) hergestellt,[4] die für das Mittelpaläolithikum typisch werden. Das Mittel-Acheuléen ist in Westeuropa weit verbreitet, Funde gibt es aus ganz Frankreich, England (Swanscombe, dort wurden auch Schädelbruchstücke gefunden) und Belgien.
Jung-Acheuléen
In die Zeit des Jungacheuléen – es beginnt in der späten Riß-Zeit und endet zu Beginn der Würmeiszeit – fällt der Übergang vom Homo erectus zum Neanderthaler. Die hergestellten Werkzeuge gewannen weiter an Qualität. Es treten lanzenförmige, aber auch herz- und mandelförmige Faustkeile auf, die sich durch fein herausgearbeitete Spitzen und geradlinige Seitenkanten auszeichnen. Die teilweise über die reine Funktionalität hinaus gestalteten Faustkeile werden als Anzeichen ästhetischen Empfindens interpretiert. Die mit Levalloistechnik bearbeiteten Geräte verbreiten sich schnell. Abschlaggeräte sind oft vom typischen Moustérien kaum noch zu unterscheiden. Funde gibt es aus Frankreich, England, Belgien, Portugal und Spanien.
Die letzte Stufe, das Spätacheuléen, ist zum Teil bereits zeitgleich mit den folgenden Stufen des Micoquien bzw. des Moustérien. Zeitgleich zum Acheuléen finden sich die Kulturen des Clactonien und des Tayacien.
Lebensweise
Über die Lebensweise des Homo erectus geben die Fundplätze des Acheuléen Auskunft. Die meisten Fundstellen sine Freilandfundplätze, erst später wurden zunehmend auch Höhlen bewohnt. Erste Spuren der Nutzung des Feuers finden sich in der Mindel-Kaltzeit. Größeres Wild (zum Beispiel Rhinoceros mercki, Elephas antiquus) wurde bereits regelmäßig gejagt, wie man aus dem recht häufigen Fund von Knochen zusammen mit Werkzeugen des Acheuléen erkennen kann. Gräber haben sich nicht erhalten, man weiß auch nichts über die soziale Organisation oder religiöse Ansichten der damaligen Menschen.
Steinwerkzeuge, die 2008 und 2009 von einem amerikanisch-griechischen Forschungsteam bei Plakias an der südwestlichen Küste Kretas gefunden wurden, legen die Vermutung nahe, dass die Frühmenschen womöglich schon vor 700.000 Jahren in der Lage waren, als Seefahrer ferne Küsten zu erreichen.[5]
Wichtige Hominidenfunde
- Mauer bei Heidelberg, Unterkiefer von Mauer (Homo erectus heidelbergensis), ca. 600.000 oder 500.000 vor heute
- Steinheim an der Murr, „Proto-Neandertaler“ (Homo steinheimensis), ca. 300.000 vor heute
- Reilingen, Schwetzingen, Homo erectus
Fundplätze in Deutschland
- Markkleeberg [6][7], Eythra[8], Cospuden[9], Zwochau[10] (bei Leipzig)
- Wallendorf [11](Saalekreis bei Halle)
- Kärlich (Kreis Mayen-Koblenz)
- Lübbow[12] und Woltersdorf[13](Landkreis Lüchow-Dannenberg), auch „Öring-Paläolithikum“ genannt[14]
- Salzgitter-Lebenstedt („Lebenstedter Gruppe“, heute ins Micoquien gestellt)[15]
- Rheindahlen[16][17] (bei Mönchengladbach)
Siehe auch
- Archäologischer Garten von Saint-Acheul in Amiens
Einzelnachweise
- ↑ Alfred F. Pawlik: The Palaeolithic Site of Arubo 1 in Central Luzon, Philippines. Bulletin of the Indo-Pacific Prehistory Association. Vol. 24, S. 3–12.
- ↑ Todd, L, Glantz, M and Kappelman, J, Chilga Kernet: an Acheulean landscape on Ethiopia's western plateau Antiquity 76, 293 S. 611–612
- ↑ Biglari, F. and Shidrang: The Lower Paleolithic Occupation of Iran, Near Eastern Archaeology 69(3–4): 2006, S. 160-168
- ↑ Joachim Hahn: Südeuropa und Nordafrika. In: O. Bar-Yosef u.a: Neue Forschungen zur Altsteinzeit. (= Forschungen zur Allgemeinen und Vergleichenden Archäologie. Band 4.) Beck, München 1984, S. 50ff.
- ↑ On Crete, New Evidence of Very Ancient Mariners In: The New York Times, nytimes.com, 15. Februar 2010. Abgerufen am 5. Juli 2010 (englisch).
- ↑ W. Bernhardt, A. Rudolph: Die mittelpaläolithischen Steinartefakte der Sammlung F. Mann im Naturkundemuseum Leipzig. In: Veröffentlichungen des Naturkundemuseums Leipzig. 13, 1995, S. 1–22
- ↑ W. Baumann, D. Mania, V. Toepfer, L. Eissmann: Die paläolithischen Neufunde von Markkleeberg bei Leipzig. Veröffentlichungen des Landesmuseums für Vorgeschichte Dresden 16. Berlin 1983
- ↑ L. Eissmann, W. Bernhardt, A. Rudolph: Die Acheuléenfunde von Eythra bei Leipzig. In: Arch. Korr. 25, 1995, S. 275–289
- ↑ L. Eissmann et al.: Die paläolithischen Steinartefakte aus dem Tagebau Cospuden bei Leipzig. In: Veröffentlichungen des Naturkundemuseum Leipzig. 14, 1996, S. 1-23
- ↑ Pasda, C.: Silexverarbeitung am Rohmaterialvorkommen im Mittelpleistozän. Ergebnisse der Rettungsgrabung in Zwochau (Kr. Delitzsch). – In: Arbeits- und Forschungsberichte zur sächsischen Bodendenkmalpflege 38, 1996, S. 13-56
- ↑ Weber, T.: Analytische Untersuchungen und Entwicklungstendenzen der Technologie altpaläolithischer Inventare von Wallendorf, Bilzingsleben und Markkleeberg. – In: Ethnographisch-Archäologische Zeitschrift 21, 1980, S. 53-71
- ↑ L. Steguweit: Neue Untersuchungen am mittelpleistozänen Flintinventar von Lübbow. Ldkreis Lüchow-Dannenberg. Die Kunde N. F. 49, 1998, S. 1–40
- ↑ Schäfer, D.: Untersuchungen zum frühsaalezeitlichen Paläolithikum von Woltersdorf (Lkr. Lüchow-Dannenberg). – In: Beiträge zur Steinzeit in Niedersachsen, Teil I. Veröffentlichungen der urgeschichtlichen Sammlungen des Landesmuseums zu Hannover 47, 1997 Oldenburg (Isensee)
- ↑ Dürre, W.: Das Öring- Paläolithikum: Ein Diskussionsbeitrag zum Übergang vom Alt- zum Mittelpaläolithikum. Jahreshefte für Heimatforschung und Heimatpflege. Heimatbund des Kreises Soltau, Schneverdingen, 1991
- ↑ Pastoors, A.: Die mittelpaläolithische Freilandstation Salzgitter-Lebenstedt (Niedersachsen). Unterlagen zur 40. Tagung der H. Obermaier-Gesellschaft 1998, S. 12-13
- ↑ Klostermann, J. & J. Thissen: Die stratigraphische Stellung des Lößprofils von Mönchengladbach-Rheindahlen (Niederrhein). – In: Eiszeitalter und Gegenwart 45, (1995), S. 42-58
- ↑ Thieme, H.: Siedlungsstrukturen der saalezeitlichen Fundschicht B3 (Ostecke) in Rheindahlen (BRD). – In: Ethnographisch-Archäologische Zeitschrift 30 (1989), S. 561-572
Literatur
- Gerhard Bosinski: Die mittelpaläolithischen Funde im westlichen Mitteleuropa. Fundamenta A/4. Köln, Graz 1967.
- Gerhard Bosinski: Das Mittelpaläolithikum: Steinbearbeitung – Steinwerkzeugformen und Formengruppen – Bearbeitung von Holz, Knochen und Geweih – Schmuck. In: E.-B. Krause (Hrsg.): Die Neandertaler. Feuer im Eis. 250.000 Jahre europäische Geschichte. Gelsenkirchen 1999, S. 74–104.
- J. Hahn: Erkennen und Bestimmen von Stein- und Knochenartefakten. Einführung in die Artefaktmorphologie. Archaeologica Venatoria 10, 1991.
- S. Keates: The Movius Line, Fact or Fiction? In: Bulletin of the Indo-Pacific Prehistory Association. Vol. 22, 2003, S. 17–24.
- A. F. Pawlik, W. P. Ronquillo: The Palaeolithic in the Philippines. In: Lithic Technology. 28 (2), 2003, S. 79–93.
- Yamei Hou, R. Potts, Yuan Baoyin, Guo Zhengtang, A. Deino, Wang Wei, J. Clark, Xie Guangmao und Huang Weiwen: Mid-Pleistocene Acheulean-like stone technology of the Bose Basin, South China. In: Science. 287, 2000, S. 122.