Roland Jahn
Roland Jahn (* 14. Juli 1953 in Jena) ist ein deutscher Journalist. Als SED-Gegner und Bürgerrechtler gehörte er in der DDR zur Opposition. 1983 war er einer der Mitbegründer der oppositionellen Friedensgemeinschaft Jena und wurde noch im gleichen Jahr zwangsausgebürgert.
Leben
Als Bürgerrechtler in der Opposition zur DDR
Nach dem Abitur begann Jahn 1975 ein Studium der Wirtschaftswissenschaften in Jena. Er protestierte öffentlich gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns. Am 1. Mai 1977 trug er ein leeres weißes Plakat auf der offiziellen Maikundgebung, um die Zensur in der DDR zu kritisieren. Wegen seiner Proteste wurde er 1977 exmatrikuliert und arbeitete fortan als Transportarbeiter beim VEB Carl Zeiss Jena zur Bewährung in der Produktion. Auch in der Folgezeit demonstrierte er offen gegen die SED-Diktatur. 1982 verschickte er Postkarten mit seinem eigenem Foto, auf dem eine Gesichtshälfte als Hitler und die andere als Stalin geschminkt war.[1] In der Lokalzeitung schaltete er eine Trauerannonce zur Erinnerung an den unaufgeklärten Tod seines Freundes Matthias Domaschk, der am 12. April 1981 in der Stasi-Untersuchungshaftanstalt Gera umgekommen war. Außerdem klebte er die Annonce heimlich im Stadtzentrum von Jena als offenkundiges Flugblatt.[2] Nach einer Protestaktion bei der Militärparade am 1. Mai 1982 wurde er mehrfach festgenommen und verhört. Am 1. September kam er sechs Monate in Untersuchungshaft, weil er die polnische Nationalfahne mit der Aufschrift „Solidarność z polskim narodem“ (Solidarität mit dem polnischen Volk)[3] an seinem Fahrrad angebracht hatte. Er wurde zu 22 Monaten Haft wegen „öffentlicher Herabwürdigung der staatlichen Ordnung“ und „Missachtung staatlicher Symbole“[4] verurteilt, kam aber nach internationalen Protesten und Berichten in bundesdeutschen Medien wieder frei. In der Haft unterschrieb er unter Zwang einen Ausreiseantrag, den er nach der vorzeitigen Haftentlassung wieder zurückzog. Im März 1983 gründete er mit Oppositionellen wie Frank und Eve Rub sowie weiteren aus dem Umfeld der Jungen Gemeinde Stadtmitte wie Dorothea Rost und Andreas Friedrich die Friedensgemeinschaft Jena[5], die für einen Sozialen Friedensdienst eintrat und mit Demonstrationen und weiteren Aktivitäten politische Partizipation einforderte.[6]
Die Friedensgemeinschaft Jena war insofern einzigartig, als sie außerhalb öffentlicher und kirchlicher Strukturen wirkte. Um sie zu zerschlagen, führte die Stasi die „Aktion Gegenschlag" durch.[7] Ab 18. Mai 1983 wurden über 40 oppositionelle Friedensaktivisten aus Jena und Apolda in den Westen abgeschoben.[8] Am 8. Juni 1983 wurde auch Jahn gewaltsam aus der DDR ausgebürgert.[1] Er wurde unter einem Vorwand zum Wohnungsamt bestellt, wo ihn ein Stasi-Kommando festnahm, in Knebelketten zum Grenzbahnhof Probstzella brachte und in das letzte Abteil des nächsten Interzonenzugs nach Bayern einschloss.[9]
Tätigkeit als Journalist
Nach seiner erzwungenen Ausreise lebt er in West-Berlin. Er will in die DDR zurück und weigert sich zunächst, den Pass der Bundesrepublik anzunehmen. 1985 reist er heimlich nach Jena. Da alle Freunde weggezogen oder ausgewiesen wurden, beschließt er die DDR Opposition aus dem Westen zu unterstützen.[1] Von 1985 - 1987 bearbeitete er am Hamburger Institut für Sozialforschung das Studienprojekt „Opposition in der DDR“. [4] Als freier Journalist produzierte er beim ARD-Magazin Kontraste des Senders Freies Berlin mit Peter Wensierski zahlreiche Beiträge zu Opposition, Menschenrechtsverletzungen und Alltag im SED-Staat der 80er Jahre, darunter ein Beitrag über die Umweltverschmutzung in Bitterfeld, der mit Hilfe von Siegbert Schefke, Mitarbeiter der Umwelt-Bibliothek, gedreht wurde.[10] Zudem war Jahn als freier Journalist für die tageszeitung tätig, die auf ihrer Ostberlin-Seite über oppositionelle Aktivitäten im Ostteil Berlins berichtete. Jahn wurde in West-Berlin gemeinsam mit Jürgen Fuchs zum wichtigsten Unterstützer der DDR-Opposition.[11] So initiierte er u. a. 1987 „Radio Glasnost“ mit,[12] das vom West-Berliner Sender Radio 100 ausgestrahlt wurde.[13] Bis Ende 1989 wurde er vom Ministerium für Staatssicherheit (MfS) auch im Westen verfolgt und abgehört. Die Stasi führte gegen ihn den OV „Weinberg“, in dem Zersetzungsmaßnahmen dokumentiert sind.
Die Friedliche Revolution begleitete er mit monatlichen Kontraste-Beiträgen über Demonstrationen, Besetzungen der Stasi-Zentralen und den Machterhaltungskampf von SED-Funktionären, später widmete er sich immer wieder Themen der Aufarbeitung der SED-Diktatur.[14] Am 9. November 2009 war er mit der Bürgerrechtlerin Katrin Hattenhauer Redner beim „Fest der Freiheit“ am Brandenburger Tor.[15]
Seit 1991 arbeitet er beim Rundfunk Berlin-Brandenburg als Redakteur für das Politikmagazin Kontraste, ab 2006 als Chef vom Dienst und stellvertretender Redaktionsleiter.[4]
Nach Beschluss des Bundeskabinetts am 30. November 2010 soll er im März 2011 die Nachfolge von Marianne Birthler als Chef der Stasi-Unterlagen-Behörde antreten.[16]
Preise und Auszeichnungen
Roland Jahn wurde 1998 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.[17] 2005 bekam er den Bürgerpreis zur Deutschen Einheit.[4] Am 3. September 2010 erhielt er die Dankbarkeitsmedaille der Solidarność.[18]
Ehrenamtliche Mitarbeit
Jahn ist ab 1996 im Beirat der Robert-Havemann-Gesellschaft, ab 1999 im Fachbeirat der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur und von 2006 - 2010 im Beirat in der Stiftung Berliner Mauer. [4]
Literatur
- Tom Sello: Roland Jahn, in: Ilko-Sascha Kowalczuk/ Tom Sello (Hrsg.): Für ein freies Land mit freien Menschen. Opposition und Widerstand in Biographien und Fotos. Robert-Havemann-Gesellschaft in Verbindung mit der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, Berlin 2006, S. 321-324. ISBN 3938857021
- Hubertus Knabe: Die unterwanderte Republik. Propyläen, 1999, ISBN 3549055897
- Ehrhart Neubert: Geschichte der Opposition in der DDR 1949-1989. Ch. Links-Verlag, Berlin 1997, 2. Auflage Bundeszentrale für politische Bildung 2000, ISBN 3861531631
- Ehrhart Neubert, Thomas Auerbach: Es kann anders werden. Opposition und Widerstand in Thüringen 1945-1989. Böhlau-Verlag 2005, ISBN 3412088048
- Siegfried Reiprich: Der verhinderte Dialog. Meine politische Exmatrikulation. Eine Dokumentation. Robert-Havemann-Gesellschaft, 1996, ISBN 3980492028
Weblinks
- Literatur von und über Roland Jahn im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Biografie mit Bild, Audio- und Videobeiträgen Roland Jahn auf jugendopposition.de
- Friedensgemeinschaft Jena auf Jugendopposition.de: Friedensgemeinschaft Jena
- Gerald Praschl: Wer ist der Mann, der Marianne Birthlers Nachfolger werden soll? – Porträt auf SUPERillu.de vom 29. Okt. 2010
- Pressemitteilung der BStU: Zeitzeugenchat mit Roland Jahn „Als Oppositioneller aus der DDR ausgebürgert – in West-Berlin von der Staatssicherheit bespitzelt“
- Einheitspreisträger Roland Jahn
Einzelnachweise
- ↑ a b c jugendopposition in der DDR: Roland Jahn, Übersicht
- ↑ Interview mit Roland Jahn in Horch und Guck, Sonderheft Matthias Domaschk, 2003, S. 64-66 „Matz hat mich im Gefängnis in Gedanken begleitet."
- ↑ Abbildung des Fähnchens auf der Seite des Deutschen Historischen Museums Deutsch-polnische „Freundschaft" im Zeichen des Sozialismus
- ↑ a b c d e jugendopposition in der DDR: Roland Jahn, Biografie
- ↑ Gerold Hildebrand: Zehn sind manchmal mehr als zehntausend. Die Friedensgemeinschaft Jena 1982/83, in: Gerbergasse 18. Forum für Geschichte und Kultur, 2. Jg., Heft 6 (3/1997), S. 2–7.
- ↑ jugendopposition in der DDR: demo 83
- ↑ jugendopposition in der DDR: Aktion „Gegenschlag“
- ↑ Dietrich Karl Mäurer: Kalenderblatt 18.05.1983, Stasi-Aktion in Jena – MDR INFO vom 18. Mai 2008
- ↑ jugendopposition in der DDR: Interview mit Roland Jahn: Die Ausbürgerung
- ↑ Gerald Praschl: Roland Jahn – Wie der Widerstand ins Westfernsehen kam
- ↑ jugendopposition in der DDR: Roland Jahn: Unterstützung der DDR-Opposition
- ↑ jugendopposition in der DDR: Radio Glasnost
- ↑ Jacqueline Boysen: Das Westberliner Sprachrohr der DDR-Opposition, DLF Hintergrund vom 13. August 2009 Radio Glasnost
- ↑ DVD und Dossier von bpb und rbb Kontraste – Auf den Spuren einer Diktatur
- ↑ 20 Jahre Mauerfall, Welt Online vom 9. November 2009 So feierte Berlin
- ↑ Birthler-Behörde DDR-Regimekritiker Jahn soll Stasiakten verwalten In: Welt Online, 30. November 2010
- ↑ Renate Oschlies: Orden für Arbeit gegen die DDR, Berliner Zeitung vom 13. Oktober 1998 Bürgerrechtler Roland Jahn erhält Bundesverdienstkreuz
- ↑ Gerald Praschl: Polen sagt Danke an elf Deutsche. In: SUPERillu. Burda, 3. September 2010, archiviert vom am 3. September 2010; abgerufen am 3. September 2010 (deutsch).
Personendaten | |
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NAME | Jahn, Roland |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher DDR-Bürgerrechtler |
GEBURTSDATUM | 14. Juli 1953 |
GEBURTSORT | Jena |