Gegen die Wand
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Gegen die Wand ist der vierte Spielfilm des deutschen Regisseurs Fatih Akın. Der Film schildert die Liebesgeschichte einer jungen türkischstämmigen Deutschen, die eine Scheinehe mit einem älteren, alkoholkranken Landsmann eingeht, um den Moralvorstellungen ihrer Eltern zu entkommen.
Handlung
Der Film spielt zunächst in Hamburg. Cahit, ein 40jähriger Deutsch-Türke, fährt zu Beginn des Filmes alkoholisiert gegen eine Wand. Während der Zeit im Krankenhaus lernt er Sibel kennen, die ebenfalls wegen eines Suizidversuches dort ist. Sibel, eine junge Türkin, rebelliert gegen ihr traditionelles türkisches Elternhaus. Sie möchte ihr eigenes Leben leben, sagt "Ich will leben, ich will tanzen, ich will ficken. Und nicht nur mit einem Typen." Um diese Unabhängigkeit von ihrem strengen Vater und ihrem dominanten Bruder zu erlangen, sieht sie nur noch die Möglichkeit, eine Scheinehe einzugehen. Cahit, der seine türkische Muttersprache "weggeworfen" hat, auf jede Frage nach seiner mysteriösen Vergangenheit sensibel reagiert und sein Taschengeld mit dem Aufsammeln von Flaschen in einem alternativen Club verdient, willigt nach einigem Zögern ein. Zunächst sieht er unbeteiligt zu, wie Sibel nach der Hochzeit und dem Einzug bei ihm ein unbeschwertes und zügelloses Leben führt. Doch nach und nach wird ihm klar, dass er für Sibel mehr empfindet, dass er sie liebt. Seine Zuneigung geht so weit, dass er einen früheren One-Night-Stand Sibels, der über sie herzieht, im Affekt tötet. In der Folge wird Sibel, die sich nun selbst in Cahit verliebt hat, von ihrer Familie verstoßen. Sie verspricht Cahit, auf ihn "zu warten" und zieht zu ihrer Cousine nach Istanbul. Dort stürzt sie indes zunächst vollkommen ab und geht in ihrer Trauer unter. Als Cahit sie jedoch nach seiner Haftentlassung aufsuchen will hat sie ihr Leben geordnet, eine neue Beziehung und eine Tochter. Nach zwei gemeinsamen Tagen trennen sich die Wege von Sibel und Cahit, da Sibel Cahit nicht in seinen Heimatort Mersin folgen kann (oder will).
Kritiken
Der Film verarbeitet zwei große Themen brillant: Da ist zunächst die Frage nach der Identität des türkischstämmigen Einwanderers Cahit, der seit dreißig Jahren in Deutschland lebt und der jungen türkischen Frau, die in Deutschland geboren und umgeben von einer weltoffenen deutschen Gesellschaft traditionell türkisch erzogen wurde. "Selten spürte man im Kino einen derartigen Lebenshunger: In seinem preisgekrönten Film ‚Gegen die Wand‘ entwirft der Hamburger Regisseur Fatih Akın virtuos und kompromisslos das hochemotionale Drama zweier Deutschtürken auf der Suche nach Identität." (Oliver Hüttmann in Spiegel Online.)
Das zweite Thema ist die Liebesgeschichte zwischen Cahit und Sibel, die reich an Gefühlen und Wirrungen, an Missverständnissen und falschen Vorstellungen ist. Fritz Göttler schreibt dazu in der Süddeutschen Zeitung vom 10. April 2004 und auf sueddeutsche.de: "Wahnsinnige Liebe ist das Thema dieses Films. Und Selbstzerstörung. Und: Liebe = Selbstzerstörung. Fatih Akın denkt an Kurt Cobain und Jim Morrison, die Meister der poetischen Selbstzerstörung. Die Gleichung funktioniert, so wird uns suggeriert, nur noch bei den anderen, den Fremden, den Türken. Also nimmt der Film uns mit auf einen Trip in diese Welt, dort ist archaisches Leben – Blut, Schweiß, Tränen –, dort endet eine Szene gern im Exzess."
Und in der Tat ist Selbstzerstörung das, was beide Themen verbindet. Selbstzerstörung durch maßlosen Alkoholismus, durch die Amokfahrt gegen eine Wand, durch Suizidversuche ("Längs schneiden, nicht quer.") und durch Gewalt gegen andere. Selbstzerstörung als Rebellion gegen und zum Ausbruch aus der vorgegebenen Identität, Selbstzerstörung aus Liebe.
Die Lösung, die der Film anbietet: Die Rückkehr in die Türkei. Cahit verändert sich durch die Liebe zu Sibel zusehends und diese Liebe lässt ihn die Zeit im Gefängnis überstehen und abstinent werden. Und Sibel? Sie erlebt in Istanbul den Höhepunkt ihrer Selbstzerstörung bevor sie ihr Leben ordnet. Warum sie ihr Leben ordnet, bleibt der Film schuldig. Ob die Rückkehr in die Türkei eine akzeptable Lösung für Sibel und Cahit ist, muss jeder Zuschauer selbst entscheiden. Der Film schweigt sich dazu aus. Aber es ist die Lösung, für die beide Charaktere die nötige Kraft haben.
Akin gelingt es, die Geschichte durch eine intensive Bildsprache sehr realistisch zu erzählen. Sie wird von einem Soundtrack begleitet, der ihren Kontrast voll aufnimmt: Depeche Mode gegen türkisches Volkslied.
Nach der Verleihung des Goldenen Bären und dem Bekanntwerden der Vergangenheit der Hauptdarstellerin Sibel Kekilli konzentrierte sich die Diskussion in den Boulevardblättern zunächst darauf, sie moralisch für ihre Beteiligung an Pornofilmen niederzumachen.
Die Tatsache, dass Gegen die Wand der erste erfolgreiche deutsche Film im Rennen um den Goldenen Bären seit Jahren war, wurde weitgehend ausgeblendet. Michael Althen schreibt dazu auf faz.net: "Ein Goldener Bär, eine schmähliche Kampagne, jetzt wird man sehen, was das alles bringt, und kann womöglich erleben, wie der Film all die Erwartungen spielend unterläuft. Denn die kuriose Liebesgeschichte zweier gescheiterter Selbstmörder besitzt nicht nur eine verstörende Kraft durch die Unbedingtheit, mit der sie erzählt wird, sondern auch eine überraschende Zärtlichkeit für ihre beiden Figuren, denen der Sinn eigentlich nach ganz anderen, viel direkteren Gefühlen steht."
Auszeichnungen
Der Film Gegen die Wand erhielt folgende Ehrungen:
- Goldener Bär der Berlinale 2004
- 5 Lolas in Gold des Deutschen Filmpreises für
- Bester Film
- Beste Regie
- Beste Hauptdarstellerin: Sibel Kekilli
- Bester Hauptdarsteller: Birol Ünel
- Beste Kamera: Rainer Klausmann
- den Gilde-Filmpreis im Rahmen der Filmmesse Leipzig 2004
- im Rahmen des Filmfestivals in Oslo den Silver Mirror Award als bester Film from the south.
- Zwei Auszeichnungen beim Europäischen Filmpreis für
- Bester Film 2004
- Publikumspreis für die beste Regie
- die Auszeichnung als bester Film auf dem Ourense Film Festival in Spanien
- den Publikumspreis auf dem Festival de Cine in Sevilla in der Sektion Europa, Europa.
- den spanischen Filmpreis Goya als bester europäischer Film (2005)