Anthroposophie
Die Anthroposophie (wörtlich Die Weisheit vom Menschen) ist eine von Rudolf Steiner (1861-1925) begründete weltweit vertretene spirituelle Weltanschauung mit europäischen Wurzeln. Der Begriff ist nicht zu verwechseln mit Anthropologie (wörtlich Lehre vom Menschen). Der Terminus Anthroposophie wurde erstmals verwendet von I.P.V. Troxler, der in Jena Philsophie und Medizin studierte, u.a. bei Schelling und Hegel. Die Philosophie muss nach Troxler Anthroposophie werden. Sie ist eine objektivierte Anthropologie und geht vom ursprünglichen Menschen aus. In der menschlichen Natur vereinen sich Gott und die Welt.
Allgemeines
Die Anthroposophie versteht sich als eine christliche und humanistische Methode der Bewusstseinsentwicklung. Sie schöpft aus esoterischen und okkulten Quellen und umfasst Elemente des Gnostizismus und des Rosenkreuzertums. Aufgrund dieser Verbindung sehr unterschiedlicher Konzepte kann sie als synkretistische Weltanschauung bzw. als eklektischer Mystizismus betrachtet werden. Sie beinhaltet einen umfassenden (kosmischen) Evolutionsbegriff sowie ein vielschichtiges Konzept der Wiederverkörperung (Reinkarnation) und des Schicksals (Karma). Anders als in der Theosophie, aus der sie hervorging, spielt in der Anthroposophie das Christentum – in einer individuellen Variante – eine zentrale Rolle.
Unter Anthroposophie lassen sich zum einen die theoretischen Lehren Rudolf Steiners verstehen und zum anderen der von ihm entwickelte „geisteswissenschaftliche“ Schulungsweg, über den es möglich sein soll, die theoretischen Lehren nachzuvollziehen.
Die anthroposophische Bewegung ist soziologisch, weltanschaulich-religiös und politisch sehr heterogen. Die Interpretation von Steiners Werk ist aufgrund der verschiedenen Themengebiete und des großen Umfangs (28 Schriften und ca. 5900 Vorträge) innerhalb der Anthroposophie nicht einheitlich.
Die Impulse, die von der Anthroposophie ausgehen umfassen so unterschiedliche Lebensbereiche, wie Pädagogik/Heilpädagogik (Waldorfschule, Camphill), Medizin (anthroposophisch erweiterte Medizin), Landwirtschaft (biologisch-dynamische Landwirtschaft), Gesellschaft (Dreigliederung des sozialen Organismus), Bewegungskunst (Eurythmie) und Religion (Christengemeinschaft, selbst nicht zur Anthroposophie gehörend)
Als Zentrum der Anthroposophischen Gesellschaft wurde das Goetheanum erbaut.
Geschichte
Steiner übernahm den Begriff "Anthroposophie" um 1895 von seinem Wiener Lehrer Robert Zimmermann, der bereits ein System idealer Weltsicht veröffentlicht hatte. In den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts entwickelte er daraus in Berlin als freier Publizist in zahlreichen Vorträgen und Aufsätzen die Grundzüge der heutigen Weltanschauung. Nach anfänglich enger Verbindung mit der Theosophie (Steiner war Vorsitzender der Theosophischen Gesellschaft), trennte sich Steiner 1912 von dieser Richtung und gründete in Köln die Anthroposophische Gesellschaft, ohne religiösen Anspruch, aber auch in expliziter Distanzierung von der rational-wissenschaftlichen Aufklärung. Im gleichen Jahr wurde in Dornach bei Basel (Schweiz) das erste Goetheanum erbaut, als Veranstaltungsraum und Zentrum der Gesellschaft. Gleichzeitig begannen vielfältige Aktivitäten im sozialen, kulturellen und gesellschaftlichen Bereich. 1919 gründete etwa Emil Molt, Generaldirektor der Zigarettenfabrik Waldorf-Astoria, in Stuttgart für die Kinder seiner Angestellten die erste Waldorfschule mit anthroposophischer Ausrichtung. 1921 wurde die Pharmafirma Weleda AG gegründet, die anthroposophische und homöopathische Arzneimittel herstellt und vertreibt. 1922 gründet eine Gruppe von Theologen die Christengemeinschaft, eine Bewegung zur Erneuerung des Christentums mit anthroposophischer Ausrichtung.
Gleichzeitig formieren sich Gegner. In der Silvesternacht 1922 brennt das aus Holz errichtete erste Goetheanum bis auf seine Grundmauern nieder, vermutlich von Unbekannten in Brand gesetzt. Daraufhin entwarf Steiner ein zweites, größeres Goetheanum, das erst 1928 fertiggestellt wurde. 1923 reorganisiert sich die Anthroposophische Gesellschaft als Dachorganisation von unabhängigen Landesgesellschaften in zahlreichen europäischen Staaten; Rudolf Steiner wird Vorsitzender und außerdem Leiter der sog. Freien Hochschule für Geisteswissenschaft. Nach Steiners Tod übernimmt Albert Steffen diese Position.
Die Anthroposophie im Nationalsozialismus
Am 1. November 1935 wurde die Anthroposophische Gesellschaft wegen ihrer "Beziehungen zu ausländischen Freimaurern, Juden und Pazifisten" verboten. Schon vorher hatten alle jüdischen Mitglieder ihre Ämter in der Gesellschaft abgegeben, und ein Großteil der jüdischen Mitglieder war ausgetreten. Nach dem Verbot bemühten sich einige Anthroposophen um eine Wiederzulassung. Diese Versuche scheiterten 1939 endgültig, als Rudolf Heß die "Gleichbehandlung mit ehemaligen Freimaurern" anordnete. Die acht Waldorfschulen durften bis 1940 keine Einschulungen mehr vornehmen. Zwei Schulen wurden verboten (1938 Stuttgart und 1941 Dresden), die restlichen mussten aus finanziellen Gründen schliessen. Von den acht anthroposophischen heilpädagogischen Heimen wurden drei massiv bedroht, davon zwei geschlossen. Trotz dieser Repressionsmaßnahmen gab es auch Mitglieder, die sich mit dem System arrangierten oder sogar aktiv in den Gremien der NSDAP mitarbeiteten.
Nachkriegszeit
Nach dem Krieg wurde die Bewegung neugegründet; Schwerpunkte ihrer Tätigkeit blieben die Pädagogik, Medizin und Landwirtschaft (vgl. Demeter-Landwirtschaft). Weltweit sind zahlreiche Waldorfschulen und Waldorfkindergärten, die auf der Pädagogik Rudolf Steiners basieren, in Betrieb (lt. Selbstdarstellung: 877 Schulen in 57 Ländern), dazu entsprechende Studiengänge und Kurse in Waldorf-Pädagogik. Eine Bank mit anthroposophischer Zielsetzung wurde 1960 in Bochum gegründet (GLS-Gemeinschaftsbank). 1969 entstand das Gemeinschaftskrankenhaus Herdecke, eine zum damaligen Zeitpunkt moderne Einrichtung. Auch die Universität Witten-Herdecke, Deutschlands einzige Privatuni, war ursprünglich anthroposophisch geprägt. Zur Zeit sind nach Aussagen der Anthroposophischen Gesellschaft weltweit über 1.0000 Einrichtungen in 100 Ländern aktiv.
Lehre
Steiners Erkenntnisse entstammen nach eigenen Angaben einer ihm seit seiner Kindheit bewussten und methodisch vertieften geistig-übersinnlichen Schau (s. z.B. Akasha-Chronik). In seinem stärker philosophisch geprägten Frühwerk entwickelte Steiner einen erkenntnistheoretischen Monismus, der wesentlich auf einer Auseinandersetzung mit Immanuel Kant ("Kritik der reinen Vernunft") und dem Neokantianismus beruhte und plädiert für einen "ethischen Individualismus", der in Max Stirner und dem Anarchismus eines Benjamin R. Tucker oder John Henry Mackay Verwandtes findet. Als weitere Einflüsse können Goethe, Hegel (Phänomenologie), Fichte (deutscher Idealismus), Nietzsche, und Ernst Haeckel gelten. Deren Lehren werden von Steiner allerdings sehr selektiv bzw. individuell herangezogen und ausgelegt (s. insb. Wahrheit und Wissenschaft und Die Philosophie der Freiheit).
Ab 1902 tritt Steiner explizit christlich und esoterisch auf. Die Frage, inwieweit dieser Umstand einer wesentlichen Wandlung in Steiners Biographie, er selbst spricht von einem "Erweckungserlebnis", zuzuschreiben ist, ist - auch unter Anthroposophen - nicht entschieden. Philosophisch bedeutet diese Wendung jedoch eine Kehre, deren Auswirkung auf das Gesamtwerk bislang nicht - oder nicht abschließend - reflektiert ist. Nach Steiner befindet sich der Mensch (und die gesamte Welt, also auch die geistige) in beständiger Entwicklung (Evolution). Das Ziel des anthroposophischen Schulungsweges sei es, durch Meditation, Selbsterziehung und Beobachtung auf einer lebenslangen 'Suche', höhere Bewusstseinsebenen zu erreichen. Dieser Schulungsweg sei individuell auszugestalten und könne von jedem Menschen beschritten werden.
Begriffe
Der Mensch existiert laut Steiner in vier ineinander greifenden Ebenen, die auch als Wesensglieder bezeichnet werden. Wichtig für die Bezeichnung der einzelnen Glieder: "Mit `Leib´ soll bezeichnet werden, was einem Wesen von irgendeiner Art `Gestalt´, `Form´ gibt. Man solle den Ausdruck `Leib´ nicht mit sinnlicher Körperform verwechseln."(GA9,S.38/39)
- Der physische Leib
Mit dem Begriff "physischer Leib" bezeichnet Steiner den sichtbaren mineralisch-physischen Körper von Mensch, Tier, Pflanze und Stein. Dieser ist den physikalischen Begebenheiten der Erde ausgesetzt, wenn er nicht, wie bei Mensch, Tier und Pflanze noch von anderen "Leibern" durchzogen wird. Laut Steiner würde der alleinige "physische Leib" beim Menschen, den chemichen Gesetzmäßigkeiten gehorchend zerfallen, wie es beim Tode des Menschen durch den Verwesungsprozess gekennzeichnet ist, da mit dem Tod ein Auflösungsprozess des "Leibergefüges" beginnt.
- Der Ätherleib oder Lebensleib
Steiner hat im Laufe seines Lebens die Bezeichnung "Ätherleib" nie als zufriedenstellend empfunden. An verschiedenen Stellen tauchen auch die Bezeichnungen "Lebensleib" und "Bildekräfteleib" auf. "`Äther´ bezeichnet hier etwas anderes als den hypothetischen Äther der Physik. Man nehme die Sache einfach als Bezeichnung..." (GA9,S.38) Der Ä. ist laut Steiner als übersinnlicher Teil doch sehr dem Physischen oder Äußerlichen verhaftet. Er soll belebender Teil des physisch-mineralischen Körpers sein. Im Gegensatz zu Letzgenannten, der durch äußere Kräfte seine Gestalt findet, gestalte der Ä. aus dem Inneren des menschlichen Wesens heraus ständig den physischen Leib neu. Beim Menschen sei der Ä. laut Steiner auch Träger von Denkkräften und Gewohnheiten.
- Der Astralleib
Mit dem Astral- oder Empfindungsleib reagiere der Mensch auf die Außenwelt. Er sei das Empfindende im Menschen als Teil seiner Seele, so Steiner in der Schrift Theosophie. Im A. erlebe der Mensch seine Begierden und Leidenschaften.
- Das Ich
Das Ich sei der eigentliche Wesenskern des Menschen, welcher demnach als ewig angesehen werden müsste, wenn man Steiners Ausführungen folgt. "Denn mit seinem `Ich´ ist der Mensch ganz allein. - Und dieses `Ich´ ist der Mensch selbst. Das berechtigt ihn, dieses `Ich´ als seine wahre Wesenheit anzusehen. Er darf deshalb seinen Leib (hier als Körper,anm.) und seine Seele als die `Hüllen´ bezeichnen; innerhalb deren er lebt; und er darf sie als leibliche Bedingungen bezeichnen, durch die er wirkt."(GA9,S.49) Das Ich ist nicht zu verwechseln mit dem "Alltags-Ich", das sich dem Menschen als seine Persönlichkeit darstellt. Das Ich weist über dieses und beheimatet das Geistige des Menschen. "Die Sinneserscheinungen offenbaren sich dem `Ich´ von der einen, der Geist von der anderen Seite. Leib und Seele geben sich dem `Ich´ hin, um ihm zu dienen; das `Ich´ aber gibt sich dem Geiste hin, daß er es erfülle. Das `Ich´ lebt in Leib und Seele; der Geist aber lebt im `Ich´."(GA,S.50)
Laut Steiner befinde der Mensch sich auf einem Entwicklungsweg zur "Läuterung" der oben beschriebenen Leiber. Ein Durchdringen der eigenen Leidenschaften, der Gewohnheiten, etc. durch das Ich sei u.a. der momentane Entwicklungsweg. "Das Ich wird immer mehr Herrscher über Leib und Seele."(GA9,S.50)
Daraus ergibt sich eine Gliederung in sieben Teile des irdischen Menschen:
- Der physische Körper
- Der Äther- oder Lebensleib
- Der empfindende Seelenleib
- Die Verstandesseele
- Die geisterfüllte Bewusstseinsseele
- Der Lebensgeist
- Der Geistesmensch
Durch den Tod, bei dem sich die höheren Leiber vom physischen Leib trennen, löse sich zunächst der Ätherleib, später der Astralleib auf und das Ich sinke zuletzt in einen bewusstlosen Zustand um sich mit Hilfe höherer Wesenheiten auf die Reinkarnation in einer veränderten physischen Umgebung vorzubereiten. Dieser Zyklus werde von dem individuellen Schicksal und der konkreten Lebensgestaltung des Menschen bestimmt.
Kritik
Fehlende Wissenschaftlichkeit / Hellseherische Wissensbasis
Aus kritischer Perspektive handelt es sich bei Steiners synkretistischer Weltanschauung um eine Pseudowissenschaft bzw. eine Spielart der Esoterik. Deren zentrale Begriffe zeichnen sich gerade dadurch aus, dass sie nicht wissenschaftlich überprüfbar sind (d.h. nicht intersubjektiv, falsifizierbar, empirisch überprüfbar und allgemein zugänglich). Geheimwissenschaft (Okkultismus) ist eine von Steiner selbst verwendete Bezeichnung, mit der er ausdrückt, dass seine Lehre über das bloße "Verstandesdenken" hinausgeht. An H. Blavatskys Secret Doctrine Geheimlehre anknüpfend, stellt die Geheimwissenschaft einen Kern seiner Werke aus der frühen theosophischen Phase (1902-10) dar. Fortgeschrittene Schüler seien zu übersinnlichen Wahrnehmungen imstande. Die sog. "Geheimwissenschaften" errichten Denkgebäude, die nur für "Eingeweihte" nachvollziehbar sind.
Steiner nahm für sich in Anspruch, in der sog. "Akasha-Chronik" (Blavatsky) "lesen" zu können, einer Art kosmischem Gedächtnis, in dem alles Wissen über Vergangenheit und Zukunft gespeichert sein soll. Aus dieser Quelle entnahm Steiner Details aus Atlantis, korrigierte christliche Evangelien, enthüllte Geheimnisse ägyptischer Priester oder traf Prophezeiungen, etwa über das Kommen des Christus im Aetherischen in den Dreissiger Jahren des 20. Jahrhunderts. Die von ihm begründete Anthroposophie fußt somit auf dem Anspruch, über Zugang zu unumstößlichen Wahrheiten zu verfügen. Diese Wahrheiten, so Steiner, stünden jedoch nicht in einem Widerspruch zur "herkömmlichen" empirischen Wissenschaft und sie seien intersubjektiv überprüfbar. Allein an diesen beiden Proklamationen, so der Philosoph Sven Ove Hansson, ließen sich Steiners Aussagen falsifizieren. Erstens sei es niemandem, der auf Steiners Schulungsweg gegangen ist, bis heute gelungen, wie dieser in der Akasha-Chronik zu lesen und zweitens ließe sich alleine anhand Steiners Aussagen über Quantenphysik und Relativitätstheorie leicht zeigen, dass seine spirituellen Erkenntnisse zu anderen Ergebnissen führten, als die Experimente der modernen Wissenschaft. Diese und ähnliche Überlegungen bewogen Kritiker, der Anthroposophie die selbstproklamierte Wissenschaftlichkeit - Steiner spricht mit Dilthey von Geisteswissenschaft - abzusprechen.
Rassismusvorwurf
In seinem weitausgreifenden Werk (das vielfach auf ungeprüften Mitschriften seiner Vorträge beruht) finden sich auch wiederholt Aussagen über menschliche Rassen, also völkische Ideen, wie sie sich auch bei Oswald Spengler, Arthur Moeller van den Bruck und Ernst Niekisch finden. Das Vorhandensein menschlicher Rassen in unterschiedlichen Entwicklungsstufen sei eine Tatsache, die sich ihm aus seinen Forschungen ergeben habe. Aus linksprogressiven Kreisen kam daher schon früh der Vorwurf, Steiners Lehre sei "faschistoid" (Ernst Bloch). Tatsächlich finden sich in Steiners Werk vereinzelt entsprechende Passagen, die besonders vor dem Hintergrund der späteren NS-Rassenpolitik problematisch sind. So griff er etwa die "Wurzelrassentheorie" der Theosophie auf und beschäftigte sich, wenn auch überwiegend distanziert kritisch, mit Rassenmystikern wie Guido von List und Lanz von Liebenfels, die er persönlich kannte. Die theosophische Lehre besagt, dass sich die Menschheit in Rassen, von niederen zu immer höheren Stadien entwickelt hat, mit der arischen Rasse als höchster Entwicklungsstufe. Dieses Ideengebäude wurde später auch von der sog. "Ariosophie" aufgegriffen und explizit auf das Germanentum gemünzt. 1997 - im Europaratsjahr gegen den Rassismus - wurde die Verwendung dieser und ähnlicher Vorstellungen seitens der Anthroposophie Rudolf Steiners in den Blick genommen. In den Niederlanden wurde eine Kommission aus der Anthroposophie nahestehenden Wissenschaftlern unter Leitung eines international tätigen Menschenrechtsanwaltes gebildet, die das gesamte, 300 Bände umfassende Oeuvre mit 89 000 Textseiten systematisch auf entsprechende Aussagen hin überpüfte. Die Kommission kam zu dem Ergebnis, dass darin 67 Textstellen aus heutiger Sicht diskriminierend sind, 16 wären sogar in den Niederlanden strafbar. Allein die quantitative Auflistung (< 1 Promille) zeigt, dass die Äußerungen nicht zentral für Steiners Werk gewesen sein können. Die Kommission urteilt: "Das anthroposophische Menschenbild Rudolf Steiners steht auf der Grundlage der Gleichwertigkeit aller menschlichen Individualitäten und nicht auf einer vermeintlichen Überlegenheit der einen Rasse gegenüber einer anderen." Dem Bericht zufolge enthält die Anthroposophie keine Rassenlehre. Damit kann der Rassismusvorwurf als widerlegt gelten - was bleibt sind eine Reihe von problematischen Äußerungen in Steiners Werk, die für die Anthroposophie aber nicht konstitutiv sind. Ebenso weist die Kommission den Vorwurf des Antisemitismus zurück. Sie zeigt, dass sich Steiner stets gegen Antisemitismus eingesetzt hat, dessen Verbreitung er gleichwohl massiv unterschätzt habe.
Christologie
Die anthroposophische Christologie enthält gnostische Elemente, die neben der Lehre von Reinkarnation und Karma Angriffspunkte der konfessionellen Kritik geworden sind. Zwar betont Steiner die "Wissenschaftlichkeit" der Anthroposophie, die wertfreien Aufschluss über die unterschiedlichen Religionen der Menschheitsgeschichte geben solle: "Den Religionen gegenüber kann sie (die Geisteswissenschaft,anm.) einzig und allein nur die Aufgabe haben, zu einem tieferen Verständnis der religiösen Wahrheiten zu führen...Es wird so vielfach verkannt, daß die Geisteswissenschaft im Grunde auf einem ganz anderen Boden steht als irgendein Religionsbekenntniss." (GA704,S.196) Auf der anderen Seite spricht Steiner aber selbst auch von "christlicher Wissenschaft", was die Problematik seines Wissenschaftsbegriffs zeigt. "Darin besteht das Christliche (der anthroposophischen Wissenschaft,anm.), daß man den Ausgleich sucht...aber ohne abergläubisch, ohne frömmelnd zu sein." (GA723,S.232) Diese religiösen Bestandteile seines Werkes werden oft kritisiert, so z.B. die eklektische Verknüpfung von Christentum und Reinkarnationslehre. So steht für die Anthroposophie die "Erlösung" nicht am Ende eines einzigen, sondern am Ende vieler Leben. Sie stelle sich ein, wenn sich der Mensch durch viele Verkörperungen hindurch zu einem Wesen, das einen eigenen Platz in den himmlischen Hierarchien einnimmt, entwickelt habe. Die anthroposophische Bewegung wird weder von Kirchen noch von der Bundesregierung in den sog. "Sektenberichten" erwähnt, etwa im Zusammenhang mit gesellschaftlich geächteten Vorgehensweisen, z.B. manipulativer Mitgliederwerbung.
Literatur
- Eine Liste der Werke Rudolf Steiners
- Steiner, Rudolf: Einführung in die Anthroposophie. Dornach : Rudolf-Steiner-Verlag, 1992. ISBN 3-7274-6560-3
- Steiner, Rudolf: Einführung in die Geisteswissenschaft. München : Archiati, 2004. ISBN 3-937078-25-8
- Bader, Hans-Jürgen; Ravagli, Lorenzo; Leist, Manfred: Rassenideale sind der Niedergang der Menschheit : Anthroposophie und der Antisemitismusvorwurf. Stuttgart : Verlag Freies Geistesleben, 2002. ISBN 3-7725-1917-2
- Badewien, Jan: Anthroposophie : eine kritische Darstellung. Konstanz : Bahn, 1990. ISBN 3-7621-6421-5 (4. Aufl.)
- Badewien, Jan: Die Anthroposophie Rudolf Steiners. München : Evangelischer Presseverband für Bayern, 1994. ISBN 3-583-50662-6
- Barz, Heiner: Anthroposophie im Spiegel von Wissenschaftstheorie und Lebensweltforschung. Zwischen lebendigem Goetheanismus und latenter Militanz. Weinheim : Deutscher Studien-Verlag, 1994. ISBN 3-89271-458-4
- Baumann-Bay, Lydie und Andreas: Achtung, Anthroposophie! : ein kritischer Insider-Bericht. Zürich : Kreuz, 2000. ISBN 3-268-00255-2
- Bierl, Peter: Wurzelrassen, Erzengel und Volksgeister : die Anthroposophie Rudolf Steiners und die Waldorfpädagogik. Hamburg : Konkret-Literatur-Verlag, 1999. ISBN 3-89458-171-9
- Binder, Andreas: Wie christlich ist die Anthroposophie? Standortbestimmungen aus der Sicht eines evangelischen Theologen. Stuttgart : Urachhaus Verlag 1989. ISBN 3-87838-611-7 (2. Aufl.)
- Hauer, Jakob W.: Wesen und Werden der Anthroposophie - eine Wertung und eine Kritik. Bliestorf b. Lübeck : Regin-Verl., 2004. ISBN 3-937129-12-X (Neuaufl. der Ausgabe 1923).
- Heisterkamp, Jens: Was ist Anthroposophie? Eine Einladung zur Entdeckung des Menschen. Dornach : Verl. am Goetheanum, 2000. ISBN 3-7235-1089-2
- Kiersch, Johannes: Die Waldorfpädagogik : eine Einführung in die Pädagogik Rudolf Steiners. Stuttgart : Verl. Freies Geistesleben, 1997. ISBN 3-7725-1247-X (Neuausg.)
- Kriele, Martin: Anthroposophie und Kirche. Erfahrungen eines Grenzgängers. Freiburg im Breisgau ; Basel ; Wien : Herder, 1996. ISBN 3-451-23967-1
- Lutterbeck, Ernst: Anthroposophie verstehen : eine Einführung nach persönlichen Erfahrungen. Paderborn : Möllmann, 1997. ISBN 3-931156-21-4
- Okruch, Stefan: Wirtschaft und Anthroposophie - Darstellung und Kritik des Konzepts Rudolf Steiners. Bayreuth : Verlag PCO, 1993. ISBN 3-925710-50-7
- Prange, Klaus: Erziehung zur Anthroposophie. Darstellung und Kritik der Waldorfpädagogik. Bad Heilbrunn/Obb. : Klinkhardt, 1987. ISBN 3-7815-0579-0 (2., durchges. Aufl.)
- Ravagli, Lorenzo: Unter Hammer und Hakenkreuz : der völkisch-nationalsozialistische Kampf gegen die Anthroposophie. Stuttgart : Verlag Freies Geistesleben, 2004. ISBN 3-7725-1915-6
- Stratmann, Franz: Zum Einfluß der Anthroposophie in der Medizin. München : Zuckschwerdt, 1988. ISBN 3-88603-284-1
- Ullrich, Heiner: Waldorfpädagogik und okkulte Weltanschauung. Eine bildungsphilosophische und geistesgeschichtliche Auseinandersetzung mit der Anthroposophie Rudolf Steiners. Weinheim ; München : Juventa-Verlag, 1991. ISBN 3-7799-0664-3 (3. Aufl.)
- Werner, Uwe: Anthroposophen in der Zeit des Nationalsozialismus : 1933 - 1945. München : Oldenbourg, 1999. ISBN 3-486-56362-9
Weblinks
- Umfassendes Informationsportal Anthroposophie
- Die Allgemeine Anthroposophische Gesellschaft
- Die Anthroposophische Gesellschaft in Deutschland
- Plattform für Anthroposophie, Waldorfpädagogik und Goetheanistische Naturwissenschaft
- Übersicht über die anthroposophischen Tätigkeitsfelder
- Rudolf-Steiner-Gesamtausgabe mit Volltextsuche
- 1.300 Biographien von Anthroposophen, die im 20. Jahrhundert kulturschaffend tätig waren
- Anthroposophie - Die Weisheit vom Menschen
- Kommission zur Klärung der Rassismusvorwürfe
Anthroposophie in der Diskussion
pro
- Stellungnahmen zu Rassismus-, Antisemitismus- und Sektenvorwürfen
- Judentum, Zionismus und Antisemitismus aus der Sicht Rudolf Steiners - Studie auf haGalil aus Wolfgang Benz (Hg.): Jahrbuch für Antisemitismusforschung 12 (2003)
- Was Anthroposophie nicht ist (Antwort auf Hansson: "Ist die Anthroposophie eine Wissenschaft?")
- Wie gehen Anthroposophen in Holland offiziell mit Antisemitismusvorwürfen um...
- Rudolf Steiner als aktiver Gegner des Antisemitismus und Rassismus
contra
- Diskriminierende Äusserungen von Rudolf Steiner und ihr Einfluss auf die Anthroposophie (infosekta.ch)
- Ist die Anthroposophie eine Wissenschaft? (Sven Ove Hansson)
- Sammlung von Artikeln der Schweizer "Aktion Kinder des Holocaust" zum Thema Antisemitismus und Anthroposophie
- Mein Konflikt mit meiner anthroposophischen Erziehung von Christoph Keller, von 1962 bis 1974 Waldorfschüler