Jesusgebet
Das Jesusgebet, auch Herzensgebet genannt, ist ein besonders in der Orthodoxen Kirche weit verbreitetes Gebet, bei dem ununterbrochen der Name Jesu Christi angerufen wird. Damit wird der Aufforderung „Betet ohne Unterlass!“ (1. Thesserlonicherbrief Kapitel 5, Vers 17) des Apostels Paulus genüge getan. Im Hesychasmus und anderen Meditationsformen der Ostkirchen nimmt dieses Gebet eine zentrale Stellung ein, ebenso in der Spiritualität der Kartäuser.
Geschichte
Die Geschichte des Jesusgebetes läßt sich in drei Phasen unterteilen. Seine Anfänge reichen bis in die Zeit des frühen östlichen Mönchtums zurück. Dort wurden kurze Bibelzitate, oft Psalmverse, meditiert, also immer wieder wiederholt, teilweise laut ausgesprochen, teilweise innerlich rezitiert. Mit der Zeit wurde es üblich, statt der Bibelzitate den Namen Jesus zu rezitieren. Die Form Herr Jesus Christus, erbarme dich meiner ist bereits für das 6. Jahrhundert belegt.
Die zweite große Phase in der Geschichte des Jesusgebetes ist der Hesychasmus, der im 12. Jahrhundert auf dem Berg Athos praktiziert wurde. Das Jesusgebet wurde hier beim bewussten Sitzen in der Stille im Rhythmus von Atmung und Herzschlag rezitiert. 1782 gab von dort der Mönch Nikodemos die Philokalia, eine Sammlung von Zitaten geistlicher Schriftsteller über das Jesusgebet, heraus.
Die dritte Phase in der Geschichte des Jesusgebetes beginnt im 16. Jahrhundert in Russland, wo es bis ins 18. Jahrhundert hinein eine große Blütezeit erlebte. In Russland entstand Ende des 19. Jahrhunderts ein Buch mit dem Titel Aufrichtige Erzählungen eines Pilgers, seinem geistlichen Vater mitgeteilt, das in viele Sprachen übersetzt wurde und so die Tradition des Jesusgebetes weltweit verbreitete, auch im deutschsprachigen Raum, wo es unter dem Titel Aufrichtige Erzählungen eines russischen Pilgers erschien.
Gebetstext
Es gibt keinen einheitlichen Gebetstext. Stets wird der Name Jesu angerufen. Mögliche Formulierungen sind:
- Herr Jesus Christus.
- Jesus Christus.
- Jesus.
Nach der Anrufung des Names Jesu kann eine Erbarmungsbitte angeschlossen werden. Mögliche Formulierungen sind:
- Herr Jesus Christus, erbarme dich meiner.
- Herr Jesus Christus, (du) Sohn Gottes, erbarme dich meiner.
- Herr Jesus Christus, (du) Sohn Gottes, hab Erbarmen mit mir (Sünder).
Statt der Erbarmungsbitte kann auch eine Bitte um Hilfe geäußert werden. Mögliche Formulierungen sind:
- Herr Jesus Christus, steh' mir bei.
- Herr Jesus Christus, (du) Sohn Gottes, steh' mir bei.
- Heiligstes Herz Jesu, sei meine Rettung.
Es kann auch in Richtung Lobpreis, Anbetung erweitert werden:
- Hallelula Jesus, Amen.
Einübung
Die Einübung des Jesusgebetes erfolgt üblicherweise in drei Schritten, die bei den meisten Menschen jeweils mehrere Jahre dauern werden:
- Häufiges mündliches Rezitieren,
- innerliches Beten und
- selbständiges Beten im Rhythmus Atmung und Herzschlag.
1. Mündliches Rezitieren
Zur Einübung sollte eine aufrechte Sitzposition, auf einer Meditationsbank oder einem Stuhl eingenommen werden. Um Einseitigkeiten und Verfälschungen der Übungsidee zu vermeiden, ist es sinnvoll einen Lehrer oder spirituellen Ratgeber hinzuzunehmen, der schon Erfahrung damit hat; dabei muss es sich nicht unbedingt um einen Priester oder Mönch handeln.
Im ersten Schritt wird der Gebetstext sehr häufig laut gesprochen oder zumindest mit den Lippen geformt. Das Gebet wird dabei zunächst dreitausendmal am Tag gesprochen – an einem Rosenkranz abgezählt oder noch besser, da kein störendes Klickern entsteht, an einer Knotenschnur, dann sechstausendmal, dann zwölftausendmal uns schließlich sooft wie möglich. Dieses bewusste häufige Sprechen des Gebetes in der ersten Phase dient der Verinnerlicherung. Man kann auch mit einer kleineren Zahl beginnen, sollte anfänglich auch nicht zu schnell steigern, da sich sonst beim Übenden leicht extremer Überdruss und geistliche Leere einstellen kann und die Übung dann abgebrochen wird; so haben schon einige Leute ihren ganzen Glauben verloren. Man muss auch darauf achten, andere Aspekte des Lebens, wie etwa Arbeit und tätige Nächstenliebe, nicht wegen der Übungen zu vernachlässigen, sonst geht am Ende schnell beides vor die Hunde.
2. Inneres Gebet
Im zweiten Schritt wird das Gebet zum inneren Gebet. Nun kann bewusst auf die Atmung beim Gebet geachtet werden, also beim Einatmen etwa Herr Jesus Christus und beim Ausatmen erbarme dich meiner gebetet werden. Danach kann der Rhythmus des Herzschlags in das beten einbezogen werden. Beim ersten Herzschlag wird Herr, beim zweiten Jesus, beim dritten Christus usw. gebetet. Die Koordination mit Atmung und Herzschlag sollte behutsam und am besten unter Anleitung eines erfahrenen geistlichen Begleiters geschehen.
3. Beten im Rhythmus von Atmung und Herzschlag
In der dritten Phase schließlich ist das Gebet so sehr verinnerlicht, dass es gleichsam automatisch mit jedem Atemzug oder Herzschlag gebetet wird. Nach langer Übung kommt es aus dem Unterbewußtsein hoch und anfangs ist man erstaunt, da man sich pötzlich innerlich beten hört, ohne das Gebet willentlich "angeschaltet" zu haben.
Literatur
- Matthias Dietz (Hrsg.): Kleine Philokalie. Betrachtungen der Mönchsväter über das Herzensgebet. Benziger Verlag, Zürich 1996 ISBN 3-545-20503-7
- Emmanuel Jungclaussen (Hrsg.): Aufrichtige Erzählungen eines russischen Pilgers. Herder, Freiburg i.Br. 2000 ISBN 3-451-04947-3
- Emmanuel Jungclaussen: Unterweisung im Herzensgebet. EOS, St. Ottilien 1999 ISBN 3-880-96454-8
- Emmanuel Jungclaussen/ Kallistos Ware: Hinführung zum Herzensgebet. Herder, Freiburg i.Br. 2004 ISBN 3-451-28389-1
- Erich Puzik: Kleine Schule des inneren Betens. Johannes-Verlag, Einsiedeln 1975 ISBN 3-265-10162-2
- Igor Smolitsch: Leben und Lehre der Starzen. Die spirituellen Meister der russisch-orthodoxen Kirche. Herder, Freiburg i.Br. 2004 ISBN 3-451-05475-2
- Archimandrit Sophronius: Starez Siluan, Mönch vom heiligen Berg Athos. Leben, Lehre, Schriften. Patmos, Düsseldorf 1959