Emerging Church
Die Emerging Church (vom Englischen: to emerge: auftauchen, sich bilden, sichtbar werden und von der Theorie der Emergenz) ist eine Reformbewegung im/ausgehend vom Evangelikalen Christentum. Die Vordenker versuchten das Christentum gegenwartsnah zu gestalten. Es wurden vermehrt Beobachtungen und Analysen über die Kultur angestellt und infolgedessen ein Kontrast formuliert zwischen dem, von der Aufklärung beeinflussten „modernen Christentum“ und dem im Entstehen begriffenen (-> „emerging“) postmodernen Christentum.
Mit „moderne Christentum“ sind vor allem fundamentalistische, evangelikale, charismatische und pfingstlerische Gruppen gemeint. Ihnen wird vorgeworfen, zu sehr an einer überholten Methodik festzuhalten, die aus rationaler Beweisführung, strenger Hierarchie, Kirchenzucht und perfekter Organisation besteht. Das „moderne Christentum“, so der Vorwurf, hätte sich aus dem Versuch gebildet, sich an das moderne Bedürfnis nach Kontrolle, Sicherheit und Verifizierbarkeit anzupassen. Heutzutage werde die Erkenntnisfähigkeit des Menschen viel grundsätzlicher angezweifelt und die Menschen wären offener für Mystik, Spiritualität und dem Unerklärbarem. Die Emerging Church ist nun der Versuch, Kirche für diese „suchenden“ Menschen zu bauen und sie im Kontext einer Gemeinschaft zu missionieren.
Theologie
Beeinflusst vom Dekonstruktivismus versuchen Emerging Church Theologen evangelikale Theologie zu hinterfragen, um die Bedeutung des Christentums neu zu verstehen. In vielen Punkten scheint also die Emerging Church Bewegung parallel mit der liberalen Bewegung im 19. Jahrhundert zu laufen. Dennoch hält man weitläufig an den spezifischen evangelikalen Grundlagen fest: die Autorität der Bibel und die Notwendigkeit der Rettung durch Jesus Christus allein.
Wesentliche Unterschiede finden sich jedoch in der Akzentuierung der Theologie:
• Emerging Church Theologen und Laien relativieren ihre eigene Position viel deutlicher. Raum für Kritik, Selbstkritik und Diskussion soll gegeben werden. Ein gewisser Pluralismus wird den Mitgliedern zugestanden. Deshalb wählen auch viele an der Emerging Church Mitwirkende für Veröffentlichungen die Form des Weblogs, der Kommentare möglich macht. Mit dem Namen Emerging Church versucht man auch, die Vorläufigkeit seiner eigenen Erkenntnisse auszudrücken. Selbst die eigenen Lehren werden nicht mehr als absolut verstanden und sollen nicht zu Dogmen werden.
• Es entsteht auch ein neues historisches Bewusstsein, das dafür sorgt, das man die Kirchengeschichte nach für die Emerging Church relevanten Inhalten durchsucht und diese in die eigene Theologie integriert. Es wird auch mehr und mehr die eigene Prägung untersucht und hinterfragt.
• Die Bekehrung wird nicht mehr (nur) als Krisiserlebnis verstanden, bei dem man in kürzester Zeit zum Christen wird, sondern (auch) als Prozess des Suchens und auf dem Weg sein (die sogenannte „Journey“).
• dezentrale Leiterschaft im Gegensatz zu anderen innovativen Gemeinden wie ICF und Willow Creek ist ein wesentlicher Wert der Emerging Churches Strukturen, die eher dezentral und kaum hierarchisch sind. In Anlehnung an die Theorie der Emergenz versucht man die Gemeinde als ein komplexes, kaum steuerbares Netzwerk an Beziehungen zu sehen. Zu starke Einflussnahme durch Leiter würde die Eigendynamik und die Kreativität der Gruppe gefärden.
• Eine Wiederentdeckung der Themen Diakonie und Soziale Gerechtigkeit.
• Ein großer Fokus liegt auf der gemeinsamen Spiritualität. Man übernimmt hier größtenteils charismatische Vorstellungen vom Wirken des Heiligen Geistes. Gott kann und soll erfahren werden. Ein großer Unterschied ist die Vorstellung, das der Heilige Geist auch schon vor einer bewussten Entscheidung für Gott, im Suchenden innewohnt.
Praxis
Gemeindeleben Emerging Churches legen großen Wert auf eine ansprechende Ästhetik. Dazu gehören atmosphärisch eingerichtete Gemeinderäume, Kunst und Kreativität. Die Zugehörigkeit zur Emerging Church wird extrem flexibel gehandhabt. Jeder, egal ob Christ oder Nichtchrist kann kommen, ungezwungen an den Gemeindeaktivitäten teilnehmen und auch gänzlich fernbleiben. Es wird nicht verlangt, offiziell beizutreten. Dennoch soll durch ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl eine enge Gemeinschaft entstehen. Deswegen sind Emerging Churches nicht selten kleiner und überschaubarer als typische evangelikale Kirchen. Kirche soll im Alltag gelebt werden, deshalb haben Emerging Churches oftmals kein herkömmliches Kirchengebäude sondern solche, die von der Zielgruppe als Treffpunkt benutzt werden, zum Beispiel Cafes. Wenn möglich, sollen sich Mitglieder auch unter der Woche treffen um Gemeinschaft zu pflegen. Auf Autoritäten wird kein Wert gelegt. Jedoch wird jeder ermuntert, sich mit seinen individuellen Fähigkeiten am Gemeindeleben zu beteiligen.
Mission Die Emerging Church möchte auch weiterhin Mission betreiben. Allerdings grenzt sie sich zum Teil recht scharf von den als arrogant und manipulativ empfundenen Methoden des evangelikalen Christentums ab. Stattdessen wird versucht, aufrichtige Freundschaften aufzubauen, den Nichtchristen mit Verständnis und Interesse zu begegnen, ihm ungezwungen von seinen Erfahrungen zu berichten und ihn zu den Veranstaltungen einzuladen. Geduldig soll man ihn auf seinem Weg begleiten und für ihn da sein.
Predigt Neue Wege werden auch beim Predigen beschritten. Nicht mehr ein akademischer Vortragsstil soll vorherrschen, sondern eine lebendige, authentische, lebensnahe Art. Wichtig sind hier vor allem Metaphern, Bilder und Geschichten. Das Publikum soll nicht mehr allein zuhören sondern wird manchmal eingebunden in die Predigt. In Englischen Emerging Churches verzichtet man oft vollkommen auf das Predigen.
Anbetung Bei der Anbetung versucht man die Teilnehmer sehr stark zu integrieren: Liturgische Formen wie das Abendmahl werden neu entdeckt und belebt und den Teilnehmern werden oft auch verschiedene Stationen angeboten, wo ihnen kreative Aufgaben zur Besinnung gestellt werden. Eine meditative, mystische, bilderreiche Atmosphäre soll entstehen. Oftmals wird die Möglichkeit gegeben, öffentlich Prophetien (also: von Gott in Form von Bildern eingegebene kleine Lebenstipps)mitzuteilen. Musikalisch versucht man die Musik zu integrieren, die einen selber gefällt. In England ist das oft elektronische Musik in Amerika dominiert mehr noch Pop-Rock, oft mit selbstgeschriebenen Texten.
Verbreitung
Emerging Churches begannen in Amerika im Umfeld von evangelikalen Gemeinden. Nach Auseinandersetzungen mit den „modernen Gemeinden“ über die neuen Ideen, begannen viele eigene, oft denominationslose Gemeinden zu gründen. Über das Internet verbreiteten sich die Gedanken schnell nach Australien, England und Holland. In England fielen die Gedanken bisher auf den fruchtbarsten Boden. Relativ viele Gemeinden entstanden hier, auch im Umfeld der traditionellen anglikanischen Kirche. In England findet mittlerweile auch das europaweit größte Festival der Emerging Church, das Greenbelt Festival, statt. In Deutschland gibt es eine kleine aber stetig wachsende Anzahl an Bloggern. Die deutschlandweit erste Emerging Church ist Kubik Entertainment in Karlsruhe, eine Tochtergruppierung einer charismatischen Kirche und Teil von Jesus Freaks International. Inwiefern Emerging Church Gedanken in die Reihen der Jesus Freaks Einzug halten, bleibt abzuwarten. Eine andere weltweite Gruppierung, 24-7 Prayer, ist vollkommen unabhängig von Emerging Church Gedanken entstanden, zeigt aber verhältnismäßig viele Gemeinsamkeiten auf.
Kritik
Aus dem evangelikalen Lager ist langsam immer deutlichere Kritik zu hören. Vorwürfe sind:
- Verweltlichung: Anpassung an den Zeitgeist und mangelnde Kritik an der Gesellschaft.
- Relativismus: Zu hohe Betonung der eigenen Empfindung und der kulturellen Prägung, zu geringe Betonung des Absolutheitsanspruches Jesu.
- Disziplinlosigkeit: Verfall der Moral und Feigheit wenn es um Konfrontation mit individuellen Sünden geht.
- Beliebigkeit: Keine einheitliche, klare Linie.
- Unterstützen falscher geistlicher Praktiken bei Nichtchristen ohne sie mit dem Evangelium zu konfrontieren.
Es bleibt abzuwarten, wie sich zukünftig ein Dialog zwischen beiden Lagern gestaltet und ob es zu einer Abspaltung kommt.