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Kernspinresonanzspektroskopie

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Die Kernspinresonanz (NMR von engl. Nuclear Magnetic Resonance = Kernmagnetische Resonanz) ist ein physikalisches Phänomen, das Einblick in das "Innerste der Materie" erlaubt.

Grob gesehen funktioniert die NMR wie das Anstossen eines Kreisels: Der Spin eines Atomkernes (Kernspin) richtet sich nach dem äußeren Magnetfeld aus. Werden die Kernspins durch Radiostrahlung aus dem Gleichgewicht gebracht, präzedieren sie um das Magnetfeld. Wie rotierende Magnete in einem Motor induzieren sie in einer Spule eine messbare Wechselspannung.

Die NMR wird heute für folgende Aufgaben verwendet:


Funktionsprinzip

Manche Atomkerne — beispielsweise das Proton im Wasserstoff — kann man sich als Magnete vorstellen. In einem äußeren Magnetfeld richten sie sich aus. Im Mikrokosmos kommen dabei die Spielregeln der Quantenmechanik zum Tragen. Die Protonen können sich deshalb nur parallel oder antiparallel zum äußeren Magnetfeld ausrichten; Zwischenstellungen sind dagegen nicht möglich. Für andere Atomkerne können andere Bedingungen gelten: beispielsweise kann sich der häufige Stickstoff-14-Kern in drei Stellungen ausrichten.

Den zwei Anordnungsmöglichkeiten beim Wasserstoffkern entsprechen zwei Energiezuständen. Die Energiedifferenz zwischen diesen beiden Zuständen ist proportional zur Stärke des äußeren Magnetfelds. Der energetisch günstige Zustand kann durch Zufuhr von Energie (in Form von elektromagnetischer Strahlung) in den energetisch ungünstigen überführt werden. Die Frequenz bei der dieser Übergang erfolgt, die Larmorfrequenz, kann gemessen werden.

Für die Chemiker ist dieser messbare Übergang deshalb interessant, weil das äußere Magnetfeld durch die Elektronenhülle um das Proton abgeschwächt wird. Diese Abschwächung ist direkt proportional zur Elektronendichte in der Umgebung des Kerns. Das Magnetfeld am Kernort hängt deshalb von der Elektronendichte um den Kern ab. Weil die Larmorfrequenz wiederum proportional zum Magnetfeld ist, kann man durch Messung dieser Frequenz also Aussagen über die elektronische Umgebung der Atomkerne treffen.

Das ist genau die Information, die für Chemiker interessant ist. Befinden sich beispielsweise elektronen-ziehende Gruppen in der Nähe des beobachteten Protons wird dieses entschirmt und im NMR-Spektrum taucht ein Peak (bzw. Multiplett) bei höheren ppm-Werten (Tieffeldverschiebung) auf.

Experimentelle Verfahren

In der NMR gibt es zwei wesentliche Verfahren:

CW-Verfahren

Bei dem CW-Verfahren (continuous wave) wird die eingestrahlte Radiofrequenz langsam durchgestimmt und die Absorption der Strahlung gemessen. Man arbeitet in der Frequenzdomäne und erhält zunächst ein Absorptionsspektrum als Funktion der Frequenz.

Mit dem CW-Verfahren wird die Probe mit einem extrem schmalen Signal angeregt.

Puls-Verfahren

Hierbei wird ein einzelner Radiofrequenzimpuls (RF-Puls) oder auch eine Serie solcher elektromagnetischer RF-Pulse auf die Probe gesandt, die sich in der Spule befindet. Da der kurze Puls relativ breitbandig ist, werden mit einem Puls viele einzelne Resonanzen angeregt.

Das Signal, der freie Induktionsabfall (englisch: free induction decay, FID) nach einem Puls oder das Spin-Echo nach zwei oder mehreren Impulsen, wird als Funktion der Zeit registriert, man arbeitet in der Zeitdomäne. Mittels einer mathematischen Operation, der Fourier-Transformation (FT), die in der Praxis ein Computer durchführt (hier meist: FFT: engl.: fast fourier transformation), wird das Zeitsignal in ein Spektrum umgewandelt (Transformation von der Zeit- in die Frequenzdomäne). Das Verfahren wird als FT-Spektroskopie bezeichnet und wird auch in anderen Spektroskopiearten, wie z.B. IR, ESR angewendet.

Nicht zuletzt aufgrund der hohen Zeitersparnis, die man in ein Signal/Rausch-Gewinn umwandelt, hat das Puls-Verfahren das CW-Verfahren heute weitgehend abgelöst.

Experimentelle Größen

Mit der selben Apparatur lassen sich verschiedene Größen messen, die Rückschlüsse auf die Stoffe geben:

  • Die Larmorfrequenz des Atoms ist stark von dem lokalen Magnetfeld abhängig. Da alle Atome unterschiedliche Magnetfelder besitzen, ist die Larmorfrequenz des untersuchten Atoms stark von der chemischen Umgebung und von der Bindung abhängig. Durch die Bestimmung der daraus resultierenden chemischen Verschiebung lassen sich Rückschlüsse auf die Bindungspartner und Arten der Bindungen ziehen. Eine chemische Verschiebung in Richtung von größeren ppm-Werten bezeichnet man als Tieffeldverschiebung, in Richtung kleinerer ppm-Werte als Hochfeldverschiebung.
  • Die Stärke und die Verteilung mehrerer Resonanzen erlaubt Rückschlüsse auf die Dichte des Atomes mit einer bestimmten chemischen Verschiebung in der Probe.
  • Die Relaxationszeiten geben Aufschluß über vorhandene Wechselwirkungen. Denn mit der Relaxation ist eine Energieabnahme verbunden, die an anderer Stelle zu einer Energiezunahme führen muss.

Aus diesen primären Meßgrößen lassen sich folgende sekundären Meßgrößen ableiten:

  • Die Aufspaltungen der Peaks lassen Rückschlüsse über Wechselwirkungen mit benachbarten Atomgruppen zu.

Aufspaltungen:

    • Singulett s: keine Aufspaltung, 1 Peak
    • Dublett d: Aufspaltung in 2 Peaks
    • Triplett t: Aufspaltung in 3 Peaks
    • Quartett q: Aufspaltung in 4 Peaks
    • Quintett: Aufspaltung in 5 Peaks, usw.
    • allg. Multiplett m
    • breite Aufspaltung br

Die Peak-Integrale, also die Flächen unter den jeweiligen aufgespaltenen Peaks, verteilen sich dann nach den Regeln des Pascalschen Dreiecks. Spektren höherer Ordnung entstehen, wenn Wechselwirkungen mit mehreren benachbarten Atomgruppen gegeben sind.

  • Die Integrale der Signale (bei Multipletts die Summe der Einzelsignale), verhalten sich proportional zur Anzahl der im Molekül vorhandenen Atomsorte - z.B. bei CH / CH3 im Verhältnis 1:3.
  • Bei niedrigen Temperaturen sehen die meisten Spektren auf Grund von nicht vernachlässigbaren Rotationen anders aus.

Einschränkungen

Durch die Boltzmannverteilung tragen nur wenige Spins zur Magnetisierung und damit zum messbaren Signal bei. Deswegen sind konventionelle NMR-Messungen nur für Flüssigkeiten oder Festkörper ausgelegt, nicht hingegen für Gase. Für vernünftige Messungen an einer Atomsorte ist ca. 1 µmol Substanz notwendig (typische Probenmenge: 500 µl einer Lösung mit einer Konzentration von 1-10 mmol/l). Aufgrund dieser Beschränkung werden NMR-Messungen am häufigsten mit Wasserstoff-Atomen durchgeführt, die von allen Kernen die höchste Empfindlichkeit besitzen. Vor allem in der NMR an Biomolekülen wie z.B. Proteinen, wird mitunter Kohlenstoff (1% natürliche Häufigkeit) und/oder Stickstoff (0.4%) durch nahezu 100% 13C bzw. 15N ersetzt, um die Empfindlichkeit zu steigern und diese Kerne für NMR-Messungen benutzen zu können.

Historische Entwicklung

Die NMR wurde 1946 unabhängig von Felix Bloch und Edward Mills Purcell beschrieben, wofür sie 1952 den Nobelpreis für Physik bekamen.

Die Entwicklung der NMR als Untersuchungsmethode der analytischen Chemie und Biochemie verlief weitgehend parallel zur Entwicklung der elektromagnetischen Technik. Purcell war im Zweiten Weltkrieg an der Entwicklung des Radars am MIT beteiligt und forschte insbesondere an der Detektion von elektromagnetischer Energie und deren Absorption durch Materie. Diese Arbeiten halfen später, die Hintergründe der NMR besser zu verstehen.

In den nächsten Jahrzehnten wurde hauptsächlich die CW-Methode (continuous wave) benutzt, indem entweder in einem äußeren festen Magnetfeld ein Hochfrequenzfeld eingestreut wurde, deren Frequenz einen bestimmten Bereich durchlief, wodurch die einzelnen Resonanzen durchfahren wurden (frequence sweep) oder die Frequenz des eingestrahlten Feldes konstant gehalten wurden und das Magnetfeld variert wurde (field sweep). Diese Technik war durch ihr schlechtes Signal-zu-Rausch-Verhältnis gekennzeichnet.

Durch Mittelung kann allerdings das Signal-zu-Rausch-Verhältnis wesentlich verbessert werden. Später ermöglichte der Einsatz der Fourier-Transformation-NMR, mit der gleichzeitig viele Resonanzfrequenzen analytisch zugänglich wurden, eine schnellere Aufnahme der Spektren.

Dieses Verfahren (FT-NMR) wurde zuerst von Richard R. Ernst verwendet. In das externe Magnetfeld wird ein möglichst kurzer elektromagnetischer Puls eingestrahlt. Je kürzer der Puls ist, desto mehr Frequenzanteile sind darin enthalten und können damit angeregt werden (siehe hierzu Fourier-Transformation). Mittels Detektoren wird dann der Zerfall dieser angeregten Zustände aufgenommen (freier Induktionszerfall, nach dem englischen free induction decay, mit FID abgekürzt). Nach Transformation dieses Zeit-Signals in die Frequenzdomäne sind die Frequenzen der angeregten Zustände zugänglich.

Die Verwendung von unterschiedlichen Pulsformen, Frequenzen und Dauern ermöglicht dieser Technik eine große Flexibilität.

Später wurde dieses Verfahren durch die Verwendung mehrerer Pulse hintereinander zu einer zweidimensionalen und höherdimensionalen NMR ausgebaut. Diese Zeitintervalle ermöglichen unter anderem einen Transfer von Magnetisierung zwischen Atomkernen. Damit können die Kern-Kern-Wechselwirkungen untersucht werden.

Kurt Wüthrich, Ad Bax, Vladimir Sklenar und viele andere bauten diese 2D- und Multi-Dimensions-NMR zu einer mächtigen Analysetechnik der Biochemie aus, insbesondere zur Analyse von Biopolymeren wie Proteinen. Wüthrich bekam für diese Arbeiten 2002 den Nobelpreis in Chemie. Diese Technik wird als Ergänzung der Röntgenstrukturanalyse eingesetzt, da NMR besonders bei Biomolekülen in flüssiger oder flüssig-kristalliner Form eingesetzt werden kann, während die Röntgenstrukturanalyse nur für kristalline Materialien geeignet ist.

Da die Stärke des NMR-Signals und der Detektionsmöglichkeiten mit der Stärke des Magnetfeld steigt, begünstigte diese Technik die Entwicklung von großen Magneten.

Beispiele für Spektren

Quartett-Aufspaltung
Typisches NMR-Spektrum

FID

Auswertungs-Software

  • TopSpin (Bruker)
  • Xwin-NMR (Bruker)
  • Win-NMR (Bruker)
  • Mestre-C (Freeware für ältere Releases, Windows) / SwaNMR (MacOS 9)
  • NMRPipe (Unix-Systeme)
  • SpinWorks
  • Delta (JEOL)
  • Triad
  • NMRVIEW
  • SPARKY
  • Felix
  • VNMR
  • Nuts (Windows und MacOS 9)
  • NPNMRs
  • Smartnotebook

Siehe auch