Werner Heyde
Dr. Werner Heyde (* 25. April 1902 in Forst (Lausitz); † 13. Februar 1964 im Untersuchungsgefängnis Frankfurt/M.) war Professor für Psychiatrie und Neurologie an der Universität Würzburg, Leiter der medizinischen Abteilung der „Euthanasie“-Zentrale und Obergutachter im Dritten Reich .
Der am 25. April 1902 im sächsischen Forst (Lausitz) geborene Werner Heyde schloss als Klassenbester 1925 sein Studium mit dem medizinischen Staatsexamen und dem Ergebnis „sehr gut“ ab. 1932 wurde er Privatdozent für Psychiatrie und Neurologie an der Universität Würzburg und Stationsarzt der Psychiatrischen Klinik.
Im März 1933 wird Dr. Heyde mit einem amtsärztlichen Gutachten für den SS-Standartenführer Theodor Eicke beauftragt, der von seinem Vorgesetzten, dem Gauleiter der bayerischen Pfalz, Joseph Bürckel, wegen politischer Auseinandersetzungen als „gemeingefährlicher Geisteskranker“ in die Würzburger Psychiatrie eingewiesen wurde. Heyde gelingt es schließlich aufgrund seiner gutachterlichen Aussagen, die direkt dem Reichsführer-SS Heinrich Himmler vorgelegt wurden, nachdem der zuständige Ludwigsburger Polizeipräsident nicht reagierte, Theodor Eicke zu rehabilitieren. Er eröffnet diesem damit eine steile Karriere, die über den Posten des ersten Kommandanten des KZ Dachau, des Inspekteurs der Konzentrationslager sowie Führer der SS-Totenkopfverbände bis zum Divisionskommandeur der 3. SS-Panzerdivision „Totenkopf“ führen wird. Auf Empfehlung Eickes tritt Heyde am 1. Mai 1933 mit der Mitglieds-Nr. 3068165 in die NSDAP ein.
Am 1. April 1934 erfolgt die Beförderung zum Oberarzt. 1935 wird Heyde Kreisamtsleiter des Rassenpolitischen Amtes Würzburg und Beisitzer beim Erbgesundheitsgericht.
Am 1. Juni 1936 wird Heyde vom Reichsarzt-SS und Chef des SS-Sanitätsamtes Ernst-Robert Grawitz berufen, die psychiatrisch-neurologische und erbbiologische Überwachung der Konzentrationslager einzurichten und zu leiten sowie eine psychiatrisch-neurologische Gutachtertätigkeit für das Gestapa Berlin zu übernehmen. Gleichzeitig wird der inzwischen zum Direktor der Nervenklinik Würzburg avancierte Arzt als Hauptsturmführer in die Schutzstaffel (SS) aufgenommen und zum Führer der Sanitätsabteilung der SS-Totenkopfverbände ernannt. Schließlich wirkt er noch als Obergutachter für die kasernierten SS-Truppen (SS-Verfügungstruppe und SS-Totenkopfverbände) und als beratender Facharzt im SS-Lazarett Berlin. Im Sommer 1938 wird er Führer im Stab des SS-Hauptamtes (SS-Sanitätsamt).
Die Ernennung Heydes als außerplanmäßiger Professor der Universität Würzburg erfolgt am 5. April 1939, die zum ordentlichen Professor am 28. Dezember 1939.
Ende 1939 wird Heyde der Leiter und Obergutachter der medizinischen Abteilung der Zentraldienststelle für die Durchführung der „Euthanasie“-Aktion, der ab April 1940 nach dem Dienstsitz in der Berliner Tiergartenstraße 4 „Aktion T4“ genannten Tötung von Geisteskranken und Behinderten. Ziel der „Aktion T 4“ ist im Anschluss an die bereits angelaufene sog. Kinder-„Euthanasie“, d.h. die Tötung von Kleinkinder mit angeborenen schweren Schäden wie Idiotie, Wasserköpfen, Lähmungen usw., die Tötung eines großen Teils der Geisteskranken bzw. aller, die in der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft keinen Platz mehr haben sollten; also
- geistig Behinderte (Schizophrene, Epileptiker, Senile usw.)
- Verbrecher und Asoziale
- rassisch Andersartige, d.h. Juden
Mit der Durchführung der Erwachsenen-„Euthanasie“ werden der Leiter der Kanzlei des Führers Philipp Bouhler sowie der Begleitarzt Hitlers Dr. Karl Brandt beauftragt. Die Aufgabe Heydes ist der Aufbau einer Organisation für die Bestimmung und Erfassung der auszumerzenden Kranken. Hierzu wurden an sämtliche Heil- und Pflegeanstalten sog. Meldebögen versandt, auf denen detaillierte Angaben zu sämtlichen Insassen zu liefern waren. Diese Meldebögen gingen über den Leiter der Gesundheitsabteilung des Reichsministeriums des Innern, Dr. Herbert Linden, an die „Euthanasie“-Zentrale, wo diese registratorisch erfasst und den ca. 70 eigens hierzu bestellten Gutachtern zur Entscheidung über das Schicksal der Patienten übersandt wurden. Die Gutachter ließen sich die betreffenden Patienten in den jeweiligen Anstalten vorführen und trugen nach einer nur Minuten dauernden Prüfung in einem schwarz umrandeten Kasten auf den Meldebögen mit Rotstift ein „+“ ein, wenn ihrer Auffassung nach der Patient getötet werden sollte; ein blaues „-“ bedeutete, dass der Patient am Leben bleiben durfte. Konnte sich der Gutachter nicht entscheiden, trug er ein „?“ ein. Danach wurden sämtliche Unterlagen den beiden Obergutachtern Heyde und Dr. Herbert Linden (später abgelöst durch Prof. Hermann Paul Nitsche) vorgelegt. Diese überprüften die bearbeiteten Meldebögen und entschieden abschließend, ohne die betreffenden Patienten gesehen zu haben. Die zur Tötung bestimmten insgesamt 70273 Opfer wurden in den sechs Tötungsanstalten Bernburg, Brandenburg, Grafeneck, Hadamar, Hartheim und Sonnenstein beginnend im Januar 1940 mit Kohlenmonoxid in eigens dafür eingerichteten Gaskammern umgebracht und anschließend eingeäschert.
Während seiner Tätigkeit bei T4 bis zu deren Ende im Dezember 1941 behält Heyde seinen Lehrstuhl in Würzburg. Ab Dezember 1941 wird Heyde als Leiter der medizinischen Abteilung der T 4 von Prof. Nitsche abgelöst.
In Würzburg verwendete sich Heyde im Sommer 1941 für die Annahme der Doktorarbeit von Klaus Endruweit, der dort studierte und nach Staatsexamen, Notapprobation und Teilnahme am Frankreichsfeldzug, von November 1940 bis Oktober 1941 als Tötungsarzt in der Anstalt Sonnenstein bei Pirna tätig war.
Am 20. April 1944 wird Heyde zum SS-Obersturmbannführer befördert. Die Ernennung zum SS-Standartenführer erfolgt ein Jahr später am 20. April 1945. Heyde bleibt Professor in Würzburg bis er kurz vor Kriegsende Chef eines Lazaretts der Waffen-SS in Graasten/Dänemark wird.
Am 28. Mai 1945 wird er von den Briten verhaftet und im dänischen Lager Faarhus interniert. Die Einlieferung ins Internierungslager Neumünster-Gadeland erfolgt am 9. Oktober 1945. Im Juli 1946 wird Heyde nach Eselsheide bei Paderborn überstellt und im Februar 1947 der deutsche Justiz ausgeliefert, die ihn in Frankfurt/M. in Untersuchungshaft nimmt.
Von April bis Juli 1947 sagt Heyde als Zeuge im Nürnberger Ärzteprozess aus. Beim Rücktransport von Nürnberg nach Frankfurt, gelingt es ihm am 25. Juli 1947 bei einem Halt in Würzburg zu flüchten und für die nächsten zwölf Jahre unterzutauchen.
Er wendet sich nach Schleswig-Holstein und besorgt sich auf dem schwarzen Markt in Kiel gefälschte Entlassungspapiere als Kriegsheimkehrer auf den Namen Fritz Sawade. Sein angenommener Geburtsort Triebel bei Forst liegt östlich der Neiße. Damit ist eine Nachprüfung seiner Angaben zur damaligen Zeit so gut wie unmöglich. Mit diesen gefälschten Papieren erhält Heyde bei der Gemeinde Mönchberg eine Kennkarte und einen Flüchtlingsausweis.
Ende 1949 erhält er in Flensburg eine Anstellung als Sportarzt unter seinem Falschnamen Dr. Sawade. Mit Unterstützung eines Arztkollegen, dem er seine wahre Identität offenbarte, wurde er ab November 1950 als nervenärztlicher Gutachter für das Oberversicherungsamt in Schleswig-Holstein bestellt und übte diese Tätigkeit für verschiedene Dienststellen bis Oktober 1959 aus.
Heyde hätte als Dr. Sawade mit hoher Wahrscheinlichkeit bis zur Rente in Schleswig-Holstein als Gutachter tätig sein können, obwohl einem Personenkreis von mindestens 18 Spitzenbeamten und Personen des öffentlichen Lebens seine Identität mit Prof. Dr. Heyde bekannt war, wie ein Untersuchungsausschuss des Schleswig-Holsteiner Landtages schließlich 1961 feststellte. Nur die Unzufriedenheit eines Professors und Klinikchefs (Prof. Helmuth Reinwein) in Kiel mit der Effektivität der Justiz des Landes, die seinen Forderungen zur Abstellung von Ruhestörungen durch benachbarte studentische Verbindungsniederlassungen nicht ausreichend entsprach, führte schließlich zur Enttarnung Dr. Sawades. Der lärmgeplagte Professor machte wie angedroht, aufgrund seiner Verärgerung über die unbefriedigende Behandlung seines Lärmproblems durch das Kieler Amtsgericht, von seinen Kenntnissen über die Mitwisserschaft auch der Justiz in Schleswig-Holstein über die wahre Identität Dr. Sawades Gebrauch. Dazu kam noch, dass Sawades/Heydes Frau in Würzburg unberechtigterweise Witwenpension bezog. Versuche der Universitätsleitung den erzürnten Professor von seinem Vorhaben abzubringen scheiterten. Nach einer von mehreren Pannen gekennzeichneten Fahndung, stellte sich Prof. Heyde schließlich am 12. November 1959 der Justiz in Frankfurt/M. Der dort 1964 anberaumte Prozess gegen Heyde u.a. fand jedoch nicht mehr statt, da Heyde sich am 13. Februar 1964 im Untersuchungsfängnis das Leben nahm.
Literatur
- Klee, Ernst: "Was sie taten - was sie wurden", Frankfurt 1986, Fischer Taschenbuch 4364 ISBN 3-596-24364-5
- Godau-Schüttke, Klaus-Detlev: "Die Heyde/Sawade-Affäre", Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 1998, ISBN 3-7890-5717-7
- Kaul, Friedrich Karl: "Dr. Sawade mach Karriere. Der Fall des Euthanasiearztes Dr. Heyde", Frankfurt 1971
Weblinks
Personendaten | |
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NAME | Heyde, Werner |
KURZBESCHREIBUNG | Professor für Psychiatrie und Neurologie |
GEBURTSDATUM | 25. April 1902 |
GEBURTSORT | Forst (Lausitz) |
STERBEDATUM | 13. Februar 1964 |
STERBEORT | Frankfurt am Main |