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Selbstzweck

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Selbstzweck

Kaum ein Begriff ist derartig missverständlich, innerlich widersprüchlicher und deshalb so sehr Streitgegenstand wie dieser. Denn er hängt sehr davon ab, was man unter dem Selbst und damit der jeweils eigenen Motivation versteht. Damit erheben sich zugleich die Fragen…

  • nach der Grenze zwischen Subjekt und Objekt.
  • nach der Grenze zwischen Idealismus und Egoismus
  • nach der Grenze zwischen Absicht und Absichtslosigkeit
  • nach der Selbstbestimmung und eigentlichen Motivation des Menschen überhaupt.

Aspekte des Selbstzwecks in der Mystik

Ein besondere Form des Selbstzweckes und der damit verbundenen Sinnproblematik, die den Zweck derartig überhöht, daß er jeden normalen Bezug verliert und sich damit auch des Egoismus verdächtig macht, findet sich in der Lebensweise von asketischen Eremiten. Mit dieser sind auch Aspekte der Religion und der Wahrheitssuche verbunden. Es hat immer einzelne Menschen gegeben, denen das Leben in der menschlichen Gemeinschaft als nichtig erschien, weil es sie ihrer Meinung nach vom Wesentlichen und dem Bemühen ablenkte, eine höhere Wahrheit und Gottesnähe zu finden. Diese sog. Eremiten versuchen, unter Verzicht aller Vorzüge der gesellschaftlichen Versorgung nur für sich selbst zu leben. Sie lassen sich auch als Mystiker sehen, und ihre Verhaltens- und Lebensweise entspricht derjenigen von Mönchen, von denen sie sich aber dadurch unterscheiden, daß sie weder in einer Gemeinschaft mit anderen gleichgesinnten Menschen leben noch auch sich unter irgendeine Ordensregel fügen. Insofern gehören sie zu denjenigen Menschen, die nur in sich selbst nach einer höheren Wahrheit suchen. Das entspricht jedoch dem streng überhöhten Gebot des christlichen Mystikers Meister Eckhart, von dem das folgende Zitat stammt:

Man soll Gott nicht als außerhalb von einem selbst erfassen und ansehen, sondern als sein Eigen und als das, was in einem ist; zudem soll man nicht dienen noch wirken um irgendein Warum, weder um Gott noch um die eigene Ehre noch um irgend etwas. Manche einfältige Leute wähnen, sie sollten Gott [so] sehen, als stünde er dort und sie hier. Dem ist nicht so. Gott und ich, wir sind eins. Durch das Erkennen nehme ich Gott in mich hinein; durch die Liebe hingegen gehe ich in Gott ein.[1]

Aspekte des Selbstzwecks in der Religion

Zwei Religionen stehen dieser asketischen und strengen Auffassung besonders nahe, das ist der Buddhismus und die Bahai-Religion. Der Buddhismus hat aus unserer westlichen Sicht sowohl religiöse als auch philosophische Aspekte. Besonders die Tatsache, daß er nahezu undogmatisch erscheint, macht ihn auch für unkonventionelle westliche Intellektuelle interessant. Der Buddhismus schreibt keinen allgemeinen Weg zur Erlangung einer höheren Wahrheit und Gottesnähe vor. Was dabei vielen Anhängern „vertikal“ bzw. „orthodox-hierarchisch“ organisierter Glaubenslehren als Bequemlichkeit und Beliebigkeit verdächtig ist, erscheint den Anhängern dieses anderen Weges als ein viel anstrengenderer Weg, weil er unmittelbar die Frage und Problematik eines höheren Selbstverständnisses und eines damit verbundenen inneren Kompasses aufwirft. Hier gibt es niemanden, der einem sagen und vorschreiben kann, wie man sich in einem Einzelfall jeweils zu entscheiden hat. Damit fallen alle formalen Regelwerke fort, und der inhaltliche Aspekt – die jeweils neu gestellte Frage: wie sollte es eigentlich richtig sein? - tritt in den Vordergrund. Das damit verbundene Problem ist in erster Linie aber weniger die Frage nach der Wahrheit als vielmehr die Tatsache, daß sich nach dieser Maßgabe kein komplexeres Staatswesen errichten läßt. Komplexe Gemeinschaften zwingen zur Formalisierung und las-sen dabei den Einzelnen mit der Frage nach der Wahrheit allein. Das Problem des Selbstzweckes wird dabei vom Einzelnen auf die Gemeinschaft verlagert: Wozu besteht diese, wie definiert sie sich, worin sieht sie ihren Gesamtzweck, welche Wertpyramide existiert in ihr und wie grenzt sie ihre Identität gegen diejenige von anderen Gemeinschaften, Stämmen oder Völkern ab? Der Buddhismus richtet des Bewußtsein des seiner Anhänger auf ihr inneres und eigenes Selbstverständnis, auf das Wissen um ihre Möglichkeiten und vielfältige Verbundenheit mit dem Kosmos. An sich ist der Mensch zugleich Gott, wenn man die Dinge in einem durchaus buddhistischen Sinn pantheistisch begreift. In diesem Sinn gibt es keine eigentlichen buddhistischen Götter, zumal nicht solche, denen man irgendeinen Gehorsam schuldet. Das Maß, in dem er an sie glaubt, ist jedem Buddhisten freigestellt. Auch Buddha erwartete keinen blinden Glauben, sondern hielt seine Jünger ganz im Gegenteil dazu an, die Lehre stets aufs Neue in sich selbst zu prüfen. Ein ständiges Hinterfragen der Lehre war also nicht nur erlaubt, sondern unbedingte Voraussetzung des Verständnisses und damit einer eigentlichen Religiosität. Auf diese Weise durchdringt der Gläubige die Lehre mit seiner eigenen Wesenheit und wird dadurch wirklich mit ihr identisch. Jedes ängstliche Nachfragen wird somit überflüssig. Natürlich wird die eigentliche Lehre Buddhas immer wieder studiert und ist auch ständig Gegen-stand von Diskussionen, aber eigentlich dienen diese Dinge eher als Anregung zu eigenem Denken und keineswegs zum gedankenlosen Auswendiglernen. Der Buddhismus bedeutet insofern eine Anregung und ein Mittel zu einer fundamentalen Bewußtseinserweiterung, aus der dann zielgerichtetes Handeln folgt im Hinblick auf ein über die jeweilige Inkarnation hinausgehendes Fernziel - nämlich das der Erlösung (vom Leiden der Welt). Denn der Buddhismus mag zwar gedanklich relativ frei sein, doch im Hinblick auf ein konsequentes Handeln ist er äußerst streng und fordert den ganzen Menschen. Diese Religion entstand ursprünglich aus der indischen Philosophie, die schon immer stark religiös geprägt war. Die ältesten Versuche philosophischer Systeme sind die 'Upanishaden', deren Kern bereits die Alleinheitslehre ist. Das höchste Ziel dieser Philosophie war Erlösung durch Erkenntnis, und Erkenntnis und Handeln sind unmittelbar miteinander verbunden. Die Kenntnis der Welt und ihrer Wirkungsmechanismen soll zur Selbstverwirklichung führen. Mensch und Welt sind in ihrem Wesen eines, der Mensch ist also ganz unmittelbar mit der Welt verbunden, und diese Erkenntnis ist mit einem asketisch-ethischen Prinzip verbunden: aus der rechten Lebensweise folgt rechte Erkenntnis der Welt durch Einssein mit ihr. Die Bahai-Religion erscheint mit diesen Forderungen verwandt. Auch hier ist jeder einzelne Gläubige aufgefordert, die Wahrheit von Erkenntnis und Handeln in sich selbst zu suchen. Deshalb gibt es hier auch keine Priesterschaft und nicht die übliche Polarität zwischen Klerus und Gemeinde. Die Forderung der Selbstsuche ist auch hier paradox, weil es zwar um die Suche nach den rechten Weg in sich selbst, aber nicht um das Selbst ansich geht. Damit löst sich aber auch der Konflikt zwischen Selbstzweck und Egoismus. Die Suche nach einem höheren Zweck und einer höheren Wahrheit muß zwar jeder selbst auf sich nehmen, aber das damit verbundene Ziel einer möglichen Selbstvervollkommnung sollte jenseits jeder Spekulation und Eigenliebe stehen:

Er muß alles, was er gesehen, gehört und verstanden hat, in den Wind schlagen können, um in das Reich des Geistes zu kommen, das die Stadt Gottes ist. Ernste Bemühung ist nötig in unserem Suchen nach Ihm und heißer Eifer, damit wir den Honig der Vereinigung mit ihm zu kosten vermögen. Doch trinken wir aus diesem Kelch, so werden wir die Welt von uns werfen.[2]

Aspekte des Selbstzwecks in der Selbstverwirklichung

Das höchste Ziel eines kultivierten Menschen ist die Selbstverwirklichung und die Entfaltung der eigenen Möglichkeiten und Talente. Auch diese steht aber in einer paradoxen Wechselbeziehung zwischen einer über sich selbst hinausgehend altruistischen und einer lediglich unperspektivisch-egoistischen Motivation. Die Entscheidung darüber kann offenbar nicht streng definiert werden, sondern entwickelt sich nur prozessual. Das bedeutet, daß man die Struktur eines Menschen und seiner Handlungsmotive über einen längeren Zeitraum hinweg kennen oder erahnen muß, um zu wissen, welchem Ziel er sich dabei verschreibt. Das gilt nicht nur für außenstehende Beobachter, sondern auch für den Betreffenden selbst. In der Absicht und auf dem Wege der Selbstverwirklichung erkennt und findet der Mensch sich selbst. Dabei gibt es eine weitere Paradoxie: Indem dem so suchenden und handelnden Menschen die Selbstverwirklichung zum Mittel der Erreichung des höheren Zweckes wird, steht er in der damit verbundenen Gefahr, daß ihm der Zweck zum Selbstzweck wird und er sich am Ende in blossem Egoismus verliert. Die Folge davon wäre ein totaler Sinnverlust und eine Trennung von den eigenen Wurzeln. Die damit verbundene Desorientierung ist eine Quelle von Neurosen.

Aspekte des Selbstzwecks in der Absichtslosigkeit

Während die westliche Philosophie stets absichtsvoll erscheint, scheint in der östlichen Philosophie die Lehre der Absichtslosigkeit bestimmend zu sein. Besonders ist das in dem chinesischen Prinzip des Wu Wei der Fall, demzufolge der Schüler lernen muß, von jeder bewußten Zielvorstellung abzusehen. Das bedeutet aber nicht, daß man nicht bewußt handelt, sondern daß man spontan handelt, indem man das ES handeln läßt. Das ist das Gegenteil des in der westlichen Welt vorherrschenden oft blinden und sinnentleerten Aktionismus, in dem sich viele sog. Karrieren erschöpfen, die zwar keinem allgemeinen und höheren Ziel dienen, aber zumindest dem trügerischen Zweck der Selbstverwirklichung. Wu Wei lehrt dagegen, die Zeit des richtigen Handelns abzuwarten. Das wird etwa in jener Geschichte zum Ausdruck gebracht, in der ein Kaiser einen Maler damit beauftragte, für ihn ein Bild zu malen. Als darüber sehr viel Zeit vergangen war, während derer der Maler den Kaiser wiederholt vertröstet hatte, wurde es diesem endlich zu bunt, und er suchte den Maler in dessen Atelier auf. „Das trifft sich gut“, sagte da der Maler, „gerade ist das Bild fertig geworden.“„So zeige es mir endlich“, sagte der Kaiser voller Ungeduld. „Einen Moment noch“, entgegnete der Maler, „ich muß es nur noch schnell malen.“[3]

Der Autor Eugen Herrigel hat diese Philosophie in seinem Buch Zen in der Kunst des Bogenschießens sehr gut veranschaulicht:

„Ihre Pfeile werden nicht ausgetragen“, bemerkte der Meister, „weil sie geistig nicht weit genug reichen. Sie müssen sich so verhalten, als wäre das Ziel unendlich fern. Es ist für uns Bogenmeister eine bekannte und durch tägliche Erfahrung bestätigte Tatsache, daß ein guter Schütze mit einem mittelstarken Bogen weiter schießt als ein geistloser Schütze mit dem stärksten Bogen. Es liegt also nicht am Bogen, sondern an der ‘Geistesgegenwart’, an der Lebendigkeit und Wachheit, mit der Sie schießen... Aber wenn Sie dann mit beinahe jedem Schuß die Scheibe treffen, sind Sie nichts anderes als ein Kunstschütze, der sich sehen lassen kann. Für den Ehrgeizigen, der seine Treffer zählt, ist die Scheibe ein armseliges Stück Papier, das er zerfetzt. Die ‘Große Lehre’ des Bogenschießens hält dies für reine Teufelei. Sie weiß nichts von einer Scheibe, die in bestimmter Entfernung vom Schützen aufgestellt ist. Sie weiß nur von dem Ziel, das sich auf keine Weise technisch erzielen läßt, und dieses Ziel nennt sie, wenn sie es überhaupt nennt, Buddha.... Sie machen sich unnötige Sorgen. Schlagen Sie sich das Treffen aus dem Sinn! Sie können ein Bogenmeister werden, auch wenn nicht jeder Schuß trifft. Die Treffer auf der Scheibe dort sind nur äußere Proben und Bestätigung Ihrer aufs Höchste gesteigerten Absichtslosigkeit, Ichlosigkeit, Versunkenheit, oder wie Sie sonst diesen Stand nennen wollen. Es gibt Stufen der Meisterschaft, und erst, wer die letzte erreicht hat, kann auch das äußere Ziel nicht mehr verfehlen.“ - „Das ist es ja gerade, was mir nicht eingehen will“, erwiderte ich. „Ich glaube zu ver-stehen, was Sie mit dem eigentlichen, dem inneren Ziel meinen, das getroffen werden soll. Aber wie es zugehe, daß das äußere Ziel, die Papierscheibe, getroffen wird, ohne daß der Schütze gezielt hat, und daß somit die Treffer äußerlich bestätigen, was sich innerlich ereignet - diese Überein-stimmung ist mir unbegreiflich.“ - „Sie sind schlecht beraten“, gab mir der Meister nach einer Wei-le zu bedenken, „wenn Sie meinen, ein auch nur halbwegs brauchbares Verstehen dieser dunklen Zusammenhänge könne Ihnen weiterhelfen. Es handelt sich hier um Vorgänge, an die der Verstand nicht heranreicht. Vergessen Sie nicht, daß es schon in der Natur Übereinstimmungen gibt, die unbegreiflich sind, aber dennoch so wirklich, daß wir uns an sie gewöhnt haben, als könnten sie nicht anders sein.“...

Dieser Begriff bedeutet übersetzt Kunst um der Kunst willen und ist auch in seiner lateinischen Fassung bekannt als Ars gratia Artis. Die Filmfirma Metro Goldwyn Mayer hatte diesen Schriftzug unter ihrem bekannten brüllenden Löwen im Vorspann ihrer Filme. Am bekanntesten ist der Bezug des Selbstzweck-Begriffes auf das Verständnis der Motivation eines Künstlers und damit das Verständnis des Kunst-Begriffes. Damit ist nicht nur – in diesem programmatischen Fall - die Forderung verbunden, daß Kunst nur für sich selbst stehen sollte, sondern auch der Ausschluß aller anderen Motive als letztlich unwesentlich. Kann es aber richtig sein, einen Menschen und sein Handeln nur dann als wesentlich zu bezeichnen, wenn man ihn jenseits aller direkten Motive stellt? Kann es richtig sein, etwas nur für sich selbst zu tun? Was heißt es demnach, wenn Kunst nur für sich selbst und also ein bloßer Selbstzweck sein sollte? Ist das nicht letztlich nur eine Art Freizeitbeschäftigung und entspricht das nicht der Sünde der Müßigkeit? Heißt es nicht, daß der Mensch sein Brot im Schweiße seines Angesichts verdienen sollte und wäre demnach eine Tätigkeit, die nicht dieser uralten und ewigen Grundforderung entspricht, nicht ein Zeichen für Dekadenz? Damit verbunden ist auch die Frage nach dem Idealzustand einer Gesellschaft sowie der höchsten Selbstverwirklichung des Menschen und Grundethik seiner Handlungen. Das zumindest seit der Renaissance bekannte und seither ewig diskutierte Thema nach dem eigentlichen Wesen der Kunst erweist sich so als ein Grundthema des Menschen und seiner Handlungen selbst, sofern diese über die physische Versorgung hinausgehen

Literatur

Eugen Herrigel: Zen in der Kunst des Bogenschießens, Fischer-Verlag 2004, ISBN: 3502670048 / 3-502-67004-8.

Einzelnachweise

  1. Meister Eckhart: Predigt 7
  2. Bahá'u'lláh, Die Sieben Täler, S.12
  3. Zur weiteren Erörterung dieser Philosophie siehe auch das Buch Zen in der Kunst des Bogenschiessens von Eugen Herrigel.