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Lüge

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Eine Lüge ist eine Aussage, von der der Sender (Lügner) weiß oder vermutet, dass sie unwahr ist, und die mit der Absicht geäußert wird, dass der oder die Empfänger sie trotzdem glauben.[1] Dies geschieht meist, um einen Vorteil zu erlangen oder um einen Fehler oder eine verbotene Handlung zu verdecken und so Kritik oder Strafe zu entgehen. Von 'Unwahrheit' spricht man, wenn die Aussage tatsächlich auch nicht korrekt ist, der sich Äußernde das aber nicht weiß und es nur fälschlich angenommen hat. Gelogen wird auch aus Höflichkeit, aus Scham, aus Angst, zum Schutz anderer Personen oder um die Pläne des Gegenübers zu vereiteln.Schauspieltexte sind ausgeschlossen.

In der zwischenmenschlichen Kommunikation werden unterschieden:

  • soziale Lüge
  • Notlüge
  • Zwecklüge
  • gemeine bzw. verbrecherische Lüge
  • zwanghafte, pathologische Lüge.

Die soziale Lüge soll dem Wohl des Belogenen oder der Harmonie einer Gruppe dienen. Diese Art der Lüge soll meistens dem friedlichen Miteinander und der Leistungsmotivation nützen.

Die Notlüge dient in der Regel zur Abwendung humaner oder ökonomischer Nachteile des Lügners oder einer Gruppe, vor allem um große strategische Ziele nicht zu gefährden.

Die gemeine bzw. verbrecherische Lüge hat den eigenen Vorteil zum Zweck und nimmt den erheblichen Nachteil von Mitmenschen billigend in Kauf.

Die Lüge unterscheidet sich von der Täuschung dahingehend, dass eine Täuschung ohne das Mittel Falschaussage verübt werden kann. Zum Beispiel täuscht man, wenn man vorgibt zu schlafen, um andere zu belauschen. Wenn man dann gefragt wird und sagt, man habe geschlafen, ist das eine Lüge.

Die Lüge ist auf Sprache angewiesen: Lügen können in jeder Form geäußert werden, in der mit Sprache kommuniziert werden kann, zum Beispiel als Text in einer Zeitung oder in Gebärdensprache.

Strafrechtlich relevant werden kann eine Lüge als Verleumdung oder als Aussagedelikt, wie zum Beispiel Falschaussage oder Meineid. Als Spezialfall der Täuschung kann eine Lüge auch ein Betrugsdelikt darstellen. Grundsätzlich ist Lügen jedoch nicht strafbar; das gilt auch für schriftliche Lügen (Ausnahme § 348 StGB Falschbeurkundung im Amt).

In der Werbung, im Verkaufsgespräch und in der politischen Propaganda wird oft mit Lügen und Täuschungen gearbeitet.

Von einer Lüge spricht man nur dort, wo ein ernsthafter Verstoß gegen die Sitten gesehen wird. Soll ein persönliches Verständnis für eine bewusste Falschaussage geäußert werden, verwendet man umgangssprachliche Ausdrücke wie Geschwindel (Verb: schwindeln) oder Flunkerei (Verb: flunkern), so z. B. in Zusammenhang mit einem Scherz, bei emotionaler Überforderung, wenn ein Sachverhalt nur etwas beschönigt wird oder wenn die ausgedrückte Unwahrheit unmittelbar wieder zurückgenommen wurde. Das umgangssprachliche Wort Schwindel hingegen bezeichnet entweder eine wiederum ernsthaftere Täuschungshandlung in Kombination mit einer gemeinen Lüge (z. B. Betrug) oder einen Scherz mit weitreichenden Folgen (z. B. Aprilscherz).

Psychologie

Verhalten während des Lügens

Es gibt äußerlich sichtbare, aber nicht eindeutige Anzeichen dafür, dass jemand lügt. Sie beruhen auf unbewussten Verhaltensänderungen, die durch Stress hervorgerufen werden, und unterscheiden sich teilweise von Mensch zu Mensch. Deshalb ist es selbst für Lügendetektoren und geübte Personen nicht zuverlässig möglich, herauszufinden, ob jemand lügt.[2]

Folgende nicht eindeutige Handlungen und Merkmale können Anzeichen einer Lüge sein:

  • Meidung von Augenkontakt zum Gesprächspartner, Augenverdrehen
  • Arme verschränken
  • Arme und Beine werden weniger bewegt
  • kratzen im Gesicht, oft an der Nase
  • rotes Gesicht
  • Zögern ("Also, also, ähhh, also")
  • Lippen lecken
  • übertriebene Ausdrücke (meist im Gesicht, dazu gehören auch die entstehenden Falten an der Stirn)
  • eingelernte, teils schwülstige Sätze, die auf nochmaliges Nachfragen genauso wiedergegeben werden
  • weniger häufige Augenbewegungen
  • häufiges Augenblinzeln/Augen beim Blinzeln länger geschlossen
  • größere Pupillen
  • Handflächen nach außen drehen
  • Sprachveränderungen
  • hohe Tonlage der Stimme
  • Inhalt des Textes und Mimik sind nicht passend (z. B. „Nein“ sagen und dabei Nicken)
  • Seitwärtsbewegungen (Wanken) mit dem Oberkörper, wenn man zu sprechen beginnt
  • Lächeln, auch wenn es nicht zu Situation passt

Religion und Ethik

Ethik

Ethisch wird das Lügen im allgemeinen als unmoralisch verworfen.

Bibel, Christentum und Judentum

In der Bibel wird der Teufel als „Vater der Lüge“ (Joh 8,44 EU) bezeichnet, weil er Eva gegenüber im Garten Eden die erste Lüge der Menschheitsgeschichte geäußert haben soll, die dann zum Sündenfall führte. In den Zehn Geboten steht: „Du sollst nicht falsch gegen deinen Nächsten aussagen.“(Ex 20,16 EU), also das Verbot der gerichtlichen Falschaussage, was in Christentum und Judentum weithin als generelles Verbot der Lüge interpretiert wird. Lügenreden benennt Jesaja, ein Prophet des Alten Testaments, als böse Werkzeuge des Schurken: „Und die Werkzeuge des Schurken sind böse: er beschließt böse Anschläge, um die Elenden durch Lügenreden zugrunde zu richten, selbst wenn der Arme redet, was Recht ist.“ (Jes 32,7 ELB). Biblisch gesehen missfällt dem Gott Israels die Lüge und er unterscheidet zwischen Gut und Böse. Jesaja warnt: „Weh denen, die das Unrecht herbeiziehen mit Stricken der Lüge und die Sünde mit Wagenseilen und sprechen: Er lasse eilends und bald kommen sein Werk, dass wir's sehen; es nahe und treffe ein der Ratschluss des Heiligen Israels, dass wir ihn kennen lernen!“ (Jes 5,18-19 LUT) und „Weh denen, die Böses gut und Gutes böse nennen, die aus Finsternis Licht und aus Licht Finsternis machen, die aus sauer süß und aus süß sauer machen!“ (Jes 5,20 LUT). König Salomos Buch der Sprüche des alten Testaments warnt vor falschem Gewinn erworben durch Lüge: „Wer Schätze erwirbt mit verlogener Zunge, jagt nach dem Wind, er gerät in die Schlingen des Todes.“ (Spr 21,6 EU). Als eine Eigenschaft des Gerechten benennt das Buch der Sprüche die starke Abneigung zur Lüge: „Der Gerechte ist der Lüge Feind; aber der Gottlose handelt schimpflich und schändlich.“ (Spr 13,5 LUT).

Islam

Im Allgemeinen ist Lügen im Islam nicht erlaubt und wird als verwerflich betrachtet. Ausnahmen gibt es, um Leute miteinander zu versöhnen und bei Erzählungen zwischen Ehemann und Ehefrau[3], außerdem ist es Schiiten unter bestimmten Bedingungen gestattet, ihren Glauben zu verleugnen, siehe dazu genauer den Artikel Taqiyya.

Buddhismus

Im Buddhismus gilt die Lüge als eine der zehn Untugenden, die zu dem Aufrechterhalten des Karmas und dessen negativen Auswirkungen führen.

Philosophie

Augustinus

Augustinus war der erste Philosoph und Theologe, der sich mit dem Thema Lüge systematisch und ausführlich beschäftigte. Augustinus geht in seiner Argumentation von der These vom natürlichen Sprachzweck aus, nach der die Sprache dazu bestimmt ist, die Gedanken mitzuteilen. In der Lüge wird dieser natürliche Sprachzweck gestört. Augustinus lehnt deswegen jede Lüge kategorisch ab und macht auf den Selbstwiderspruch der Lüge aufmerksam: Lüge muss, um erfolgreich zu sein, das Vertrauen in die Wahrheit menschlicher Rede voraussetzen, das sie zugleich zerstört. Augustinus betrachtet Lüge als eine Sünde, bezeichnet sie als den Tod der Seele und betont den langfristigen Schaden, der durch Lügen entsteht. Nicht einmal solche Lügen sind erlaubt, die eine schwerere Sünde (wie zum Beispiel Mord) zu verhindern suchen: Das Rechnen mit der möglichen Sünde des anderen erweitert den fiktiven Verantwortungsbereich des Einzelnen ins Grenzenlose und ist deswegen unzulässig. Außerdem gibt es für Augustinus kein höheres Gut als die Wahrheit und deswegen ist Lügen immer unzulässig, weil die Wahrheit auch dann Vorrang hat, wenn durch sie beispielsweise ein menschliches Leben bedroht wird. Augustinus räumt ein, dass es schwerere und leichtere Lügen gibt. Während das Lügen in Glaubenssachen und Lügen, die anderen Schaden zufügen wollen besonders schwere Sünden darstellen, handelt es sich im Fall von Nutz- und Scherzlügen nur um leichtere Sünden. Der Charakter der Sünde bleibt jedoch bei jeder Lüge erhalten. Bei der Interpretation der Lügengeschichten des Alten Testaments (z. B. Gen 27,1-40 LUT; Ex 1,19 LUT; Gen 20,2-13 LUT) weist Augustinus Argumentation Selbstwidersprüche auf, weil er doch einige Lügen als zulässig ansieht.

Thomas von Aquin

Die Gedanken Thomas von Aquin über die Lüge weisen zahlreiche Übereinstimmungen mit der Theorie des Augustinus auf. Genauso wie Augustinus geht auch Thomas in seiner Argumentation vom natürlichen Sprachzweck aus und kommt zum Schluss, dass jede Lüge einen sündhaften Charakter hat. Lüge zersetzt die Einheit von Erkennendem und Sein und verhindert somit das Glück, das an sich Erkenntnis und Austausch von Wahrheit ist. Thomas führt den Begriff der Wahrhaftigkeit ein, die er als eine Tugend betrachtet, die durch andere Tugenden wie z. B. Klugheit oder Liebe im Lot gehalten werden soll. Kluges Verschweigen und zweideutige Rede sind als leichte Sünden, die den Menschen nicht vom wahren Ziel abhalten, zulässig. Als völlig unzulässig betrachtet Thomas genauso wie Augustinus die willentliche Irreführung in Glaubenssachen, also Lügen bezüglich Erkenntnisinhalten, die die Gotteserkenntnis betreffen.

Kantsche Philosophie

Nach Kant ist Wahrhaftigkeit eine Rechtspflicht, die ihrem Wesen nach keine Ausnahme verträgt. „Alle rechtlich-praktischen Grundsätze müssen strenge Wahrheit enthalten.“ „Die Lüge ist der eigentliche Fleck in der menschlichen Natur.“ „...(Die Lüge) schadet der Menschheit überhaupt, indem sie die Rechtsquelle unbrauchbar macht.“ (Kant in "Über ein vermeintes Recht aus Menschenliebe zu lügen") Siehe auch: Die Metaphysik der Sitten

Nietzsche

Die besondere Position Nietzsches: „Wer nicht lügen kann, weiß nicht, was Wahrheit ist“ (Nietzsche in Also sprach Zarathustra). In seiner Schrift „Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinne“ von 1873 bezieht er die relativistische Position, dass der Wahrheit gegenüber der Lüge kein besonderer Wert zukomme, da der „Wahrhaftigkeit“ nur eine moralische „Verpflichtung, nach einer festen Konvention zu lügen“ inne wohne, also die scheinbare Wahrheitsliebe gewissermaßen eine schlechte, geradezu unbewusste Gewohnheit darstelle, sich selbst zu täuschen. Denn nach Nietzsche sind „Wahrheiten“ kraftlos gewordene Metaphern und „Illusionen, von denen man vergessen hat, dass sie welche sind“ (Nietzsche in „Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinne“, Sämtliche Werke, Band 71, Unzeitgemäße Betrachtungen, Stuttgart, 1976, Seite 611 ISBN 3-520-07106-1)

Ludwig Wittgenstein

Ein Zitat aus den Philosophischen Untersuchungen Ludwig Wittgenstein, § 249: Das Lügen ist ein Sprachspiel, das gelernt sein will, wie jedes andre.

Psychologie/Soziologie

Der österreichische Migrationssoziologe Peter Stiegnitz propagiert für die Erforschung des Lügenverhaltens eine neue Disziplin, die er Mentiologie nennt.

Zwanghaftes Lügen wird in der Psychiatrie gelegentlich als Pseudologie bezeichnet. Heutzutage sieht man darin jedoch kein eigenständiges Krankheitsbild mehr, sondern ein mögliches Symptom der narzisstischen Persönlichkeitsstörung.

Neurologie pathologischer Lügner

Nach einer Studie der Universität von Südkalifornien haben pathologische Lügner eine veränderte Hirnstruktur. Sie haben einen größeren Anteil von der für Informationsübermittlung zuständigen weißen Substanz im präfrontalen Cortex als gesunde Vergleichspersonen und einen geringeren Anteil von grauer Substanz, die für Informationsverarbeitung zuständig ist. [4]

Siehe auch

Literatur

  • Rochus Leonhardt, Martin Rösel: Dürfen wir lügen? Annäherungen an ein aktuelles Thema, Neukirchen-Vluyn, 2002
  • Roger Willemsen: "Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort" - Die Weltgeschichte der Lüge (2007)
  • Maria Bettetini: Eine kleine Geschichte der Lüge. Berlin 2003.
  • Steffen Dietzsch: Lüge. Umriß einer Begriffsgeschichte. In: Röttgers, Kurt; Schmitz-Emans, Monika (Hrsg.): „Dichter lügen“. Essen: Verlag Die Blaue Eule 2001.
  • Steffen Dietzsch: Kleine Kulturgeschichte der Lüge. Leipzig 1998, ISBN 3-379-01580-6
  • Simone Dietz: Die Kunst des Lügens. Eine sprachliche Fähigkeit und ihr moralischer Wert. Hamburg 2003, ISBN 3-499-55652-9
  • Claudia Mayer: Lob der Lüge - warum wir ohne sie nicht leben können. List/Ullstein, Berlin 2007, ISBN 978-3-471-79552-1
  • Jörn Müller u. Hanns-Gregor Nissing (Hrsg.): Die Lüge. Ein Alltagsphänomen aus wissenschaftlicher Sicht. WBG, Darmstadt 2007, ISBN 978-3-534-20123-5
  • Fritz Pasierbsky: Lügensprecher - Ehebrecher - Mordstecher. Warum wir nicht lügen sollen und es doch nicht lassen können. Frankfurt am Main 1996
  • Jeannette Schmid: Lügen im Alltag - Zustandekommen und Bewertung kommunikativer Täuschungen. Münster 2000
  • Volker Sommer: Lob der Lüge. Täuschung und Selbstbetrug bei Tier und Mensch, München 1992 ISBN 3-423-30415-4
  • Peter Stiegnitz: Die Lüge. Das Salz des Lebens. Edition Va Bene, Wien 1997, ISBN 978-3-85167-062-2
Wiktionary: Lüge – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
Wikiquote: Lüge – Zitate

Quellen

  1. J. E. Mahon: The Definition of Lying and Deception. In: Stanford Encyclopedia of Philosophy (2008).
  2. Sam Muston: The science of lying: Why the truth really can hurt. The Independent, 5. Juli 2010.
  3. Hadith von Sahih Muslim Buch 32 Nr. 6303: http://www.usc.edu/dept/MSA/fundamentals/hadithsunnah/muslim/032.smt.html#032.6303
  4. ?:Notorische Lügner haben eine andere Hirnstruktur, in: 3sat, nano, 30. September 2005 [19. Februar 2006]