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Wilhelm Ergert (Kryptologe)

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Wilhelm Ergert (* 10. Juni 1895 in Wien; † 20. Juni 1966 München) war ein österreichischer Nachrichten-Offizier und Kryptologe. Er beherrschte angeblich 13 Sprachen und war dabei auf slawische Sprachen spezialisiert.

Leben

Ergert war ein im Ersten Weltkrieg mehrfach ausgezeichneter Offizier der k.k. Landwehr. Das Kriegsende erlebte er an der Isonzo-Front, wo er durch das Debakel des Waffenstillstandes von Villa Giusti in italienische Kriegsgefangenschaft geriet. Nach Österreich zurückgekehrt wurde er nach kurzer Zeit in das österreichische Bundesheer als Hauptmann übernommen.

Ergert war vermutlich bereits während des Ersten Weltkrieges für das sogenannte Evidenzbüro tätig. Andreas Figl bezeichnete ihn als einen der „alten, erprobten Garde“.[1] Im österreichischen Bundesheer war Ergert der Brigade-Telegraphen-Kompanie (Funkabhorchdienst) zugeteilt, ab 1929 bei der Telegraphen-Fachschule. Seit 1928 war er bereits Leiter der Entzifferungs- und Auswertungsstelle im Bundesministerium für Landesverteidigung (Dechiffrierungsabteilung des Bundesheeres). In dieser Zeit saß Ergert auch für das Bundesheer im Verwaltungsrat der Radio Verkehrs AG (RAVAG).

1933 wurde Ergert zum Major im Bundesheer befördert. Im selben Jahr tauschte Österreich mit dem Deutschen Reich wieder Militärattachés aus. Dabei kam es unter der Führung von Edmund Glaise-Horstenau zu einer nachrichtendienstlichen Zusammenarbeit Ergerts mit dem deutschen Militärattaché Generalleutnant Wolfgang Muff in Wien, für dessen Berichterstattung Ergert eine der wichtigsten Quellen wurde.[2] Vermutlich agierte Ergert seit dieser Zeit auch für den deutschen Nachrichtendienst, denn er stand bis August 1934 mit der Chiffrierstelle des Reichskriegsministeriums in Verbindung.[3] Wie Glaise-Horstenau gehörte auch Ergert zu der Gruppe von Offizieren der österreichischen Evidenz, die aufgrund ihrer deutschnationalen Einstellung einen Zusammenschluss Österreichs mit dem deutschen Reich befürworteten.

Ergert selbst lehnte zunehmend die Politik der österreichischen Regierung, insbesondere die Annäherung an Italien, ab. Enttäuscht von der Heimwehr und unter dem Eindruck des Scheiterns des Pfrimer-Putsches unter Mitführung seines Freundes Carl Ottmar Lamberg wurde Ergert für die österreichische SA aktiv. So baute er deren Funkdienst auf und fungierte ab 1933 als deren Nachrichtenreferent. 1934 war Ergert unmittelbar an den Vorbereitungen und vermutlich auch an den Ausführungen des sogenannten Juliputsches beteiligt. So nahm er am 15. Juli 1934 gemeinsam mit Theodor Habicht und dem Stabschef des Wiener Stadtkommandos des Bundesheeres Oberstleutnant Adolf Sinzinger an einem Treffen der Verschwörer in München teil, bei dem die letzten Vorbereitungen für den Putsch getroffen wurden.[4] Nach dem missglückten Putsch blieb Ergert zunächst unbehelligt, musste sich jedoch Ende August ins Deutsche Reich absetzen. Hier trat er der Österreichischen Legion bei und war als Standartenführer im Stab des SA Obergruppenführers Hermann Reschny tätig. Später führte er zeitweise die SA-Brigade 3.

Nach dem „Anschluss Österreichs“ 1938 wurde Ergert zunächst in die deutsche Wehrmacht übernommen und dem Generalkommando des Wehrkreises XVII in Wien zugeteilt. Er fiel aber später zusammen mit Emil Liebitzky und anderen Nachrichten-Offizieren der ominösen „Muffkommission“ – benannt nach dem o.g. Militärattaché Muff – zum Opfer und wurde mit Wirkung vom 31. März 1939 als Major aus dem aktiven Wehrdienst entlassen. Im Juni 1939 wurde Ergert auf Fürsprache von Erwin Lahousen - seinem Nachfolger in der Zusammenarbeit mit Muff - für die Abwehr unter Wilhelm Canaris tätig.[5] Er arbeitete anfangs bei der Industriespionageabwehr. Von 1941 bis 1945 war er der Abwehrstelle für das Protektorat Böhmen und Mähren in Prag zugeteilt. 1942 gelang es ihm, einen Brief zu entschlüsseln, der den berühmt-berüchtigten Doppelagenten Paul Thümmel - Duzfreund Himmlers und ebenfalls Agent der Abwehr - enttarnte.

Nach dem Zweiten Weltkrieg arbeitete Ergert noch für den Nachrichtendienst des neuen Österreichischen Bundesheeres und leistete einen wesentlichen Anteil am Aufbau der Dechiffrierungsabteilung des Heeresnachrichtenamtes. So war er 1958 beim technischen Kontrolldienst, später - zumindest bis Oktober 1962 - beim Fernmelde-Aufklärungsbataillon in der Fasangartenkaserne tätig. 1960 war er Lehrer des Sonderlehrgangs Kryptologie.[6]

Bis heute ist die genaue Rolle Ergerts wie auch die des österreichischen Bundesheeres – ein Drittel der Putschisten waren Mitglieder des Bundesheeres – am Putsch von 1934 nicht geklärt. Die Unterlagen über Ergerts Tätigkeit für das Bundesheer sind bis heute gesperrt.[7]

Einzelnachweise

  1. Horak 2005, S. 324.
  2. Broucek 2008, S. 294.
  3. Österreichisches Staatsarchiv 1999, Seite 244
  4. Walterskirchen 2004, S. 227.
  5. Österreichisches Staatsarchiv 1999, Seite 244
  6. Horak 2005, S. 327.
  7. Walterskirchen 2004, S. 240.

Literatur

  • Peter Broucek: Militärischer Widerstand. Studien zur österreichischen Staatsgesinnung und NS-Abwehr. Böhlau Verlag, Wien, Köln, Weimar 2008.
  • Otto J. Horak: Andreas Figl: Altmeister der österreichischen Enträtselungskunst und kryptographischen Wissenschaft: Leben und Werk 1873-1967. Verlag Trauner, Linz 2005.
  • Gudula Walterskirchen: Engelbert Dollfuss. Arbeitermörder oder Heldenkanzler. Molden, Wien 2004.
  • Gerhard Jagschitz, Alfred Baubin: Der Putsch: die Nationalsozialisten 1934 in Österreich. Herausgeber Alfred Baubin, Verlag Styria, Graz, Wien, Köln 1976.
  • Österreichisches Staatsarchiv, Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs, Band 47, Österreichische Staatsdruckerei, 1999.