Herzglykoside
Herzglykoside ist eine Oberbezeichnung für herzwirksame chemische Substanzen, deren gemeinsames Merkmal die Tatsache ist, daß sie Steroidderivate (bzw des Gonans)sind und das Aglykon, an das glykosidisch ein Zuckerrest gebunden ist. Sie werden auch kardiotone Steroide genannt. Es sind etwa 200 Arten der Herzglykoside bekannt. Man findet diese Glykoside als sog. Cardenolide in verschiedenen Pflanzen aber auch bei Wirbeltieren aus dem Reiche der Schlangen und Kröten. Pflanzen die Herzglykoside enthalten sind: (Digitalis (enthält Digoxin und Digitoxin), Meerzwiebel Scilla maritima, Frühlings-Adonisröschen Adonis vernalis, Adonis aestivalis (Strophanthin), Bischofskraut Ammi visnaga, Crataegus (Glykosid Vitexin, Vitexin-rhamnosid und die Flavonolglykoside Hyperosid, Rutin und Spiraeosid), Strophanthusarten (Strophanthin), Acokanthera (Acokanthera oblongifolia und ouabaia) (g- und k-Strophanthin), Maiglöckchen = Convallaria), und auch als sog. Bufadienolide in der Haut einiger Krötenarten (z.B. Bufalin, Marinofufagenin, Proscillaridin). Die verschiedenen Herzglykoside unterscheiden sich beträchtlich in Hinsicht auf ihre Wasser- und Fettlöslichkeit, was ihre unterschiedliche Resorption nach oraler Gabe betrifft. Aufgrund der (schon im alten Ägytpten) bekannten herzwirksamen Wirkungen mancher Glykoside wurde seit etwa 100 Jahren nach sogenannten endogenen Herzglykosiden gesucht, die jedoch erst in den letzten Jahren Isolierung von mindestens 6 derartiger Substanzen geführt hat. Der Bildungsort ist meist die Nebenniere. Es wird vermutet daß sie zu einer neuen Klasse von Steroidhormonen gehören, einige davon scheinen an der Regelung des Blutdrucks beteiligt zu sein. Bekannte isolierte endogene Herzglykoside sind:
- ein 11B-Hydroxy-Isomer des Ouabains (Hamlyn 2004)
- 19-Norbufalin
- Marinobufagenin
- Proscillaridin-like-Inhibitor
- Digoxin-like Inhibitor
Wirkprinzip (Pharmakodynamik)
Die Wirkstoffe steigern die Kontraktilität (Schlagkraft) der Herzmuskelfasern ( sog. positiv inotroper Effekt) und erhöhen das Schlagvolumen bei gleichzeitiger Herabsetzung der Herzfrequenz. Damit wird bei einer Herzinsuffizienz die Herzarbeit ökonomisiert und eine Verbesserung der Pumpleistung erzielt. Nach jahrzehntelanger Anwendung in der Medizin bei der Therapie des schwachen "Altersherzens" (Herinsuffizienz) treten die Herzglykoside zunehmend in den Hintergrund denn es hat sich gezeigt daß sie lediglich die Symptomatik günstig beeinflussen können, jedoch andererseits (manche sind als Pfeilgifte in Afrika bekannt) erhebliche Nebenwirkungen zeigen können.
Digitalis-Glykoside, Glykoside vieler Pflanzen ( Cardenolide enthaltend ), die Bufadienolide und hohe intravenöse Dosen von g- und k-Strophanthin hemmen die Natrium-Kalium-Pumpe, was zur Steigerung des zellulären Natriums und über den Natrium-Calcium-Austauscher zur Steigerung des zellulären Calciums führt, welches dann die Steigerung der Schlagkraft bewirkt.
Da jedoch die Herzmuskelzellen eines Menschen mit Herzinsuffizienz zuviel Calcium enthalten ("calcium overload", der zur Minderung der Kontraktilität führt), war es bis vor kurzem ein unverständliches Paradoxon, warum eine weitere Steigerung des zellulären Calcium-Gehalts zur Steigerung der Kontraktilität führen kann.
Eine mögliche erklärende Hypothese: Die alpha2- und alpha3-Isoformen der Natrium-Kalium-Pumpen sind zusammen mit den Natrium-Calcium-Austauschern direkt über den Ausläufern des Calcium-Speichers der Zelle (Sarkoplasmatisches Retikulum) lokalisiert. Diese funktionelle Einheit wird Plasmerosom genannt. Hierdurch kann die lokale Natrium- bzw. Calcium-Konzentration durch Hemmung nur relativ weniger Natrium-Kalium-Pumpen durch Herzglykoside gesteigert werden, was das Sarkoplasmatische Retikulum zur Freisetzung von wesentlich größeren Mengen an Calcium an die kontraktilen Proteine (bei z.B. jedem Herzschlag) anregt, ohne daß sich die Gesamt-Konzentration der Zelle an Natrium- und Calcium wesentlich verändert. Diese wird eher durch die alpha1-Isoform der Natrium-Kalium-Pumpe reguliert. Die Plasmerosome wurden für Nervenzellen und Arterien-Muskelzellen bereits nachgewiesen (Blaustein et al. 2002 und 1998) und sind wahrscheinlich auch in Skelett- und Herzmuskelzellen vorhanden (He et al. 2001, James et al. 1999).
Geringe, d.h. physiologische Konzentrationen von g-Strophanthin führen zum Gegenteil des bisher einzig anerkannten Wirkmechanismus, d.h. zur Stimulation der Natrium-Kalium-Pumpe (ca. 50 Studien, z.B. Gao et al. 2002, Saunders & Scheiner-Bobis 2004) mit resultierender Reduzierung des zellulären Natrium- und Calcium-Gehalts. Dies kann zu einem negativ inotropen Effekt wie bei einem Nitro-Präparat (Belz et al. 1984, an Herzgesunden) oder auch zu einem positiv inotropen Effekt (Dohrmann & Schlief-Pflug 1986, an Herzkranken) führen (wahrscheinlich je nach Ausganglage der Calcium-Konzentration der Herzmuskelzellen).
Auch k-Strophanthin kann die Na-K-Pumpe stimulieren (Repke 1963). Auch einige andere Glykoside sollen diese Fähigkeit haben (Prof. Contreras). Digoxin vermag dies jedoch nicht (Saunders & Scheiner-Bobis 2004). Dies erklärt z.B. die gegensätzliche Wirkung von Strophanthin und Digoxin bei Angina pectoris, wobei Strophanthin positiv auf EKG und Anfallshäufigkeit wirkt (u.a. Salz & Schneider 1985, Kubicek & Reisner 1973), Digoxin bekanntlich jedoch negativ (u.a. Kubicek & Reisner 1973).
Verstoffwechselung und Ausscheidung (Pharmakokinetik)
Die heute gebräuchlichen Herzglykoside werden oral (Digitalis) oder intravenös (Strophanthin) verabreicht - letzteres alternativmedizinisch jedoch (wie andere Kardiaka) auch in oraler Form zur Prophylaxe und Behandlung von Angina pectoris, Herzinfarkt und leichter bis mittelschwerer Herzinsuffizienz. Ihre Verstoffwechselung und Ausscheidung findet vorrangig über die Niere (beim Digoxin und Strophanthin) bzw. über die Leber (beim Digitoxin) statt.
Dosierung und Kontrolle
Da die Wirkstärke der Herzglykoside durch viele Medikamente wie auch durch schwankende Elektrolytkonzentrationen beeinflusst werden kann und sie darüber hinaus nur eine geringe therapeutische Breite besitzen, sollte ihr Einsatz in individueller Dosierung unter engmaschiger Blutspiegelkontrolle erfolgen. Dies betrifft insbesondere die Digitalis-Glykoside (Digoxin, Digitoxin), bei denen sich der therapeutische und der toxische Bereich mitunter sogar überschneiden können. Oral gegebenes g-Strophanthin ist aufgrund der geringeren und individuell unterschiedlichen oralen Resorption (laut Hersteller selbst sowie der Mehrheit aller dazu durchgeführten Untersuchungen) unproblematischer zu handhaben; ernste Nebenwirkungen der oral eingenommenen Kardiaka sind de facto wenig bekannt.
Überdosierung und Antidot
Bei Überdosierung infolge von Therapiefehlern oder Suizidversuchen wird ein aus Schafserum gewonnenes Digitalis-Antidot verabreicht, das den Wirkstoff durch Bindung an Digitalis-Antikörper inaktiviert.
Siehe auch: Digitalisglykosid Digoxin Digitoxin Natrium-Kalium-Pumpe Convallaria Crataegus