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Lentienser

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Die Lentienser (auch Lenzer, lateinisch: lentienses, heutige Bezeichnung: Linzgauer oder Linzgaubewohner) waren ein alamannischer Stamm nördlich vom Lacus Brigantiae, dem heutigen Bodensee, auf dem Gebiet zwischen Donau im Norden, Iller im Osten, Bodensee im Süden und Hauenstein bei Laufenburg[1] im Westen. Der Stamm wird unter seinem Sondernamen nur von dem römischen Schriftsteller Ammianus Marcellinus (330–395) erwähnt. Zum ursprünglichen Stammesgebiet der Lentienser gehörten der Linzgau, der Hegau, der Klettgau (später weiter unterteilt in den Albgau).

Zuerst erscheinen sie im Jahre 355, als im Auftrag des Kaisers Constantius II. der Magister equitum Arbetio sie für ihre wiederholten Einfälle in römisches Gebiet zu strafen versuchte. Er geriet in einen Hinterhalt, aber es gelang Arbetio, weitere Angriffe abzuschlagen und die Lentienser in die Flucht zu treiben. Die Lentienser schlossen daraufhin ein Bündnis mit den Römern.[2]

Das zweite und letzte Mal werden sie im Jahre 378 genannt. Ein auf Heimaturlaub befindlicher Lentienser aus der kaiserlichen Leibgarde berichtete Zuhause, dass Kaiser Gratian mit seinen Truppen ostwärts ziehen wollte, um seinem Onkel Valens gegen die Goten zu helfen. Daraufhin sammelten die Lentienser unter ihrem König Priarius der von den übrigen Alamannenstämme dafür zum Herzog ernannt wurde, eine Heerschar und zogen im Februar über den zugefrorenen Oberrhein auf römisches Territorium. Zwar wurden die Lentienser zurückgeschlagen, aber bald darauf fielen sie, durch den Zuwachs anderer alamannischer Stämme angeblich 40.000 oder sogar 70.000 Mann stark, aufs Neue in das römische Gebiet ein. Als sie in das Elsass vorrückten, wurden sie jedoch in der Schlacht bei Argentovaria, dem heutigen Oedenburg-Biesheim bei Neuf-Brisach, von Kaiser Gratian geschlagen. Ihr König Priarius wurde dort getötet. Der Kaiser verfolgte die Lentienser darauf bis in ihr eigenes Land, wodurch sie sich genötigt sahen, den Römern die Lieferung von Hilfstruppen zu versprechen. Dies war übrigens der letzte Feldzug, den ein römischer Kaiser in das rechtsrheinische Limesgebiet unternahm.

Wohl im 5. Jahrhundert, und auch noch danach, drangen viele Lentienser weiter in das Gebiet der heutigen Schweiz vor, wo sie nach Cramer u.a. folgende Ortschaften gründeten:[3]

  • Lenz bei Sissach Kanton Basel Land
  • Lenzlingen bei Grosshöchsteten, Kanton Bern
  • Lenzburg und Lenzhardhof, Kanton Aargau
  • Lenzinbach, Kanton Luzern
  • Lenzenhüsli bei Sempach, Kanton Luzern
  • Lenzenhaus bei Erlen, Kanton Thurgau
  • Lenzenhorben bei Hüttenweilen, Kanton Thurgau
  • Lengwil/Lenzwyl bei Altnau, Kanton Thurgau
  • Lenz bei Hinweil, Kanton Zürich
  • Lenzen bei Fischental, Kanton Zürich
  • Lenzle bei Nesslau, Kanton St. Gallen
  • Lenzlingen bei Mosnang, Kanton St. Gallen
  • Lenzikon bei Eschenbach, Kanton St. Gallen
  • Lentinbach oder Lentigny bei Chéans, Kanton Fribourg
  • Lens bei Sion, Kanton Wallis
  • Lantsch/Lenz, Kanton Graubünden
  • Lenzerheide (Lenzerhorn) südlich von Chur

Seit diesen Ereignissen sind sie verschollen; nur ihr Name, welcher eine lateinische Ableitung aus dem keltischen Namen Lentia ist und «die Biegsame» oder «die Gekrümmte» bedeutet, ist uns in „Linzgau“ bis heute erhalten geblieben. Die Lentienser wurden in den historischen Quellen als ein besonders rauflustiger Stamm bezeichnet. Ob die Lentienser sich als solche bezeichneten, entzieht sich unserer heutigen Kenntnis.

Quellen

Literatur

  • Dieter Geuenich: Lentienses. In: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde. Band 18. Walter de Gruyter, Berlin 2001, ISBN 3-11-016950-9, S. 266–267.
  • Lentienser. In: Paulys Realecyclopädie der classischen Altertumswissenschaft. XII,2. J. M. Metzlersche Verlagsbuchhandlung, Stuttgart 1925.
  • Karlheinz Fuchs, Martin Kempa, Rainer Redies: Die Alamannen (Ausstellungskatalog). Theiss Verlag, Stuttgart 2001, ISBN 3-8062-1535-9.
  • Dieter Geuenich: Geschichte der Alemannen. Verlag Kohlhammer, Stuttgart 2004, ISBN 3-17-012095-6.
  • Robert Rollinger: Zum Alamannenfeldzug Constiantius’ II. an Bodensee und Rhein im Jahre 355 n Chr. und zu Julians erstem Aufenthalt in Italien. Überlegungen zu Ammianus Marcellinus. In: Manfred Clauss, Hans-Joachim Gehrke (Hrsg.): KLIO Beiträge zur Alten Geschichte. Band 80. Akademie Verlag, 1998, ISSN 0075-6334.
  • Hans Stather: Fragen zu den Lentiensern. In: Verein für Geschichte des Hegaus, Singen; Hegau-Geschichtsverein, Lindau (Hrsg.): Hegau - Zeitschrift für Geschichte, Volkskunde und Naturgeschichte des Gebietes zwischen Rhein, Donau und Bodensee. Nr. 53. Thorbecke, 1996, ISSN 0438-9034, S. 5–12.

Einzelnachweise

  1. Julius Cramer: Die Geschichte der Alamannen als Gaugeschichte. Neudruck der Ausgabe Breslau 1899. Scientia Verlag, Aalen 1971, ISBN 3-511-04057-4, S. 70.
  2. Julius Cramer: Die Geschichte der Alamannen als Gaugeschichte. Neudruck der Ausgabe Breslau 1899. Scientia Verlag, Aalen 1971, ISBN 3-511-04057-4, S. 94.
  3. Julius Cramer: Die Geschichte der Alamannen als Gaugeschichte. Neudruck der Ausgabe Breslau 1899. Scientia Verlag, Aalen 1971, ISBN 3-511-04057-4, S. 209.