Anatoli Ignatjewitsch Pristawkin
Anatoli Ignatiewitsch Pristawkin (* 17. Oktober 1931 bei Moskau) ist ein russischer Schriftsteller. 1992 bis 2001 war er Vorsitzender der Gegnadigungskommission des russischen Präsidenten. Seither ist er Präsidentenberater für Begnadigungsfragen.
Leben
Jugend und Ausbildung
Im Krieg starb seine Mutter, der Vater ging als Offizier an die Front. Pristawkin wuchs deshalb in verschiedenen Waisenhäusern und Kinderkolonien auf. Er lebte mit Hunger, Straßenkinder-Banden, Müllkippen und Schwarzmärkten. 1944 wurde er zusammen mit mehreren Hundert Kindern nach Tschetschenien evakuiert. Er überlebte als einer von wenigen nur knapp ein tschetschenisches Massaker an den Moskauer Waisenkindern.
Er machte eine Berufsausbildung als Flugzeugtechniker, wurde Journalist. 1959 schloss er ein Studium am Maxim-Gorki-Literaturinstitut in Moskau ab und veröffentlichte seine erste Erzählung. Er wurde Arbeiter in Sibirien und schrieb als Korrespondent für die Moskauer Literarische Zeitung. In den 1970er Jahren ging er zurück nach Moskau.
Schriftsteller
Er schrieb Essays und Erzählungen, darunter die Erzählung Soldat i mal'cik (dt. Der Soldat und der Junge). 1982 verarbeitete er erstmals seine traumatischen Kindheitserlebnisse im Kaukasus in dem Roman Nocevala tucka zolotaja (dt. Schlief ein goldenes Wölkchen). Weil er verbotene historische Wahrheiten enthielt, konnte er erst 1987 während der Perestroika in Russland veröffentlicht werden. Es wurde unter dem Titel Kinder des Sturms verfilmt, erhielt einen Staatspreis und wurde zur Pflichtlektüre an russischen Schulen.
1989 folgte der Roman Kukusata, ili zalobnaja pesn' dlja uspokoenija serdca (dt. Wir Kukkuckskinder) über die verwaisten Kinder von Opfern der Großen Säuberung, der ebenfalls Erinnerungen an die Waisenhäuser des stalinistischen Russland widerspiegelte. Pristawkin wurde Vorsitzender der Fraktion Aprel (dt. April) im sowjetischen Schriftstellerverband, die sich für Demokratie und Glasnost einsetzte.
Oppositioneller
Am 4. November 1989 nahm er auf dem Berliner Alexanderplatz an der Großdemonstration gegen das DDR-Regime teil. 1991 unterstützte er die lettische Unabhängigkeitsbewegung in Riga, appellierte im dortigen Fernsehen an die sowjetischen Soldaten, nicht auf Zivilisten zu schießen. Die Erlebnisse schilderte er 1992 in dem Band Tichaja Baltija (dt. Stilles Baltikum).
Menschenrechtler
1992 wurde er auf Vorschlag des Menschenrechtlers Sergei Kowaljows von Boris Jelzin zum Vorsitzenden der Begnadigungskommission des russischen Präsidenten berufen. In rund 56.000 Fällen rettete das Gremium nach altem sowjetischen Recht zum Tode verurteilten Gefangenen das Leben und milderte unverhältnismäßige hohe Freiheitsstrafen. 1999 bestätigte Jelzin die Umwandlung der letzten Todesurteile in Freiheitsstrafen. 2001 löste Nachfolger Wladimir Putin die Kommission auf. Pristawkin wurde Präsidentenberater für Begnadigungen. In seinem Buch Dolina smertnoj teni (dt. Ich flehe um Hinrichtung) zog er 2000 ein Resümee seiner Tätigkeit und kritisierte scharf das überkommene russische Justizsystem.
Pristawkin ist Mitglied des Vorstandes des russischen PEN-Klubs und Professor am Maxim-Gorki-Literaturinstitut in Moskau.
Rezeption in Deutschland
Schlief ein goldenes Wölkchen wurde in sämtlichen europäischen Sprachen verlegt. 1989 erschien der Roman in der DDR, kam als Theaterstück auf DDR-Bühnen. Lew Kopelew stellte Pristwakin 1988 westdeutschen Verlagen vor. Wir Kuckuckskinder und Der Soldat und der Junge wurden 1990 auf deutsch gedruckt. Die Kuckuckskinder erhielten 1991 den Deutschen Jugendbuchpreis. 1996 bekam Pristawkin ein Arbeitsstipendium für die Berliner Literaturwerkstatt und 2001 ein Stipendium der Stiftung Preußische Seehandlung für einen Aufenthalt am Literarischen Colloquium Berlin.
2002 wurde er in Stuttgart mit dem Alexander-Men-Preis für den kulturellen Austausch zwischen Russland und Deutschland geehrt.
Pristawkin ist verheiratet und hat eine Tochter.
Werke
- Anatoli Pristawkin: Aufzeichnungen meines Zeitgenossen. Moskau: Verlag Progress, 1975
- Anatoli Pristawkin: Der Soldat und der Junge. Berlin: Militärverlag, 1981
- Anatoli Pristawkin: Über Nacht eine goldene Wolke. Knaus, München, 1988, ISBN 3-8135-3693-9
- Anatoli Pristawkin: Schlief ein goldnes Wölkchen. Berlin: Volk & Welt, 1989, ISBN 3-353-00512-9
- Anatloij Pristawkin (Hrsg.): April: Sowjetische Autoren über die Perestrojka. München: Bertelsmann, 1989, ISBN 3-570-09665-3
- Anatoli Pristawkin: Der Soldat und der Junge. Gütersloh: C. Bertelsmann-Verlag, 1990, ISBN 3-570-00539-9
- Anatoli Pristawkin: Wir Kuckuckskinder. Berlin: Volk & Welt, 1990, ISBN 3-353-00765-2
- Anatoli Pristawkin: Stilles Baltikum. Berlin: Volk & Welt, 1992, ISBN 3-353-00878-0
- Anatoli Pristawkin: Ich flehe um Hinrichtung. Die Begnadigungskommission des russischen Präsidenten. Luchterhand Literaturverlag, 2003. ISBN 3-630-88007-X
Personendaten | |
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NAME | Pristawkin, Anatoli |
KURZBESCHREIBUNG | russischer Schriftsteller |
GEBURTSDATUM | 17. Oktober 1931 |
GEBURTSORT | Russland |