Erleuchtung
Erleuchtung (Lehnübersetzung zu lat. il-luminare - er-hellen, er-leuchten) bezeichnet eine mystische Erfahrung, bei der das Alltagsbewußtsein eines Menschen überschritten wird und eine besondere dauerhafte Einsicht in eine, wie auch immer geartete, letztendliche Wirklichkeit erlangt werden soll.
In den Konzepten, was Erleuchtung ist und wie Erleuchtung erlangt werden kann, gibt es in den Überlieferungen der genannten Religionen erhebliche Unterschiede. Erleuchtung kann daher nur vor dem Hintergrund religiöser Lehr- und Praxissysteme beschrieben werden, da sich die traditionellen Darstellungen unterscheiden und auch die beschriebenen Erfahrungen möglicherweise nicht identisch sind.
Erleuchtung im Buddhismus
Die Begriff Erleuchtung bodhi hat im Buddhismus zentrale Bedeutung und findet sich in "Buddha" (der Erleuchtete) und "Bodhisattva" (Erleuchtungswesen) wieder. Erleuchtung im Buddhismus, dort auch das Erlangen des Nirvana genannt, bezeichnet die Überwindung des Leidenskreislaufs der fühlenden Wesen (Samsara).
Nach buddhistischer Vorstellung erlangte Buddha in Bodhgaya die Erleuchtung, nachdem er viele Wochen unter einem Bodhibaum meditiert hatte. Danach begann er mit seinen Lehrreden. Er lehrte bis ins hohe Alter als er starb und Eingang in das Parinirvanam fand. Im Mahayana sind Bodhisattvas Wesen, die unmittelbar vor dem Eingang ins Nirvana stehen und allen anderen fühlenden Wesen beim Erreichen dieses Ziels helfen wollen. Obwohl ein Bodhisattva nach höchster Reinheit strebt, bleibt er mit den Menschen in Verbindung; sein Handeln wird von Weisheit und Mitleid geleitet.
Erleuchtung im Jainismus
Im Jainismus ist der Begriff bodhi für Erleuchtung ebenfalls geläufig. Als Ehrentitel für den Religionsgründer Mahavira werden "Jina" und auch "Buddha" verwendet. Der Buddhismus und der Jainismus sind etwa zeitgleich entstanden. Die wörtliche Bedeutung von bodhi ist: perfektes Wissen oder Weisheit (wodurch ein Mann zum Buddha oder Jina wird), der erhellte oder erleuchtete Geist eines Buddha oder Jina. Wie auch im Buddhismus und Hinduismus ist Erleuchtung im Jainismus gleichbedeutend mit der Befreiung vom Samsara.
Erleuchtung im Hinduismus
Im Jnana Yoga wird für "höheres Wissen" der Begriff Jnana verwendet. Dieses spirituelle Wissen beinhaltet die endgültige Erkenntnis der Einheit zwischen Atman (individueller Seele) und Brahman (absolutem Bewusstsein, Weltseele). Das Ziel ist die Erlösung (Moksha) aus dem Kreislauf der Wiedergeburten (Samsara).
Im Raja Yoga ist die höchste Stufe Samadhi, die völlig Ruhe des Geistes. Das letztendlich angestrebte Stadium ist Nirvikalpa-Samadhi, der formlose Zustand, in dem es keine Unterscheidung mehr zwischen Subjekt und Objekt gibt und die Einheit mit Brahman erreicht ist. Nirvikalpa Samadhi wird jedoch von eingen als temporärer Zustand angesehen. Als permanenter Zustand der Nicht-Dualität gilt Sahaja-Samadhi, der natürliche Zustand, in dem das universelle Selbst während aller Aktivitäten verwirklicht ist, und die Identifikation mit dem begrenzten Ego aufgehoben ist.
In der Samkhya-Philosophie wurde der Begriff buddhi etabliert, der "Erkennen" bedeutet. Ziel des Samkhya, wie auch des Yoga, ist es, eine Unterscheidung zwischen Purusha (Seele, Selbst) und Prakriti (äusserer Natur) herbeizuführen. Der Purusha wird sozusagen von der Prakriti befreit. Zur Prakriti zählen die Elemente, die Sinneswahrnehmungen, Denken (Manas), Unterscheidungsfähigkeit (Buddhi), und Ich-Bewusstsein (Ahamkara). Yoga wie Samkhya, sind im Gegensatz zu Advaita_Vedanta streng dualistisch.
Erleuchtung im Daoismus
Daoistische Erleuchtung wird als die Einswerdung mit und Erlangung des ewigen Dao erklärt. Der Daoismus erklärt Erleuchtung ohne dabei Bezug auf eine göttliche Wesenheit zu nehmen.
Bei den Daoisten heißt es: "Um zu deinem wahren Sein zurückzukehren, musst du ein Meister der Stille werden. Sitze regungslos wie ein Stein und lasse deinen Geist ruhig werden. Kehre den Geist in sich selbst und betrachte das innere Leuchten". Unsterblichkeit ist der Begriff, mit dem Daoisten aller Bewusstseinsstufen ihr Ziel bezeichnen. Im Unterschied zu den indischen Religionen geht der Daoismus nicht von einem Kreislauf der Wiedergeburten aus.
Abrahamitische Religionen
Im traditionellen Lehrgebäude der mosaischen Religionen Judentum, Christentum und Islam ist das Phänomen der Erleuchtung unbekannt, der Begriff bezieht sich jedoch in der neueren Darstellung der mystischen Strömungen dieser Religionen auf eine Schau oder Einswerdung mit dem Göttlichen.
Erleuchtung in der westlichen Esoterik
Mit dem Bekanntwerden der asiatischen religiösen Traditionen im Westen, während der letzten zwei Jahrhunderte, wurde der Begriff Erleuchtung zunehmend auch im Westen bekannt. Infolge finden sich in der westlichen Geisteswelt vermehrt ähnliche Vorstellungen, aber oft mit eigenen, durch den westlichen Kulturhintergrund geprägten Interpretationen. Der Begriff hat zum Beispiel Eingang in die Philosophie gefunden und wird dort auch als geistiges Eins-werden mit dem unendlichen Sein bezeichnet. Auch einige westliche Esoteriker benutzen den Begriff der Erleuchtung, oft mit ganz eigenen, vom historischen Kontext unabhängigen Erklärungen. Dies führt bisweilen zu inflationärem Gebrauch des Begriffs, in verschiedensten spirituell-religiösen Gemeinschaften, Lehren und Zusammenhängen. Ob in diesen neugegründeten Gruppierungen authentische Erleuchtungserfahrungen erlangt wurden, lässt sich nicht belegen.
Siehe auch
Literatur
- Edward Conze: Eine kurze Geschichte des Buddhismus, Suhrkamp Verlag, Frankfurt, 1986
- John Blofeld: Der Taoismus oder die Suche nach Unsterblichkeit, Diederich Verlag, München, 1979