Mann-über-Bord-Manöver
Definition
Das Mann-über-Bord-Manöver umfaßt alle nötigen Maßnahmen zur Rettung und Bergung eines Menschen, der von einem Wasserfahrzeug über Bord gefallen ist. Mann über Bord stellt neben Feuer und Sinken einen der extremsten Notfälle auf Gewässern dar. Damit der Ruf auch ernstgenommen wird, darf er nur benutzt werden, wenn wirklich ein Mensch ins Wasser gefallen ist. Bei Übungen wird stets nur ein Gegenstand (Boje oder Puppe) ins Wasser geworfen, und dann wird immer nur Boje über Bord gerufen.
Erste Reaktion
Das Kommando wird von jedem gerufen, der Zeuge wird, wie ein Mensch ins Wasser fällt (dann wird immer auch gerufen, auf welcher Schiffseite das passiert ist, also z.B. Mann über Bord an Backbord!), oder dem das Fehlen dieser Person als erstes auffällt. Im ersten Fall bestehen bessere Überlebenschancen des Opfers, im zweiten Fall muss man die komplizierte Suche einleiten. Dann wird immer (ob bei Tag oder Nacht, Flaute oder Sturm, Sommer oder Winter) und sofort SAR-Unterstützung angefordert, also Seenotrettungskreuzer, Wasserschutzpolizei und Rettungshubschrauber der Bundesmarine (in Deutschland). Dafür gibt es eine Einsatzleitzentrale, welche entscheidet, was wie von wo angefordert werden muss.
An Bord muss in beiden Fällen schnell gehandelt werden. Ist das Wasser kälter als 20° Celsius, besteht zusätzlich akute Unterkühlungsgefahr. Es gilt hier die Regel: Jeder Grad über Null ist eine Minute Überlebensdauer im Wasser. Das bedeutet: Das dann sofort einzuleitende Mann-über-Bord-Manöver hat absolute Priorität vor allen anderen Dingen, und jeder Mann der Besatzung ist an seinem Posten. Es verlangt die Einhaltung grundlegendster Regeln der Seemannschaft und ist daher ein zentraler Teil von ihr, der in der Praxis immer wieder geübt werden muss.
Beobachten des Opfers
Wird beobachtet, wie ein Mensch über Bord geht, muss er stets im Auge behalten werden. Vom Menschen ist im Wasser nur der Kopf zu sehen, der so klein ist wie ein Fußball. Daher ist das Beobachten des Opfers bei höherem Wellengang schwierig und bei Nacht aussichtslos, wenn es sich nicht an einer sofort ausgebrachten Blitzboje festhält.
Eine Person (die sich auf dem Vordeck, also im vorderen Teil des Schiffs befindet) hat die Pflicht, das Opfer zu beobachten und ständig seine Position durchzugeben. Hierzu wird auch sofort die GPS-MOB-Taste (MOB = Man over board) gedrückt, falls GPS vorhanden (auch daher kann GPS über Leben und Tod entscheiden), um die ungefähre Position des Beobachtens oder Feststellens des Überbordgehens festzuhalten (und an die Leitzentrale durchzugeben, falls gesucht werden muss).
Annäherung an den Überbordgefallenen
Der Rudergänger übernimmt sofort das Kommando, kuppelt ggf. den Motor aus, um Verletzungen durch die Schraube zu vermeiden, und nimmt die Fahrt aus dem Schiff (z.B. durch Wenden), damit die Entfernung zum Opfer nicht zu groß wird. Bei den anschließenden Manövern zur Annäherung an die über Bord gefallene Person ist zu beachten, dass man das Opfer immer gegen den Wind ansteuert, weil so das Schiff am besten kontrollierbar ist. Zur Annäherung gibt es mehrere Manöver, deren Anwendbarkeit u.a. vom Schiffstyp, der Schiffsgröße, der Größe und Erfahrenheit der Crew, der aktuellen Besegelung und den Wind- und Seegangsbedingungen abhängt. Das Schulbuchmanöver, das meistens in Segelschulen gelehrt wird (Halbwindkurs, Q-Wende, Raumschotskurs, Aufschießer), ist am ehesten für Jollen geeignet. Der Einsatz dieses Manövers auf Segelyachten ist umstritten, weil es einen großen Raumbedarf hat damit insbesondere bei bewegter See der Abstand zum Überbordgefallenen leicht groß werden kann. In der Praxis hat sich für Kielyachten vor allem das Quickstop-Manöver bewährt (wenden und mit dichten Segeln einmal im Kreis fahren). Es hat den Vorteil, daß es auch mit zahlenmäßig kleiner Crew gefahren werden kann und daß das Schiff in der Nähe des Überbordgefallenen bleibt. Motoryachten, die in solch einer Situation manövrierfähiger sind als Segelboote, können irgendwie auf kürzestem Wege zum Opfer zurückfahren, solange sie gegen den Wind ankommen.
Auf welcher Schiffseite man sich dem Opfer nähert, hängt von der Situation ab (siehe unten). Ist man nahe genug am Opfer, wird die Fahrt so verringert und die Maschine gestoppt, dass das Boot mit dem Vorschiff direkt an der angestrebten längsseitigen Position zum Stehen kommt. Der Mann auf dem Vordeck, welcher das Opfer die ganze Zeit beobachtet hat, gibt dann die Anweisungen, damit das Opfer nicht unter das Boot gerät.
Wer in der praktischen Eignungsprüfung zum Bootsführer eine über Bord geworfene Boje mit eingekuppeltem Motor erreicht oder sie rammt (weil er die Anweisungen des Mannes auf dem Vordeck missachtet oder nicht umsetzen kann), hat den Bootsführerschein automatisch nicht bestanden, denn durch die Schraube und den Rumpf (unter dem man als bewusstloses Opfer nicht mehr auftaucht, wenn das Schiff stoppt) besteht allerhöchste Lebensgefahr, falls der Notfall wirklich eingetreten sein sollte.
Die Bergung
An welcher Seite ist zu bergen?
Bergung auf der Luvseite:
- Pro:
- Die Segel, schlagende Schoten usw. sind nicht im Weg.
- Contra:
- Das Schiff bewegt sich durch den Winddruck vom zu Rettenden weg.
Bergung auf der Leeseite:
- Pro:
- Die Wasserlinie und somit die Bordwand ist auf der Leeseite niedriger (Schiff liegt durch Winddruck immer schräg).
- Contra:
- Bei einer Bergung sind die Retter im Einfluss der schlagenden Segel und des Großbaums und können über Schoten stolpern.
- Das Schiff kann sich über den zu Rettenden schieben und ihn verletzen.
Leinenverbindung und Flaschenzug
Die Bergung ist wiederum schwierig, und wenn das Opfer bewusstlos und man an Bord nur alleine oder zu zweit ist, besonders schwierig. Oft sterben Überbordgefallene an Ertrinken oder Unterkühlung, weil die Bergung nicht gelingt (siehe z.B. dieser Untersuchungsbericht). Wichtig ist das sofortige Herstellen einer Leinenverbindung; dann wird im günstigsten Fall ein Flaschenzug (am Baum des Segelmastes o.ä.) eingerichtet. Das wird schon von den anderen Besatzungsmitgliedern am Anfang des Manövers begonnen. Oft ist der Flaschenzug die einzige Chance, die das Opfer hat.
Versorgung nach der Bergung
Ist das geborgene Opfer unterkühlt, muss es natürlich in trockene Sachen gesteckt und in einem warmen Raum unter Deck beobachtet werden, bis die Rettungsmannschaften eintreffen (die immer bei Unterkühlung alarmiert werden müssen). Gibt es unter Deck keine kräftige Heizung, so ist die effektivste Methode, das Opfer aufzuwärmen, das Spenden eigener Körperwärme über möglichst großflächigen Hautkontakt (sich nackt unter einem Schlafsack aneinander schmiegen). Hierbei ist falsche Scham (wie auch bei der Mund-zu-Mund-Beatmung) völlig fehl am Platz. Die eigene Körperwärme kann einem anderen Menschen das Leben retten.
Vorlage:Erste Hilfe Hinweis auf
Überlebenschancen
Die Überlebenschancen eines vom Boot ins Wasser gestürzten Menschen hängen - natürlich neben der Sicht und den Temperaturen - zum großen Teil vom obigen Manöver ab, aber auch dann sind sie - statistisch gesehen - gering, denn das Meer ist meist kälter, als es der Mensch längere Zeit verträgt. In wärmeren Gewässern können Menschen allerdings mit Glück tagelang überleben.
Vorbeugung
Lifebelts und Rettungswesten
Die beste Maßnahme besteht darin, gar nicht erst über Bord zu fallen. Bei schwerem Wetter oder Dunkelheit empfiehlt sich deshalb dringend ein Gurtgeschirr (Lifebelt; engl., wörtlich: Lebensgurt - ein Befestigungsgurt, mit dem man sich am Boot einpickt (einhakt)). Zusätzlich sollte bei solchen Bedingungen eine ohnmachtssichere Rettungsweste getragen werden.
Alkohol an Bord und Toilettenbenutzung
Alkohol an Bord während der Fahrt ist zwar in der Sportschiffahrt verbreitet (wenn auch für den Schiffsführer verboten), erhöht aber sowohl die Gefahr des Überbordgehens als auch die der Unterkühlung und deshalb mit Vorsicht zu genießen.
Jeder verantwortungsvolle Bootsführer muss seine unerfahrenen Gäste einweisen. Er selber könnte das Opfer sein. Alkohol an Bord während der Fahrt ist zwar "üblich" (und für den Schiffsführer verboten), erhöht aber nicht die Überlebenschancen des Opfers (vor allem, wenn es selbst Alkohol getrunken hat). Darüber hinaus fördert Biergenuß den Harndrang und liefert damit einer häufigen Unfallursache Vorschub: dem Urinieren über Bord. Im Moment der Erleichterung, zusammen mit verminderter Reaktionsfähigkeit durch Alkoholgenuß, hat schon mancher das Festhalten vergessen. Dazu kommt, daß der Rest der Besatzung instinktiv wegschaut. Schaut sie nach einer Weile wieder hin und fehlt der Mann, wird das Mann-über-Bord-Manöver in seiner höchsten Eskalationsstufe, nämlich mit dem Beginn der Suche eingeleitet. Auch bei der alleinigen Ankerwache ist es lebensgefährlich, die "große" Toilette zu benutzen. Alternativ gibt es zur Not immer noch die Pütz (Eimer).
Grundsätzlich gilt auf Fahrt bei nicht vorhandener Toilette an Bord:
Niemals alleine an Deck gehen! Niemals jemanden alleine an Deck gehen lassen! Den Mann beobachten!.
Einweisung der Crew
Gute Seemannschaft gebietet es, daß die Crew auf die Gefahr des Überbordgehens, vorbeugende Maßnahmen und nötige Aktionen im Ernstfall hingewiesen wird. Damit die entscheidenden Handgriffe im Ernstfall wie automatisch ablaufen, muß das Mann-über-Bord-Manöver immer wieder geübt werden. Gerade auf Urlaubstörns wird dies erfahrungsgemäß oft vernachlässigt. Der Schiffsführer sollte im eigenen Interessse dafür sorgen, daß noch mindestens ein weiteres Crewmitglied ein solches Manöver sicher fahren kann.
Alle Mann über Bord
Es soll auch schon vorgekommen sein, dass die komplette Mannschaft einer Yacht, welche ruhig vor sich hintreibt, bei schönstem Wetter auf See kollektiv zum Baden ins Wasser gesprungen ist. Der letzte Mann hatte jedoch vergessen, eine Leiter an der glatten und hohen Bordwand anzubringen; niemand hat überlebt.