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Walter Krämer (Politiker)

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Walter Krämer (* 21. Juni 1892 in Siegen; † 6. November 1941 bei Goslar) war ein deutscher Politiker (KPD).

Berufliche und politische Biographie

Weimarer Republik

Walter Krämer war von Beruf Schlosser, dann ab 1910 freiwilliger Soldat bei der Kriegsmarine. Ende des Ersten Weltkriegs wurde er wegen eines Einbruchs in ein Lebensmitteldepot der Offiziere, später wegen seiner Beteiligung in Kiel an den Aufständen der revolutionären Matrosen inhaftiert. Befreit durch die Novemberrevolution, kehrte Krämer 1918 nach Siegen zurück, wo er sich im Siegener Arbeiter- und Soldatenrat engagierte. Er schloss sich der USPD an und nahm im März 1920 an den Kämpfen im Gefolge des Kapp-Putsches auf der Seite der Roten Ruhrarmee teil, in der er als Abschnittskommandeur tätig war. Ende 1920 trat er der KPD bei, deren Organisationssekretär im Unterbezirk Siegen er ab 1923 war. Ab 1925 vertrat er die KPD in der Stadtverordnetenversammlung. Er war als Unterbezirks- bzw. Bezirkssekretär in Krefeld, Wuppertal, Kassel und Hannover tätig. 1932–1933 war er Mitglied des Preußischen Landtags. Damit war er neben Fritz Fränken (KPD) und Fritz Fries (SPD) einer von drei Weimarer Landtagsabgeordneten der politischen Linken, die im Siegerland tätig waren.[1] Die Region war eine linke Diaspora und Hochburg der DNVP, die frühzeitig durch die NSDAP abgelöst wurde.

Bei einem Angriff nationalsozialistischer Abgeordneter auf Mitglieder der KPD-Fraktion in der Endphase des Landtags im Mai 1932 wurde er ernsthaft verletzt.[2] Krämer war Mitglied der Deutschen Friedensgesellschaft (DFG).[3]

Nationalsozialismus

Nach dem Reichstagsbrand 1933 wurde Krämer am 28. Februar in Hannover verhaftet. Wegen Hochverrats wurde er zu dreieinhalb Jahren Zuchthaus verurteilt. Haftorte waren ab Januar 1935 Hameln, Hannover und Hildesheim. Mit dem Haftende wurde er von der Gestapo erneut festgenommen und am 15. Januar 1937 zunächst im KZ Lichtenburg, dann im August 1937 im KZ Buchenwald inhaftiert.

Krämer wurde nach der Verdrängung der als Kapos eingesetzten „Gewohnheitsverbrecher“ durch die im Lageruntergrund agierende KPD Kapo des Häftlingskrankenbaus. „Insbesondere durch die Initiative des kommunistischen Landtagsabgeordneten Walter Krämer änderten sich die Verhältnisse im Krankenbau grundlegend. Von diesem Zeitpunkt ab wurde der Krankenbau zu einem Hauptstützpunkt des Kampfes gegen die SS sowie zu einer Oase zur Sicherheit der gefährdeten Häftlinge.“[4]

Er eignete sich medizinische Kenntnisse im Selbststudium an, organisierte die Krankenversorgung und führte auch selbst Operationen durch, um zum Beispiel durch Misshandlungen der SS verletzten oder von erfrorenen Gliedmaßen betroffenen Mithäftlingen das Leben zu retten. Er galt als „ein sehr vorzüglicher Wundbehandler und Operateur“.[5] Er weigerte sich, über sowjetische Kriegsgefangene das Todesurteil „Tbc-krank“ zu verhängen. Im Frühjahr 1940 erreichte er die Schließung eines von Mithäftlingen als „Mordhöhle“ charakterisierten Sonderlagers für meist staatenlose Juden aus Wien und den besetzten Ostgebieten mit dem Hinweis auf Seuchengefahr auch für die SS und die umliegenden Dörfer. „500 kaum noch lebensfähige Skelette brachte diese Rettungsaktion ins große Lager.“[6]

In den ersten Novembertagen 1941 wurde Krämer zusammen mit seinem Stellvertreter Karl Peix zunächst im „Bunker“ des Lagers inhaftiert, um dann in das Außenkommando Goslar überstellt zu werden. In einem Steinbruch bei Hahndorf wurden beide auf Anweisung des Lagerkommandanten Karl Otto Koch am Vormittag des 6. November von der SS „auf der Flucht erschossen“. Zum Mordmotiv gibt es unterschiedliche Annahmen. Krämer stand für die illegalen Strukturen der politischen Häftlinge im Lager, die der SS nicht ganz verborgen geblieben waren. Die Lager-Gestapo hatte bei ihm vermerkt „Darf nicht entlassen werden!“[7] Krämer hatte ein großes Wissen über Verstöße von SS-Angehörigen gegen dienstliche Verpflichtungen. Er wußte von der Korruptheit des Lagerkommandanten. Er hatte Koch wegen einer Syphilis heimlich behandeln müssen.[8]

Seine Witwe Elisabeth („Liesel“) Krämer, geb. Lehmann, erhielt von der KZ-Verwaltung eine Urne mit seiner Asche, die im November 1941 in Siegen beigesetzt wurde.[9] Elisabeth Krämer verstarb 1963.

Rezeption - Erinnerungskultur

Außerhalb der Heimatregion

In der DDR erfuhr Walter Krämer zahlreiche Ehrungen. U. a. wurde in Neukirchen bei Karl-Marx-Stadt eine medizinische Fachschule nach ihm benannt. Im Schuljahr 1992/93 wurde sie umbenannt in „Außenstelle des Beruflichen Schulzentrums für Gesundheit und Sozialwesen“ der Stadt Chemnitz. Dort ausgestellte und bewahrte Relikte aus Krämers privatem und politischem Leben wurden entfernt und z. T. vernichtet. Einige von ihnen konnte die NS-Gedenkstätte seiner Heimatstadt (Aktives Museum Südwestfalen) retten. Sie sind heute hier ausgestellt.

An der Martin-Luther-Universität Halle wurde 1970 die medizinische Dissertation von Christine Wenzel über „das Leben und Wirken des deutschen Kommunisten Walter Krämer“ angenommen.[10]

Bruno Apitz, der ihn aus seiner Haft in Buchenwald kannte, setzte ihm in seinem in zahlreiche Sprachen übersetzten und verfilmten Roman „Nackt unter Wölfen“ ein internationales Denkmal.

In der Literatur zum Widerstand gegen den Nationalsozialismus hat ganz unabhängig von den politischen Grundüberzeugungen des jeweiligen Verfassers Walter Krämer eine feste Position. Eugen Kogon würdigte ihn als „eine starke, mutige Persönlichkeit“.[11] Seine Tätigkeit im Krankenrevier des Lagers führte zu dem Beinamen „Arzt von Buchenwald“.

Am 11. April 2000, dem 55. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Buchenwald, zeichnete ihn die israelische Gedenkstätte Yad Vashem im Beisein von Familienangehörigen in Siegen mit dem Titel Gerechter unter den Völkern aus, der ihm in Israel bereits im Jahr zuvor verliehen worden war.

Innerhalb der Heimatregion

Anders verlief die Rezeption der Vita von Krämer in seiner Heimatstadt Siegen. Jährlich gab es seit dem Ende des Nationalsozialismus am Siegener Grab Krämers eine Kranzniederlegung am zweiten Sonntag im September, dem „Tag der Opfer des Faschismus“. Krämer stand dabei symbolisch für die zahlreichen Siegerländer Kommunisten, die den Nationalsozialismus nicht überlebt hatten, wie für die Gesamtheit der Siegerländer NS-Opfer. In den ersten Jahren beteiligten sich daran und an begleitenden Veranstaltungen zunächst auch die Stadt und nichtkommunistische regionale Politiker.[12] Früh schon hatte es die Forderung gegeben, eine Straße oder einen Platz nach Krämer zu benennen. So beantragte die KPD 1947 im Rat der Stadt, eine von der Mehrheit nach dem nationalsozialistischen Oberbürgermeister Alfred Fissmer gegen den Willen der Militärbehörden neu benannte Straße in Walter-Krämer-Straße umzubenennen.[13] Unterstützung in anderen Parteien fand sie nicht. Im politischen Klima des Kalten Kriegs blieben die KPD und mit ihr die VVN in diesen Bemühungen randständig.

Mit dem Verbot der KPD endeten 1956 alle Formen einer Würdigung, wie es sie bis dahin gegeben hatte. Benennungen von Straßen, Plätzen, Schulen oder Krankenhäusern nach Nationalsozialisten, deren Wegbereitern oder wegen NS-Verbrechen Verurteilter (wie Friedrich Flick, Lothar Irle, Ernst Bach, Adolf Stoecker,[14] Jakob Henrich oder Bernhard Weiss) waren demgegenüber bis in die 1980er Jahre[15] in Krämers Heimat unproblematisch und wurden jeweils von breiten politischen Mehrheiten auch gegen starke Kritik vehement verteidigt.

Weitere Bemühungen in den 1990er und 2000er Jahren von bürgerschaftlichen Initiativen und Bündnis 90/Die Grünen im Stadtrat stießen auf weitgehende Ablehnung in der Siegener Stadtpolitik und in der Verwaltungsspitze, während die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit sich für eine angemessene Ehrung Walter Krämers einsetzte. 1991 veranstaltete sie eine „Walter-Krämer-Woche“.[16] Ein Vorschlag 1997, einen zentralen Platz in Siegen nach Krämer zu benennen, fand erneut keine mehrheitliche Unterstützung im Stadtrat.[17] 1998 schließlich entschied sich die Stadt, statt einen Ort zu benennen, eine Hinweistafel an Krämers Geburtshaus anzubringen.[18] Mehrfach wurden Vorstöße von der Grünen-Fraktion im Stadtrat unternommen und bürgerschaftliche Anträge gestellt: diese reichten von der Namensbenennung einer zentrale Brücke oder eines zentralen Platzes nach Krämer über die Umbenennung der nach dem Antisemiten Adolf Stoecker benannten Stöckerstraße in dem Siegener Stadtbezirk, in dem Walter Krämer geboren und aufgewachsen ist, in Walter-Krämer-Straße bis zu einer späteren Straßenbenennung in einem Siegener Neubauviertel und die Namensgebung für ein Krankenhaus.[19] Keiner dieser Anträge oder Vorschläge fand bisher eine mehrheitliche Unterstützung in den Gremien des Stadtrates.

Literatur

  • Bruno Apitz, Nackt unter Wölfen, Berlin 1998, 9. Aufl.
  • Klaus Dietermann, Späte Teil-Anerkennung, in: Siegener Beiträge. Jahrbuch für regionale Geschichte 4 (1999), S. 153–157
  • Klaus Dietermann, Karl Prümm: Walter Krämer – von Siegen nach Buchenwald. Verlag der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Siegerland, Siegen 1986
  • David A. Hacket, Der Buchenwald-Report. Bericht über das Konzentrationslager Buchenwald bei Weimar, München 1996
  • Liesel Krämer, „Alle Achtung, liebe Liesel, da hätte mancher die Hose voll gemacht“, in: Hannoversche Frauen gegen den Faschismus 1933–1945, Lebensberichte, hg. von VVN/BdA, Hannover 1982, S. 36–40
  • Walter Poller, Arztschreiber in Buchenwald. Bericht des Häftlings 996 aus Block 36, Offenbach 1960, 2. Aufl.
  • Bodo Ritscher: Arzt für die Häftlinge. Aus dem Leben Walter Krämers. Weimar-Buchenwald 1988
  • Christine Roßberg (Wenzel), Arzt ohne Examen, Berlin (DDR) 1982

Einzelnachweise

  1. Zeitweiliger Unterbezirkssekretär der KPD war noch [[Rudolf Hennig (Politiker)|]], Mitglied des Reichstags (1930–1933): Der Kommunismus im Siegerland, Siegener Zeitung, 5. April 1933.
  2. Bodo Ritscher, Arzt für Häftlinge, Weimar-Buchenwald 1988, S. 21.
  3. Einzelheiten siehe: Ulrich Friedrich Opfermann, Siegerland und Wittgenstein im Nationalsozialismus. Personen, Daten, Literatur. Ein Handbuch zur regionalen Zeitgeschichte (= Siegener Beiträge, Sonderband 2001), Siegen 2000; 2. Aufl. 2001; Hermann Weber/Andreas Herbst, Deutsche Kommunisten. Biographisches Handbuch 1918 bis 1945, Berlin 2004, S. 404.
  4. David A. Hackett (Hrsg.), Der Buchenwald-Report. Bericht über das Konzentrationslager Buchenwald bei Weimar, München 2002, S. 247.
  5. David A. Hackett (Hrsg.), Der Buchenwald-Report. Bericht über das Konzentrationslager Buchenwald bei Weimar, München 2002, S. 91.
  6. David A. Hackett (Hrsg.), Der Buchenwald-Report. Bericht über das Konzentrationslager Buchenwald bei Weimar, München 2002, S. 197.
  7. Mithäftling Paul Grünewald (Häftlingssanitäter und Schreiber in Buchenwald), in: Die Glocke vom Ettersberg. Mitteilungsblatt der Lagergemeinschaft Buchenwald-Dora, Frankfurt a. M., 1974, H. 55, S. 6f.
  8. Eugen Kogon: Der SS-Staat. Das System der deutschen Konzentrationslager, Reinbek 1974, S. 304f.
  9. Alle Achtung liebe Liesel, da hätte mancher die Hosen voll gemacht, in: Hannoversche Frauen gegen den Faschismus 1933 - 1945, Heft 3, Hannover, 1981 - 1983
  10. Christine Wenzel (Rossberg), Das Leben und Wirken des deutschen Kommunisten Walter Krämer, ein Vorbild für die Mitarbeiter des Gesundheitswesens in der Deutschen Demokratischen Republik, Diss. A, Halle 1970.
  11. Zit. nach: David A. Hackett (Hrsg.), Der Buchenwald-Report. Bericht über das Konzentrationslager Buchenwald bei Weimar, München 2002, S. 91.
  12. Vergeßt die teuren Toten nicht, in: Freiheit, 21. September 1948.
  13. Umbenennung der Straßen, in: Freiheit, 18. Februar 1947. Anders im benachbarten Kreis Altenkirchen. Dort wurde 1948 ein Erholungsheim nach Krämer benannt. Walter-Krämer-Erholungsheim. Ehrung eines ermordeten Siegerländer Antifaschisten, in: Freiheit, 10. Februar 1948.
  14. 1979 schlug die DKP ohne öffentliche Resonanz vor, eine nach dem Antisemiten Adolf Stoecker benannte Straße nach Walter Krämer umzubenennen: Heiner Walter, Adolf-Stöcker-Straße jetzt umbenennen, in: Westfälische Rundschau, 7. Dezember 1979.
  15. In den 1980er Jahren begann eine Namensdiskussion zum Friedrich-Flick-Gymnasium, die sich in Wellen wiederholte. Die Namensgegner waren dann 2009 erfolgreich.