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Wilhelmstraße 26 (Heilbronn)

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Das Haus Wilhelmstraße 26 in Heilbronn wurde 1894/95 errichtet und stürzte am 9. Januar 1948 ein. Es war das Wohnhaus der wohlhabenden jüdischen Familien Adler und Oppenheimer, 1937 auch Firmensitz der ehemals international bedeutenden Firma Emil Oppenheimer & Co., 1939 „Arisierung“ und Sitz einer NSDAP-Ortsgruppe und bewohnt von einem NS-Funktionär, Beschädigung im Krieg und Einsturz nach dem Krieg als Folge. Das Schicksal des jüdischen Hauses im Dritten Reich und die Vorgänge um die Rückgabe und Wiedergutmachung in der Nachkriegszeit werden in der Heilbronner Chronik beschrieben. 1953 erfolgte der Neubau nach Entwürfen des Architekten Kurt Marohn an gleicher Stelle: ein regional führendes Autohaus in einem in den 50er Jahren als "modern" empfundenen Stil, das Werner Gauss in seinem Heilbronner Stadtführer aufführt. 1989 erfolgte der Umbau zum "Sozialhaus" für Arbeitsloseninitiative, Nichtsesshaftenhilfe und türkischem Verein, mit der Bestrebung, den "Charakter des Gebäudes" zu wahren. Mit der Geschichte des Hauses Wilhelmstraße 26 wird ein gutes Jahrhundert städtischer (und deutscher) Geschichte exemplarisch plastisch.


Adler/Oppenheimer (1937)

Haus Wilhelmstr. 26 Adler bzw. Oppenheimer
Haus Wilhelmstr. 26, Detail mit Erker und Turmhelm
Firma Emil Oppenheimer & Co. in Heilbronn Rechnung ausgestellt am 24. September 1908.
Wilhelmstraße 26: Ex-Autohaus Heermann eröffnet am 19. Dezember 1953. Pläne Architekt Kurt Marohn
Ex-Autohaus Heermann, Ecke

(zum Teil nur Jahre der Erwähnung in den Archivalien)

Beschreibung

Das ab 1894/95 existierende Wohnhaus Wilhelmstraße 26 [1] war ein Eckhaus, an der Ecke Wilhelm- /Luisenstraße in Heilbronn. Über einem Sockelgeschoss erhoben sich zwei Geschosse, die nach oben mit einem niedrigen Mezzaningeschoß abschlossen. Die Fassade zur Wilhelmstraße war in vier Achsen untergliedert, während die an der Luisenstraße in drei Achsen unterteilt war. Die Ecke erfuhr eine Betonung durch einen aufwendig architektonisch gegliederten Erker mit hohem Turmhelm. Pilaster mit ionischen Kapitellen und Voluten schmückten den Erker und stützten ein hohes, reich verziertes Architrav, worauf der hohe Turmhelm ruhte. Die Fensterrahmung in der Beletage (1.OG) war aufwendig gestaltet, mit Baluster in den Brüstungsfeldern und Fensterverdachungen auf Konsolen.

Geschichte

Das ab 1895 existierende Wohnhaus Wilhelmstraße 26 bewohnte Sigmund Adler; Kaufmann. [2]

Im Jahre 1937 war das Haus auch Sitz der Firma des jüdischen Kaufmanns Richard Oppenheimer; in Firma Emil Oppenheimer & Co..[3] Die weltweit tätige Firma, die 1914 Millionen eingebracht hatte, wurde zuletzt von Emils Neffen Richard weitergeführt. [4]

Bis 1938 bewohnten auch Eugen, Hedwig (geb. Freundlich), Elfriede, Hilde und Margot Adler das Haus [5], die bis 1937 im Haus eine Häute- und Ledergeschäft führten. [6]

Am 22.12.1938 mussten die jüdischen Eheleute – Richard (2.11.1872-20.11.1941) und Gertrud (14.12.1884-?) Oppenheimer geb. Adler [7] – das Haus im Rahmen der Arisierung für rund 30.000 RM an die Stadt verkaufen. Der Einkaufswert hatte 35.100 RM betragen. Das Haus beherbergte dann die NSDAP-Ortsgruppe Rosenberg und die Wohnung des stellvertretenden Kreisleiters, Rektor Georg Zeller. Teile des Anwesens wurden am 25.10.1939 an die Firma Weisert & Daur K.G. in Heilbronn weiterverkauft. Im Krieg beschädigt, stürzte die Ruine nach einem starken Sturm am 9. Januar 1948 ein. Nach der Rückgabe des Hauses an Alfred Oppenheimer (22.7.1909-?) – Sohn und Alleinerbe – am 2. März 1950, erhielt dieser für die Nutzung des Hauses 700 DM. [8]Das gesamte Rückerstattungsverfahren dauerte bis 1970.


Autohaus Heermann (1953)

Am 19. Dezember 1953 wurde dort das von Kurt Marohn geplante und errichtete Autohaus Heermann eröffnet. Das Autohaus Heermann war 1953 die „führende Autofirma in Nord-Württemberg und Nordbaden“, das neben Magirus-Deutz, Tempo, Faun und NSU-Fiat-Werke vertrat.[9]. Die Bedeutung des Autohauses wird bei Werner Gauss deutlich, der das Autohaus in der Wilhelmstraße, neben einem Geschäftshaus an der Allee und dem Kaufhaus Merkur am Fleiner Tor als einen der wenigen Beispiele für neue Geschäftshäuser im Jahre 1953 aufzeigt.[10]Das Gebäude fiel 1953 durch seine ungewöhnliche und seltene Architektur auf – „einen … architektonisch ungewöhnlichen reizvollen Akzent … wie wir solche in Heilbronn allzuviele noch nicht haben“. [11]Der Bau sei ein Beispiel für eine moderne Zweck-Architektur – „Muster eines modernen Zweckbaus … Man sieht an diesem Bau, in welcher Richtung sich die moderne Zweck-Architektur bewegt.“[11] Elemente, die „den Bau im Straßenbild herausheben“[11] seien das Betonskelett und die „betonte Farbigkeit“[11]. Das Skelett sei „grazil durchgeführt“[11], trage mit einer „bewundernswerten Leichtigkeit“[11] den Baukörper und zeichne die „Linienführung“[11] der einzelnen Stockwerke nach. Die Farbgebung der Brüstungen sei in dunklem Terrakotta, die Jalousien blau-weiß gestreift. Das Skelett und die Farbe gäben dem Gebäude einen „lebendigen ja geradezu herausfordernd frischen Charakter“[11].

„Sozialhaus“ (1989)

1989 zog das Autohaus von der Wilhelmstraße in die Neckarsulmer Straße. Daraufhin wurde das Haus von der Stadt Heilbronn nach Plänen des Heilbronner Architekten Lothar Kohler als „Sozialhaus“ für mehr als eine Million DM umgebaut und daraufhin der Arbeitsloseninitiative Heilbronn e.V., der Nichtseßhaftenhilfe Heilbronn e.V. und dem Türkischen Sport- und Freizeitverein e.V. übergeben. Das Land Baden-Württemberg, der Landeswohlfahrtsverband Württemberg-Hohenzollern und der Landkreis Heilbronn beteiligten sich mit 300 000 Mark. Der Baubürgermeister Ulrich Bauer betonte, dass der „Charakter des Gebäudes“ durch die künftige Nutzung nicht in Frage gestellt werde.[12]

Quellen

Commons: Wilhelmstraße 26 (Heilbronn) – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Literatur

Einzelnachweise

  1. Stadt Heilbronn (Hrsg.): Adress- und Geschäftshandbuch der Stadt Heilbronn 1893/94, S. 173, Die Nr. 26 bei der Wilhelmstraße existierte noch gar nicht.<br\> Stadt Heilbronn (Hrsg.): Adress- und Geschäftshandbuch der Stadt Heilbronn 1894/95. S. 170, Jetzt erst existiert die Nr. 26 der Wilhelmstraße und Sigmund Adler wird dort genannt.
  2. Stadt Heilbronn (Hrsg.): Adress- und Geschäftshandbuch der Stadt Heilbronn 1893, S. 173, Die Nr. 26 bei der Wilhelmstraße existierte noch gar nicht.<br\> Stadt Heilbronn (Hrsg.): Adress- und Geschäftshandbuch der Stadt Heilbronn 1895. S. 170, Jetzt erst existiert die Nr. 26 der Wilhelmstraße und Sigmund Adler wird dort genannt.
  3. Franke: Geschichte und Schicksal der Juden in Heilbronn ..., S. 290 [Israelitische Gemeindeliste vom 1. April 1937]
  4. Schrenk/Weckbach: „… für Ihre Rechnung und Gefahr“. Rechnungen und Briefköpfe Heilbronner Firmen, S. 86 [Emil Oppenheimer & Co. - Rechnung ausgestellt am 24. September 1908]
  5. Franke: Geschichte und Schicksal der Juden in Heilbronn ..., S. 355 [Auswanderungsliste]
  6. Franke: Geschichte und Schicksal der Juden in Heilbronn ..., S. 287 [Israelitische Gemeindeliste vom 1. April 1937]
  7. auf Datenbank HEUSS die Signatur: „B033-467“ bei Signatur in der Expertensuchmaske eingeben. <br\>Franke: Geschichte und Schicksal der Juden in Heilbronn ..., S. 290 [Israelitische Gemeindeliste vom 1. April 1937] <br\> Alexander Renz/Susanne Schlösser:Chronik der Stadt Heilbronn. Band VI: 1945–1951, Heilbronn 1995, S. 220 u. S. 373.<br\> Franke: Geschichte und Schicksal der Juden in Heilbronn ..., S. 137 [VIII. Synagogenbrand und Kristallnacht] und S. 311 [Dokumentation I. Die Opfer. Listen aller Deportierten und in der Deportation Umgekommenen, sowie der Opfer in den Heilanstalten, auf dem Wege in die Deportation und durch Freitod.]
  8. Alexander Renz/Susanne Schlösser:Chronik der Stadt Heilbronn. Band VI: 1945–1951, Heilbronn 1995, S. 220 u. S. 373.
  9. Autohaus Heermann-Heilbronn. In: Heilbronner Stimme. Nr. 293, 19. Dezember 1953, S. 6.
  10. Werner Gauss:Heilbronn. Gestern und heute. Dritte Auflage 1954, Gauss-Verlag Heilbronn am Neckar, S.70 und S. 95.
  11. a b c d e f g h ts: Das Auto-Haus Heermann. Ein vorbildlicher, moderner Zweckbau im Südviertel. In: Neckar-Echo. Nr. 97, S. 7.
  12. hof: Neues „Sozialhaus“ auf altem Heermann-Areal. Gebäude wird für Arbeitsloseninitiativen, Nichtseßhaftenhilfe und türkischen Verein umgebaut. In: Heilbronner Stimme. Nr. 26, 1. Februar 1989, S. 19.

Kategorie:Ehemaliges Gebäude in Heilbronn