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Anarchokapitalismus

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Der Anarchokapitalismus zählt zu den libertären Theorien und propagiert eine radikale Form des Liberalismus. Er strebt eine staatsfreie, allein vom freien Markt und von freiwilligen Vereinigungen regulierte Gesellschaft an. Daher kann man in Zusammenhang mit ihm auch von "Markt-Anarchismus" sprechen.

Anders als der klassische Anarchismus befürwortet der Anarchokapitalismus ein weitgehendes Eigentumsrecht, das nach seiner Definition durch gesellschaftliche Übereinkunft begründet wird und durch keinerlei unfreiwillige Verpflichtung gebunden sein soll. Für Anarchokapitalisten ist der Eigentumsbegriff so zentral, dass sie alle anderen Grundrechte wie z.B. Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Versammlungsfreiheit ihm unterordnen oder daraus ableiten. Sie vertreten die Ansicht, dass sich alle Beziehungen zwischen Menschen, einschließlich Fragen der Justiz und der öffentlichen Sicherheit, über freiwillige Vereinbarungen bestimmen lassen. Sie lehnen daher auch das staatliche Gewaltmonopol ab.

Theoretische Grundlagen

Die gedanklichen Grundlagen des Anarchokapitalismus speisen sich sowohl aus dem individuellen Anarchismus als auch aus dem Libertarismus, der sich aus dem klassischen Liberalismus entwickelte. Zu seinen geistigen Vorläufern im 19. Jahrhundert gehörte beispielsweise Max Stirner. Heute wird er u.a. von Schülern des Wirtschaftswissenschaftlers Ludwig von Mises und der von Carl Menger begründeten "Österreichischen Schule", etwa von Murray N. Rothbard und Hans-Hermann Hoppe vertreten.


Einfluss des Liberalismus

Klassisch Liberale misstrauten seit jeher der Institution des Staates und forderten, den monopolisierten Aufgabenbereich des Staates auf ein Minimum zu reduzieren. Dem Staat kam nach ihrer Auffassung nur noch die Aufgabe zu, für Sicherhheit, also für den Schutz des Eigentums Sorge zu tragen.

Im 19. Jahrhundert formulierte dann der liberale Ökonom Gustave de Molinari als Erster in "Über die Produktion von Sicherheit" (1849) Argumente gegen diese minimalstaatliche Auffassung. Schließlich sei die gewaltgestützte Monopolisierung bei jedem Gut - so Molinari- noch nie im Kundeninteresse gewesen, denn die Monopolisierung durch Ausschaltung jeglichen Wettbewerbs verteuere jedes Gut bzw. verschlechtere seine Qualität. Molinari verneinte damit die Sonderstellung des Gutes "Sicherheit", wie sie noch von den Klassisch Liberalen vertreten wurde. Die Folge war der Fall der letzten noch verbliebenen Aufgabe des Staates. Die theoretische Grundlage des Marktanarchismus/Anarchokapitalismus war gelegt.

Diese antistaatliche liberale Tradition nach Molinari wurde vorallem durch die frühen Schriften von Herbert Spencer, sowie Denkern wie Paul Émile de Puydt ("Panarchie"), Auberon Herbert und Albert Jay Nock ("Our Enemy, The State") getragen.

Eigentumsrechte

Grundlage des Eigentums in der libertären Theorie ist das Selbst-Eigentum. Hoppes Ausgangsaxiom lautet: "Jeder Mensch ist Eigentümer seines eigenen Körpers". Dies sei ein Grundsatz, dem ausnahmslos alle Menschen zustimmen könnten, unabhängig davon, dass immer wieder gegen ihn verstoßen wurde und wird.

Der Anarchokapitalismus leitet aus diesem Axiom ab, dass auch alles was der Mensch mit Hilfe seines Körpers erwirbt oder schafft ebenfalls sein Eigentum ist. Im Falle natürlicher Ressourcen entsteht Eigentum durch die ursprüngliche Bearbeitung solcher Dinge, die bisher von keinem anderen Menschen genutzt oder als Eigentum beansprucht wurden. Nach dem Anarchokapitalismus muss hierüber Konsens herrschen. Wäre dies nicht der Fall, könne die Ursache dafür nur in einer Leugnung des Ausgangsaxioms liegen. Dies wiederum wäre eine bewusste Leugnung des Konsens-Prinzips, denn nur das Ausgangsaxiom sei einstimmig zustimmungsfähig.

Ablehnung staatlicher Intervention

Die Anhänger ihrer libertären Theorien sehen jede Intervention eines Gemeinwesens in das Privatleben seiner Mitglieder als Übel an, da sie stets mit einer Verletzung seiner individuellen Rechte einhergehe. Der Staat kann demnach per se nichts besser lösen als freie Individuen, die untereinander Verträge schließen. Ihr anarchokapitalistischer Eigentumsbegriff ist umfassend: Selbstgeschaffenes Eigentum, aber auch Grund und Boden, sollten ihrer Auffassung nach grundsätzlich privatisiert sein. Auch für Sicherheit und Justiz solle jeder selbst sorgen können, gegebenenfalls mit Hilfe privater Sicherheitsdienstleister.

Die Ablehnung öffentlicher Eingriffsmöglichkeiten in die Freiheit des Individuums betrifft alle staatlichen Tätigkeiten und Souveränitätsrechte von der Erhebung von Steuern und Sozialabgaben über die Gesetzgebung bis hin zum Recht auf Kriegsführung und zum staatlichen Gewaltmonopol.

Ablehnung des demokratischen Staates

Einer der Vordenker des Anarchokapitalismus, Hans-Hermann Hoppe, sieht in der Demokratie einen „zivilisatorischen Abstieg“ gegenüber der feudalistischen Gesellschaftsordnung. Er behauptet, aufgrund des dynastischen Denkens hätten absolutistische Monarchen ihr Land und die darin lebenden Menschen als ihr Eigentum und das ihrer Nachfahren betrachtet und seien daher mit beidem pfleglicher umgegangen als gewählte Regierungen. Die moderne Demokratie dagegen zwinge die Politiker - aufgrund der ihnen nur auf Zeit verliehenen Macht - sich Stimmen zu erkaufen, entweder durch Wahlgeschenke, die aus Steuererhöhungen finanziert würden oder durch Gesetze, die nur einzelne Gruppen begünstigten. Dadurch verschlechtere sich im Laufe der Zeit der Allgemeinzustand ihres Landes.

Regelung der Sozialen Frage

Anarchokapitalisten glauben, dass Hilfe für bedürftige Menschen wie Arme, Behinderte oder Arbeitslose ganz ohne staatliche Institutionen geleistet werden könne. Sie setzen auf Nachbarschaftshilfe und mildtätige, private Institutionen oder Stiftungen. Sie argumentieren, solche Institutionen könnten effizienter arbeiteten, da sie weniger Bürokratie benötigten. Zudem sind sie der Ansicht, dass Menschen mehr für wohltätige Zwecke spenden würden, wenn die Steuerbelastung wegfiele.

Kritik

Zentrales Leitmotiv des Anarchismus ist, dass er Herrschaft von Menschen über Menschen ablehnt. Kritiker werfen dem Anarchokapitalismus vor, die von ihm propagierten Ideen liefen auf eine rein sozialdarwinistische Gesellschaftsordnung hinaus. Wenn die Beziehungen zwischen Menschen mit unterschiedlichen Ausgangschancen allein über die Eigentumsverhältnisse geregelt würden, seien sozialdarwinistische Verhältnisse die logische Folge. Besitz und Reichtum würden neue Machtstrukturen begründen, die allein auf dem Faustrecht des wirtschaftlich Stärkeren beruhten. Wirtschaftlich schwache Individuen seien in einer so organisierten Gesellschaft weitgehend schutzlos.

Markt-Anarchisten gehen jedoch davon aus, dass die wirtschaftliche Entwicklung bei einem völlig freien Markt Armut fast gänzlich beseitigen würde und private Wohlfahrtsorganisationen für die wenigen Ausnahmen ausreichende Fürsorge gewährleisten würden. Die Kritiker des Anarchokapitalismus halten das für eine trügerische und illusorische Hoffnung.

Kritisiert wird ferner, dass die Anarchokapitalisten die Sozialbindung des Eigentums aufheben wollen. Murray N. Rothbard brachte dazu ein Beispiel: Wenn nach einem Schiffsunglück der Eigentümer eines Rettungsboots dieses ganz allein für sich nutze und andere ertrinken lasse, so bleibe die einzig entscheidende Frage: "Wem gehört das Rettungsboot?” Die Anarchokapitalisten verweisen darauf, dass es neben der strafrechtlichen Ahndung einer unterlassenen Hilfeleistung auch informelle und zivilrechtliche Sanktionsmöglichkeiten gebe.

Eigentumsrechte

Eine zentrale Frage des Anarchokapitalismus ist die nach der Entstehung und Durchsetzung von Eigentumsrechten, auf denen eine staatsfreie Gesellschaftsordnung beruhen soll. Wie kann gewährleistet werden, daß diese Eigentumsrechte anerkannt werden, wenn es keine dem Eigentum zugrundeliegende staatliche Rechtsordnung gibt? Der Anarchokapitalismus widerspricht in vielen Punkten den modernen Überlegungen der neuen Institutionenökonomik.

Als Antwort verweisen Anarchokapitalisten darauf, dass Eigentum durch Konsens darüber entstehe, wie knappe Ressourcen sinnvoll zu verwenden seien. Eigentum sei daher zuerst eine praktische Frage, eine Verhaltensnorm, die verhindere, dass über jede Kleinigkeit gestritten werden müsse. Diese Verhaltensnormen entstünden durch vertragliche Bindungen. Es werde vereinbart, wie Konfliktfälle zu lösen seien. Der Sinn solcher Verträge sei es, sich bei Vertragserfüllung stark und bei Vertragsbruch schwach zu machen. Nach Meinung der Anarchokapitalisten hätten daher alle Vertragspartner ein ernsthaftes Interesse an der Erfüllung des ausgehandelten Vertrages und Eigentumsnormen seien so durchsetzbar.

Aus Sicht der Kritiker ist diese Antwort nicht überzeugend, weil damit die Frage offen bleibe, wie ein allgemeiner Konsens über das Eigentum entstehen könne. Ein vertraglicher Konsens bestehe nur unter den Vertragspartnern; für eine allgemeine Eigentumsordnung sei es jedoch notwendig, dass auch Dritte das Eigentum und seine Verteilung anerkennen. Aus diesem Grund ist es nach Ansicht der Kritiker nicht ausreichend, wenn die vertragsschließenden Parteien zustimmen, denn die Eigentumsrechte könnten immer noch durch Dritte bestritten werden.

Anarchokapitalisten sind der Meinung, die Durchsetzung des Rechts auf Eigentum könne von privaten Sicherheitsdiensten übernommen werden, ebenfalls auf vertraglicher Basis.

Dafür wiederum - sagen die Kritiker - sei ein allgemein akzeptiertes Recht Voraussetzung. Wenn aber Recht nur durch Verträge zwischen Individuen und nicht durch einen "Gesellschaftsvertrag" zustande komme, seien nur die vertragschließenden Parteien an das durch sie geschaffene Recht gebunden. Solange es aber kein Recht gebe, das auch Dritte mit einschließe, könne auch nicht wirkungsvoll durchgesetzt werden.

Die Sonderstellung der inneren Sicherheit und anderer Güter begründet sich nach moderner Auffassung über Verfahrensvorteile, wenn sie durch den Staat übernommen werden.

Folgen des Verzichts auf das Gewaltmonopol

Anarchokapitalisten glauben, dass sich durch Verträge zwischen Individuen und juristischen Personen ein allgemein akzeptiertes Rechtsystem entwickeln könne. Daraus könnten sich auch zu staatsähnliche Gebilden konstituieren, allerdings ohne Gebietsmonopol oder Zwangsmitgliedschaft.

Die Anhänger des Anarchokapitalismus gehen dabei von der Annahme aus, dass Individuen und juristische Personen im eigenen Interesse freiwillig vereinbarten Rechtsnormen zustimmen, die sich aus dem Wettbewerb verschiedener Sicherheitsdienstleister, also durch durch Angebot und Nachfrage, ergeben. Jeder werde freiwillig den Sicherheitsdienstleister wählen, der ihm am meisten zusage. Auf einem freien Markt, auf dem Staaten oder andere Rechtssysteme um Kunden werben müssten, werde Behördenwillkür oder Korruption auf auf ein Minimum absinken oder sogar ganz verschwinden.

Kritiker halten dies aus mehreren Gründen für lebensfremd: Zum einen setze das anarchokapitalistische Modell voraus, dass alle Menschen in etwa die gleichen Möglichkeiten und Fähigkeiten besitzen, ihre objektiven Interessen zu erkennen und zu wahren.

Des weiteren könne in einem Gebiet, in dem aufgrund des Freiwilligkeitsprinzips mehrere Rechtssysteme nebeneinander existierten, kein allgemeingültiges Recht entstehen. Personen oder Institutionen, die mächtig genug seien, durch physische Gewalt auch unberechtigte Ansprüche gegen andere durchzusetzen, könnten in einem solchen System nicht zur Anerkennung von Rechtsprinzipien gezwungen werden. Es liege vielmehr in ihrem eigenen Ermessen, ob sie einem vertraglich geregelten Rechtssystem beitreten oder ganz daruf verzichten und Selbstjustiz üben. Für jeden, der Rechtsansprüche, etwa auf Eigentum, nur noch mit Hilfe privater Sicherheitsagenturen durchsetzen könne, reduziere sich das Problem auf die Frage, ob er sich dies finanziell leisten kann. Recht werde also wesentlich zu einer Frage des Besitzes.

Eine weitere Gefahr sehen die Kritiker darin, dass Privatunternehmen auch im Sicherheitsbereich ein Interesse daran haben müssen, die Märkte für ihr Produkte zu vergrößern und die Nachfrage zu steigern. In einer anarchokapitalistischen Gesellschaft wäre es für sie nur eine Frage der Zeit, bis private, von keinerlei übergeordnetem Rechtssystem mehr kontrollierte Sicherheitsdienste eben jene Bedrohungslage zu schaffen begännen, gegen die sie ihren Kunden Schutz anböten. Nach Meinung der Kritiker öffnet der Verzicht auf das staatliche Gewaltmonopol also dem Recht des Stärkeren und mafiösen Strukturen Tür und Tor.

Normative Kritik

Kritisiert wird auch, der Anarchokapitalismus einen völligen Verzicht auf sozialstaatliche Strukturen fordert. Für seine Anhänger gibt es unter Menschen weder eine Pflicht, sich gegenseitig zu helfen, noch ein Recht auf Unterstützung. Wer z.B. unverschuldet seines Vermögens und seiner Arbeitskraft beraubt werde und gegen die Folgen nicht versichert sei - unabhängig davon, ob er es dies selbst versäumt hat oder finanziell nie dazu in der Lage war - sei auf Gnade seiner Mitmenschen angewiesen. Dieses mögliche Ergebnis ist zwischen Anhängern und Gegnern des Anarchokapitalismus unstrittig. Es besteht ein Werturteilsstreit darüber, ob dies akzeptabel ist oder nicht.

Literatur