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Olga Bancic

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
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Olga Bancic, geborene Golda Bancic (* 10. Mai 1912 in Chișinău; † 10. Mai 1944 in Stuttgart), auch unter ihrem französischen nom de guerre Pierrette bekannt, war eine rumänische Kommunistin jüdischer Abstammung, die für ihren Einsatz in der französischen Résistance während des Zweiten Weltkriegs bekannt geworden ist. Sie war Mitglied der Francs-Tireurs et Partisans (FTP-MOI) und der Manouchian-Gruppe, wurde im November 1943 wie auch 21 andere Mitglieder ihrer Gruppierung in Paris verhaftet, gefoltert, später nach Stuttgart gebracht, dort zum Tode verurteilt und durch Köpfen hingerichtet.

Frühes Leben

Bancic wuchs in Chișinău in einer großen jüdischen Familie auf. Bessarabien gehörte bis zum Ende des Ersten Weltkrieges zum russischen Zarenreich und wurde 1918 von Rumänien annektiert. Sie arbeitete schon mit zwölf Jahren in einer Matratzenfabrik. Weil sie an einem Streik teilnahm, wurde sie gemeinsam mit anderen trotz ihres Alters verhaftet und geschlagen.[1]

Politische Aktivitäten

Wegen ihrer Mitgliedschaft und ihrem starken Engagement in der örtlichen Arbeiterorganisation (1933 bis 1939) wurde sie mehrmals verhaftet, sah dies aber als Berufsrisiko an. Sie wurde Mitglied der Rumänischen Kommunistischen Partei (PCR, Partidul Comunist Român). 1938 reiste sie nach Frankreich, wo sie Kontakte zu linken Aktivisten knüpfte und diesen half, während des Spanischen Bürgerkriegs Waffen für die Internationalen Brigaden nach Spanien zu schmuggeln.[2] Zu dieser Zeit war die PCR (Rumänische Kommunistische Partei) Repressalien ausgesetzt und spaltete sich in der Folge in mehrere Gruppierungen. Wie auch der Rumäne Gheorghe Gaston Marin, der in Grenoble studiert hatte und ebenfalls Mitglied der Résistance wurde, wurde auch Bancic Mitglied der Französischen Kommunistischen Partei (parti communiste français.

Heirat und Familie

In Paris lernte sie Alexandru Jar, einen rumänischen Schriftsteller und kommunistischen Aktivisten kennen, den sie 1939 heiratete. Im gleichen Jahr gebar sie eine Tochter, die sie nach einer spanischen Freiheitskämpferin Dolores nannte.[3] Nach Beginn ihrer Tätigkeit in der Résistance als Mitglied der Immigranten-Gruppierung FTP-MOI gab sie ihre Tochter zu deren Schutz in die Obhut einer französischen Familie.

Missak Manouchian vor seiner Hinrichtung

Résistance

Nach der Besetzung von Paris durch die Wehrmacht[4] schloss sich Bancic gemeinsam mit ihrem Mann Jar der FTP-MOI (Francs-Tireurs et Partisans de la Main d'Oeuvre Immigrée) an, eine Immigrantengruppierung der französischen Résistance, die in Paris aktiv war. Das Paris der 1930er Jahre war ein kultureller Anziehungspunkt für Intellektuelle aus aller Welt. Zudem gab es viele Immigranten die als Flüchtlinge gekommen waren, wie beispielsweise Armenier, die vor dem Genozid der Armenier in der Türkei 1915-1917 geflüchtet waren; Juden, die vor den Verfolgungen in Deutschland und Osteuropa geflüchtet waren sowie Kommunisten aus verschiedenen Ländern.

Bancic gehörte der Manouchian-Gruppe der FTP-MOI an, einer bewaffneten Untergruppe, die von Missak Manouchian, einem armenischen Poeten, geführt wurde. Ihr nom-de-guerre, beziehungsweise Deckname war Pierrete. Sie baute Sprengsätze und transportierte diese gelegentlich in ihrem Kinderwagen. Insgesamt nahm sie an etwa hundert Sabotage-Aktionen gegen die Wehrmacht teil.

Frauen in der Résistance

Frauen in der Résistance hatten den taktischen Vorteil, dass sie in einer vorwiegend männlich geprägten Kampf- oder Kriegsumgebung (Militär und Widerstand) gewissermaßen „unsichtbar“ waren, d.h. sie konnten sich - ohne Verdacht zu erregen - unauffälliger als Männer in feindlich kontrolliertem Territorium bewegen, beispielsweise leichter Kontrollpunkte passieren etc.[2]

Partisan women of the French Resistance, many of whom were associated with combat groups linked to the French Communist party (PCF), broke the gender barrier by fighting side by side with men. Their purported "invisibility" as women made them ideal underground operatives, whether they participated as fighters or as non-combat members of gender-integrated combat teams. Adaptive behavior and blurred identities explained and excused the trespassing of women into male gender territory.[...]

French Historical Studies, Vol. 16, No. 1 (Spring, 1989), Paula Schwartz - Partisanes and Gender Politics in Vichy France, Abstract
L'affiche rouge (Das Rote Plakat)

Verhaftung und Tod

Am 6. November 1943 wurde Olga Bancic in Paris von der Brigade spéciale n°2 des französischen Geheimdiensts verhaftet. Gleichzeitig, beziehungsweise innerhalb weniger Tage wurden auch Missak Manouchian und weitere 21 Männer ihrer Gruppierung verhaftet. Bancic wurde wie auch die anderen gefoltert, gab aber keine Informationen preis.[1]

Am 21. Februar 1944 wurden Bancic und die anderen 22 in einem Schauprozess zum Tode verurteilt. Die 22 Männer wurden noch am gleichen Tag durch ein Erschießungskommando im Fort Mont-Valérien hingerichtet.[5] Da ein französisches Gesetz das Füsilieren von Frauen verbot, wurde Bancic nicht hingerichtet, sondern später nach Stuttgart verbracht. In Stuttgart wurde Bancic erneut zum Tode verurteilt. Auch nach ihrer Verurteilung wurde sie noch gefoltert, und schließlich am 10. Mai 1944, ihrem 32. Geburtstag, im Hof des Gefängnisses mit einer Axt geköpft.[1]

Die französischen und deutschen Behörden in Paris verbreiteten im Februar 1944 ein Propaganda-Plakat, auf dem die verhafteten und hingerichteten Mitglieder der Manouchian-Gruppe als Armée du crime (Armee des Verbrechens) verunglimpft wurden. Das Plakat wurde als L'affiche rouge bekannt und verfehlte seinen Zweck vollkommen; es wurde überall mit morts pour la France bekritzelt und diente als Inspiration für weiteren Widerstand gegen die deutsche Besatzungsmacht.[6]

Vermächtnis

Abschiedsbrief an ihre Tochter

Am Abend vor ihrer Hinrichtung in Stuttgart gelang es Bancic, während des Transports zur Hinrichtungsstätte einen Abschiedsbrief an ihre Tochter durch das Fenster hinauszuwerfen. Der Brief war mit der Bitte versehen, ihn nach dem Krieg ihrer Tochter Dolores zukommen zu lassen. Der Brief wurde übermittelt und ist erhalten.[7][8][9]

Familie

Bancics Mann Alexandru Jar und ihre Tochter Dolores überlebten den Krieg. Jar kehrte nach Kriegsende mit seiner und Bancics Tochter Dolores nach Rumänien zurück, wo er wieder als Schriftsteller arbeitete. Am 15. Mai 1956 wurde er bei einer Sitzung der Mitglieder der Rumänischen Arbeiterpartei (so hieß die Rumänische Kommunistische Partei zwischenzeitlich bis 1965, danach wieder PCR), die Mitglieder des Schriftstellerverbandes waren, wegen „antiparteilichen“ Äußerungen aus der Partei ausgeschlossen.[10]

Rumänien der Nachkriegszeit

Im kommunistisch regierten Rumänien der Nachkriegszeit wurde Bancic als revolutionäre Heldin verehrt und es wurden in vielen Städten Straßen nach ihr benannt und kleine Denkmäler für sie errichtet. In den Schulen wurde über sie als kommunistische Martyrerin gelehrt. Die rumänischen Kommunisten vereinnahmten ihr Andenken zu Propagandazwecken. Nach dem Sturz Nicolae Ceauşescus und dem Ende der kommunistischen Herrschaft 1989 wurden kommunistische Protagonisten verschmäht und entsprechende Denkmäler größtenteils entfernt, Straßennamen geändert. In Bukarest wurde die zwischen der Strada Polonă und der Strada C. Botez gelegene Olga-Bancic-Straße (Strada Olga Bancic) 1995 in Alexandru-Philippide-Straße (Strada Alexandru Philippide) umbenannt und eine kommemorative Tafel, die an Olga Bancic erinnerte, von einem der Häuser entfernt. Die Tafel enthielt folgenden Text:

Olga Bancic. 10 mai 1912 - 10 mai 1944. Luptătoare antifascistă din România executată de hitlerişti la Stuttgart prin decapitare. Viaţa, lupta şi moartea ei eroică însufleţeşte azi munca poporului român pe drumul progresului

Bedros Horasangian, "Caragiale, go home!", erschienen in Ziua am 29. Juni 2005; antifa.ro, Blog, Foto der Tafel

[11][12]

Übersetzung: "Olga Bancic. 10. Mai 1912 - 10. Mai 1944. Antifaschistische Kämpferin aus Rumänien, in Stuttgart hingerichtet durch Köpfen von den Hitleristen. Ihr heldenftes Leben, Kampf und Tod beseelt heute die Arbeit des rumänischen Volkes auf dem Weg des Fortschritts".

Frankreich

In Paris, an der Wand des Hauses 19, rue au Maire, 3ème, Paris befindet sich eine kommemorative Platte die an die Résistance-Gruppe Francs-Tireurs et Partisans (FTP/MOI) erinnert, auf der auch Olga Bancic eingetragen ist.[13]

Kultur

  • 1995 stellte der bekannte rumänische Maler Alexandru Ciucurencu ein Gemälde aus, das Olga Bancic pe eşafod (Olga Bancic auf dem Schafott) betitelt war[14].
  • L'affiche rouge (Das Rote Plakat), das Propaganda-Plakat der französischen Behörden im besetzten Frankreich, auf dem die Fotos von 10 der verhafteten und hingerichteten Mitglieder der Manouchian-Gruppe abgebildet waren, thematisierte Louis Aragon im Gedicht l'Affiche rouge.[15]

Quellen

  1. a b c [http://www.ushmm.org/wlc/en/idcard.php?ModuleId=10006244 "Golda (Olga) Bancic", Holocaust Encyclopedia, United States Holocaust Memorial Museum, letzter Zugriff 2. Oktober 2010
  2. a b Olga Bancic, Zitat/Zeitzeugenbericht von Arsène Tchakarian, Mitglied der Manouchian-Gruppe, über Olga Bancic und die Aktivitäten der weiblichen linken Aktivisten. Letzter Zugriff 2.10.2010
  3. Vladimir Tismăneanu, Stalinism pentru eternitate, Editura Polirom, Iaşi, 2005, ISBN 973-681-899-3
  4. Deutsches Historisches Museum, Zweiter Weltkrieg, Kriegsverlauf, Der Einmarsch in Paris. Letzter Zugriff 2.10.2010
  5. Souviens-toi, Olga Bancic
  6. www.wikipedia.fr, Affiche rouge
  7. Philippe Ganier Raymond. L'Affiche Rouge, Fayard, Paris, 1975
  8. La dernière lettre d’Olga Bancic. Wortlaut des Briefes auf französisch
  9. www.marxists.org; Last letters of The Manouchian Group May, 1944; Olga Bancic. Wortlaut des Briefes in englisch, übersetzt von Mitch Abidor
  10. www.wikipedia.ro, Artikel über Alexandru Jar (rumänisch)
  11. Bedros Horasangian (rumänischer Schriftsteller armenischer Abstammung), "Caragiale, go home!", erschienen in Ziua am 29. Juni 2005
  12. antifa.ro, blog, "Memoria unei antifasciste a fost profanata!", gepostet am Vorlage:Datum – die Form mit drei unbenannten Parametern oder anderen einzelnen Zeiteinheiten ist veraltet und wird nicht mehr unterstützt. Bitte gib das Datum einfach im Klartext an. (rumänisch). Der Beitrag enthält zwei Dokumentationsfotos mit dem Zustand vor und nach dem Entfernen der Gedenktafel. (letzter Zugriff Vorlage:Datum – die Form mit drei unbenannten Parametern oder anderen einzelnen Zeiteinheiten ist veraltet und wird nicht mehr unterstützt. Bitte gib das Datum einfach im Klartext an.)
  13. Les Plaques Commémoratives
  14. Academia Republicii Populare Române, Dicţionar Enciclopedic Român, Editura Politică, Bucureşti, 1962-1964
  15. Lledelwin's inner world, L'affiche rouge, Poème de Louis Aragon
  16. The Internet Movie Database - L'armée du crime, 2003