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Freier Wille

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Freier Wille ist die Bezeichnung für die philosophische Auffassung, daß unsere Entscheidungen letztlich uns selbst zuzuschreiben sind. Daraus folgt, daß unfreie Handlungen in irgendeinerweise jemand oder etwas anderem zuzuschreiben sind. Der Begriff "zuzuschreiben" ist unbestimmt, und läßt, wie der Begriff des freien Willens selbst, eine Vielzahl von Interpretationen zu. Wegen dieser Unbestimmtheit wird die Brauchbarkeit des Konzeptes freier Wille teilweise in Frage gestellt. Man kann verschiedene logisch unabhängige Fragen bezüglich des freien Willens stellen.

Determinismus bezeichnet die Auffassung, daß alle Zustände durch alle vorherigen Zustände notwendig bestimmt sind. In anderen Worten: das, was als nächstes geschieht, ist vollständig bestimmt (determiniert) durch das, was schon geschehen ist. Indeterminismus bezeichnet die gegensätzliche Auffassung: das es zumindestens einige Ereignisse gibt, die nicht vollständig durch frühere Zustände bestimmt sind. In anderen Worten: zumindest manches, was geschieht, ist nicht vollständig bestimmt durch das, was schon geschehen ist.

Die Auffassung des Determinismus wird manchmal illustriert mit dem sog. Laplace'schen Dämon, der alle Fakten über die Vergangenheit und die Gegenwart weiß, sowie alle gültigen Naturgesetze, und aus diesem Wissen die gesamte Zukunft bis ins letzte Detail vorhersehen kann.

Manche Philosophen sind der Auffassung, daß Determinismus und freier Wille unvereinbar sind. Diese Auffassung bezeichnet man als Inkompatibilismus. Inkompatibilisten behaupten allgemein, daß eine Person frei handelt (einen freien Willen besitzt) genau dann, wenn diese Person der einzige verursachende Grund für die Handlung ist und die Person es genauso auch hätte anders machen können.

Diese Auffassung vom freien Willen ist unverträglich mit dem Determinismus. Wenn der Determinismus zutrifft, und alles was geschieht vollständig durch die Vergangenheit bestimmt ist, einschließlich aller Ereignisse vor unserer Geburt, dann ist jede Wahl, die wir treffen, letztlich bestimmt durch frühere Ereignisse, die wir nicht beeinflussen können.

Unsere Entscheidungen wären nur ein weiteres Ergebnis, das durch die Vergangenheit bestimmt ist. D.h. wenn der Determinismus zutrifft, sind wir Gefangene unserer Vergangenheit und der freie Wille wäre lediglich eine Illusion.

"Harte Deterministen" wie Baron d'Holbach, sind diejenigen Inkompatibilisten, die Determinismus akzeptieren und freien Willen leugnen. "Libertarianer" wie van Inwagen sind diejenigen Inkompatibilisten, die freien Willen bejahen und daher den Indeterminismus akzeptieren (nicht zu verwechseln mit der politischen Richtung desselben Namens).

Andere Philosophen behaupten, daß Determinismus mit dem freien Willen verträglich ist. Diese "Kompatibilisten" wie Hobbes behaupten allgemein, daß eine Person genau dann frei handelt, wenn die Person die Handlung will und (hypothetisch) auch anders gehandelt haben könnte, wenn sein oder ihr Wille anders gewesen wäre. Dabei wird oft auf die klaren Fälle hingewiesen, bei denen kein freier Wille vorliegt: Vergewaltigung, Mord, Diebstahl usw..

Der Schlüssel zu diesen Fällen liegt nicht darin, daß die Vergangenheit die Zukunft bestimmt, sondern daß der Angreifer die Wünsche und Präferenzen des Opfers über ihre eigenen Handlungen mißachtet. Der Angreifer zwingt das Opfer, wodurch der freie Wille aufgehoben wird. Der Determinismus spielt dabei keine Rolle. Entscheidend ist vielmehr, das unsere Entscheidungen das Resultat unserer Wünsche und Präferenzen sind und nicht durch externe (oder sogar interne) Einflüsse aufgehoben werden.

Für viele Kompatibilisten heißt "frei sein", nach Gründen zu handeln, die einem nicht bewußt sind. Diese Position ist typisch für den Kompatibilismus.

Moralische Verantwortlichkeit

Wir sind allgemein der Auffassung, daß Menschen für ihre Handlungen verantwortlich sind, und sagt, daß man Lob oder Tadel für das verdient, was man tut. Allerdings geht man vielfach davon aus, daß moralische Verantwortlichkeit freien Willen voraussetzt. Daher ist eine weitere wichtige Frage im Zusammenhang mit dem freien Willen, ob wir überhaupt für unsere Handlungen moralisch verantwortlich sind und in welchem Sinn.

Inkompatibilisten tendieren dazu, Determinismus und moralische Verantwortlichkeit für unverträglich zu halten. Wie kann man jemand verantwortlich machen für eine Tat, die vom Beginn aller Zeiten her vorbestimmt war?

Harte Deterministen verwerfen daher das Konzept der moralischen Verantwortlichkeit -- Clarence Darrow gebrauchte dieses Argument in ihrer berühmten Verteidigung der Mörder Leopold und Loeb -- während Libertarianer den Determinismus verwerfen. Diese Thematik scheint der Kern der Auseinandersetzung zwischen harten Deterministen und Kompatibilisten zu sein.

Harte Determinsten müssen zugeben, daß wir oft im kompatibilistischen Sinn "freien Willen" haben, leugnen aber, daß dies die Bedeutung von freiem Willen ist, die wirklich zählt in dem Sinn, das sie als Begründung moralischer Verantwortlichkeit dienen kann: Die Tatsache, daß die Entscheidungen eines Handelnden nicht unter Zwang entstehen, ändert nichts an der Tatsache, daß der Determinismus den Handelnden von der Verantwortlichkeit entbindet.

Kompatibilisten argumentieren dagegen oft so, daß der Determinismus gerade eine Vorbedingung für moralische Verantwortlichkeit ist: man kann niemand für etwas verantwortlich machen, außer seine Handlungen wurden durch irgendetwas bestimmt (dieses Argument geht auf David Hume zurück).

Schließlich gilt, daß im Falle des Indeterminismus diejenigen Ereignisse, die nicht determiniert sind, rein zufällig sind. Wie kann man jemand loben oder tadeln für etwas, das rein zufällig seinen nervösen Erregungen entsprang?

Stattdessen wird argumentiert, daß man, um eine Person für etwas verantwortlich zu machen, zeigen muß, wie die Handlung durch die Wünsche und Präferenzen der Person begründet wurden -- durch den Charakter der Person.

Libertarianer entgegnen darauf, daß undeterminierte Handlungen nicht ganz zufällig sind, sondern aus einem substantiellen Willen entspringen, dessen Entscheidungen undeterminiert sind.

Dieser Ansatz wird weithin als nicht zufriedenstellend angesehen, da er das Problem nur einen Schritt weiter zurück verlagert und außerdem eine sehr mysteriöse Metaphysik benötigt.

Kompatibilistische Theorien des freien Willens

Damit eine Entscheidung als frei in irgendeinem maßgeblichen Sinn bezeichnet werden kann, ist es nach Ansicht vieler erforderlich, daß der Handelnde es auch anders hätte machen können. Sie nehmen diese Prinzip -- van Inwagen nennt es das "Prinzip der alternativen Möglichkeiten" -- als notwendige Voraussetzung für Freiheit.

Wenn z.B. ein Wissenschaftler eine Maschine in Roberts' Hirn einsetzt, die Robert veranlaßt, den Bundespräsidenten zu ermorden, war Roberts Handlung nicht frei, denn Robert hätte nicht anders handeln können.

Inkompatibilisten nehmen öfters Bezug auf dieses Prinzip, um zu zeigen, daß Determinismus und freier Wille unvereinbar sind.

"Wenn eine Entscheidung vollständig durch die Vergangenheit bestimmt ist, wie könnte der Handelnde sich entscheiden, etwas anderes zu tun?" wird gefragt. Darauf wird entgegnet, daß nicht nur wichtig ist, ob der Handelnde etwas anderes hätte tun können, sondern, ob er etwas anderes hätte tun könne, "wenn er es gewollt hätte".

Darüberhinaus argumentieren manche Kompatibilisten wie Frankfurt oder Dennett, daß es eindeutige Fälle gibt, wo ein Handelnder nicht anders hätte handeln können, die Entscheidung des Handelnden aber trotzdem frei war: Was wäre in dem Fall, wo Robert wirklich den Bundespräsidenten ermorden wollte, und die Maschine in Roberts Kopf nur einsetzt, wenn Robert die Nerven verliert? Wenn Robert so ausgerüstet durch die Stadt läuft, wäre diese Handlung sicherlich frei. Inkompatibilisten entgegen darauf, daß das Problem dabei ist, daß das, was Robert "wollte", schon vorherbestimmt war, bevor er es wahrnahm.

Auch weitergehende Analysen des freien Willens wurden versucht. Eine freie Handlung könnte nicht nur Freiheit von äußeren Zwängen erfordern, sondern auch Freiheit von inneren Konflikten oder Zwängen.

Zwanghafte Verhaltensweisen und die Handlungen der Geistesgestörten sind daher nicht frei. Darüberhinaus sagt uns der gesunde Menschenverstand, daß ein Handelnder auch rational oder irrational vollständig gleichgültig sein kann. In jedem Fall ist was wir meinen mit freiem Willen, daß ein Handelnder "Eigentümer" seines Willens unabhängig von äußeren oder inneren Einflüssen ist.

Die Wissenschaft vom freien Willen

Im Verlauf der Geschichte der Naturwissenschaften wurden viele Versuche gemacht, die Frage des freien Willens unter Verwendung naturwissenschaftlicher Prinzipien zu beantworten. Frühe wissenschaftliche Vorstellungen sahen die Welt oft als deterministisch an, und es gab die Auffassung, daß bei genügend genauer Information die Zukunft beliebig genau vorhergesagt werden kann. Einige Interpretationen der Quantenmechanik lassen dagegen vermuten, daß die Welt indeterministisch in einem fundamentalen Sinne ist.

Ähnich wie Physiker haben auch Biologen häufig versucht, die Frage des freien Willens zu erhellen. Eine der hitzigsten Debatten der Biologie ist die Frage Natur vs. Prägung. Wie wichtig sind Genetik und biologische Grundlagen für das menschliche Verhalten im Gegensatz zu Prägung durch Kultur und Umgebung? Genetische Studien haben viele spezifische genetische Faktoren identifiziert, die die Persönlichkeit eines Individuums beeinflussen, von offensichtlichen Fällen wie dem Down-Syndrom bis hin zu eher subtilen Effekten wie der statistischen Disposition für Schizophrenie. Dennoch ist nicht sicher, ob die Prägung durch die Umgebund weniger Einfluss auf den freien Willen hat wie die genetische Determinierung.

Es wurde in den letzten Jahren auch möglich, das lebende Gehirn zu untersuchen, und es gibt verschiedene Methoden, den Prozeß der Entscheidungsbildung zu beobachten, den man gemeinhin mit dem freien Willen identifiziert.

Ein richtungsweisendes Experiment auf diesem Gebiet wurde von Benjamin Libet in den 1980er Jahren durchgeführt. Die Probanden wurden gebeten, zu einem beliebigen Moment das Handgelenk zu bewegen, während gleichzeitig die Gehirnaktivitäten aufgezeichnet wurden.

Libet fand heraus, daß die Gehirnaktivität, die dazu führte, daß die Person ihr Handgelenk bewegt, etwa eine halbe Sekunde vor dem Moment einsetzte, in dem die Person sich bewußt dazu entschloß, was darauf hinweist, daß die Entscheidung in Wirklichkeit auf einer unbewußten Ebene stattfindet und erst später in eine "bewußte Entscheidung" übersetzt wird. Ein damit zusammenhängendes Experiment wurde später von Alvaro Pascual-Leone durchgeführt, bei dem die Probanden gebeten wurden, zufällig die rechte oder die linke Hand zu bewegen. Er fand heraus, daß durch die Stimulation der verschiedenen Hirnhälften mittels magnetischer Felder die Wahl der Person stark beeinflusst werden konnte.

Normalerweise wählen Rechtshänder die rechte Hand in ca. 60% aller Fälle. Wurde jedoch die rechte Hirnhälfte stimuliert, wurde die linke Hand in 80% aller Fälle ausgewählt (die rechte Hemisphäre des Hirns ist im wesentlichen für die linke Körperhälfte zuständig und umgekehrt). Trotz dieses nachweislichen Einflusses von außen berichteten die Probanden weiterhin, daß sie der Überzeugung waren, die Wahl frei getroffen zu haben.

Weitere Themen

Die theologische Lehre von der göttlichen Vorherbestimmung wird oft in Widerspruch zur menschlichen Freiheit gesehen.

Denn wie kann meine Wahl frei sein, wenn Gott genau weiß, was geschehen wird, bis zur letzten Entscheidung, die man trifft?

Gottes schon-wahres oder zeitlos-wahres Wissen über unsere Entscheidungen scheint unserer Freiheit einzuschränken. Dieses Problem hängt mit dem aristotelischen Problem der Seeschlacht zusammen: Morgen wird eine Seeschlacht sein oder sie wird nicht sein. Wenn morgen eine gewesen sein wird, dann war es in der Vergangenheit wahr, daß eine sein wird. Wenn morgen keine gewesen sein wird, dann war es nach ähnlicher Schlußfolgerung notwendig, daß keine sein wird.

Das heißt, daß die Zukunft vollständig bestimmt ist durch vergangene Wahrheiten -- wahre Aussagen über die Zukunft.

In der christlichen Theologie wird Gott nicht nur als allwissend, sondern auch als allmächtig beschrieben. Dies könnte implizieren, daß Gott nicht nur stets weiß, welche Entscheidungen man morgen treffen wird, sondern auch, daß er auswählte, was man wählen wird.

Daß heißt aufgrund seines Vorherwissens weiß er, welche Faktoren meine Entscheidungen beeinflussen werden, und aufgrund seiner Allmacht steuert er diese Faktoren.

Dies ist insbesondere wichtig für die Lehre von der Erlösung.

Die meisten Christen vermeiden den Schluß, daß Gott vorherbestimmt, wer erlöst und wer verdammt wird, die Calvinisten jedoch sehen es genau so.

Manche Philosophen sind der Meinung, daß der freie Wille mit der Seele zusammenfällt, und daß (jedenfalls manche) Tiere keinen freien Willen haben.

siehe auch

auf englisch: