Bürokratieabbau
Bürokratieabbau ist ein politisches Schlagwort, das eingesetzt wird, um die tatsächliche oder vermutete Bevormundung von Bürgern und Wirtschafts-Unternehmen durch Bürokratie zu beenden. Die englische Entsprechung lautet cutting red tape.
Problematik
Der Begriff Bürokratieabbau unterstellt, dass Menschen in ihrer Initiative durch Gesetze und weitere Vorschriften so eingeengt seien, dass sie ihre Freiheit nicht nutzen könnten. Bürokratieabbau zielt daher vordergründig auf die Streichung von regulierenden staatlichen Vorschriften. Der Begriff schließt aber auch Kritik an der Anwendung dieser Vorschriften durch Beamte und Angestellte in den öffentlichen Verwaltungen ein. Diese müssen einerseits bestehende Gesetze aufgrund ihrer Dienstpflichten anwenden, werden aber gerade wegen dieser Anwendung kritisiert.
Die Parole "Bürokratieabbau" beinhaltet ein oft nicht näher definiertes Programm zur Beseitigung dieser Hindernisse. Häufige Forderungen in diesem Zusammenhang sind die zeitliche Befristung von Verordnungen und Erlassen oder zumindest deren regelmäßige Überprüfung. Außerdem wird häufig davon gesprochen, Bearbeitungsfristen von Anträgen eng zu begrenzen.
Regierungen versuchen Bürokratieabbau durch Bildung von Kommissionen zu erreichen. Diese Kommissionen sollen staatliche Regelungen auf deren Berechtigung überprüfen und Vorschläge zur sinnvollen Streichung von Regelungen erarbeiten. Oppositionsparteien fordern radikaler als Regierungsparteien den Bürokratieabbau. Dies fällt ihnen umso leichter, als sie vorläufig keine konkreten Maßnahmen ergreifen können.
Finanzielle Aspekte thematisierte im Mai 2005 Angela Merkel. Sie kündigte an, im Falle der Regierungsübernahme sich vor allem auf Dinge zu konzentrieren, die "kein Geld kosten" würden. Unter anderem nannte sie in diesem Zusammenhang den Bürokratieabbau. Dabei stellt sich die Frage, ob die Abschaffung von staatlichen Vorschriften und die Verkürzung von Bearbeitungszeiten ohne - zumindest kurzfristig - höhere Personalkosten zu erreichen sind.
Geschichte des Bürokratieabbaus in Deutschland
Einen wesentlichen Anstoß erhielt die Debatte um den Bürokratieabbau durch die Berliner Rede des damaligen Bundespräsidenten Roman Herzog 1997, der die "Regulierungswut" in Deutschland anprangerte.
Das Programm Agenda 2010 der Bundesregierung beinhaltet die Entlastung von Mittelstand und Wirtschaft durch den "Abbau bürokratischer Hemmnisse". Im Jahr 2003 rief die Bundesregierung das Projekt Innovationsregionen für Wirtschaftswachstum und Beschäftigung durch Deregulierung und Entbürokratisierung ins Leben. In ausgewählten Regionen sollten Vorschläge zum Bürokratieabbau gesammelt werden. Daraufhin wurde das "Regierungsprojekt Bürokratieabbau" entwickelt. In diesem Zusammenhang wurde ein Gesetz zur Umsetzung von Vorschlägen zu Bürokratieabbau und Deregulierung aus den Regionen in den Gesetzgebungsprozess eingebracht. Nach einer Behandlung im Vermittlungsausschuss wurde dieses Gesetz am 12. Mai 2005 vom Bundestag und am 27. Mai 2005 vom Bundesrat angenommen. Nach diesem Gesetz können nun Jugendliche unter bestimmten Bedingungen schon ab 5 Uhr und bis 23 Uhr arbeiten. Hotelbetriebe müssen die Zimmerbelegung nicht mehr nachweisen.
Zum "Regierungsprojekt Bürokratieabbau" gehört auch - laut Wirtschaftsminister Clement - die Einführung einer Jobcard zum 1. Januar 2007, mit welcher der "Datenaustausch zwischen Arbeitgebern, Beschäftigten und Behörden erleichtert werden" soll.
Das Ministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend legte am 13. Juli 2005 10 Eckpunkte zur Entbürokratisierung im Heimrecht vor. Diese waren zuvor von einem Runden Tisch, der mit Pflegexperten besetzt war, erarbeitet worden und sehen unter anderem vor, dass Dokumentationspflichten in der Altenpflege entfallen sollen. Dadurch soll das "Entstehen neuer Wohn- und Betreuungsformen" gefördert werden.
Baden-Württemberg
In Baden-Württemberg wurde am 20. April 2004 Rudolf Böhmler von der Landesregierung als unabhängiger Landesbeauftragter für Bürokratieabbau, Deregulierung und Aufgabenabbau (Ombudsmann) eingesetzt. Dieser sammelt Vorschläge und bereitet sie für das Kabinett zur Beschlussvorlage auf.
Bayern
Am 6. Dezember 2002 nahm eine von der Staatsregierung eingesetzte Expertenkommission unter der Leitung von Herbert Henzler ihre Arbeit auf. Die Henzler-Kommission erarbeitete bis zum 7. Juli 2003 Vorschläge zur Deregulierung, die laut Staatsminister Erwin Huber bis März 2005 zu einem großen Teil umgesetzt wurden.
Brandenburg
Die Landesregierung Brandenburgs plant ein "Bürokratieabbau-Gesetz" für den Herbst 2005. Außerdem wurde am 15. Juni 2005 ein Parlamentarischer Sonderausschuss des Landtags zum Bürokratieabbau eingerichtet; dieser soll im Laufe eines Jahres Vorschläge zur Vereinfachung von Standards machen.
Nordrhein-Westfalen
Am 16. März 2004 wurde vom Landtag das Gesetz zum Bürokratieabbau in der Modellregion Ostwestfalen-Lippe beschlossen. In einer dreijährigen Testphase sollen hier Vorschläge zum Bürokratieabbau entwickelt und probeweise angewendet werden. Reformen, die sich in der Modellregion bewährt haben, sollen dann in ganz Nordrhein-Westfalen eingeführt werden.
Schleswig-Holstein
Am 25. Mai 2005 kündigte Ministerpräsident Carstensen an, in Schleswig-Holstein fünf Landesämter (u.a. Umweltämter) aufzulösen. In diesem Zusammenhang wurde Klaus Schlie zum Staatssekretär für Verwaltungsmodernisierung und Entbürokratisierung ernannt. Im Jahr 2004 erarbeiteten Brigitte Fronzek (SPD) und Ole Schröder (CDU) in parteiübergreifender Zusammenarbeit Vorschläge zum Bürokratieabbau. Am 12. Juli 2005 forderten beide die Einrichtung einer Beschwerdestelle ("Task Force"), die Klagen aus der Bevölkerung aufnehmen und konkrete Vorschläge vorlegen soll.
Geschichte des Bürokratieabbaus in Europa
Die EU-Kommission hat im Sommer 2005 eine Online-Umfrage für Unternehmen begonnen, bei der bis zum Ende des Jahres Vorschläge zur Beseitigung von einengenden Vorschriften gemacht werden können. Am 22. Juli 2005 kündigte EU-Industriekommissar Günter Verheugen an, er wolle eine Vielzahl von bürokratischen Vorschriften beseitigen. Betroffen hiervon seien vor allem die Bereiche Autoindustrie, Bau- und die Abfallwirtschaft. Bei neuen Gesetzen auf europäischer Ebene soll eine "wirtschaftliche Folgenabschätzung" durchgeführt werden. Gesetzesvorhaben, die diese Prüfung nicht bestehen, sollen nicht in Kraft treten.
Positionen von Parteien
SPD
Die SPD setzt sich einerseits für Bürokratieabbau ein, wendet sich andererseits aber dagegen, unter diesem Stichwort nur den Abbau von Arbeitsschutzbestimmungen zu betreiben. In diesem Zusammenhang warnte die SPD-Wirtschaftsexpertin Hildegard Kronawitter (Mitglied des Landtags von Bayern) 2004 davor Bürokratieabbau mit Sozialabbau zu verwechseln.
Im Wahlmanifest vom 4. Juli 2005 plant die SPD das Bundesprogramm "Innovationsregionen" fortzuführen. Das "zersplitterte und unübersichtliche Umweltrecht" soll in einem "Umweltgesetzbuch" zusammengefasst werden.
Bündnis90/Die Grünen
Die Grünen sehen ebenfalls die Notwendigkeit des Bürokratieabbaus und werten diesen als einen Reformschwerpunkt. Bürokratieabbau dürfe aber kein Selbstzweck sein. Durch Bürokratieabbau dürften nicht Bürgerrechte, der Umwelt- und der Verbraucherschutz gefährdet werden. Im Wahlprogramm für die Bundestagswahl 2005 fordern die Grünen Bürokratieabbau in der Verwaltung durch effektiven Einsatz des Internets.
CDU/CSU
CDU und CSU haben das Motto ausgegeben: "Freiheit wagen - Bürokratie abbauen". Die beiden Parteien glauben Deutschland "ersticke" an "zu viel Staat". Dagegen setzen sie das Subsidiaritätsprinzip und "private Selbstverantwortung". Um diese Ziele zu erreichen hat die CDU/CSU-Bundestagsfraktion eine Arbeitsgruppe Bürokratieabbau eingerichtet, deren Vorsitzender Michael Fuchs ist.
Im Regierungsprogramm 2005-2009 vom 11. Juli 2005 plant die CDU die "Freistellung von Statistikpflichten" und die "Entlastung von Buchführungspflichten". Außerdem sollen sämtliche Angebote des Bundes unter dem Stichwort "E-Government" bis 2009 über das Internet erreichbar sein.
FDP
Die FDP tritt uneingeschränkt für einen "Bürokratieabbau auf allen Ebenen" ein. Dies entspricht ihrer liberalen Ausrichtung, die staatlichen Regulierungen grundsätzlich misstraut. Am 14. Juli 2005 legte die FDP einen Zehn-Punkte-Plan der FDP für den Aufbau Ost vor, in dem sie "die Schaffung von Sonderwirtschaftszonen für Deregulierung und Bürokratieabbau" fordert. Bundesrechtliche Regelungen in den Bereichen "Bau-, Tarif- und Arbeitsrecht" sollen in diesen Zonen außer Kraft gesetzt werden können. In ihrem "Deutschlandprogramm 2005" vom 25. Juli 2005 fordert die FDP alle staatlichen Sozialleistungen zu einem "Bürgergeld" zusammenzufassen und von den Finanzämtern auszahlen zu lassen.
Die Linkspartei.
Die Linkspartei. erwähnt bisher in ihrer bundespolitischen Programmatik den Begriff nicht. Auch in ihrem Wahlprogramm vom 17. Juli 2005 wird der Bürokratieabbau nicht thematisiert. Auf kommunaler oder Länderebene bezieht sie sehr unterschiedlich Stellung. Das Spektrum reicht hier von der Forderung nach Bürokratieabbau bis zur völligen Ablehnung.
Positionen von Verbänden
dbb
Der Deutsche Beamtenbund hat am 5. Juli 2005 das dbb Forum Bürokratieabbau ins Leben gerufen. Dieses soll Vorschläge zur Deregulierung der öffentlichen Verwaltung erarbeiten.
BUND
Angelika Zahrnt vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland kritisierte am 18. Juli 2005 die Haltung von CDU/CSU und FDP, die "unter dem Schlagwort 'Bürokratieabbau' den Schutz der Natur und der Gesundheit der Menschen einschränken wollen".