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Dissoziative Identitätsstörung

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Eine kritische Auseinandersetzung mit der Diagnose, wie sie der englische Artikel vormacht, fehlt.


Die Dissoziative Identitätsstörung, die von der WHO nach wie vor Multiple Persönlichkeitsstörung genannt wird, ist eine dissoziative Störung, bei der die Identität betroffen ist. Sie ist die schwester Form der Dissoziation und bezeichnet sie die Fähigkeit bzw. Veranlagung, mehrere (Teil-)Persönlichkeiten auszubilden, die alternierend ausgelebt werden. Dabei ist es möglich, dass diese Persönlichkeiten alternierend, d.h. abwechselnd, auftreten und dabei jeweils ein Bewusstsein der Existenz der anderen Persönlichkeiten haben, wie auch, dass sie fragmentiert, also völlig voneinander abgetrennt auftreten. Man beachte hier den früher oft irrtümlich hergestellten Zusammenhang zur Schizophrenie.

Geschichte

Die Namensänderung von "Multipler Persönlichkeitsstörung" in "Dissoziative Identitätsstörung" geht auf Psychiater zurück, die die Betonung der Persönlichkeiten als fixe Idee ansahen und eher den Zerfall der Persönlichkeit annehmen als eine Dissoziation (Hacking 2001, Temminghoff 1999). Dies hatte zur Folge, daß sich die Diagnosekriterien veränderten. Es geht nun nicht mehr um die Existenz sondern um die Präsenz von Persönlichkeiten oder Persönlichkeitszuständen. Die Diskussion darüber ist noch nicht abgeschlossen.

Ursachen

Die Störung, die seit 1980 international anerkannt ist, wird auf (frühe) schwere Traumatisierungen zurückgeführt, darunter länger andauernde wie Misshandlungen und Vernachlässigung sowie im besonderen Sexueller Missbrauch, oder extreme Erlebnisse mit Verletzten und Toten (z.B. Krieg), besonders wenn die Eltern oder Geschwister ermordet wurden.

Studien an Patienten mit Dissoziativer Identitätsstörung (Egle/Hoffmann/Joraschky S. 234) ergaben Raten von sexuellem Missbrauch in der Vorgeschichte zwischen 75% und 94%; Misshandlungen liegen in der gleichen Größenordnung (oftmals in Kombination mit sexuellem Missbrauch).

Die Fähigkeit zur Dissoziation ist im Grunde im jedem vorhanden. Gerade Kinder sind jedoch in Todesgefahr oftmals gezwungen, diese Fähigkeit auszubauen und (insbesondere bei ständig sich wiederholender Gewalt) zu verfestigen, um zu überleben.

Nach psychologischen Theorien handelt sich also um ein effektives Abwehrsystem zum Zwecke des Überlebens. Auf psychischer Ebene werden hierfür unterschiedliche "Personen" erschaffen, die sich an widersprüchliche und miteinander unvereinbare (für Kinder oft auch unverständliche) Umwelt- und Überlebensbedingungen besser anpassen, um dort ihre jeweiligen teilweise konträren Aufgaben besser erfüllen zu können und ein Funktionieren trotz schwerster Belastungen zu ermöglichen. Im Erwachsenenleben ändern sich zwar die Ansprüche der Umwelt, doch das System ist immer noch "scharf" und kann durch sogenannte "Trigger" wieder aktiviert werden, so daß es zu weiteren Auffälligkeiten kommen kann. Häufig finden sich Teilpersönlichkeiten mit unterschiedlichen Aufgaben, z. B. Schutzpersonen, Kontrollpersonen, Personen die die täglich anfallenden Routine erledigen.

Dissoziationen können einerseits lediglich internalisiert stattfinden, d.h. die Umwelt erfährt nichts von den Vorgängen in der Psyche der dissoziativen Persönlichkeit. Zumeist treten sie in solchen Fällen in der Form der Entrückung, des Phantasierens und der Trance auf. Auch in Dämmerzuständen findet Dissoziation statt, ohne dass sie externalisiert, also nach außen getragen, wird. Externalisierte Dissoziationen treten durch das aktive Interagieren der abgespaltenen Teil-Persönlichkeit mit ihrer Umwelt auf. Die Persönlichkeit hat dann eine andere Identität, andere Vorlieben, die denen der Ursprungs-Persönlichkeit meist konträr gegenüberstehen. Die dissoziierte Persönlichkeit kann meist Dinge ausleben, die die Ursprungs-Persönlichkeit tabuisiert oder verdrängt hat. Dementsprechend ist sie oft auch in Herkunft, Alter, Geschlecht, sexueller Orientierung und Intro- bzw. Extraversion das genaue Gegenteil der ursprünglichen Persönlichkeit. Durch die Dissoziation wird das Ausleben repressiver Bedürfnisse dieser ursprünglichen Persönlichkeit ermöglicht. Während die Ursprungs-Persönlichkeit zumeist keine Wahrnehmung der Dissoziation hat, sondern einer Amnesie bezüglich dieser Zustände unterliegt, kann sich die abgespaltene sekundäre Persönlichkeit teilweise sehr wohl der anderen Persönlichkeit bewusst sein und sich auch in Äußerungen oder Handlungen auf diese beziehen. Die sekundäre Persönlichkeit kann so z.B. selbstschädigendes Verhalten, von dem dann auch die Ursprungspersönlichkeit betroffen ist, an den Tag legen; hierbei wäre die Autoaggression ein unterdrückter Wunsch der Ursprungspersönlichkeit, der durch die Aggression der sekundären Persönlichkeit ausgelebt wird.

Trauma-Forscher um van der Kolk sowie verschiedene Gehirn-Forscher haben jedoch noch weitere Mechanismen auf neurobiologischer Ebene aufgedeckt: so wird unter akuter Lebensbedrohung nicht nur die Informationsverarbeitung im Gehirn in speziellen Trauma-Modi betrieben, sondern dazu werden auch Nervenbahnen im Gehirn getrennt und verändert. Dauerhafte Trennungen und Umverdrahtungen sowie eine Schrumpfung der Amygdala-Region ist in Tierversuchen nachgewiesen worden. Es gibt starke Hinweise darauf, dass diese Mechnismen auch bei (oftmals durch Trigger ausgelösten) Flashbacks von Trauma-Opfern aktiviert werden und höchstwahrscheinlich auch bei der Entstehung von DIS eine zentrale Rolle spielen (vgl. Fiedler).

DIS wird oftmals erst nach langen Jahren der Therapie diagnostiziert, da zum einen viele Symptome auf andere Erkrankungen ebenfalls passen und zum anderen weil die Betroffenen gelernt haben z.B. typische Symptome wie "Zeitverlust" zu leugnen bzw. umzudeuten.

Die dissoziative Identitätsstörung weist eine hohe Komorbidität zu anderen psychischen Störungen auf, wie z.B. zu Depressionen, Angststörungen oder auch Persönlichkeitsstörungen wie der Borderline-Persönlichkeitsstörung oder der Schizotypen Störung. Dabei können die komorbiden Störungen wiederum auch eine Reaktion auf die belastenden und traumatischen Erlebnisse sein. Viele Betroffene leiden auch unter einer Posttraumatischen Belastungsstörung (nach einer Studie von Boon und Draijer 1993 etwa 80%).

Vor allem das Konzept der unterdrückten Erinnerungen bei der dissoziativen Identitätsstörung wird als pseudowissenschaftlich angezweifelt (siehe False-Memory-Syndrom). Zu den schärfsten Kritikern gehört die False-Memory-Syndrom-Foundation. Dies ist eine ursprünglich amerikanische Organisation, die 1992 von den Eltern einer Frau gegründet wurde, die in der Therapie herausfand, dass sie als kleines Mädchen missbraucht wurde. Einige der (Gründungs-)Mitglieder der False-Memory-Foundation sind verurteilte Sexualstraftäter.

In den USA mehren sich die Klagen gegen die Therapeuten, da einige der Multiplen Persönlichkeiten erst während der Therapie entdeckt wurden und vom Therapeuten unter Hypnose dem Patienten eingeredet worden sein sollen. Nach dem Absetzen der Therapie und der Medikamente verbessert sich der Zustand der Patienten im Allgemeinen (anm. von Ida: was zum großen Teil durch Autosuggestion erklärbar ist) und die "Multiplen Persönlichkeiten" verblassen bis sie gänzlich verschwunden sind.

Andererseits läßt sich DIS durch objektive Methoden durchaus nachweisen:

In einer niederländischen Studie hat sich gezeigt, dass sich die DIS auch im Gehirn der Betroffenen durch bildgebende Verfahren sichtbar machen lässt, da die einzelnen Persönlichkeiten offenbar jeweils eigene Nervenbahnen benutzen.

Diagnostische Kriterien

Verschiedene Verfahren zur Diagnose der multiplen Persönlichkeitsstörung werden nach wie vor diskutiert: es existieren zwei verschiedene Verfahren, in denen signifikante gedoppelte oder vervielfachte Hirnstromkurven nachgewiesen werden;

  • ein psychopharmakologisches Verfahren weist nach Verabreichung von Sodium amobarbital einen tranceähnlichen Zustand, in dem unterschiedliche Persönlichkeiten auftreten, auf;
  • klinische Hypnose kann den Zugang zu den verschiedenen Persönlichkeiten ohne chemische oder physikalische Hilfsmittel ermöglichen, ist aber wegen der dabei möglichen Beeinflussung äußerst umstritten.

Die Diagnose ist ihren Verfahren entsprechend vage. Oft wurden multiple Persönlichkeiten vorher diagnostiziert als Personen mit Borderline-Syndrom, Depression, Neurose oder Schizophrenie. Dies ist aber meist der Unkenntnis der Behandler zuzuordnen.

Therapie

Viele Betroffene begeben sich in Therapie, weil sie unter Angst, psychosomatischen Beschwerden (Kopfschmerzen, Bauchschmerzen, Krämpfen, Störungen des Essverhaltens oder der Verdauung) leiden, weil ihnen die Merkwürdigkeiten unerklärbar bleiben, weil sie von "Flashbacks" (Bilder aus der Vergangenheit, die blitzartig erscheinen und wieder verschwinden können) oder Stimmen, die sie in ihrem Inneren hören, begleitet sind. Viele verletzen sich immer wieder selbst, oder versuchen gar, das ganze System (die "Gruppe" der Persönlichkeiten") zu vernichten oder einzelne zu "bestrafen".

Die meisten fürchten, für "verrückt" gehalten zu werden, und so dauert es oft, bis der Alltag nicht mehr bewältigt werden kann, sich dem Problem zu stellen, den Ursachen auf den Grund zu gehen, ein klein wenig von dem zu offenbaren, was sie quält.

Für viele beginnt damit der "Marathon" von Therapeut zu Therapeut, von Klinikaufenthalt zu Klinikaufenthalt, von Diagnose zu Diagnose. Mancher wird für schizophren gehalten und entsprechend medikamentös ohne Erfolg behandelt, notfalls, als Borderliner eingestuft oder als therapieresistent entlassen.

Wer Glück hat, findet einen der wenigen Therapeuten, der in der Lage ist, DIS / MPS zu erkennen, der bereit und offen ist, den mühevollen, schmerzhaften Weg des Betroffenen zu begleiten, seine Persönlichkeiten anzunehmen und mit den einzelnen zu arbeiten. Zunehmend wird von Therapeutinnen, die in diesem Bereich arbeiten, beschrieben, dass hochfunktionalisierte Persönlichkeitsanteile innerhalb eines durchstrukturierten Systems von Persönlichkeiten existieren. Für diesen Bereich existiert ein Modell, das eine Entstehung durch eine gezielte Manipulation und Programmierung im Rahmen ideologischer Kultsysteme beschreibt.

Bei einer Therapie gilt es, möglichst alle einzelnen Persönlichkeiten zu erkennen und entsprechend zu behandeln. Im Gegensatz zu englischen Methoden, die als Behandlungsansatz die Zerstörung der einzelnen Persönlichkeiten haben, haben sich in Amerika, den Niederlanden und zunehmend auch in Deutschland Methoden zur Kontrolle und Kooperation der Persönlichkeiten als erfolgreich erwiesen. Im Idealfall ist eine Verschmelzung der Persönlichkeiten anzustreben, dies gelingt jedoch nur selten. Zunächst muss in einer oft jahrelangen Therapie eine genügende Stabilisierung erreicht werden. Dann kann in einer Auseinandersetzung mit dem Trauma eine Traumasynthese angestrebt werden, an die sich in einem letzten Therapieschritt Re-Integration der einzelnen Anteile und Neuorientierung des Betroffenen anschließen können.

Die am meisten angewandte Methode bei der Behandlung dissoziativer Patienten ist eine Gesprächstherapie, bei der durch Aufarbeitung der Traumata eine signifikante Verbesserung der Lebensqualität der Betroffenen erreicht werden kann. Sehr bewährt haben sich auch Verfahren wie z.B. das katathyme Bilderleben, die EMDR-Technik oder die Bildschirmtechnik bei der Aufarbeitung der nicht mehr erinnerbaren Traumata.

Literatur

  • Putnam, Frank W.: Diagnose und Behandlung der Dissoziativen Identitätsstörung., Junfermann Verlag 2003.
  • Fiedler: Dissoziative Störungen und Konversion. Trauma und Traumabehandlung. Betz Verlag, 2. Auflage 2001.
  • Bessel A. van der Kolk, Alexander C. McFarlane, Lars Weisaetz (Hrsg.): Traumatic Stress. Gundlagen und Behandlungsansätze. Junfermann Verlag 2000.
  • Huber, Michaela: Multiple Persönlichkeiten-Überlebende extremer Gewalt, 1995, Fischer
  • Hacking, I.: Multiple Persönlichkeit, 2001, Fischer
  • Eckhardt-Henn, A. und Hoffmann, S.O.; Dissoziative Störungen. In: Egle, Hoffmann, Joraschky. Sexueller Mißbrauch, Misshandlung und Vernachlässigung, 2. Auflage, Schattauer-Verlag 2000.