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Aufklärung

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Daniel Chodowiecki 1791: Im Moment der Aufklärung, zu dem die Göttin der Erkenntnis, Minerva, das Licht spendet, finden die Religionen der Welt zusammen.

Aufklärung steht im alltäglichen Sprachebrauch für das Angebot, mit neuem Wissen Unklarheiten zu beseitigen, Fragen zu beantworten, Irrtümer zu beheben.[1] Der Begriff steht mit derselben Bedeutung seit dem 18. Jahrhundert in Europa und Nordamerika für epochale Bestrebungen, überkommenes Wissen kritisch zu befragen und neue Antworten primär auf Vernunftargumente zu gründen. Der Kampf gegen glaubensbedingte Vorurteile gehören zum Programm der Aufklärung wie die Ausrichtung der Gesellschaften auf die Wissenschaften, insbesondere die Naturwissenschaften. Eine Reihe von Themen sind mit der historischen Diskussionen eng verbunden: die Naturrechtstheorie, der Deismus als philosophische Position, die Gewährung allgemeiner Menschenrechte in modernen Staatsverfassungen.

Ein spezifischer Zukunftsoptimismus bestimmte die Aufklärung Mitte des 18. Jahrhunderts und wurde geleichzeitig hier erstmals kritisiert. Die wesentlichen Konflikte des menschlichen Zusammenlebens sollten sich durch fortschreitende Aufklärung der Bevölkerung friedlich lösen. Ein besonderes Vertrauen wurde dabei der Macht der kritischen Öffentlichkeit entgegengebracht.

Die heutige Aufklärungsdiskussion setzte in den letzten beiden Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts ein. Im Rückblickend geht es seitdem um die historische Definition des Projekts wie um die Frage, welche Bedeutung Diskussionen des 17. und 18. Jahrhunderts für die Gegenwart haben sollen. Eine eigene Aufklärungsdebatte wird in diesem Sinne momentan etwa im islamischen Kulturraum im Blick auf historische Prozesse geführt die hier nicht wie im westlichen Kulturraum stattfanden.

Zum Begriff und seiner Verwendung

Begriffsherkunft

Der Begriff Aufklärung (englisch Enlightenment, niederländisch Verlichting, französisch les Lumières, russisch Prosvescenie, im Judentum Haskala) ist eng verbunden mit der frühmodernen Diskussion des Mittelalters als einer Epoche der Dunkelheit, des finsteren Aberglaubens und der Rückständigkeit gegenüber der Antike. Die Neuzeit setze der Dunkelheit des Mittelalters das Licht der Erkenntnis entgegen. Die Lichtmetaphorik selbst kann dabei von der Antike bezogen werden: Vom Licht der Erkenntnis wurde in der griechischen Philosophie, in der spätantiken Gnostik wie in der Bibel gesprochen. Eine eigene Emblematik machte im 17. Jahrhundert den Gedanken einer Aufklärung populär. Der Begriff ist gleichzeitig eng verbunden mit dem Streben nach Klarheit der Begriffe (Clare et distincte) als Maßstab der Wahrheit – etwa bei Descartes, Leibniz und Johann Heinrich Lambert.

Die These eines Zeitalters der Aufklärung bildet sich erst im 18. Jahrhundert klarer heraus. Die französische Bezeichnung Siècle des Lumières („Jahrhundert der Lichter“) kommt erstmals 1733 bei Jean-Baptiste Dubos vor. Jean-Jacques Rousseau sowie 1751 Jean-Baptiste le Rond d’Alembert[2] greifen sie auf. Die Vertreter dieser neuen Denkweise wurden Les Lumières genannt.

Der im Englischen heute geläufige Terminus Enlightenment wird seit Mitte des 19. Jahrhunderts als Epochenbegriff verwendet. Man suchte damit ein Äquivalent für die deutsche und französische Epochensetzung.[3] Der moderne Epochenbegriff setzte sich im Englischen im 20. Jahrhundert durch.[4] Das Verb „to enlighten“ und das Partizip „enlightened“ waren dagegen fest im Vokabular des 17. und 18. Jahrhunderts verankert, mit den Bedeutungen „Verständnis schaffen“ und „aufgeklärt“ im Sinne von „über eine Sache erhellend informiert“. Der deutsche Ausdruck Aufklärung wird in den 1770er Jahren gebräuchlicher. Immanuel Kants berühmte Definition in Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? folgt im Dezember 1784 einer Ausschreibung, mit der die Herausgeber der Berliner Monatsschrift zur Klärung eines Begriffs aufrufen. Auch hier geht der Epochenbegriff aus einem unauffälligen Sprechen von „aufklären“ im Sinne von sich „über einen Sachverhalt Klarheit verschaffen“ hervor.

Der Begriff fand im Verlauf Ausdehnungen, so spricht man Im historischen Rückblick seit dem 19. Jahrhundert auch die Zeit der Sophistik im antiken Griechenland als einer „ersten“ Aufklärung, wobei man sich einerseits auf das methodisch-kritische Fragen des platonischen Sokrates und seine Gegenwehr gegen allen sophistischen Schein bezieht und andererseits auf sophistische Denker wie Protagoras.

Epochenbildung

Die Aufklärungsdiskussion des mittleren und späten 18. Jahrhunderts nahm Vorgängerdebatten auf und veränderte sie: Deutlich setzt sie Diskussionen des Renaissance-Humanismus und der Reformation fort – die zwei zentralen Diskussionen, die zwischen 1480 und 1550 das Mittelalter als Gegenepoche formulierten und eine Neuausrichtung der Gegenwart forderten.

Zwischen 1680 und 1720 etablierte sich demgegenüber eine neue Epochendiskussion mit der Querelle des Anciens et des Modernes, dem Streit der „Alten und der Neuen“. Hatte man mit dem Humanismus und der Renaissance noch gefordert, die Antike wiederzubeleben und damit aus dem Mittelalter herauszukommen, so lautete die neue Frage in den 1680ern und 1690ern, ob die Moderne nicht eine ganz eigene Kultur hervorbrachte – eine Zivilisation, die am Ende der Antike genauso wie dem Mittelalter überlegen war.

Die Diskussion der Aufklärung geht in den 1730ern und 1740ern von immer noch zu bekämpfenden mittelalterlichen und scholastischen Gegenströmungen aus. Sie setzt dabei gezielt Kontroversen der Reformation der Gesellschaften fort. Sie übernimmt jedoch gleichzeitig aus der „Querelle des Anciens et des Modernes“ die Frage nach der gänzlich neuen Epoche, die mit allen vorigen Epochen bricht, und sich am Ende grundlegend von Autoritäten löst. Neu ist dabei die Vernunft als unhistorischer Zielpunkt. Neue Themen wie das einer grundsätzlich bürgerlichen Zivilisation kommen hinzu.

Die Debatte eines Zeitalters der Aufklärung eröffnet in den 1740ern und 1750ern. Die Kontroverse, wie die Epoche zu verstehen sei, beginnt in den 1780ern und 1790ern in Rückblicken. Eine geschlossene Theorie der Aufklärung kommt darum nicht zustande – eher eine Aufklärungsdiskussion zwischen Gruppen, die das Wort für sich reklamieren, sich von ihm distanzieren, oder einander das Recht absprechen, in der Tradition der Aufklärung zu stehen. Grundgedanken wie der der Gleichheit und Brüderlichkeit aller Menschen, wie sie in die in den späten 1770ern in die Formulierung der US-Amerikanischen Verfassung einflossen, wurden von einzelnen Autoren der Aufklärung wie Burke, Mendelssohn kritisch betrachtet.[5] Debatten der 1680er unterscheiden sich zudem erheblich von solchen der 1780er. Hier bestand im historischen Verlauf der Debatte wie in ihren Parteiungen keine epochale Einheit.

Die historischen Eckdaten werden in den verschiedenen Fachdiskussionen unterschiedlich gesetzt. Ein relativ enger Begriff besteht in der Germanistik, die Gottsched und Lessing als die zentralen Vertreter der Epoche annimmt und diese vom Barock und dem 17. Jahrhundert absetzt. Forscher wie Werner Krauss stellten der Hauptphase eine Frühaufklärung voran, die in das 17. Jahrhundert zurückreicht, und setzten eine Spätaufklärung vor das 19. Jahrhundert.

In der breiteren internationalen Forschung setzte sich demgegenüber ein Interesse an Diskursen der Aufklärung durch – ein Interesse an der Betrachtung einzelner Debatten, die in der frühen Neuzeit, also zwischen 1500 und 1800, Gedanken der Aufklärung Raum gaben. In den letzten Jahren wurde dabei das 17. Jahrhundert (zuvor eher als Frühaufklärung abgewertet) als Phase eigener radikaler und subversiver Denkbewegungen entdeckt.[6] Der Schwerpunkt blieb dessen ungeachtet in der breiten Diskussion zwischen 1750 und 1780.

Die Definition einer „Epoche“ der Aufklärung bleibt heikel, da man mit ihr inhaltlich definierte Zeitabschnitte schafft, in denen es sodann Produktionen gibt, die entweder nichts zur Aufklärung beitrugen oder als ihre Gegenströmungen untersucht werden müssen. Wenn man die Aufklärung als vernunftorientierte Epoche setzt, wird es bezeichnend schwer, Musik, die auf die Sinne einwirken soll, der Epoche zuzurechnen. Man blendet Musik als Thema aus, um nicht erklären zu müssen, dass meisten Aufklärer tatsächlich Barockmusik für die Musik ihrer Epoche ansahen. In der Epochenforschung wurde ähnlich ergebnislos diskutiert, ob die Strömung der „Empfindsamkeit“ lediglich die emotionale Seite der Aufklärung ist, oder eine Gegenströmung – auch hier werden Begriffe erst, wenn sie als Epochenbegriffe benutzt werden, schwierig, da sie nun eine Abfolge der Entwicklungen unterstellen, und die Behauptung aufbringen, dass hier Entwicklungen aufeinander reagierten. In der Forschung werden solche Konflikte entschärft, indem man schlicht von der „frühen Neuzeit“ oder dem „18. Jahrhundert“ spricht und nachträgliche Epochensetzungen meidet.

Felder der Aufklärung

Titelverteilung nach den beiden Frankfurter und Leipziger Messkatalogen des Jahres 1700
Londons Buchangebot im Jahr 1700 nach den Angaben der Term Catalogues (die „Reprinted“ section ist hier aufgelöst, im heutigen Sinne literarische Titel sind herausgezogen, noch fehlt ihnen die einheitliche Kategorie).
Die englische Buchproduktion explodiert in den 1760ern.

Größere technologische und politische Umwälzungen erlauben es, die Frühe Neuzeit gegenüber dem Mittelalter auf der einen und dem 19. Jahrhundert auf der anderen Seite abzugrenzen: Der Buchdruck brachte ab etwa 1500 eine neue Öffentlichkeit hervor. Der Entdeckung Amerikas 1492 folgte eine Neuorganisation des europäischen Mächtegewichts in Europa. Die Reformation veränderte ab den 1520ern Europas Bündniskonstellationen und das Verhältnis des Staates zu seinen Bürgern. Auf der anderen Seite kommt mit dem 19. Jahrhundert ein neuer Staat auf, der die Säkularisation durchsetzt, moderne Bildungssysteme etabliert, eine radikale Industrialisierung vorantreibt.

Mit dem Begriff der Aufklärung geht es um die Prozesse zwischen diesen Eckpunkten unter der Theorie, dass ein grundsätzlicher Fortschritt zwischen 1500 und 1800 stattfand. Im Großen und Ganzen werden die vom Ende des Prozesses her fortschrittlich erscheinenden Positionen der Aufklärung zugeordnet. Widerstände gegen diesen Fortschritt werden anti-aufklärerischen Kräften oder unreflektierten Traditionen zugeordnet. Die Epochendefinition bringt vor allem publizistisch tätige Gruppen und Einzelne in den Blick: Wissenschaftler, Journalisten, Autoren, Regenten, die sich auf die Vernunft öffentlich gegenüber Traditionen und etablierten Institutionen beriefen. Die wesentlichen Kontroversen liegen in den Bereichen der Wissenschaften, dort wo kirchliche und weltliche Machtansprüche mit individuellen Urteilen in Konflikte gerieten, in der öffentlichen Publizistik, wo diese mit verbreiteten Urteilen in Konflikt geriet.

Eine eigene Welle aufklärerischer Aktivität verließ im Verlauf die primär wissenschaftlichen Diskussionsfelder in Bestrebungen der „Aufklärer“ Wissen in die breite Bevölkerung hineinzutragen –mittels neuer Bildungssysteme, neuer Pädagogik, mittels Büchern und Journalen, die von einer breiteren Öffentlichkeit gelesen wurden, über öffentliche Diskussionen politischer Prozesse. Der gesamte Wissenschaftsbetrieb wurde Ende des 18. Jahrhunderts noch im Blick auf die neuen Debatten umgestaltet. Am Ende der Aufklärung fiel die alte Teilung der universitären Wissenschaften nach den vier Fakultäten der Theologie der Jurisprudenz, der Medizin und des philosophischen Grundstudiums. Die zukunftsweisende Aufteilung der Wissenschaften sollte Naturwissenschaften und Technik, einen Bereich der Sozialwissenschaften und einen Bereich der Geisteswissenschaften schaffen. Die letzten beiden Bereiche werden dabei für die Debatten zuständig die in den modernen Gesellschaften öffentlich geführt werden.

Bis in das frühe 18. Jahrhundert hinein ist die Theologie das zentrale Diskussionsfeld der Aufklärung. Deutlich wird dies schon in der Buchproduktion, die hier ihren Schwerpunkt behält. Im Lauf des 18. Jahrhundert die Theologie an Rang. Die Naturwissenschaften etablieren Erkenntnisse im Gegensatz zur Bibel. Die Belletristik schafft einen neuen Bereich breiter Lektüre, in dem sich die Bevölkerung mit persönlichen Leitbildern ausstattet. Die Geschichtsschreibung wird der neue Ort gesellschaftsweiter Kontroversen um historische Verantwortung. Die Verschiebungen zeigen sich als explosives Marktwachstum auf dem Buchmarkt.

Theologie

Individuum, Staat, Kirche und religiöse Toleranz

Die frühe Neuzeit führte zwischen 1500 und 1700 zu einer Blüte neuer theologischer und politisch-theologischer Debatten mit breiter Beteiligung der Bevölkerung in den von der Reformation betroffenen Gebieten (in Osteuropa, im christliche Orthodoxen Kulturraum wurde die Aufklärung eher am Rande von Adelskreisen rezipiert). Die Konfessionen, die sich mit der Reformation voneinander abgrenzten, distanzierten sich gemeinsam von der Scholastik und ihrer Wissenschaftstradition. In Syllogismen über die Konsequenzen von Definitionen nachzudenken und über Autoritäten zu argumentieren wurden Zeichen einer mittelalterlichen Wissenschaftlichkeit. Das neue religiöse Debattengefüge notierte Traditionsbrüche, Auseinandersetzungen um die Widerbelebung der ersten wahren Religion der Christenheit. Der einzelne Glaubende wurde von diesen Debatten in Mittel-, West-, und Nordeuropa persönlich angesprochen. Europas Landkarte wurde nach 1520 konfessionell auseinander dividiert. Regenten bestimmten über den Glauben der Bevölkerung in ihren Territorien. Mit dem Ende des Dreißigjährigen Kriegs und dem Westfälischen Frieden von 1648 wurde die Frage nach dem Glauben des Einzelnen dabei eher noch brisanter. Europas Staaten gestanden einander das Recht zu, über die Religion im eigenen Territorium frei entscheiden zu dürfen. Die außenpolitische Kontroverse wurde damit zwar beigelegt, gleichzeitig aber über die Köpfe der Bürger hinweg entschieden – ohne dass ihnen eine Aussicht auf Änderung der Verhältnisse blieb. Die Frage nach dem Glauben des Einzelnen, um die es mit der Reformation ursprünglich gegangen war, verlangten nun Klärungen, mit denen Individuen in allen Territorien dauerhaft leben konnten.

Die Diskussionen gewannen staatspolitische und philosophische Dimensionen, da die verschiedenen Konfessionen unterschiedliche Modelle einer neuen Ordnung von staatlicher und geistlicher Autorität gegenüber dem Individuum verteidigten. Martin Luther und Jean Calvin hatten gemeinsam gegenüber der Römisch-katholischen Kirche auf der „Freiheit des Christenmenschen“ bestanden, sich von kirchlichen Institutionen nach persönlicher Überlegung ab- und der Bibel und Gott als den letzten Autoritäten zuzuwenden. Die Reformation dividierte sich im selben Moment auseinander in den orthodoxen Protestantismus Luthers, und die Reformierte Religion Calvins. Luther plädierte für staatliche Bündnisse und den Aufbau von Landeskirchen. Die calvinistisch reformierten Strömungen kritisierten dagegen den Aufbau kirchlicher Hierarchien: Priester und Bischöfe würden letztlich vor Gott auf einer Stufe neben jedem Gläubigen stehen. Gott konnte dem Einzelnen an Kirchen vorbei Kontakt aufnehmen. Hausgemeinden und charismatische Bewegungen entstanden an allen Orten, an denen die Reformation um sich griff. In den lutherischen Gebieten entstanden sie in Konkurrenz zu den neuen kirchlichen Strukturen und in Distanz gegenüber der weltlichen Macht.

Die Extrempositionen der Debatte im 17. Jahrhundert zwischen den Modellen der calvinistisch reformierten Niederlanden, Frankreichs als modernem katholischen Flächenstaat und Englands ausgefochten als Land das die lutherische Reformation mit dem Aufbau einer Landeskirche durchführte, bei der der König selbst Kirchenoberhaupt wurde.

In Frankreich, zunehmend absolutistisch organisiert, setzten Verfolgungen der dortigen reformierten Protestanten noch im 16. Jahrhundert ein, 1685 kulminierten sie in der Aufhebung des Toleranz-Edikts von Nantes, der die Massenauswanderung der französischen Hugenotten folgte. Die Niederlande hatten sich calvinistisch orientiert und, republikanisch verfasst, dagegen zum Ort freiere Orientierung ihrer Bürger entwickelt. Sie gerieten zu Beginn des 17. Jahrhunderts mit der Dordrechter Synode und ihren Entscheidungen von 1618/19 in eine Zerreißrobe über die Frage der weiteren Teilungen unter den reformierten Protestanten. Der Aufbau der anglikanischen Kirche, deren erstes Oberhaupt König wurde, führte in England 1641/42 zur ersten Revolution, in der ein Parlament den Regenten hinrichten ließ – und zu der Auswanderungsbewegung, der die Gründung der Vereinigten Staaten von Amerika im 18. Jahrhundert folgte. Frankreich beschritt den Weg in den Absolutismus, die Niederlande liberalisierten sich nach der Eskalation der Kontroversen vom Jahrhundertbeginn. An den 1640ern wurden sie der erste Zufluchtsort für französische Hugenotten und verschiedenste Sekten – und profitierten vom Pluralismus. England durchlief einen Bürgerkrieg und holte am Ende 1660 die Monarchie zurück, gewann jedoch mit den Ereignissen die zentrale philosophisch-politische Debatte um das zukünftige Verhältnis zwischen Parlament, von ihm ausgehender Regierung, dem König, der Kirche und dem Bürger. Die staatspolitischen Vorschläge, die Thomas Hobbes 1651 im Blick auf den Bürgerkrieg und John Locke 1688/1689 im Blick die zweite jetzt friedliche Revolution machten, in der das Parlament einen Regenten aus den Niederlanden ins Land holte, sind heute Meilensteine der Aufklärungsdiskussion und bahnbrechende Antworten der Philosophie auf dem Gebiet der theologischen und staatsrechtlichen Debatte. Deutlich wird mit diesen Antworten, dass die Problemlösungen am Ende nicht auf dem Gebiet der Theologie, sondern auf dem der Philosophie und der von ihr inspirierten Rechtsdiskussion entschieden wurden.

Heterodoxien und die philosophische Kontroverse

Frontispiece einer anonymen Ausgabe von Les trois Imposteurs aus dem 18. Jahrhundert

Die Kontroversen um die Auslegungen der Bibel bereicherten die philosophischen Debatten des 17. und 18. Jahrhunderts – vor allem in den Niederlanden, wo der Pluralismus konkurrierende Auslegungen auf engstem Raum gedieh. Die neuen theologischen Positionen warfen samt und sonders erkenntnistheoretische Fragen auf: Wie beweist man religiöse Positionen? Worauf kann sich das Individuum bei seiner persönlichen Antwort auf eine theologische Frage berufen? Detailfragen boten den Naturwissenschaften interessante Prämissen. Calvinisten und Lutheranern entzweiten sich im Blick auf die Determination und die Frage des Freien Willens: Hatte Gott zu Beginn der Schöpfung als allmächtiger Gott den gesamten Lauf des Universums festgelegt, dann bestand theoretisch für das Individuum kein Raum etwas zu denken oder zu entscheiden, was Gott nicht schon eben so festgelegt hatte. In der modernen naturwissenschaftlichen Forschung ist Determination eine interessante Prämisse: Gott könnte tatsächlich der Welt Naturgesetze gegeben haben, nach denen alle weiteren Geschehnisse zwangsläufig aufeinander folgen. Die Forschung kann sich dem Projekt widmen, diese Gesetze zu erfassen. Mit dem Zweifel der Antitrinitarier an der Dreifaltigkeit Gottes ging es – wieder philosophisch betrachtet – um mehr: um die Frage nach einem universellen Gottesbild auf das sich eventuell alle Religionen einigen könnten, um die Möglichkeit eines Deismus, einer Vorstellung eines Gottes, die diesem keine menschlichen Züge mehr gibt, ihn eher philosophisch definiert.

Mit der Vielzahl der Strömungen und den Kontroversen der Reformation endete im 17. Jahrhundert zunehmend die Hoffnung, eine einzelne Konfession als die wahre Religion erweisen zu können. Skeptizismus rechtfertigte sich heimlich in Untergrundschriften im Blick auf die Vielzahl der Positionen. Baruch de Spinoza vertrat in seinem theologisch-politischen Traktat von 1670 die These, Judentum und Christentum seien lediglich vergängliche Phänomene ohne absolute Gültigkeit. John Toland behauptete 1696, die Bibel sei zum Teil eine menschliche Fälschung. In radikalen Schriften des Untergrunds diffamierten Autoren direkt oder indirekt Moses, Jesus und Mohammed als die drei „großen Betrüger der Menschheitsgeschichte“. Von der Zirkulation eines Buches De tribus impostoribus wurde berichtet, bis es schließlich 1716 als subversive Schrift auf den Markt kam. Gegenpositionen vertraten die als Bischöfe kirchlich gebundenen Philosophen Joseph Butler und George Berkeley.

Die zentralen Positionen, die im Lauf des 17. Jahrhunderts von „aufgeklärten“ Philosophen gegen Alleingültigkeitsansprüche einzelner Religionen in Anschlag gebracht werden, finden sich in der theologischen Kontroverse selbst vorbereitet: In der Reformation begegneten sich die Konfessionen wechselseitig mit Betrugsvorwürfen. Im Blick auf außereuropäische Religionen teilten die Konfessionen die Anschauung, dass hier Religionen und Kulte auf dem Betrug von Priesterkasten basierten. Autoren wie Pierre Daniel Huet, katholischer Bischof von Avranches, stehen für die Aufklärung in der religiösen Debatte mit Versuchen die Kulte der Antike zu enträtseln und dem modernen aufgeklärten Leser verständlicher zu machen, wie sie funktionierten. Dass man in diesen Kulten hermetische Lehren vertrat, sollte sicherstellen, dass Priester ihr Wissen (oder ihren Betrug) nur in Initiationsriten weitergaben. Auf Priesterbetrug seien viele der Kulte gegründet gewesen, die nach der Sintflut eingerichtet wurden, um die Bevölkerung unwissend und in Ehrfurcht zu halten – so der aufklärerische, den Betrug entlarvende Gedanke.

Im späten 17. Jahrhundert wendet sich die um aufgeklärte Diskussionen ringende neue theologische Debatte unter der Hand gegen das Christentum als schlicht auf dem Glauben basierender Religion. Die Diskussion dass das Christentum selbst Traditionen verhaftet ist und auf antiken Kulten fußt bereitet sich in einer neuen Kirchengeschichtlichen Forschung vor. Die neue Auseinandersetzung mit Religion führt im 18. Jahrhundert zu zunehmend freien Konkurrenzprojekten: Zum philosophischn Deismus als Vernunftoption, zur Gründung von Geheimgesellschaften, die neue Zeremonien ausgestalten und sich dabei Vergangenheiten in antiken Kulten geben. Der Markt ketzerischer Positionen erzeugte einen fruchtbaren Grund, auf dem die Grenzen tolerierten Nachdenkens kreativ und subversiv ausgeweitet wurden. Europa öffnete sich im selben Moment der Geschichte als fremdem Raum genauso wie der außereuropäischen kulturellen Vielfalt. Antike Kulte wurden nicht nur in ihren geheimen Grundlagen entlarvt, sie wurden im selben Moment rekonstruiert. Die Geschichte der Häresien wurde am Ende von Gottfried Arnolds ab 1699 in einer revolutionären Unparteyischen Kirchen- und Ketzer-Historie neu beleuchtet. Seltene Sekten und exotische Religionen gewannen ein Liebhaberinteresse, das von der zunehmenden Relativierung aller Standpunkte lebte. Reisende, die die Niederlande besuchten, sahen bei den interessantesten Sekten vorbei, in der Hoffnung curieuse Besonderheiten in Riten geboten zu erhalten. Reisende die in den 1770ern den Pazifik und Nordamerika kennenlernten, begannen hier nach interessanten Glaubensvorstellungen zu suchen.

Judentum, Islam und Konfuzianismus

Jesuitische Ausgabe der konfuzianischen Philosophie von 1687: China etablierte nach der Sintflut einen bewundernswerten philosophischen Religionsersatz.

Das Verhältnis des Christentums zu den Weltreligionen entspannt sich im 18. Jahrhundert zunehmend. Meilensteine sind hier die Bemühungen der Jesuiten, ab den 1660ern China zu missionieren. Sie erhalten dazu am chinesischen Hof die Möglichkeit, falls sie den Riten des Konfuzianismus tolerant begegnen. Im Ritenstreit halten ihnen konkurrierende Orden Ende des 17., Anfang des 18. Jahrhunderts vor, in China Vielgötterei zu betreiben. In ihren eigenen Publikationen hatten die Jesuiten dafür plädiert den Konfuzianismus nicht als Religion sondern als aufgeklärte Staatsphilosophie zu lesen. Gottfried Wilhelm Leibniz übersetzte jesuitische Schriften dieser Tendenz. Christian Wolff riskierte 1723 seine Position nachdem er in einer Vorlesung über Chinesen die Auffassung vertreten hatte, auch Heiden könnten tugendhaft sein. Die Frage der Toleranz und des Verhältnisses zwischen Philosophie und Religion gewann mit der kulturellen Konfrontation neue Extrempositionen.

Der Islam wurde seit dem Mittelalter als Feind der Christenheit gehandelt. Nach der Zurückschlagung der Türken vor Wien 1683 setzte um 1700 eine öffentliche Mode islamischer Kultur ein. Die Übersetzung der Geschichten aus Tausendundeiner Nacht (1704 ff.) erzeugte in Westeuropa die Sensation, Moslems könnten am Ende den Christen kulturell unterlegen jedoch möglicherweise in ihrer Moral viel reiner und unschuldiger sein. Montesquieus Lettres Persanes (1721) spielten dieses Moment der Islam-Würdigung in einer Kritik am der Zivilisation des Westens und des Christentums aus: Ein persischer Beobachter betrachtet hier Europa aus der überlegenen Perspektive seiner Kultur und Religion. Eine Entwicklungslinie verläuft hier von Pierre Daniel Huets Erklärungen antiker und fremder Religionen bis zu Fiktionen der 1770er, die wie Gotthold Ephraim Lessings Nathan der Weise (1779) den Gedanken interreligiöser Achtung auf die Bühnen brachten und öffentlich diskutierten.

Das europäische Judentum schaltete sich in den 1770ern in die neue Diskussion ein. Der Kreis um Moses Mendelsohn, Marcus Herz und David Friedländer bemühte sich um eine Trennung von Religion und Staat und zugleich um eine Integration der jüdischen Bürger in die deutsche Gesellschaft. Dieses Denken gab einen wesentlichen Impuls für die Judenemanzipation in Preußen.

Vernunftoptionen aus der Philosophie: Theodizee und Deismus

Für die Philosophen, die sich im 18. Jahrhundert als Aufklärer in die Diskussion um religiöse Vielfalt und Toleranz mischten, wurde der Gedanke bestimmend, dass es in allen Religionen und Konfessionen einen rationalen Kern des Glaubens gebe. Im Deismus als Vernunftreligion wurde diese Option im 18. Jahrhundert mit zunehmender Offenheit diskutiert. Für den Deismus werden im selben Moment Zusatzoptionen eröffnet: die einer Gotteserkenntnis aus den modernen Wissenschaften heraus. Sie setzten Gott als Schöpfer voraus und bestätigen seine Weisheit in den Naturgesetzen. Von der Welt als „Uhrwerk“ wurde hier in einer beliebten Metapher gesprochen, die Gott aus dem aktuellen Weltgeschehen heraus drängt und damit Berichte von Wundern diskreditiert: Die deistische naturwissenschaftliche Option ist, dass Gott die Welt mit allen Naturgesetzen geschaffen habe und nun ihrer gesetzlichen Bewegung überlasse. Neben das Bild von Gott als handelndem Gegenüber traten abstraktere Bilder von Gott als Prinzip, und Gott als nicht mehr in die Welt eingreifender, dieser den Menschen überlassender Instanz.

Die gesamte Diskussion ist im Rückblick eng gebunden an eine Diskussion der Scholastik – und erwies sich gerade deshalb als Diskussion, der das Christentum kaum kritisch begegnen konnte. Definierte man Gott als über die Idee seiner Vollkommenheit, so konnte man aus dieser Idee beweisen, dass es ihn geben musste: Nur ein existierender Gott ist vollkommen. Die Idee, dass die von Gott geschaffene Welt perfekt sein müsse, entfaltete sich als neues attraktives Argument in dieser Debatte im späten 17. Jahrhundert: Sie findet sich bei Anthony Ashley-Cooper, dem 3. Earl of Shaftesbury verknüpft mit dem Gedanken, dass alle Lebewesen in der Natur in perfekt organisierten Gleichgewichten zusammenleben.[7] Gottfried Wilhelm Leibniz verband das Postulat in seiner Essais de théodicée' mit Folgepostulaten wie demjenigen, dass es unendlich viele bewohnte Welten geben müsse: Die Welt auf der wir leben sei offenkundig nicht vollkommen, im Universum müsse es darum weitere bewohnte Welten geben, die gemeinsam das perfekte Universum Gottes bildeten. Schaftesbury verteidigte demgegenüber die bestehende Welt als perfekte und postulierte, dass dem Menschen letztlich lediglich das Wissen und die Perspektive fehle, diese Perfektion zu erkennen. Man erfasse sie in der Regel allenfalls mit einem Gefühl, dass einem ein Gefühl für die Harmonie der Schöpfung gebe. Mit der Theodicee-Debatte verband sich im Lauf des 18. Jahrhundert die spezifisch aufklärerische Fortschritts-Debatte um die Idee, die Welt erreiche erst im komplizierten Prozess der Aufklärung die Vollkommenheit, die Gott ermöglichte.

Der Deismus geriet in der Zeit der Romantik in den Verruf, eine kalte rationale Konstruktion zu sein, die dem Menschen keine religiöse Heimat geben könne. Er führte auf der anderen Seite im 19. Jahrhundert zu Versuchen, Religion gänzlich zu ersetzen, wie sie vor allem im Materialismus und im Positivismus im 19. Jahrhundert hervortreten.

Jurisprudenz, Staatstheorie

Die Kontroversen um Staat, Religion und individuelle Freiheit der Religionsausübung mit der Neuordnung Europas im Anschluss an Reformation, den Dreißigjährigen Krieg und die englischen Revolutionen von 1641/42 und 1688/89 ergaben, führten in eine gesamteuropäischen Staats- und Rechtsdiskussion. Die Frage ist hier: woher nimmt der Staat das Recht zu Entscheidungen, von denen das Individuum in seiner Freiheit des Denkens und Glaubens betroffen ist? Wie ist der optimale Staat beschaffen – ein Staat, der seinen Bürgern in Kriegen Schutz bietet und der seine Bürger vor Krieg im Inneren bewahrt? Die diesbezüglichen Debatten wurden vor dem Hintergrund aktueller Konfrontationen geführt, aber auch vor dem Hintergrund eines Sittenwandels, den gerade die Aufklärer forderten. Vorstellungen davon wie die Obrigkeit ihr Recht ausübt, Vorstellungen vom Sinn und Zweck von Bestrafungen und ihrer angemessenen Durchführung gerieten dabei in eine fundamentale Kritik.

Naturrecht und Rechtsbegründung

Die zentrale von der Aufklärung diskutierte Rechtsposition brachte 1651 Thomas Hobbes mit der Veröffentlichung seines Leviathans auf den Punkt. In England hatte das Parlament soeben den König – Karl I. – hinrichten lassen. Die Nation versank in einen Kampf aller gegen alle, in der es am Ende nur noch um das Überleben des Einzelnen ging – der „Naturzustand“ war, so Hobbes, erreicht, der Zustand in den der Mensch gerät, wenn er sich nicht den Gesetzen eines zivilisierten Zusammenlebens unterwirft.

Die Antwort auf den Naturzustand musste die Unterwerfung des Menschen unter Macht ausübende Institutionen sein. Von diesen müsse die „absoluteMonarchie, eine Monarchie, in der staatliche und kirchliche Macht einem einzigen souveränen Willen unterworfen sind, die wirksamste sein. Der Regent, der alle Macht in seiner Person gebündelt verteidigt, verteidigt den Staat mit seinem Leben und damit mit aller ihm zu Gebote stehenden Entschlossenheit zum Besten aller, die von dieser Macht eingeschränkt werden, und nicht wie Tiere aufeinander losgehen.

Hobbes argumentierte interessanterweise nicht als Anhänger einer Konfession, sondern allein vernunftorientiert mit einer Philosophie des konsequenten Materialismus. Der Mensch verteidige als Materie sein Leben, das sei weder gut noch schlecht, sondern nur konsequent. Seine Position zog damit den Angriff von allen Seiten auf sich, aber auch die Beschäftigung von allen Seiten aus. Man kann sein Buch als Meilenstein der Aufklärung ansehen – es führt alle beobachtbaren Phänomene auf Gründe zurück, die jedem Leser plausibel sein müssen, der die grundlegenden Beobachtungen akzeptiert. In der Kontroverse, in die Hobbes hineingeriet, wurde er gerade von einer neuen Aufklärung angegriffen als Philosoph, der die Natur des Menschen verkannte. Der Mensch könne nur in Kooperationen leben, so Locke. Er werde nur glücklich, wenn er sein Leben anderen widmen könne, deren Liebe erfahre, in Harmonie mit der Gesellschaft lebe, so Shaftesbury. Die moderne Gesellschaft müsse es dem Menschen darum möglich machen, seine Natur zu entfalten. Sie müsse dem Menschen Freiheit geben, sein Zusammenleben mit anderen Menschen harmonisch und glücklich zu organisieren. John Locke band diese Gedanken an die politischen Ereignisse von 1688/89 an: Die Glorious Revolution habe den historischen Beweis geliefert, dass eine Nation zu ihrem besten entscheiden könne und dabei gerade nicht in den Bürgerkrieg verfalle. Moderne Nationen benötigten deshalb staatliche Strukturen, die Machtwechsel friedlich möglich machten, den Bürgern Partizipationsmöglichkeiten böten. Die Gewaltenteilung in Legislative, Exekutive und Judikative sei die fundamentale Voraussetzung eines Gemeinwesens in dem alle Instanzen dem Gemeinwohl unterstünden und in dem Politikwechsel sich nicht im rechtsfreien Raum abspielen müssten.

Die Debatte der 1690er floss in die weitgehend von Thomas Jefferson mit Rückgriff auf Locke, Montesquieu und Paine 1776 formulierte Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten ein, die erstmals ausdrücklich Menschenrechte mit einbezog, und 1787 auch in die Verfassung der Vereinigten Staaten. Die Französische Revolution nahm die Lösungsangebote 1789 auf. Eine Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte ging hier 1791 in die Präambel der neuen Verfassung ein. Die Säkularisation, die im 19. Jahrhunderts in Mittel- und Nordeuropa um sich griff, berief sich letztlich auf Debatten des späten 17. und frühen 18. Jahrhunderts.

Die Errungenschaft der von Hobbes in Gang gesetzten Debatte ist in langer Perspektive die Neudefinition des Menschen als von Natur aus mit Rechten ausgestatteter Instanz und der Rechtsdebatte als einer Debatte, die sich auf logische und vernünftige Erwägungen zurückbeziehen müsse. Ein Meilensteine der juristischen Debatte wurde in diesem Zusammenhang Samuel von Pufendorf, in Nachfolge des frühen Naturrechtlers Hugo Grotius verfasste De iure naturae et gentium libri octo von 1672. Auf Deutsch erschienen sie als Acht Bücher von Natur und Völkerrecht 1711. Der moderne Verfassungsstaat hat hier Wurzeln wie die Idee einer internationalen zwischenstaatlichen Verständigung und Organisation in den Vereinigten Nationen. Modelle einer Europäischen Union werden in Europa 1712 erstmals öffentlich diskutiert. Modelle eines „Weltbürgerrecht“ sind seit Kants Schrift Zum ewigen Frieden von 1795 Teil der Aufklärungsdiskussion.

Veränderungen in Rechtsprechung und Bestrafung

Hexenflugschrift Augsburg 1669
Öffentliche Hinrichtung Louis Dominique Cartouches

Der Bruch zwischen Hobbes auf der einen Seite und Locke und Shaftesbury auf der anderen Seite wurde vor allem im Blick auf das grundlegende Menschenbild inszeniert. Das von Locke und Shaftesbury vertretene geht vom Menschen als Wesen aus, das mit der Menschheit und Gottes Kosmos von Natur aus in Einklang leben will. Die neue Frage ist damit, wie man dem Menschen dazu verhilft seine Natur zum Besten der Menschheit ausleben zu können. Locke und Shaftesbury appellieren dabei an das Empfinden ihrer Leser, an das Grauen, das sie alle vor Gewalt und menschlichem Leid empfänden.

Auf der Ebene der Rechtsdiskussion verläuft zeitgleich eine Auseinandersetzung um die als mittelalterlich empfundenen Formen der Bestrafung, die bis in das ausgehende 18. Jahrhundert in ganz Europa Anwendung finden. Gestraft wird öffentlich, zur Abschreckung und zur Sühne der verletzten Ordnung bevorzugt am Leib des Straftäters. Dessen Zerstörung und Verstümmelung folgt der Zerstörung und Verstümmelung, die dieser der Ordnung zufügte. Der Friede wird in der adäquaten Bestrafung in einer öffentlichen Darbietung wieder eingerichtet.[8]

Neben den Bestrafungen finden die Gerichtsverfahren und die Strafgründe zunehmende Kritik der Aufklärer: Die Hexenverfolgungen sind vor allem ein Phänomen der Reformation. Sie fordern zwischen 1550 und 1650 in den protestantischen Gebieten die höchsten Opferzahlen. Die Prozesse, die hier geführt werden, gelten als höchst kritisierbar. Es ist in ihnen letztlich unklar, ob die Taten überhaupt begangen wurden – ob es überhaupt möglich ist, Bündnisse mit dem Teufel zu schließen und zu hexen. Die Erpressung von Geständnissen unter Folter und fragwürdige Rechtsproben in Form von Gottesurteilen, bei denen die untersuchten „Hexen“ als schuldige wie unschuldige sterben, finden hier die Kritik der Aufklärer. Juristen wie Christian Thomasius, der 1687 in Leipzig die erste Vorlesung in deutscher Sprache gehalten hatte und damit Vorbild für seinen jüngeren Kollegen Wolff in Halle geworden war, wenden im ausgehenden 17. Jahrhundert, nach Abebben der Verfolgungswelle, vehement gegen die Hexenverfolgungen als Form öffentlichen Aberglaubens. Francis Hutcheson steht dem im englischsprachigen Raum gegenüber.[9] Dass Hexerei möglich ist, wird hier am Ende bezweifelt in Beweisführungen, die ultimativ die Kirche bedrohen, da mit ihnen jeder Glaube an göttliche Interventionen hinfällig wird.

Grausame öffentliche Bestrafungen geraten im 18. Jahrhundert in Kritik. Die Zuschauer würden hier verrohen und gerade nicht zu den feineren zivilisierteren Gefühlen angeleitet, auf die friedliche Gesellschaften angewiesen seien. Die Verbrecher erziehe man noch weniger, wenn man sie verstümmele oder hinrichte. In den 1760ern setzte mit Cesare Beccaria Dei delitti e delle pene (1764, deutsch: Von den Verbrechen und von den Strafen, 1778) die offene Diskussion der Todesstrafe als nicht mehr mit der Aufklärung vereinbare Strafform ein. Die Staaten des 19. Jahrhunderts entzogen Hinrichtungen im Verlauf der öffentlichen Wahrnehmung und begannen verstärkt auf Gefängnisstrafen als gängige Strafform zu setzen, die den Weg in die Gesellschaft zurück bahnen sollte. Die Frage des Zusammenlebens wird seit dem 19. Jahrhundert als Errungenschaft der Aufklärung verstärkt als eine der Normen diskutiert, die rechtliche Fixierung und Stabilisierung finden.

Medizin und Naturphilosophie vor der Etablierung der Naturwissenschaften

Durchschnittliche Lebenserwartung in Breslau 1691, Vergleich mit Deutschland 1997
Breslaus Alterspyramide, 1691

Darstellung des 20. Jahrhunderts nahmen die Aufklärung wiederholt als die große Phase der Naturwissenschaften wahr. Die Perspektive hierauf veränderte sich in den letzten Jahren. Die Naturwissenschaften gewannen keinen größeren Anteil am Buchmarkt und veränderten kaum die Lebensbedingungen im vorindustriellen Europa. Die frühe Neuzeit ist die Zeit der Kopernikanische Wende, doch lässt sich nicht behaupten, dass dem eine große allgemeine mentale Verunsicherung folgte.[10] Atlanten des 18. Jahrhunderts präsentieren die Weltbilder harmonisch nebeneinander. Zur frühen Neuzeit gehört der Umgang mit der Welt als Globus, doch war man vor der Entdeckung Amerikas bereits davon ausgegangen, dass die Welt eine Kugel war. Die großen technologischen Erfindungen, auf denen die moderne Medizin beruht, insbesondere der Bau erster Mikroskope und der Vorstoß in den Mikrokosmos, lassen sich in das 17. Jahrhundert zurückverfolgen. Andererseits blieb die Medizin im Großen und Ganzen bei einer Kombination von Astrologie und aus der Antike bezogener Säftelehre stehen: Krankheiten entstanden durch Ungleichgewichte der vier Elemente. Zentrale Behandlungsoptionen waren der Aderlass, das Abführen schädlicher Stoffe, die Zuführung von Medikamenten, denen man zutraute Hitze, Kälte, Wässerichkeit und Melancholie im Körper zu regulieren. Anatomen untersuchten das Gehirn und das Nervensystem und vermuteten mit Descartes das es mechanisch funktionierte oder mit ihm folgenden Forschern, dass es den Flüssigkeitstransport regulierte (Albrecht von Haller, Samuel Thomas Soemmering, William Cullen). Erst mit den Experimenten Galvanis# wurde klarer, dass elektrische Impulse von den Nerven weitergeleitet wurden. Es blieb offen, was Elektrizität war. Theorien vom Zusammenhang zwischen Körper und Seele durchzogen die konventionelle Medizin des 18. Jahrhunderts basierend auf der Theorie, dass die Säfteungleichgewichte und -Verunreinigungen vom Menschen selbst als Gemütszustände erfahren würden. Mediziner wie Ernst Platner öffneten hier neue Schulen einer psychosomatischen Medizin, kaum jedoch aufgrund einer Forschung, die die Medizin an die Naturwissenschaften anschloss. Die Entdeckung der bakteriellen und viralen Krankheitserreger und die Anstrengungen Krankheiten durch Hygiene zu verhindern folgen im Großen und Ganzen im 19. Jahrhundert und führen zu drastischen Veränderungen der Medizin als zunehmend experimenteller Wissenschaft und der Lebensbedingungen. Die Bevölkerungszahlen explodieren im 19. Jahrhundert, nachdem man die Säuglingssterblichkeit durch Hygiene drastisch senkt.

Die Lebenserwartung wurde von Edmond Halley erstmals 1692 korrekt statistisch erfasst und für die einzelnen Altersstufen berechnet: Für Neugeborene lag sie bis weit in das 18. Jahrhundert hinein bei 17 Jahren. Wer mit sieben die Kinderkrankheiten hinter sich hatte, konnte mit einer Lebenserwartung von im Schnitt 50 Jahren rechnen, 40jährige rechneten mit weiteren 20 Jahren, 60jährige mit einem weiteren Jahrzehnt. Die großen Risiken lagen in der immense Säuglingssterblichkeit.[11]

Tatsächlich wird Forschung in den Naturwissenschaften bis in das 18. Jahrhundert hinein selbst in Kreisen der Aufklärung immer wieder belächelt: Man sucht hier Wunder der Natur in Experimenten, die keinen weiteren wirtschaftlichen Nutzen entfalten. Noch Utopien, die am Ende der Aufklärungsdebatte geschrieben wurden – Werke wie Louis-Sébastien Mercier's L'An 2440 (1771) – messen den Naturwissenschaften im Blick auf die Zukunft kaum Bedeutung zu. Sie spielten nicht in einer Zukunft gänzlich anderer Technologien. Der Reiz des Nachdenkens liegt in der Zukunft, in der man endlich nach den Anforderungen der Ethik lebt.

Neue Organisationsformen der Naturwissenschaften

Das Anatomisches Theater der Universität Leiden gefüllt mit Curiositäten und erbaulichen Mahnungen um 1610.
Ludwig XIV. besucht die Académie des sciences 1671.
Experimentalwissenschaft im Privaten: Derbys Experiment mit dem Vogel in der Luftpumpe, 1767/1768

Der Raum der Naturwissenschaften im Alltag blieb bis in das späte 18. Jahrhundert hinein undefiniert. Kinder wurden im Lesen und Rechnen unterrichtet, an den Gymnasien in Latein und Altgriechisch. An den Universitäten stand die Entscheidung zwischen den drei berufsqualifizierenden Fakultäten der Theologie, der Jurisprudenz und der Medizin an. Die Naturwissenschaften wurden dagegen im philosophischen Grundstudium abgehandelt, das neben Basiswissen zur Planetenbewegung einen Unterricht in Geographie, Weltgeschichte und den Philologien (mit Spezialisierungen in Hebräisch, Altgriechisch und orientalischen Sprachen) anbot.

Die Naturwissenschaften gediehen in dieser Lage im ersten Schritt als Teilbereich philosophischer Erkenntnistheorie – als Naturerkenntnis – unter vor allem privaten Interessen. Philosophen wie René Descartes unterfütterten ihre Aussagen mit Erkenntnissen der Naturwissenschaften. Die neuen Wissenschaften gediehen zweitens an wenigen planetarischen Observatorien und in alchemistischen Laboratorien, die von interessierten Landesherren finanziert wurden, drittens. Sie gediehen drittes in der Medizin in Anatomieklassen, die zunehmend an Universitäten eingerichtet wurden. Landesherren und Universitäten unterhielten „Wunderkammern“ mit unterschiedlicher Offenheit für Raritäten aus der Natur: Seltene Steine, Fossilien, ausgestopfte Tiere, aufsehenerregende „Monstrositäten“, Missgeburten wurden hier gesammelt. Menagerien sammelten in ähnlicher Absicht die Lebewesen. Systematische Forschung im modernen Sinne blieb unterentwickelt. Die öffentlichen Sammlungen standen oft unter einem Interesse an Wunderbefunden, die als göttliche Zeichen gewertet und geschätzt wurden.

Eine Koppelung zwischen naturwissenschaftlicher Erkenntnis und der Arbeit am technologischen Fortschritt bestand nicht. Naturwissenschaftliche Akademien, die ein staatliches Interesse in die Forschung in Gang setzten wurden erst im 17. Jahrhundert gebildet. 1635 wurde die Académie française gegründet. Ihr naturwissenschaftliches Projekt erhielt sie 1666 mit der Académie des sciences, sechs Jahre nachdem in London die Royal Society ihre Arbeit aufgenommen hatte, die rasch zur führenden europäischen Institution frühneuzeitlicher naturwissenschaftlicher Forschung aufstieg. Das korrespondierende deutsche Akademieprojekt entwickelte sich aus der 1652 in Schweinfurt gegründete Academia Naturae Curiosorum, deren Namen noch auf das Interesse am Wunderbaren verweist. Die Preußische Akademie der Wissenschaften nahm ihre Arbeit 1700 auf, die russische Russische Akademie der Wissenschaften 1724 in Sankt Petersburg.

Mit den naturwissenschaftlichen Akademien gewann der Austausch von Befunden und deren Publikation neue Organisationsformen – die Berechnung der Lebenserwartung durch Edmond Halley 1692/93 etwa demonstriert die Wirkungsweise: Das Datenmaterial hatte Caspar Neumann, ein Stadtpfarrer in Breslau, aus Sterberegistern erhoben und Gottfried Wilhelm Leibniz übersandt, der es an die Akademie in London schickte, die wiederum wusste, wer die Daten auswerten konnte. Die Publikation der Daten fand in den Philosophical Transactions, dem von der Royal Society seit 1665 herausgegebenen wissenschaftlichen Journal statt. Mit den Journalen, die seit 1664 von Forschergruppen und Akademien herausgegeben wurden, fanden die bislang dezentral publizierten und nicht konsequent bewerteten Befunde ihr zukunftsweisendes Publikationsmedium. Das Journal des Sçavans machte hier 1665 den Anfang (siehe Liste frühmoderner Zeitschriften mit einer Chronologie der Journalgründungen). Die ersten Journale wiesen erhebliche Sektionen für die Publikation naturwissenschaftlicher Befunde und ihre Diskussion auf. Fachzeitschriften übernahmen das Feld, als im 18. Jahrhundert die allgemeinen wissenschaftlichen Zeitschriften sich vermehrt auf den Bereich historischer Schriften ausrichteten. In den Spezialzeitschriften kam im 18. Jahrhundert die Professionalisierung der Naturwissenschaften voran. Einzelne Zeitschriften wie die Breslauischen Sammlungen nutzten das Periodikum als Medium, um laufende Forschung in Beobachtungsserien zu präsentieren. Mit den konsequenten Auswertungen naturwissenschaftlicher Befunde ebbte das Interesse an „Curiositäten“ ab. Für die wissenschaftliche Auswertung interessanter waren Observationen des Normalen, aus denen sich Naturgesetze und statistische Korrelationen ableiten ließen.

In größerer Breite blieben die Naturwissenschaften bis in die 1770er hinein ein Feld privater Interessen. Forscher wie Antoine Laurent de Lavoisier mussten sich privat finanzieren. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts entwickelte sich hier eine eigene Mode, spektakuläre Experimente, insbesondere mit Elektrizität, in Privatkreisen als aufsehenerregende gesellschaftliche Unterhaltung zu inszenieren. Erst die staatlichen Interessen, die sich in den 1770ern und 1780ern an Erfindungen mehrten, mit denen sich ihre Territorien wirtschaftlich entwickeln ließen, veränderten die Position der Naturwissenschaften. In den Naturwissenschaften selbst bereitet sich der Schritt ab Mitte des 17. Jahrhunderts vor. Die Suche nach Curiosa, nach den Zeichen von Wundern wird in Kreisen der hier Forschenden im späten 17. Jahrhundert zunehmend suspekt. Interessanter als Werke, die von Gott oder vom Teufel zeugen könnten, werden Beobachtungen, die sich in Experimenten wiederholen lassen. Aus ihnen lassen sich Naturgesetze ableiten, die sich am Ende für neue Erfindungen nutzen lassen.

Technologischer Fortschritt, Industrialisierung

Montgolfière am 19. Oktober 1783

Einzelne Schritte, naturwissenschaftliche Forschung im Sinne eines Fortschrittsprojekts zu nutzen und zu fördern, lassen sich in das 17. Jahrhundert zurückverfolgen. Die Royal Society publizierte Forschungsaufrufe wie die an Seeleute gerichtete Aufforderung, Beobachtungen zu sammeln, die die wissenschaftliche Institution auswerten würde.[12] Das britische Parlament eröffnete 1714 mit dem Longitude Act einen Wettbewerb, der das Problem der Längengradbestimmung lösen sollte. Auch hier sprach zukunftsweisend ein wirtschaftliches Interesse an einer Verbesserung der Navigation für eine naturwissenschaftlich-technische Forschung.

Klarer wurde der Nutzen naturwissenschaftlicher Forschung erst in den 1760ern, als man erkannte, dass mit den neuen wissenschaftlichen Bestrebungen die Wirtschaftskraft des eigenen Landes gefördert werden konnte. Die landwirtschaftliche Produktionssteigerung, eine Erforschung von Technologien, die sich industriell nutzen ließen, setzte ein. Für die Epochenchronologie ist symptomatisch, dass Thomas Newcomen zwar 1712 eine erste Dampfmaschine in Betrieb brachte, die Wasser aus einem Bergwerk abpumpen konnte, dass die Erfindung jedoch keine unmittelbare Arbeit an Dapfmaschinen nach sich zog. Der Wirkungsgrad der von Newcomen konstruierten Maschine blieb 0,5 Prozent. Erst 1764 erhielt James Watt den Auftrag, eine solche Dampfmaschine zu verbessern; ihm gelang dabei bis 1769 eine Reduktion des Energiebedarfs um 60 Prozent. An seiner Maschine bestand wenig später europaweit Interesse. Sie nicht nur für stationäre Pumpen zu nutzen, erschien rasch denkbar, 1783 wurde das erste Dampfschiff erprobt. Der erste Heißluftballon wurde im selben Jahr von den Brüder Montgolfier vorgeführt. Die erste industrielle Spinnmaschine wurde 1764 in Betrieb genommen, der industrielle Einsatz erfolgte hier 1769. Den ersten vollmechanischen Webstuhl patentierte Edmond Cartwright 1785. Der erste gusseiserne Pflug kam 1785 in die Produktion, ein Indikator für die beginnende Mechanisierung der Landwirtschaft.

Zwischen 1760 und 1790 kommt im Wesentlichen die heutige Diskussion über einen Zusammenhang zwischen neuen Wissenschaften und technischem Fortschritt auf. An diesen koppeln sich ab den 1770ern zunehmend öffentliche Hoffnungen auf ein von Naturwissenschaften bestimmtes Zeitalter.

Naturwissenschaften und moderne Erkenntnistheorie

Im Rückblick entfalteten die Naturwissenschaften der frühen Neuzeit ihren größten Einfluss auf dem Gebiet der Erkenntnistheorie. So ergaben sich die Voraussetzungen zu einer tiefgreifenden Umstrukturierung der Wissenschaften. Die zwei gegnerischen Lager, die die heutige Philosophiegeschichte zwischen Rationalisten und Empiristen aufmacht, sind eher eine rückwirkende Projektion, bei der der Konflikt, der im 19. Jahrhundert zwischen dem deutschen Idealismus und dem englischen Empirismus beziehungsweise dem neuen Materialismus ausgetragen wird, eine Vorgeschichte erhält.

René Descartes und Gottfried Wilhelm Leibniz nehmen in dieser Debatte Positionen zugunsten einer Naturwissenschaft ein, in der das Schließen in Syllogismen legitim bleibt. Aus der Definition Gottes über seine Vollkommenheit werden weitere Schlüsse über die Welt als seine Schöpfung gezogen. Das Verfahren basiert auf einem immensen Vertrauen auf die Vernunft, die in der Logik ihren härtesten Kern findet. Namentlich die englischen Empiristen von John Locke bis zu David Hume distanzierten sich von dieser Grundlage der Erkenntnistheorie. Mit ihren Untersuchungen über den menschlichen Verstand[13] schufen sie eine neue Position in der philosophischen Literatur. Ihr Gegenmodell besagte, dass nichts Gegenstand menschlichen Denkens werden könne, was nicht vorher wahrgenommen worden sei.[14] Die Wissenschaften werden damit auf Beobachtung gestützt, ihre Schlüsse darauf verpflichtet, nichts weiter zu tun, als den Beobachtungen gerecht zu werden. Isaac Newton wird im Verlauf dieser Debatte als derjenige Forscher gefeiert, der aus den bestehenden Daten mit der größten Tragweite auf die Naturgesetze schloss. Ihm gelang die Begründung der modernen Optik und mit der Gravitationstheorie jene Theorie, die die von Johannes Kepler formulierten Gesetze erklärte. Alexander Pope würdigte Newton am Ende 1727 mit der Metaphorik der neuen Epoche:

„Nature and nature's laws lay hid in night;
God said "Let Newton be" and all was light.“[15]

Rationalisten und Empiristen vereint im Rückblick die Entscheidung, Wissen von der Bibel und allen schriftlichen Überlieferungen loszulösen und einem ausschließlich vernunftbasierten Diskurs auszusetzen. Dem liegt die Theorie zugrunde, dass es keinen Konflikt zwischen einer auf Sinnesdaten gestützten Erkenntnis und vernünftigem Nachdenken geben könne.[16] Versuche, das rationale, vernünftige Nachdenkens und eine auf Sinnesdaten gestützten Forschung erkenntnistheoretisch zu harmonisieren durchlaufen das 18. Jahrhundert. Kants Formel: „Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind.“ (KrV B 75) ist charakteristisch für diese Versuche. Der erkenntnistheoretische Beitrag der Aufklärungsdebatte gewann mit der Wende ins 19. Jahrhundert und der Säkularisation an Bedeutung. Nationalstaaten, die die Naturwissenschaften zu den modernen Wissenschaften par excellence erhoben, trennten sich am Ende endgültig vom alten Wissenschaftsgefüge, in dem die Theologie die oberste Autorität war.

Geschichtswissenschaft

Polemisches Kupfer von 1710: Die Wissenschaften der Theologie, Jurisprudenz und Medizin haben die Wahl, der Torheit der Scholastik in eine düstere Zeit zu folgen oder der Wissenschaftsgeschichte, der Historia Literaria, die das Licht der Erkenntnis verbreitet.

Aus der Sicht des 17. und 18. Jahrhunderts erschien die Geschichte als das Feld der großen wissenschaftlichen Neuerungen. Das hat nur zum Teil mit neuen historischen Erkenntnissen zu tun – die Geschichtswissenschaft blieb konservativ in ihrer Ausrichtung auf überliefertes Textwissen. Es hat mehr mit dem Geschichtsbegriff zu tun, der umfassender war. Die gesamte Forschung entwickelte sich, so die Wahrnehmung vieler Forscher um 1700 mit dem Buchdruck zu einer historischen Auseinandersetzung. Unser Weltverständnis wandelte sich vom glaubensgestützten zu einem neuen historischen flexiblen, so die verbreitete Wahrnehmung.

Die biblische Geschichte gerade als vernunftbasierte Option

In den Eckdaten blieb die Geschichtswissenschaft der frühen Neuzeit blieb dem Wissen der Bibel verpflichtet. Die Weltschöpfung wurde von Philosophen wie John Locke im Konsens aller Theologie wie mit dem Lesern der aktuellen alltäglichen Kalender auf das Jahr 3950 v. Chr. angesetzt. [17] Die Sintflut sollte im Jahr 2501 v. Chr. stattgefunden haben. Alle gegenwärtige menschliche Kultur musste danach entstanden sein. Noahs Söhne besiedelten die Welt, sie und ihre Kinder gründeten die bestehenden Nationen.

Werner Krauss notierte 1978 die Gründe, aus denen heraus gerade die europäischen Aufklärer die kurze biblische Historie für attraktiv erachteten.[18] Man mied mit dieser Geschichte mythische Epochen. Es war gerade vernunftbasiert, wenn in ihr Adam noch am ersten Tag seiner Existenz die menschliche Sprache erfand und sich die Erde in einem konzertierten Zivilisationsprojekt sofort Untertan machte. Wenn einzelne Eternalisten unter den Philosophen davon ausgingen, dass die Erde ewig bestand, so konnten sie nicht erklären, warum die der Globus nicht von menschlichen Bauwerken aus ewigen Zeiten überzogen war. Alle Aufklärer gingen davon aus, dass der Mensch als vernunftbegabtes Lebewesen jede Erfindung jederzeit machen könne. John Locke erklärte, dass Erfindungen nichts anderes als Zusammensetzungen von sinnlichen Wahrnehmungen seien.[19] Von der Zukunft erwarteten die meisten Aufklärer unter derselben Prämisse keine bedeutenderen Erfindungen mehr. In den 1730ern konnte man feststellen, dass man seit den 1670ern nichts technisch Revolutionäres mehr erfunden hatte. Das legte nahe, dass sich von nun an allenfalls Perückenmoden und politische Allianzen noch ändern würden.[20]

Kritik am biblischen Geschichtswissen blieb rar und punktuell. Man zweifelte um 1700 daran, dass die ganze Welt an der babylonischen Sprachverwirrung – kurz nach der Sintflut – teil hatte. Namentlich für die nordeuropäischen Sprachen schien das ein schlechtes Erklärungsmodell. Einzelne Forscher vermuteten alternativ, dass sich im Deutschen, Niederländischen oder Schwedischen die alte adamitische Sprache bewahrt hatte, deren erste Vertreter nicht mehr in Babel anwesend waren. Brüchig wurde der biblische historische Rahmen in Europa erst Ende des 18. Jahrhunderts.

Fachzeitschriften historisieren das Wissen

Deutsche und englische Titel-Statistik, 1500-1699. Die Ausschläge folgen historischen Ereignissen.
Wissenschaftliche Zeitschrift als Marktbeobachtung und frühmoderner Blog, erste Nr. der Gundlingiana (1715), Titel mit "Dispellam-" (ich vertreibe die Finsternis) Aufklärungsemblem

Die große Errungenschaft war für Wissenschaftler des 17. und 18. die Umwandlung der Forschung in eine diskursive historische. Die erste Nummer der Deutschen Acta Eruditorum (wörtlich „Deutsche Leistungen der Gebildeten“), einer Zeitschrift, die wissenschaftliche Publikationen aus allen Fachbereichen rezensierte eröffnete 1712 mit dem Rückblick auf diese wissenschaftliche Revolution:

„ES haben die Studien, wie alle Dinge in der Welt, die in der menschlichen Willkühr allein beruhen, ihre Mode. Solches wäre leicht durch alle Secula [Jahrhunderte] zu erweisen, wenn es unser Zweck litte diese Materie weitläuffig vorzustellen. Wenn wir aber keinen gar zu alten Beweis suchen wollen, so wird fast iederman wissen, wie sehr man sich vor einiger Zeit auf Universitäten geweigert, der neuen Philosophie Platz zu geben, welches hauptsächlich daher gekommen, weil die Aristotelische und Scholastische durchgehends Mode war. Bey unsern Zeiten will es fast schwer werden, einer Disciplin die Herrschafft zuzueignen, nachdem man anietzo alle nützliche Wissenschafften so ziemlich treibet [...]. Doch scheinet es, als wenn vor allen die Historie noch einiges Übergewichte gewonnen, welches die so häuffigen Historischen Schrifften bestätigen. Und zu dieser Classe sind unstreitig auch die sogenannten Journale zu rechnen, worinnen man mit Auszügen aus allerhand Büchern und überhaupt mit Nachrichten von der Litteratur [dem Feld der Wissenschaften] versehen wird.“[21]

Der Geschichtsbegriff der frühen Neuzeit ist breiter als der des 19. Jahrhunderts. Jede Form der Berichterstattung ist hier Geschichte.[22] Journale, in denen wissenschaftliche Bücher rezensiert werden, sind Wissenschaftsgeschichtsschreibung, Historia Literaria im Wortsinn des 17. und 18. Jahrhunderts. Die Historia Literaria selbst ist dabei die neue zentrale Wissenschaft, da alle Wissenschaften nun im Blick auf neue Erkenntnisse gegenüber alten historisch betrieben werden.

Die große Revolution des Wissenschaftsbetriebs, auf die man um 1700 zurücksieht setzte mit dem Buchdruck ein. Gedruckte Bücher waren, anders als Handschriften, öffentlich. Forscher konnten sich auf sie unter der Prämisse beziehen, dass jeder Forscher Angaben zu gedruckten Büchern überprüfen konnte. Man konnte diese Bücher frei erwerben, sie gingen in identische Kopien an Bibliotheken in aller Welt. Mit dem gedruckten Buch entstand die Vorstellung der „res publica literaria“, der Republik der Gelehrsamkeit, die die Wissenschaften verfolgt und sich über sie austauscht. In den 1560er erschienen die ersten Kataloge der laufend gedruckten Bücher. Wissenschaftler mussten von nun an den gesamten Markt verfolgen und neue Publikationen gegenüber bestehenden rechtfertigen. Ein wachsender brieflicher Informationsaustausch durchzog die res publica literaria. Man versuchte, unter der Hand zu erfahren, wie Korrespondenzpartner öffentlich kursierende Bücher einschätzten. Die wissenschaftlichen Akademien, die ab den 1630ern gegründet wurden, gaben diesem Austausch institutionelle Zentren.

Die Einrichtung wissenschaftlicher Journale in den 1660ern brachte das bis heute zentrale Medium des wissenschaftlichen Publizierens auf den Markt. Mit den neuen Zeitschriften, die Bücher rezensierten, entstand ein kontinuierlicher sekundärer Diskurs, „Sekundärliteratur“, die sich mit den Wissenschaften fortlaufend kritisch auseinandersetzte. Dieser Markt explodierte ab den 1690ern mit dem Aufkommen neuer sehr subjektiver Journale, in denen einzelne Gelehrte ihre persönliche Perspektive zu Wissen der Wissenschaften laufend aktuell anboten und dabei Publikumsbindungen schufen. (Journale des frühen 18. Jahrhunderts wie die von Nicolaus Hieronymus Gundling herausgegebenen Gundlingiana entwickelten sich ähnlich wie die Blogs im Internet in einem zweiten Schub persönlich betriebener Medien).

Ab 1716 ließ sich der der Markt der Journale nicht mehr überschauen.[23] Die Wissenschaften hatten in ihrer ganzen Breite den Schritt zur Auseinandersetzung mit dem aktuellen Forschungsstand getan. Wissen wurde nicht länger als geordnet wie der Kosmos Gottes erfahren – man arbeitete nicht länger an großen systematischen Werken. Wissen erschien vielmehr kurzlebig und Moden unterworfen. Im Verlauf des 18. Jahrhunderts änderte sich diese Wahrnehmung schrittweise: Die zukunftweisende Erkenntnis war, dass Wissen nicht Moden folgte, sondern einem geheimen Fortschrittsprojekt.

Pyrrhonismus und kulturkritische Geschichtswissenschaft

Der große Unterschied zwischen der Geschichtsschreibung der frühen Neuzeit und der ihr folgenden des 19. und 20. Jahrhunderts liegt zum einen im neuen kritischen Umgang mit der schriftlichen Überlieferung und zum anderen in der Frage nach Entwicklungsmodellen.

Die Geschichtswissenschaft des 17. Jahrhunderts ist in weiten Bereichen auf die Sammlung von Daten ausgerichtet. Das Curieuse und das Wunderbare gewinnen hier einen ähnlichen Stellenwert wie in den Wunderkammern. Die Kritik setzt hier gleichzeitig ein wie in den Naturwissenschaften. Man sucht ab den 1670ern zunehmend nach einer Geschichtswissenschaft, die die Dokumentenlage rational erklärt und das Fiktionale aussondert. Mit der Diskussion um den Historischen Pyrrhonismus setzt in den 1680ern eine Fundamentalkritik an allen schlicht Sammelnden und zusammenschreibenden Geschichtswerken ein. Autoren wie Pierre Bayle versuchen Kriterien zu etablieren, nach denen sich irrige und fiktionale Überlieferungen aus der Geschichtsschreibung ausschließen lassen (hier besteht keine Möglichkeit des Experiments, mit der man etwa einen König Artus als Helden mittelalterlicher Epen entlarven und aus der Geschichtsschreibung ausschließen kann). Das erkenntnistheoretische Problem wird am Ende nicht gelöst, die Geschichtsschreibung als ganze jedoch umgeformt von einem Projekt, das moralisch belehren soll zu einer Wissenschaft, die die Bedeutung von Dokumenten befragen soll.

Einen zweiten Schritt tut die Geschichtsschreibung Mitte des 18. Jahrhunderts mit der Suche nach Modellen kultureller Entwicklung. Das alte Modell, nachdem jeder Mensch theoretisch eine Kultur erfinden kann wie die ersten Menschend dies kurz nach der Schöpfung taten, weicht neuen Modellen, die nach Faktoren kultureller Entwicklungen suchen. Klima und Rasse werden hier im 18. Jahrhundert zunehmend diskutiert. Entwicklungsverläufe interessieren in Werken wie Isaak Iselins Die Philosophischen Muthmaßungen über die Geschichte der Menschheit (1764), Henry Home KamesSketches of the History of Man (1774) und Edward Gibbons religions- und kulturkritischer Studie Verfall und Untergang des Römischen Imperiums (1776). Die Geschichte wird in den 1760ern zum Ort gesellschaftstheoretischer Diskussionen – bahnbrechend etwa mit Adam Fergusons Abhandlung über die Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft (1767) und in John Millars Vom Ursprung des Unterschieds in den Rangordnungen und Ständen der Gesellschaft (1771). Eine eigene Theoriedebatte eröffnet mit den neuen Ansätzen. Bekannt ist hier nach wie vor Friedrich Schillers Vorlesung Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte? (1790).

Vorbereitet fand sich hier am Ende die moderne Geschichtsdiskussion, die von den Nationen des 19. und 20. Jahrhunderts als Plattform genutzt wird, auf der öffentliche Kontroversen über die historische Verortung und historische Verantwortung ausgetragen werden.

Die Ökonomie sprengt das alte Fakultätengefüge

Das moderne Konversationslexikon konzentriert sich auf das Wissen zur gegenwärtigen Welt, Kupfer mit Aufklärungsemblematik
Moderne Bürokratie und Verwaltung. Illustration zu J. B. v. Rohrs Nöthiger und nützlicher Vorrath, 1719
Kupfer zur Nadelfabrikation (unter Kinderarbeit) aus Diderot's Encyclopédie, 1762

Zwei Entwicklungen sprengten in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts das Gefüge der Wissenschaften mit seinen vier Fakultäten. Erstens mussten moderne praktische Wissenschaften rund um die Ökonomie in den Lehrbetrieb integriert werden. Zweitens gewann die Öffentlichkeit in der Belletristik mit den 1750ern einen neuen zentralen Debattengegenstand auf den sich die Geisteswissenschaften am Ende neu ausrichteten.

Die erste Entwicklung ließ sich zu Beginn des 18. Jahrhunderts mitsamt ihren Konsequenzen absehen: Das Wissen hatte sich flexibilisiert, es lag jetzt mit einem unüberschaubaren Forschungsstand vor statt in systematisch gefügten Büchern, die die Welt abbildeten. Als publizierbare Marktware fand das Wissen Interesse weit außerhalb der universitären Wissenschaften. Die neuen Leser gerieten ohne Schulung in scholastischer Wissensgliederung an die Bücher und verlangten den direkten Zugriff auf Informationen. Johann Hübner beschrieb die Revolution in der Vorrede des Curieusen Natur- Kunst- Gewerck- und Handlungslexicons, das 1712 genau dies anbot: das moderne praktische Wissen aus Naturwissenschaften, Technik („Kunst“) und Wirtschaft („Handlung“):

„Vor Alters waren nur wenige Wissenschafften, und die waren auch nicht sonderlich ausgeführet: Es studirten auch wenige Leute, die begnügten sich, wenn sie eine oder die andere Disciplin ex professo verstunden; und die übrigen alle begehrten den Gelehrten nicht ins Handwerck zu fallen. […] Aber seit ohngefehr fünfftzig Jahren, ist erstlich die Anzahl der Wissenschaften gar sehr vermehret worden, daß man die Professiones auf Universitäten zum wenigsten dupliren müste, wenn eine iedwede Disciplin besonders solte dociret werden. […] daß man die alten Physici, Mathematici, und Historici, wenn sie heute wieder auffstünden […] nur vor schlechte Anfänger, paßiren würde. […] Daher es auch kommen ist, daß viel geringe Wissenschafften, die man sonst den Mechanicis überlassen hat, nunmehro von Literatis getrieben werden. Und endlich führet das ietzige Seculum eine solche Curiosität bey sich, daß ein iedweder alles; oder doch zum wenigsten von allem etwas wissen will. So viel Lehr-begierige Leute nun konten zu ihrem Zwecke nicht gelangen, so lange die Lateinische Sprache das MONOPOLIUM hatte, daß sie allein mit gelehrigen Sachen handeln durffte. […] Es haben demnach die Deutschen, nach dem Exempel anderer Nationen nicht geruhet, biß nunmehro fast alle Wissenschafften in die Mutter-Sprache dieser cultivirten Nation sind übersetzet worden. Darnach war ihnen die Systematische Methode viel zu weitläufftig, zu langweilig und zu verdrießlich: sonderlich um dieselbe Zeit, da man den Kern der wahren Weißheit nicht zu kosten kriegte, wenn man nicht vorhero die Metaphysischen Schalen, darinnen sie verborgen lag, mit Kopff-brechender Arbeit auffgemacht hatte. Es wurde aber auch diese Seite endlich zerrissen.“[24]

Der Lexikonmarkt explodierte wie derjenige der Journale seit den 1660ern. Nicht Großprojekte kamen hier auf den Markt, sondern vor allem Bücher zum Nachschlagen im Alltag. Die erste Generation dieser Werke sammelte bloß. Die zweite setzte mit Pierre Bayles Dictionnaire historique et critique in den 1690ern ein: Es musste zum einen darum gehen, das historische Wissen kritisch zu bereinigen. Zum anderen schlug die Stunde für Werke, die sich dem praktischen Leben zuwandten und alltagstaugliche Informationen aufboten: das Wissen, über das Zeitungsleser verfügen mussten. „Universal-Lexica“ folgten ab den 1730ern. Das große Projekt modernen Wissens der Aufklärung entstand mit der Encyclopédie ou Dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers, organisiert von Denis Diderot, Jean Baptiste le Rond d’Alembert unter der Mitarbeit von 142 Beiträgern und Kupferstechern, die den Stand der Technik festhielten.

Auf dem Buchmarkt hatten Autoren wie – in Deutschland – Julius Bernhard von Rohr und Paul Jacob Marperger den Schritt in die Wissenschaft getan, die sich der Zivilisation der Moderne in ihren Technologien und praktischen Organisationsformen zuwandte. Marperger veröffentlichte Handbücher zum bargeldlosem Zahlungsverkehr, den Handelsmessen, der Kunst der privaten Keller und Küchenführung. Rohr publizierte eine Compendieuse Haushaltungs-Bibliothek (1716), eine Einleitung zur Staatsklugheit (1718) einen Nöthigen und nützlichen Vorrath von allerhand auserlesenen Contracten, Verträgen, Recessen, Bestallungen [...] und andern dergleichen Concepten, Die sowol bey der Hauß-Wirthschafft Ueberhaupt Als insonderheit bey dem Acker-Bau, der Vieh-Zucht, Jagd- und Forst-Sachen, Wasser und Fischereyen, Bierbrauen, Weinbau, Bergwercken [...] vorzufallen pflegen (1719). Das Faszinierende an diesen Büchern wie an den Anleitungen aller Handwerke, die auf den Markt kamen, war die neue Offenheit für das Alltagswissen. Die Herausgeber der Deutschen Acta Eruditorum fragten nach dem Nutzen des modernen Nutzbaren, galanten und curiösen Frauenzimmer-Lexicons, das 1715 auf den Markt kam, und das erfasste, was jeder wissen konnte, der in einem Haus wohnte.[25]

In einem ersten Schritt drang die Wissenschaft in den Alltag vor, im zweiten setzten Mitte des 18, Jahrhunderts Publikationen mit gezielten Verbesserungsvorschlägen ein. Was mit den alten Wissenschaften zuvor geschehen war, dass sie einen aktuellen Forschungsstand hervorbrachten, geschah Mitte des 18. Jahrhunderts mit allen Lebensbereichen, in die die Wissenschaften eindrangen: Sie wurden Gegenstand neuer Fachdebatten. Die Ökonomie, die Haushaltungskunst kam aus dem Alltag und wuchs zur Kunst, moderne Wirtschaftssysteme zu betreiben. Erste Ideen stammen von den Physiokraten, die den Ursprung allen Wertes in der Landwirtschaft sahen. Diese Theorie wurde von Richard Cantillon formuliert und von Francois Quesnay mit dem Tableau économique ausgebaut. Theorie und Praxis wurtden eng aneinander gebunden etwa bei Anne Robert Jacques Turgot. In den 1770ern brachte Adam Smith die neue Wissenschaft mit seinem Buch An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations auf den Stand der in die Zukunft weisenden Nationalökonomie. An diesen anknüpfend, entwickelte Jean-Baptiste Say das Saysches Theorem, das erste Prinzip, das einen funktionalen Zusammenhang zwischen den volkswirtschaftlichen Größen Angebot und Nachfrage herstellte.

Moderne Universitäten erhielten die Strukturen, in denen Wissen zur Entwicklung von Nationen gebildet und unterrichtet werden konnte. Der Boden für die Industrialisierung wurde hier ab den 1770ern vorbereitet.

Schöne Künste

Theater

In der konfessionellen Zersplitterung Europas und den territorialen Profilierungsversuchen des Absolutismus entwickelten sich zwischen 1500 und 1800 nationale und regionale – potentiell vorübergehende – Besonderheiten des Theaterbetriebs heraus.

Schauspieltruppen bereisten Europa, kleinere gastierten allein auf öffentlichen Plätzen, bedeutendere mieteten öffentliche Säle. Kritiker erfassten diese Dramen erst im 18. Jahrhundert – als eine Produktion, die sich keinen gelehrten Regeln fügte, von der Interaktion einzelner Schauspieler mit dem Publikum lebte, von großen Repertoires, die ohne gedruckte Vorlagen im Besitz einzelner Truppen blieben und sich damit der Kritik entzogen.

Stationäre kommerzielle Theater florierten kurzfristig in London in der Shakespeare-Zeit (siehe den Artikel Elisabethanisches Theater). Man bespielte hier Häuser, die zum Bear-Baiting gebaut worden waren. Der langfristige Gewinner waren höfische Bühnen, die Ensembles unterhielten. Diese Bühnen öffnete sich im Lauf des 17. Jahrhunderts auf breiter Fläche der Oper, die maßgeblich von Italien aus exportiert wurde, und die anfänglich als Widerbelebtes Drama der Antike inszeniert wurde. Opern eroberten die kirchlichen Inszenierungen im katholischen Raum, sie führten zu nationalen Differenzierungen und einer enormen Auseinandersetzung um laufende Moden: Frankreichs Hof etablierte hier eine eigene Operntradition gegenüber der europaweit verbreiteten italienischen. Jean-Baptiste Lullys Opern setzten demgegenüber den politischen und militärischen Erfolg des französischen Absolutismus in Szene. Die Tragödie erhielt zunehmend eine akademische Sonderstellung. Sie florierte am Ende fast allein am Französischen Hof in einer neuen Auseinandersetzung mit der Kritik. Jean Chapelain schrieb hier über das vernünftige „Regeldrama“, das erheblich strenger strukturiert sein sollte als seine antiken Vorbilder. Autoren wie Pierre Corneille und Jean Racine setzten sich mit den Vorgaben auseinander. Ein aufklärerischer Diskurs griff hier im Ansatz. Auf andere Weise griff er bei den Komödien Molières die einzelne Verhaltensmuster dem öffentlichen Spott aussetzten.

In England erließ das religiös strikte Commonwealth-Regime 1642 ein Verbot aller Theateraufführungen. Als der Hof 1660 aus dem französischen Exil zurückkehrte brachte er einen französisch orientierten Theaterbetrieb mit, der sich rasch der öffentlichen Kritik als Ort der Unmoral aussetzte: Tragödien, eine immense Produktion sexuell freizügiger Komödien und die italienische Oper bestimmten Londons Theaterbetrieb zur Zeit John Lockes und Isaac Newtons. Georg Friedrich Händel machte auf diesem Markt im 18. Jahrhundert Karriere. Auf Kritik gingen die Vertreter des königlich geschützten urbanen Theaterbetriebs nur bedingt ein – es ergab sich daraus ein Spannungsfeld aufgeklärter Kritik und von ihr diffamierter „unmoralischer“ Praxis. Eine neue Polarisierung erhielt dieses Spannungsfeld mit einer Welle von Reform-Komödien die im frühen 18. Jahrhundert einsetzt und Richard Steele und Joseph Addison zu Propagandisten eines neuen der Aufklärung und der bürgerlichen Moral verpflichteten Theaterbetriebs machten. Das Theater entwickelte sich von hier aus ab den 1720er zum zentralen Ort einer öffentlichen Debatte der bürgerlichen Moral.

Die Theaterstücke, die heute in der Germanistik als Dramen des Barock gehandelt werden, waren überwiegend Stücke aus dem Schulbetrieb Breslaus, denen eine weitere Bedeutung erst mit dem mittleren 18. Jahrhundert zukam. Die festen Bühnen des deutschsprachigen Raums öffneten sich im 17. Jahrhundert der Oper. Die „aufgeklärte“ Theaterkritik richtete sich anfänglich gegen die Oper, ab den 1730ern dagegen primär gegen die Wandertruppen. Man behandelte die Oper als Musik gewann den Raum für reformierte Tragödien und Komödien auf dem Gebiet das man gegenüber der Oper als das eigentliche Gebiet der Poesie definierte. Adisson und Steele gaben namentlich Johann Christoph Gottsched, Johann Jakob Bodmer und Johann Jakob Breitinger die Vorbilder nach denen sie ein reformiertes, Regeln der Antike beachtendes, „vernünftiges“ Drama forderten. Die Generation Gotthold Ephraim Lessings nahm diese Forderung auf. Es entstanden in der Auseinandersetzung neuer Autoren mit der „aufgeklärten“ Kritik neue Dramen, die sich in die Diskussion der Epoche einmischten.

Die neuen Dramen wandten sich bürgerlichen Themen zu. Ihre Konflikte glichen Komödienkonflikten, gaben diesen jedoch tragisches Potential – die neue Frage war, ob sich ernstzunehmende Konfliktlösungen finden ließen, Konfliktlösungen, die auf einer neuen Moral des Mitgefühls basierten. Das empfindsame bürgerliche Trauerspiel, die comédie larmoyante setzte hier in den 1740ern europaweit Maßstäbe eines neuen Umgangs mit Gefühlen bei dem aufgeklärte Verfasser in die Praxis umsetzen was Shaftesbury in den 1690ern auf dem Gebiet der als Moralphilosoph formulierte: der Mensch sei von Natur aus und im Privaten von Mitgefühl bestimmt, ein Wesen, das nichts sehnlicher sucht, als in Harmonie mit anderen zu leben.

Die Oper blieb gegenüber den neuen Dramen auf Stimmungsumschwünge und im Ernstfall auf Rachehandlungen und Zornesausbrüche ausgerichtet. Eigene Reformbewegungen erfassten sie etwa mit den Angeboten die Apostolo Zeno am Wiener mit eigenen Reformopern machte. In England wich die Oper unter der öffentlichen Kritik in den 1730ern dem Oratorium als Kunstform, die die üppigen und sinnlichen Inszenierungen mied. In Deutschland und Frankreich machten am Ende in den 1760ern Singspiele und eine neue Natürlichkeit und Schlichtheit anstrebende Reformopern die alte Gattung positiv diskutabel.

Belles Lettres, Poesie und der Roman

Englische Ausgabe von Fenelons Telemach (1715): Die Göttin der Weisheit, Pallas Athene, hat sich dem Helden offenbart und führt ihn zu ihrem Tempel
Kupfer aus der Luxusausgabe von Richardsons Pamela (1742). Der Roman wird zur modernen Lebensschule.

Der Bereich der heute von Literaturgeschichten erfasst wird, wurde erst im Lauf des 18. Jahrhunderts zusammengefasst und unter das Wort gebracht. Romane, Dramen und Lyrik finden sich noch auf dem Buchmarkt des frühen 18. Jahrhunderts in verschiedensten Feldern. Literatur ist für die Literaturzeitschriften bis in die 1740er hinein das Feld der Wissenschaften. Die deutsche Literaturkritik der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts verschiebt hier den Begriff, in dem sie den belles lettres, der Poesie, dem Roman als Gattungen der Kunst eigenen Stellenwert einräumt. Die neuen Rezensionen verändern die öffentliche Perspektive und erzeugen den am Ende in den 1780ern und 1790ern Eindruck, dass Literatur schon immer das Feld der Dramen, Romane und Gedichte war.

Mehrere Reformbestrebungen greifen mit dem neuen Literaturbegriff der 1780er und 1790er: Der Roman wurde noch im frühen 18. Jahrhundert als Teil der Geschichtsschreibung verortet. Unter dem neuen Literaturbegriff steht er mit der Wende ins 19. Jahrhundert als legitime Gattung der Nationalliteratur im Raum.

Im neuen Literaturbegriff erhält zweitens die Oper keinen weiteren Platz. Neben dem Roman steht ab den 1780ern das Drama als immer schon der Oper ferne, auf Aristoteles zurückgehende Gattung.

Drittens bietet der moderne Literaturbegriff der 1780er und 1790er eine Reform des Marktes der belles lettres an. Belles lettres waren seit dem 17. Jahrhundert alle eleganten nicht im akademischen Sinne wissenschaftlichen Bücher: Romane, Gedichtbände, Memoires, skandalöse Historien, Anleitungen ob zum Fechten oder zur aristokratischen Gartenbaukunst. Der moderne Literaturbegriff steht nur Werken künstlerischer Qualität offen. Allen skandalösen Feldern der belles lettres nimmt der moderne Literaturbegriff Öffentliche Beachtung. Sie werden unter ihm nicht diskutiert zum trivialen kommerziellen Markt.

Namentlich der Roman verändert sich in dieser Entwicklung: Die Romane, die Madeleine de Scudéry Mitte des 17. Jahrhunderts schrieb waren von aufgeklärten Kritikern wie Christian Thomasius ob der Kunst der Charakterbeobachtung gewürdigt worden. Kurze novellistische Romane wurden ab den 1670ern in Frankreich, ab den 1680ern in England ob ihrer vernünftigeren überschaubareren realistischeren Handlungskonstrukte gelobt. Die moderne Literaturwissenschaft setzt den Einstiegspunkt in den Roman der Aufklärung mit den Erziehungsromanen an, die ab 1699/1700 angeregt von François Fénelons Telemach erschienen. Philosophische Romane folgen mit Montesquieus Lettres Persanes (1721), Jonathan Swifts Gulliver's Travels (1726), Voltaires Candide ou l'optimisme (1758 verfasst, 1759 veröffentlicht) und Jean-Jacques Rousseaus Romanen Julie ou la Nouvelle Héloïse (1761) und Émile, ou De l'éducation (1762). Der Roman wird zum Medium in dem Aufklärer zentrale Debatten der Aufklärung mit größtem Publikumsanspruchs inszenieren können. Die Zukunft wird dabei am Ende als neue Projektionsfläche entdeckt. Waren Samuel Maddens Memoires of the Twentieth Century (1733) noch bei allen Erkundungen der Zukunft Gegenwartssatire, so ist Louis-Sébastien Mercier's L'An 2440 (1771) wie kaum ein anderer Text ein Propagandawerk der Aufklärung. Im großen Bogen werden hier alle Lebensbereiche unter dem Aspekt ihrer Entwicklungsmöglichkeiten durchgegangen. Der Besucher aus der Zeit der Aufklärung erfährt sich im Jahr 2440 neu: er kommt tatsächlich aus einer Welt, die gerade am Anfang der neuen Epoche stand.

Parallel zur Dramatik mit ihrem Interesse am bürgerlichen und privaten Verhalten entwickelte sich ein eigener Roman eindeutig bürgerlicher Sujets. Die Romane Daniel Defoes und Samuel Richardsons und Henry Fieldings schufen hier eine internationale Mode. Namentlich Richardson Pamela or Virtue Rewarded (1740) bestimmte die Diskussion um den Roman als reformierte der Aufklärung zugängliche Gattung. Tugendkonflikte ließen sich hier anders als auf den Bühnen mit Innenperspektiven ausspielen. Der Leser sieht die Welt im modernen Briefroman aus der Sicht des jungen Dienstmädchens das seine Tugend gegen Angriffe ihres aristokratischen Arbeitgebers verteidigen muss und diesen am Ende reformiert. Andere Romane wie Christian Fürchtegott Gellerts Das Leben der Schwedischen Gräfin von G*** (1747/48) spielen Vernunftlösungen von unlösbaren emotionalen Konflikten spektakulär durch.

Eine besondere Bedeutung gewann in der Interaktion mit der philosophisch-wissenschaftlichen Diskussion im 18. Jahrhundert das Lehrgedicht in neuer Spannbreite zwischen Satire und antikem heroischen Gedicht. Eine Entwicklungslinie vereint so unterschiedliche Texte wie Alexander Popes Essay on Man (1734) und Friedrich Gottlieb Klopstocks Messias (1748/1772–1798). Die neuen Werke folgen antiken Vorbildern, brechen jedoch mit der Rhetorik des 17. Jahrhunderts. Statt große Emotionen zu suchen, suchen sie klassische Schlichtheit und Überraschung der geistreichen Formulierung.

Symptomatisch ist für die Bereiche des Romans, des Dramas und des Gedichts, die sich der Literaturkritik öffnen und damit den Literaturbegriff verändern ihre Bereitschaft sich öffentlichen Debatten zu stellen. Eine diskutierbare Produktion kommt hier auf und disqualifiziert die bisherige belletristische Produktion als Konsumware, als Trivialliteratur, als eine Ware ohne eigene Diskussionsangebote. Eine größere wissenschaftliche Kontroverse entzündete sich im 20. Jahrhundert an der Frage nach dem Ende der Aufklärung, das sich in den neuen Bereichen des Romans und des Dramas frühzeitig abzeichnet. Deutlich kritisieren die Werke, die in der Germanistik dem Sturm und Drang, in den anderen europäischen Philologien der Romantik zugeordnet werden die Ästhetik wie die Werte der Aufklärung. In den Romanen und Dramen der Jahrhundertmitte waren schwache Helden populär geworden, die des Schutzes der Gesellschaft bedurften, sich nicht mehr wie die Helden des frühen 18. Jahrhunderts in Intrigen und zur Not mit Gewalt verteidigten. Die Helden des mittleren 18. Jahrhunderts erröteten, wenn sie Geheimnisse wahren sollten, sie zeigten sich sensibel, empfindsam. Die revolutionäreren Helden der 1760er und 1770er gewinnen Stärke zurück, sie leiden und scheitern wie Johann Wolfgang von Goethes Werther oder Friedrich Schillers Räuber an der Erwartung der Gesellschaft, alle Konflikte harmonisch und vernünftig lösen zu sollen. In der Forschung besteht Dissens in der Frage, wann das Ende der Aufklärung einsetzte, das mit diesen Helden diskutierbar wird. Letztlich bereiteten die ihren Gefühlen folgenden empfindsamen Helden eine Absage an das vernunftorientierte Handeln vor, auch wenn die Kritik gerade an ihnen bewiesen sah, dass in der neuen Zeit kein Konflikt mehr zwischen Gefühl, Tugend und Vernunft bestünde.

Bildende Künste

Stillleben aus der hand des Mannes, dem Amsterdam die erste Straßenbeleuchtung verdankte, barockes Vanitas-Ensemble, oder Zeichen der Aufgeschlossenheit gegenüber der Welt, der Geschichte und der modernen Technik

Mit den Bereichen der bildenden Künste – der Malerei, der Skulptur, der Architektur – und der Musik lassen sich die Probleme ansprechen, sie sich mit der Annahme einer eigenen Epoche der Aufklärung ergeben. Von „Malerei der Aufklärung“ wird in der Regel so wenig gesprochen wie von „Musik der Aufklärung“. Das hat nicht damit zu tun, dass diese Künste im „Zeitalter der Aufklärung“ nicht mehr existierten. Auch ist keineswegs der Fall dass die Aufklärer die bildende Kunst und Musik ihrer Zeit nicht schätzten. Die bestehenden Probleme von einer Kunst oder Musik der Aufklärung zu sprechen, haben mehr mit dem modernen Interesse an einem Geschichtsverlauf zu tun, bei dem die Aufklärung als Zeitalter der Vernunft einem Zeitalter der barocken Sinnlichkeit folgte, bevor es dem 19. Jahrhundert endlich gelang, mit einer neuen Kunst Verstand und Sinne anzusprechen.

Deutlich zeigen sich die Schwierigkeiten in Momenten, in denen Autoren der Aufklärung sich selbst als Musikliebhaber oder Zeichner betätigten oder Komponisten der Zeit als aufgeklärte Leser erweisen: Alexander Pope illustriert sein Essay on Man 1734 mit einer Zeichnung, die kunsthistorisch betrachtet als Vanitas Bild dem Barock zuzuordnen ist. Georg Friedrich Händel, von der Musikgeschichte dem Barock zugeordnet fügt seinerseits noch 1751 bei der Arbeit an seinem Oratorium Jephta eigenhändig in das Libretto Thomas Morells die Zeile „Whatever is, is good“ aus Alexander Popes Essay on Man (1734) ein, mit der Pope Leibniz und Shaftesbury diskutierte. Man kann diese Momente epochentheoretisch lesen: Alexander Pope ist als Schriftsteller aufgeklärt als Zeichner aber nicht auf der Höhe der Zeit. Händel schreibt Barockmusik mitten im Zeitalter der Aufklärung. Offenbar – so die Lösung des Paradoxes mit Ernst Bloch und Reinhart Koselleck – entwickelten sich die Künste ungleich schnell und produzierten eine Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen. Die Alternative ist hier Gleichzeitigkeit des Gleichzeitigen anzuerkennen – erst die spätere Geschichtsschreibung sucht hier bestimmte Artefakte einer ausklingenden und andere einer neuen Kulturströmung zuzuweisen.

Zur Komplexität der Lage gehört, dass eine Kritik an der Sinnenverliebtheit der bildenden Kunst und an pompöser Musik sich bis in die Reformation hinab verfolgen lässt. Die Reformatorischen Bilderstürme setzten eine Diskussion um den vernünftigen Einsatz von Bildern in Gang. Eine Kontroverse zwischen dem Katholizismus als Religion, die auf die Sinne setzt und dem Protestantismus als rationalerer Religion, nutzte hier das Feld der Kunstkritik. Gleichlaufend wird namentlich von protestantischen Kritikern im Lauf des späten 17. und frühen 18. Jahrhunderts die Oper zunehmend kritisiert als Feld der Verführung. Aus der Kunst und Musikkritik gehen Impulse der Moraldiskussion hervor, die in den 1720ern, 1730ern und 1740ern eine neue Produktion von Dramen und Romanen anregt.

Eigene Reformschübe lassen sich auf den Gebieten der bildenden Künste und der Musik zwischen 1600 und 1800 ausmachen und unterschiedlich mit den Diskussionen der Aufklärung verbinden.

In der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts bildete sich in ein neuartiges Interesse an realistischen Landschaftsabbildungen und mit wissenschaftlicher Akribie bewältigten Auseinandersetzungen mit der Realität im Feld der Stillleben heraus. Bürgerliche Sujets gelangen in die Bildsprache, bevor sie Ende des 17. Jahrhunderts den europäischen Roman und Mitte des 18. Jahrhunderts die Bühnen eroberten.

Strebte die Poesiekritik des 18. Jahrhunderts nach einer vernunftorientierten zu klassischen Idealen zurückkehrenden Dichtung – nach einer Dichtung, die „Sprachbombast“, rhetorische, sinnliche Effekte meidet – so zeigen sich ähnlich Bestrebungen in den Bereichen der Skulptur, der Architektur und des Designs. Das heute so genannte Barock setzt Mitte des 17. Jahrhunderts auf Hell-Dunkel Kontraste und monumentale theatralische Effekte. Mit den Strömungen „galanter“ Malerei und Baukunst, die heute als Rokoko bezeichnet werden, siegt ein Interesse am kleinen charmanten Detail und an Zurückhaltung. Man sucht eine „annehmliche“, „bezaubernde“ Gestaltung statt üppiger Prunkentfaltung. Pastellfarben, lockere Girlanden verdrängen großartige Farbeffekte und üppige Staffagen. Die heute dem Klassizismus zugerechnete Architektur steht wiederum Bestrebungen innerhalb der Poesiekritik des späten 18. Jahrhunderts gegenüber zu klassischen Formen zurückzukehren

Musik und Tanz

Modischer Druck einer Tanzschrittfolge "The friendship: Mr. Isaac's new dance for the year 1715"

Von „Musik der Aufklärung“ zu sprechen, ist nach wie vor unüblich. Einzelne Arbeiten lokalisieren Joseph Haydn im Zeitalter der Aufklärung,[26] Dass Johann Mattheson zu Beginn des 18. Jahrhunderts ein musikkritisches und musiktheoretisches Rezensionsorgan herausgab, wurde mit der Aufklärung in Verbindung gebracht.[27] Bekannt ist, dass der bürgerliche Philosoph Jean-Jacques Rousseau ebenso komponierte wie der absolutistische Herrscher Friedrich II. von Preußen – beide werden in der Forschung engstens mit der Aufklärung assoziiert. Die deutschsprachige Musikwissenschaft umgeht das Wort Aufklärung dessen ungeachtet weitgehend.[28] Etwas verbreiteter ist der französische Ausdruck musique des Lumières.[29]

Kritik an Musik wurde im breiten Spektrum, dort, wo sie Fragen der Vernunftorientierung aufwarf, der Aufklärung zugeordnet. Schwierig ist erneut der Umgang mit Musik, die sich Forderungen der Kritik unterwarf. Die Reformopern die Mitte des 18. Jahrhunderts etwa mit Rousseaus Kurzoper Le Devin du village (1753) einsetzen, verabschieden sich von höfischem Prunk und rhetorischen Emphasen. Die einfache Melodie wird als Natürlichkeit der neuen Kunst gewürdigt. In die Opernkritik fließen im selben Moment nicht allein kunsttheoretische Aspekte. Es geht mit ihr auch darum eine Distanz von höfischer Oper und der volkstümlicher Musizierpraxis zu erzeugen. Die Melodie ließ sich hier dem Individuum und seiner Freunde an der Musik zuordnen, große Harmonien und Orchestrierungen standen eher für die Prachtentfaltung der höfischen Kultur.[30]

Die Aufwertung intimer Instrumentalmusik fällt in den kritischen Prozess und geschieht gleichzeitig wie die Suche nach einem galanten intimen Stil in der Dichtung und nach intimem, „annehmlichem“, „netten“ Design in der Architektur: Die Triosuiten Arcangelo Corelli werden zu Beginn des 18. Jahrhunderts Verkaufsschlager in den Zentren der Aufklärung – Musik für das kleine Ensemble und das private Divertissement. Die Entwicklung des Streichquartetts als neuer Kunstgattung steht im ausgehenden 18. Jahrhundert für neue Formen einer bürgerlichen Musik. Johann Wolfgang von Goethes Würdigung: „man hört vier vernünftige Leute sich unterhalten“[31] zeigt auf dass hier ähnliche Ideale wie in der Aufklärungsdebatte in der Musikdiskussion bestehen.

Schwierig sind Bereiche wie der Tanz in der modernen Epochendiskussion zu verorten. Erneut gibt es hier eine breite öffentliche Kritik kirchlicher und gelehrter insbesondere protestantischer Stimmen: Tanz rege die Sinnenlust an, störe das vernünftige moralische Nachdenken. Gleichzeitig sind die Felder der Reformbestrebungen damit Gegenstand der Vernunft- und der Aufklärungsdebatte, ein Ort an dem sie in das gesellschaftliche Leben eingreift.

Das 17. Jahrhundert lebt hier von einer Distanz zwischen dem Tanz niederer Schichten und dem bei Hofe angesagten, im Bürgertum bis weit in das 18. Jahrhundert populären. Bürgerliche Studenten gehen an Wochenenden in deutschen Universitätsstädten des späten 17. Jahrhunderts auf die Dörfer zum Tanzen, sie nehmen gleichzeitig in den Städten Tanzunterricht. Einstudiert wird dabei eine hochartifizielle Tanzkultur, die von komplizierten Schrittfolgen und komplexen Mustern lebt. In London und Paris kann man angesagte Tänze zu modischen Anlässen im Druck erwerben, um sich die Schrittfolgen anzusehen.[32] Aus bürgerlichen Romanen des frühen 18. Jahrhunderts wird ersichtlich dass der Tanz hier ein Bereich immensen Wettbewerbs war: Es galt die komplexen Anforderungen und die komplizierten Sprünge mit größter Natürlichkeit durchzuführen, ohne Anstrengung zu zeigen. Die Handbücher zum Tanz gelten im frühen 18. Jahrhundert einer Kunstform, die enorme Körper- und Affektenkontrolle verlangt.

Die Tanzformen, die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts den Markt erobern, suchen neue Natürlichkeit – eine Forderung der Aufklärung. Sie zeigen sich gleichzeitig einer neuen Sinnlichkeit offen. Symptomatisch sind hier die Passagen in Goethes Die Leiden des jungen Werthers (1774), in denen Walzer getanzt wird – gezielt um in einen Sinnentaumel zu geraten.[33] Man kann hier den Aufstieg einer neuen bürgerlichen Kultur beobachten, die sich von Vorgaben der Adelskultur des 17. Jahrhunderts distanziert. Gleichzeitig sind Vernunft und Ordnung dabei nicht mehr die zentralen Ideale.

Gesellschaftliche Resonanz

Die öffentlich vertretenen Vorstellungen wandelten sich zwischen 1600 und 1780 in erheblichem Maße. Dabei verändert sich nicht nur die Position, die der Mensch sich im Kosmos zumisst: Weltuntergangsszenarien grassieren noch im Jahrhundert nach der Reformation in einer breiten chiliastischen Grundstimmung. In den 1770ern kommen ausgedehnte Zukunftsszenarien in Mode unter Lesern, die davon ausgehen, dass die Menschheit über die nächsten Jahrhunderte hinweg neue Stufen der Tugend ersteigt.

Moralwandel

Familie John and Elizabeth Lloyd Caldwater 1772

Die Leser, für die Thomas Hobbes 1651 seinen Leviathan verfasste, gingen offenkundig davon aus, dass die Natur des Menschen verderbt sei, und dass nur die Angst vor Strafen die Menschheit davon abhalte sich selbst zu zerfleischen. Dem Leser, den Shaftesbury in den 1696 mit seinem Inquiry Concerning Virtue or Merit adressierte, lag es im Gegenteil nahe, davon auszugehen, dass der Mensch von Natur aus das größte Glück empfindet, wenn er in Harmonie mit seiner Umwelt lebt. Bernard Mandeville attackierte Shaftesbury in den erweiterten Fassungen seiner Fable of the Bees 1714 und 1723. Das stimme wohl: die meisten Menschen hielten sich in ihrem Inneresten für tugendsam, sie zeigten sogar ein schlechtes Gewissen, wenn niemand ihre Untugend bemerke. Doch sage das nichts über die Natur des Menschen, sondern allenfalls über die Erziehung, die ihn solche Tugenden verinnerlichen lasse. Später stabilisiere die Gesellschaft dann sich selbst, indem sie Menschen bei denen die Erziehung glückt, mit verantwortlichen Positionen ködere und belohne.

Die Lehren Pufendorfs waren über Gershom Carmichael nach Schottland gelangt. Sein Schüler Francis Hutcheson knüpfte eng an Shaftesbury an und entwickelte mit dem „Moral Sense“ eine Moralpsychologie. Zugleich war er Mitbegründer der Schotischen Schule. In seiner Nachfolge bewegten sich auch Adam Ferguson, David Hume und Adam Smith mit ihren moralphilosophischen Arbeiten. Gegen den Skeptizismus Humes stellte Thomas Reid den „Common Sense“, vertrat aber in der Moralphilosophie ebenfalls einen psychologischen Standpunkt.

Das Verhalten änderte sich zwischen den 1690ern und den 1740ern. In Romanen des frühen 18. Jahrhunderts wird es noch als Tugend notiert, wenn eine Heldin „Verschlagenheit“ beweist: Die Kunst, ihre Affekte in Zaum zu halten und sich beim Verfolgen geheimer Pläne nichts anmerken zu lassen. Christian Thomasius theoretisiert in den 1690ern, dass tugendsame und tugendlose Menschen sich derselben Taktiken der Verstellung bedienten - die einen zu guten und die anderen zu bösen Zwecken. Mitte des 18. Jahrhunderts kommen demgegenüber neue Dramen auf den Markt, deren Heldinnen erröten, wenn sie ein Geheimnis vor ihren Eltern oder Geschwistern hegen sollen. In den 1770ern kommen mit Romanen wie Henry Mackenzies Man of Feeling (1771) selbst Männer in Mode, die innerlich zerbrechen, wenn sie nicht mit der Welt in Einklang leben. Für andere Menschen zu leben, bereitet den neuen tugendsamen Helden Mitte des 18. Jahrhunderts das intimste Glück. Geständnisse machen sie einander, wo ihre Vorgänger im frühen 18. Jahrhundert noch ihre Reputation voreinander verteidigten. Die Helden der Jahrhundertmitte sind von Natur aus zart besaitet, schwach, auf die Hilfe anderer angewiesen – und erhalten diese Hilfe, da sie einander transparent begegnen. Die Helden des frühen 18. Jahrhunderts zeigten dagegen Stärke, wenn es darum ging, die eigene Reputation offensiv und rücksichtslos öffentlich in Szene zu setzen. Auch die Aufwertung der Faustfigur von einem Verbrecher, den man insgeheim bewundert, zu einem aufklärerischen Vorbild, vollzieht sich in dieser Zeit.

Nicht anders bei Frauenfiguren und auf der Bühne: Die Hauptfigur der überaus erfolgreichen Opera buffa La serva padrona (1733) von Giovanni Battista Pergolesi wird durch pure Verschlagenheit zur Hausherrin, während die Hauptfigur von Mozarts La finta giardiniera (1775) sich nur aus Liebe verstellt, was durch den deutschen Titel Die Gärtnerin aus Liebe noch zusätzlich betont wurde.

Was in den Romanen und Dramen geschah, scheint Einfluss auf den Alltag gehabt zu haben: Frauen- und Männerrollen werden zwischen 1650 und 1800 neu bestimmt. Dass eine Frau ihre Reputation öffentlich verteidigt, nötigenfalls, indem sie publiziert, um ihre Tugend in einem besseren Licht darzustellen, ist im 17. Jahrhundert statthaft. In Romanen fallen bis in das frühe 18. Jahrhundert Heldinnen auf, die sich gegen ihre Eltern stellen und die sich physisch angegriffen, mit Waffengewalt verteidigen. Das zwischen 1660 und 1720 moderne galante Verhalten gesteht es Frauen und Männern zu, einander im Gespräch gleichrangig zu begegnen. Mit den 1720ern und der Mode der Empfindsamkeit wird vor allem ein neues Frauenbild modern, in dem die Frau als das schwache Geschlecht auf den Schutz der Gesellschaft anders angewiesen ist. Die publizistische Betätigung, die für Frauen wie Madeleine de Scudéry (1607–1701), Aphra Behn (1640–1689), Marie-Catherine d’Aulnoy (1650–1705), Anne-Marguerite Petit DuNoyer (1663–1719), Delarivier Manley (1663–1724) legitim war, wird im 18. Jahrhundert neuen Regeln öffentlichen Anstands unterworfen, die von der Frau natürliche Bescheidenheit und Zurückhaltung verlangen.

Hinter den Verhaltensangeboten, die Romane und Dramen machen, und die bereits im 18. Jahrhundert als möglicherweise nur Moden unterworfene diskutiert wurden, stehen nachweisbare Verhaltensänderungen, wie sie zum Teil bereits anzusprechen waren: Öffentliche Hinrichtungen, bei denen Delinquenten ausgeweidet werden, werden im Verlauf des 18. Jahrhunderts als Verstoß gegen die Menschlichkeit und als Beleidigung des menschlichen Mitgefühls illegitim. Erziehungsratgeber ändern sich. Eine neue Pädagogik richtet sich im 18. Jahrhundert darauf aus, den Menschen zum besseren moralischen Empfinden zu erziehen. Pädagogische Reformwerke überschwemmen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts den Markt.

Markant ändern sich Darstellungen des Privaten als des Bereichs, in dem nach den 1740ern Menschen ihre natürlichen Seiten ausleben. Auf Bildern lassen sie sich mit familiären Bindungen von Zärtlichkeit und Vertrauen portraitieren. Von natürlichen Gefühlen geprägte Bindungen sollen dargestellt werden, wo früher statische Bindungen demonstriert wurden.

Zeitalter der Gesellschaften

Eigene Gesellschaften werden im 17. und 18. Jahrhundert innerhalb der westlichen Gesellschaften gegründet, mit dem Ziel, erzieherisch auf die Moral und das Bewusstsein einzuwirken: Öffentlich agierende Gesellschaften wie die 1691 in London gegründete Society for the Reformation of Manners und sich der Öffentlichkeit entziehende wie der Illuminatenorden oder die Freimaurerlogen, die gegenüber den religiösen Glaubensangeboten neue, dem Deismus nahestehende philosophischere unterbreiten.

Die Sozialisierung wird neuen Idealen unterworfen, die Suche nach einer Gemeinschaft von Gleichgesinnten, in der Seelenverwandtschaften ausgelebt werden, greift aus dem Bereich freikirchlicher religiöser, auf das religiöse Empfinden ausgerichteter Gruppierungen auf die breite bürgerliche Gesellschaft über. Sich mit Gleichgesinnten fest zu assoziieren, wird ein neues Ziel bürgerlicher Individualisierung in den damit zunehmend unüberschaubaren Gesellschaften, in denen Individuen ab dem 19. Jahrhundert deutlich von Orientierungslosigkeit bedroht sind: Der Einzelne muss im Zustand der Aufklärung in den 1770ern und 1780ern zunehmend suchen, um noch Menschen zu finden, mit denen er fühlen kann.

Gefühlskult und Distanzierung von der Aufklärung

Tendenzen zur Destruktion der eigenen Ideale trägt die Aufklärung bereits in sich, wie es neben den selbstkritischen Satiren auch die vernunftfeindliche Empfindsamkeit zeigt. Dass die Vernunft der französischen Klassik vielmehr in zahlreichen Normierungen und Regulierungen bestanden habe, wurde Michel Foucault nicht müde zu erklären.[34] Dieser Verhaltensdruck brauchte seine Ventile: Ab dem späten 17. Jahrhundert breitete sich ein Menschenbild aus, das die Bedeutung vernunftgesteuerten Handelns einschränkte: Shaftesburys einen Moral Sense, einen „Sinn für das Moralische“ entfaltendes Individuum basierte bereits auf der Annahme, dass dieses letztlich von Gefühlen, nicht von Strategien und rationalen Erwägungen und damit von Vernunft bestimmt sei. Die Menschenbilder, die von Autoren wie Jean-Jacques Rousseau in den 1760ern diskutiert wurden, sind von Idealvorstellungen eines natürlichen Verhaltens bestimmt, das sich gegen die Hofsitten richtet.

In den 1760ern und 1770ern gewann die Empfindsamkeitsdebatte radikale Ausläufer, die das Projekt der Aufklärung in seinen Prämissen in Frage stellten: Statt höfischer Öffentlichkeit wurde etwa der Rückzug ins Private auf die Spitze getrieben. Zum einen kamen radikal tugendsame Helden in Mode, die vereinsamen, statt dank ihrer Tugend Gesellschaft zu stiften. Zum anderen kamen Helden in Mode, die gegen jedes zarte Gefühl rebellieren und ihre herrische Individualität zum neuen Maßstab machen. Mit den Begriffen Sturm und Drang im Deutschen und Romantik in der internationalen Diskussion wird ein Umbruch notiert, der letztlich keinen klaren Anfangspunkt hat. Romane wie Les Aventures de***, ou les Effets surprenans de la sympathie (Paris: P. Prault, 1713–1715) testeten früh die Szenarien aus, die in den 1770ern und 1780ern aufkamen und sich am Ende als Gegenströmung zur Aufklärung artikulierten.

Politik

Utopien des Siegs der Tugend

Zur Radikalität der Aufklärung gehört das Vertrauen, das ihre Fürsprecher in die Folgen hatten, die ein höheres Maß an Einsicht und Wissen haben würde. Mustergültig deutlich wird dies in Utopien wie Louis-Sébastien Mercier's L'An 2440 (1771), dem Buch, das die verschiedenen Konzepte der Aufklärung wie kaum ein anderes in einen harmonischen Zusammenhang brachte. Die ersehnte Epoche glückvollen menschlichen Zusammenlebens kommt weder durch einen politischen Entwicklungsprozess noch durch einen revolutionären Prozess, sondern durch die Verbreitung besseren Wissens, welche die Menschen von selbst den Schritt zur Tugend tun lässt, nach dem sich alle weiteren Interessenkonflikte von selbst auflösen. Ein tugendhafter Regent definiert seine Macht neu und ist fortan schlicht der erste seiner Bürger. Sein Volk nutzt die Presse vor allem, um sich selbst zu größerer Tugend zu erziehen. Bernard Mandeville behauptete 1705 und 1714 in seiner Fable of the Bees, dass ein zur Tugend gelangendes Gemeinwesen in Stagnation verfiele und seine Lebenskraft verlöre, und wurde dafür als Man-Devil, als Teufel in menschlicher Gestalt verfemt. Die Zukunftsvisionen der 1770er bauen auf Verbesserungen und ihnen folgend auf glücklichere Gemeinwesen. Die Skeptiker des frühen 18. Jahrhunderts, sind in den Diskussionen des späten 18. Jahrhunderts kaum noch präsent. Vor allem Locke und Shaftesbury gelingt der Schritt von den 1690ern in die 1770er, letzterem als der Philosoph, der als erster die These aufstellte, dass aus Verfeinerungen des Geschmacks und des Gefühls ein harmonisches Zusammenleben folgen würde.

Leser der 1770er brechen an einer anderen Stelle mit den Modellen eines zukünftigen zivilisierten Zusammenlebens in aufgeklärten Staaten. Sie entwickeln ein Interesse an archaischer Größe und am Edlen, das sich bei unzivilisierten Wilden zeige.[35] Die Aufklärung mit ihren Anforderungen des tugendhaften Zusammenlebens innerhalb streng reglementierter Gesellschaften wird als zunehmend beengend empfunden. Eine Zivilisations- und Kulturkritik entwickelt sich aus der Empfindsamkeit heraus, wo es bereits darum ging, ein Zusammenleben zu organisieren, in dem jeder seine Natur zum Besten der Gesellschaft entfalte. Die These, dass die Natur des Menschen sich in komplexen Zivilisationen entfalte, wird in den 1770ern und 1780ern fragwürdig.

Bestrebungen des aufgeklärten Absolutismus

Kaiser Joseph II. und sein jüngerer Bruder, der spätere Kaiser Leopold II., Vertrauen unter Brüdern statt machiavellistische Rivalität

Die Versuche der namhaften Aufklärer, politische Staaten in ihren Verfassungen zu ändern, sind bis in die 1770er von Zurückhaltung gezeichnet. Man setzt auf Wandel. Auffällig sind in diesem Zusammenhang die Bemühungen bedeutender Autoren, mit der Politik in ein beratendes Gespräch zu kommen. Kathraina II. von Russland korrespondierte mit Voltaire, Montesquieu und Cesare Beccaria. Die von ihr durchgeführten Reformen konzentrierten sich auf Infrastrukturmaßnahmen. Ein intensives Verhältnis riskierte Friedrich II. von Preußen) zu Voltaire. Friedrich selbst publizierte im Sinn der neuen Zeit programmatisch 1740 seinen Anti Machiavel. Zu den Reformen, die er noch unmittelbar nach dem Machtantritt in Angriff nahm, gehörte die effektive Abschaffung der Folter 1740 (gänzlich wurde sie 1754 verboten). Er erließ weitgehende Toleranzgesetze, die Hugenotten und Katholiken nach Preußen zogen. Brieflich hielt er dazu 1740 fest: „Alle Religionen seindt gleich und guht, wan nuhr die Leute, so sie profesieren [(öffentlich) bekennen], erliche Leute seindt, und wen Türken und Heiden kähmen und wolten das Land pöbplieren [bevölkern], so wollen wier sie Mosqueen und Kirchen bauen“. Die Zensur für nichtpolitische Zeitungsbeiträge wurde aufgehoben. Auf Seiten der Habsburger ließ Joseph II., Kaiser von 1765 bis 1790, sich darauf ein, 1781 die Leibeigenschaft der Bauern aufzuheben, 1783 die Ehegesetzgebung zu reformieren und 1787 mit der Einführung des Josephinischen Strafgesetzes Verstümmelungsstrafen abzuschaffen und die Todesstrafe nur mehr im Standrecht, nicht im ordentlichen Strafverfahren zuzulassen (1803 wurde sie für wenige Delikte wieder eingeführt).

Selbst unter den Regenten, die der Aufklärung zugerechnet wurden, blieben die politischen Veränderungen rasch hinter den Erwartungen zurück. Die meisten Reformen geschahen dort, wo sie eine Steigerung des Staatseinkommens erwarten ließen, etwa in Maßnahmen, die den Zuzug neuer Bürger und die Gründung neuer Manufakturen erleichterten. Strukturelle Reformen drängten dagegen vor allem die Rechte des Adels zugunsten der Rechte des Volkes zurück. Effektiv stärkte sich dabei in erster Linie in Preußen wie in Russland und den habsburgischen Stammlanden fast immer die Staatsmacht gegenüber den Bürgern und dem Adel. Die politische Presse blieb außerhalb Englands und der Niederlande der Überwachung und Kontrolle ausgesetzt. Die Eingriffe zugunsten der Staatsräson nahmen eher noch zu. Sie geschahen in aufgeklärten Monarchien unter der Annahme, dass die Zentralregierung hier allein mit Weitsicht abschätzte, wo das Interesse des Gemeinwohls lag.

Radikalisierung der Diskussion nach den Revolutionen von 1776 und 1789

Die politischen Diskussionen veränderten sich nachdem 1776 mit den Vereinigten Staaten von Amerika tatsächlich eine neue Nation nach den Modellen der Aufklärung geschaffen wurde - als demokratisches und republikanisches Gemeinwesen. Die Verfassung der Vereinigten Staaten, die 1781 unterzeichnet wurde, setzte wesentliche Erwägungen der staatstheoretischen Debatte um, die John Locke in den späten 1680ern anstieß. In England hatten das Königshaus und das Parlament stets einen Ausgleich der Interessen gefunden. In Preußen und in Österreich standen die Herrscher dem neuen Denken verhalten offen gegenüber und ermöglichten Reformen. In Frankreich jedoch, wo der Absolutismus von den neuen Gedanken kaum Notiz genommen hatte, kam es zur Explosion. Dabei beteiligte sich mit Ausnahme von Condorcet keiner der bekannten Aufklärer am gewaltsamen Aufstand. Die Ereignisse der Französischen Revolution gaben jedoch nur kurz zu Euphorie Anlass. Zeitzeugen notierten sie rasch mit Abscheu vor der Straße und Skepsis gegenüber den Intellektuellen, die den politischen Prozess bestimmten. So erging es auch Friedrich Schiller, der mit seinen Briefen Über die ästhetische Erziehung des Menschen (1795) einerseits die Subjektivität in der Ästhetik Kants kritisierte, andererseits betont, dass Wissen nicht die Rohheit des Menschen verhindert, sondern nur die in der Schönheit liegende Wahrheit. Nur wenn der Mensch beide Seiten seiner Bedürfnisse ausprägt, das sinnliche wie das vernünftige, kann er zur Harmonie finden. Die Diskussionen, die 1789 einsetzten, ließen wenig später weder den Aufgeklärten Absolutismus noch die Revolution als Mittel der Aufklärung übrig. Der sich modernisierende Nationalstaat wurde die Option des 19. Jahrhunderts unter Diskussionen, die nur noch partiell auf die Aufklärung zurückgriffen. Ab den 1790ern mehren sich Stimmen, die das gesamte politische Projekt der Aufklärung als naiv angedachtes ablegen. Die neuen Geschichtsmodelle, die im 19. Jahrhundert diskutiert werden, setzen auf die Macht irreversibler historischer Prozesse und drängen dabei Vorstellungen einer Entfaltung der Vernunft zurück.

Von der Formulierung der Aufklärung bis zur Fortführung ihres Projektes

Während die Aufklärung als historische Bewegung, als Zeitalter, zum Ende des 18. Jahrhunderts in der Geschichtsschreibung für abgeschlossen erklärt wird, hat sich die Diskussion um die Aufklärung als Denkprozess bis in die Gegenwart fortgesetzt.

Hegels Kritik

Georg Friedrich Wilhelm Hegel sah die Leistungen der Aufklärung durchaus positiv. Die positive Bewertung in moralischer Sicht wollte er jedoch nicht nachvollziehen. Er kommentierte: „Aufklärung des Verstands macht zwar klüger, aber nicht besser.“[36] Damit wandte er sich gegen die Überzeugung, dass durch Aufklärung auch eine moralische „Verbesserung“ des Menschen möglich sei.

In der Phänomenologie des Geistes[37] setzte er sich mit dem Verhältnis zur Religion auseinander und meinte, Aufklärung sei „lauter Lärm und gewaltsamer Kampf“ (404). In ihrem Kampf mit der Priesterschaft, die sich dem Despotismus verschrieben hat, erkläre die Aufklärung das, was dem Glauben heilig ist, zum „Steinstück, ein Holzblock, der Augen habe und nicht sehe“ […] (409). Die Aufklärer erkennen nicht, dass das Kritisierte aus Sicht des Glaubens gar kein sinnlicher Gegenstand ist. In ihrer Kritik machten Aufklärer wie Toland, Voltaire oder Robinet die Vorstellung von einem göttlichen Wesen zum „Vakuum“ (413) und blieben damit auf der Ebene der sinnlichen Wahrnehmung gefangen. „Der Glaube hat das göttliche Recht, das Recht der absoluten Selbstgleichheit des reinen Denkens, gegen die Aufklärung und erfährt von ihr durchaus Unrecht; denn sie verdreht ihn in allen seinen Momenten und macht sie zu etwas anderem als sie in ihm sind.“ (417) Wahrer Glaube verbindet die Welt der Herzen (das reine Bewusstsein) und die Welt der Erfahrung zu einer einheitlichen religiösen Weltdeutung. Indem die Aufklärung den Glauben negiert, ist sie nur die Negation des Glaubens, die nicht zur Einheit findet. Glaube und Erfahrung werden aber durch ihre Negation im Selbstbewusstsein vermittelt. „Die Aufklärung selbst aber, welche den Glauben an das Entgegengesetzte seiner abgesonderten Momente erinnert, ist ebenso wenig über sich selbst aufgeklärt. Sie verhält sich rein negativ gegen den Glauben, insofern sie ihren Inhalt aus ihrer Reinheit ausschließt und für das Negative ihrer selbst annimmt. Sie erkennt daher weder in diesem Negativen, in dem Inhalt des Glaubens an sich selbst, noch bringt sie aus diesem Grunde die beiden Gedanken zusammen, den, welchen sie hervorbringt, und den, gegen welchen sie ihn herbringt.“ (418) Man muss aber die beiden Ebenen gesondert denken, bevor sie im Selbstbewusstsein zur Einheit kommen. „Das glaubende Bewusstsein führt doppelt Maß und Gewicht, es hat zweierlei Augen, zweierlei Ohren, zweierlei Zungen und Sprache, es hat alle Vorstellungen verdoppelt, ohne diese Doppelsinnigkeit zu vergleichen.“ (423)

Als Ergebnis der nicht aufgelösten Negation von Aufklärung und Glauben sah Hegel das Abgleiten in die „absolute Freiheit“ (431), die die Aufklärung hervorgebracht hat. In dieser Freiheit gibt es keine Orientierung. Die Konsequenz sah Hegel in einer inhaltsleeren, gesetz- und schrankenlosen Ordnung, die letztlich zum Terror des Robespierre geführt hat. (436). Bei diesem Urteil ging Hegel allerdings darüber hinweg, dass seine eigene Philosophie ohne den in der Aufklärung geschaffenen Freiheitsbegriff erst gar nicht möglich geworden wäre.[38]

Nietzsches Zwiespalt

Friedrich Nietzsches Beurteilung der Aufklärung war gespalten. Für ihn war Aufklärung zum einen mit einer Reduktion verbunden, die das Gefühlsleben des Menschen zu stark ausblendet. Erkenntnis und Wissen ermöglichen nur einen begrenzten Zugang zur Welt. Schon in seiner frühren, Cosima Wagner gewidmeten und nicht veröffentlichten Schrift „Fünf Vorreden zu fünf ungeschriebenen Büchern“ (1872) schrieb er: „Die Kunst ist mächtiger als die Erkenntnis, denn s i e will das Leben, und jene erreicht als letztes Ziel nur - die Vernichtung -.“[39] In seiner ersten philosophischen Schrift (Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik, 1872) beschrieb er bereits Sokrates und die Sophisten als diejenigen, die diesen Niedergang gegenüber der ganzheitlichen Wahrnehmung der Welt, wie er sie in der Tragödie verwirklicht sah, eingeleitet hätten. Die Aufklärung als solche bewertete Nietzsche positiv. Vor allem begrüßte er den Niedergang der Religion. „Der zum Strome angewachsene Reichthum des religiösen Gefühls bricht immer wieder aus und will sich neue Reiche erobern: aber die wachsende Aufklärung hat die Dogmen der Religion erschüttert und ein gründliches Misstrauen eingeflösst: so wirft sich das Gefühl, durch die Aufklärung aus der religiösen Sphäre hinausgedrängt, in die Kunst; in einzelnen Fällen auch auf das politische Leben, ja selbst direct auf die Wissenschaft.“ (Menschliches Allzumenschliches = MA 150) Die strenge Wissenschaft ist ein wichtiger Baustein für die Befreiung des Geistes: „Der Werth davon, dass man zeitweilig eine strenge Wissenschaft streng betrieben hat, beruht nicht gerade auf deren Ergebnissen: denn diese werden, im Verhältniss zum Meere des Wissenswerthen, ein verschwindend kleiner Tropfen sein. Aber es ergiebt einen Zuwachs an Energie, an Schlussvermögen, an Zähigkeit der Ausdauer; man hat gelernt, einen Zweck zweckmässig zu erreichen. Insofern ist es sehr schätzbar, in Hinsicht auf Alles, was man später treibt, einmal ein wissenschaftlicher Mensch gewesen zu sein.“ (MA 256)

Die Aufklärung, nicht zu Ende gedacht, ruft andererseits aber Irrtümer hervor. „Die „Aufklärung“ empört: der Sklave nämlich will Unbedingtes, er versteht nur das Tyrannische, auch in der Moral, er liebt wie er hasst, ohne Nuance, bis in die Tiefe, bis zum Schmerz, bis zur Krankheit, — sein vieles verborgenes Leiden empört sich gegen den vornehmen Geschmack, der das Leiden zu leugnen scheint. Die Skepsis gegen das Leiden, im Grunde nur eine Attitude der aristokratischen Moral, ist nicht am wenigsten auch an der Entstehung des letzten grossen Sklaven-Aufstandes betheiligt, welcher mit der französischen Revolution begonnen hat. (Jenseits von Gut und Böse, 46) Schuld daran sind Ideologen wie Rousseau, denen es nicht um eine Besserung der Bildung, wie Voltaire, ging, sondern um Veränderungen der Gesellschaft. „Es giebt politische und sociale Phantasten, welche feurig und beredt zu einem Umsturz aller Ordnungen auffordern, in dem Glauben, dass dann sofort das stolzeste Tempelhaus schönen Menschenthums gleichsam von selbst sich erheben werde. In diesen gefährlichen Träumen klingt noch der Aberglaube Rousseau’s nach, welcher an eine wundergleiche, ursprüngliche, aber gleichsam verschüttete Güte der menschlichen Natur glaubt und den Institutionen der Cultur, in Gesellschaft, Staat, Erziehung, alle Schuld jener Verschüttung beimisst. Leider weiss man aus historischen Erfahrungen, dass jeder solche Umsturz die wildesten Energien als die längst begrabenen Furchtbarkeiten und Maasslosigkeiten fernster Zeitalter von Neuem zur Auferstehung bringt: dass also ein Umsturz wohl eine Kraftquelle in einer mattgewordenen Menschheit sein kann, nimmermehr aber ein Ordner, Baumeister, Künstler, Vollender der menschlichen Natur.“ (MA 463)

„Nietzsche hat wie wenige seit Hegel die Dialektik der Aufklärung erkannt. Er hat ihr zwiespältiges Verhältnis zur Herrschaft formuliert.“[40] Adorno spielt darauf an, dass anders als Hegel, bei dem die Vernunft zur Wirklichkeit wird, für Nietzsche aus der Aufklärung zwei Wege möglich scheinen, die Befreiung und der Nihilismus. In der einen Richtung sah Nietzsche Voltaire, in der anderen Rousseau.

Vor allem war die Aufklärung für Nietzsche auf halbem Wege stehen geblieben. Man hatte aus den eigenen Einsichten, selbst Kant, nicht die notwendigen Konsequenzen gezogen. Die Kritik an der Religion von Voltaire und Kant reicht nicht. Schlimmer noch hatte sich der deutsche Idealismus wieder bemüht, das Absolute zu bestimmen und war damit hinter die Aufklärung zurückgegangen. Romantik und Historismus war ihm gefolgt. „Und seltsam: gerade die Geister, welche von den Deutschen so beredt beschworen wurden, sind auf die Dauer den Absichten ihrer Beschwörer am schädlichsten geworden, — die Historie, das Verständniss des Ursprungs und der Entwickelung, die Mitempfindung für das Vergangene, die neu erregte Leidenschaft des Gefühls und der Erkenntniss, nachdem sie alle eine Zeit lang hülfreiche Gesellen des verdunkelnden, schwärmenden, zurückbildenden Geistes schienen, haben eines Tages eine andere Natur angenommen und fliegen nun mit den breitesten Flügeln an ihren alten Beschwörern vorüber und hinauf, als neue und stärkere Genien eben jener Aufklärung, wider welche sie beschworen waren. Diese Aufklärung haben wir jetzt weiterzuführen — unbekümmert darum, dass es eine „grosse Revolution“ und wiederum eine „grosse Reaction“ gegen dieselbe gegeben hat, ja dass es Beides noch giebt: es sind doch nur Wellenspiele, im Vergleiche mit der wahrhaft grossen Fluth, in welcher wir treiben und treiben wollen!“ (Morgenröthe 197)

Nietzsche verwarf die Aufklärung nicht, sondern wollte sie fortsetzen und radikalisieren. Seine Auffassung, dass Wahrheit und Moral keine festen Werte mehr sein können, führt in den Perspektivismus und Nihilismus. Der richtige Weg ist eine Umwertung aller Werte und eine Rückkehr zur vorsokratischen Weltsicht. „Man muß an der Kirche die Lüge empfinden, nicht nur die Unwahrheit: so weit die Aufklärung ins Volk treiben, daß die Priester alle mit schlechtem Gewissen Priester werden — ebenso muß man es mit dem Staate machen. Das ist Aufgabe der Aufklärung, den Fürsten und Staatsmännern ihr ganzes Gebahren zur absichtlichen Lüge zu machen, sie um das gute Gewissen zu bringen, und die unbewußte Tartüfferie aus dem Leibe des europäischen Menschen wieder herauszubringen.“[41]

Fortsetzung und Kritik der Bürgerlichkeit bei Marx und Engels

Karl Marx und Friedrich Engels sahen sich zunächst in der Schrift „Die heilige Familie oder Kritik der kritischen Kritik“ in der Nachfolge der französischen Aufklärer, insbesondere der französichen Materialisten. Sie zeichneten einerseits eine Linie von Descartes bis Holbach und La Mettrie, andererseits von Bacon über Locke bis zum Sensualismus Condillacs. Sie zogen die Schlussfolgerung:

„Es bedarf keines großen Scharfsinnes, um aus den Lehren des Materialismus von der ursprünglichen Güte und gleichen intelligenten Begabung der Menschen, der Allmacht der Erfahrung, Gewohnheit, Erziehung, dem Einflusse der äußern Umgebung auf den Menschen, der hohen Bedeutung der Industrie, der Berechtigung des Genusses etc. seinen notwendigen Zusammenhang mit dem Kommunismus und Sozialismus einzusehen. Wenn der Mensch aus der Sinnenwelt und der Erfahrung in der Sinnenwelt alle Kenntnis, Empfindung etc. sich bildet, so kommt es also darauf an, die empirische Welt so einzurichten, daß er das wahrhaft Menschliche in ihr erfährt, sich angewöhnt, daß er sich als Mensch erfährt. Wenn das wohlverstandne Interesse das Prinzip aller Moral ist, so kommt es darauf an, daß das Privatinteresse des Menschen mit dem menschlichen Interesse zusammenfällt.“[42]

Im Laufe der Zeit schlug die Bewertung aber um. Die Aufklärung wurde nun zu einer Entwicklung, die vorrangig im Interesse des Bürgertums gestanden hatte. Sie kritisierten nun den egoistischen Utilitarismus Benthams als eines der Ergebnisse der Aufklärung.[43] Im Jahr 1879 resümierte Engels:

„Wir sahen, wie die französischen Philosophen des achtzehnten Jahrhunderts, die Vorbereiter der Revolution, an die Vernunft appellierten als einzige Richterin über alles, was bestand. Ein vernünftiger Staat, eine vernünftige Gesellschaft sollten hergestellt, alles, was der ewigen Vernunft widersprach, sollte ohne Barmherzigkeit beseitigt werden. Wir sahen ebenfalls, daß diese ewige Vernunft in Wirklichkeit nichts andres war als der idealisierte Verstand des eben damals zum Bourgeois sich fortentwickelnden Mittelbürgers. Als nun die Französische Revolution diese Vernunftgesellschaft und diesen Vernunftstaat verwirklicht hatte, stellten sich daher die neuen Einrichtungen, so rationell sie auch waren gegenüber den früheren Zuständen, keineswegs als absolut vernünftige heraus. Der Vernunftstaat war vollständig in die Brüche gegangen. Der Rousseausche Gesellschaftsvertrag hatte seine Verwirklichung gefunden in der Schreckenszeit, aus der das an seiner eignen politischen Befähigung irre gewordne Bürgertum sich geflüchtet hatte zuerst in die Korruption des Direktoriums und schließlich unter den Schutz des napoleonischen Despotismus. Der verheißne ewige Friede war umgeschlagen in einen endlosen Eroberungskrieg. Die Vernunftgesellschaft war nicht besser gefahren. Der Gegensatz von reich und arm, statt sich aufzulösen in allgemeinen Wohlergehn, war verschärft worden durch die Beseitigung der ihn überbrückenden zünftigen und andren Privilegien und der ihn mildernden kirchlichen Wohltätigkeitsanstalten; die jetzt zur Wahrheit gewordne "Freiheit des Eigentums" von feudalen Fesseln stellte sich heraus, für den Kleinbürger und Kleinbauern, als die Freiheit, dies von der übermächtigen Konkurrenz des Großkapitals und des Großgrundbesitzes erdrückte kleine Eigentum an eben diese großen Herren zu verkaufen und so für den Kleinbürger und Kleinbauern sich zu verwandeln in die Freiheit vom Eigentum; der Aufschwung der Industrie auf kapitalistischer Grundlage erhob Armut und Elend der arbeitenden Massen zu einer Lebensbedingung der Gesellschaft.“[44]

Weitere

Desiderate:


  • Positivismus-Utopie unter Auguste Comte
  • Max Weber verwies darauf, dass die Entwicklung in der frühen Neuzeit vor allem zur Intellektualisierung beigetragen hat, die als solche ein Jahrtausende währender Entwicklungsprozess ist: „Die zunehmende Intellektualisierung und Rationalisierung bedeutet also nicht eine zunehmende allgemeine Kenntnis der Lebensbedingungen, unter denen man steht. Sondern sie bedeutet etwas anderes: das Wissen davon oder den Glauben daran: daß man, wenn man nur wollte, es jederzeit erfahren könnte, daß es also prinzipiell keine geheimnisvollen unberechenbaren Mächte gebe, die da hineinspielen, daß man vielmehr alle Dinge – im Prinzip – durch Berechnen beherrschen könne. Das aber bedeutet: die Entzauberung der Welt. Nicht mehr, wie der Wilde, für den es solche Mächte gab, muss man zu magischen Mitteln greifen, um die Geister zu beherrschen oder zu erbitten. Sondern technische Mittel und Berechnung leisten das. Dies vor allem bedeutet die Intellektualisierung als solche.“[45]
  • Anit-Aufklärung durch die Konservative Revolution und den Nationalsozialismus
  • Max Horkheimer und Theodor W. Adorno kritisieren in der Dialektik der Aufklärung die Einseitigkeit der Aufklärung, die nach ihrem Urteil in modernen Gesellschaften in den Totalitarismus geführt hat. „Aufklärung ist totalitär wie nur irgendein System. Nicht was ihre romantischen Feinde ihr seit je vorgeworfen haben, analytische Methode, Rückgang auf Elemente, Zersetzung durch Reflexion ist ihre Unwahrheit, sondern daß für sie der Prozeß von vornherein entschieden ist. Wenn im mathematischen Verfahren das Unbekannte zum Unbekannten einer Gleichung wird, ist es damit zum Altbekannten gestempelt, ehe noch ein Wert eingesetzt ist. Natur ist, vor und nach der Quantentheorie, das mathematisch zu Erfassende; selbst was nicht eingeht, Unauflöslichkeit und Irrationalität, wird von mathematischen Theoremen umstellt.“[46]
  • Hannah Arendt wandte sich bereits in ihrem frühen Artikel Aufklärung und Judenfrage, den sie kurz vor der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten 1932 veröffentlicht hatte, gegen das vernunftsgemäße ihrer Meinung nach unhistorische Gleichheitsideal der Aufklärung, wie es radikal Lessing verkörpert habe. Auch Vertreter der jüdischen Aufklärung, wie Moses Mendelssohn, der für die freie Religionsausüberung von Juden eintrat, verneinten eine spezifische nationale Identität des Judentums und strebten die vollkommene Assimilation an die aufgeklärte Gesellschaft an. Sie dagegen setzte sich zwar für politische Gleichheit und den freien Austausch in der Öffentlichkeit ein - im Sinne der griechischen Polis und ihres Konzepts einer Rätedemokratie-, nicht aber für gesellschaftliche Angleichung. Sie sprach sich gegen den Gedanken vieler Aufklärer aus, dass der Mensch als höchstes Prinzip zu betrachten und das Gute durchzusetzen ist, wandte sich gegen den Fortschrittsoptimismus der Epoche und wies auf die Gefahren hin: Das absolut Gute im Zusammenleben der Menschen erweise sich als kaum weniger gefährlich als das absolut Böse, schrieb sie in ihrem politischen Werk Über die Revolution 1963.[47] Sie analysierte dort die zwei großen Revolutionen der Aufklärung und gab der früheren nordamerikanischen gegenüber der französischen Revolution den Vorzug. Erstere bezeichnete sie als Beispiel einer gelungenen Revolution eines Bundes freier Bürger mit der Garantie von Bürgerrechten in der Verfassung der Vereinigten Staaten 1787. Dabei wies sie allerdings auf die Rolle der Sklaverei während und nach der Revolution hin. Letztere, die auf dem Gesellschaftsvertrag Rousseaus gründete, endete in der Terrorherrschaft Robespierres, von dem eine Linie zu Lenin und Stalin führt, weil alle drei das Eigeninteresse des einzelnen Bürgers in Feindschaft zum Gesamtinteresse sahen.[48]
  • Arnold Gehlen hielt der Aufklärung vor, dass ihr das kreative Moment fehlt: „Die Aufklärung ist, kurz gesagt, die Emanzipation des Geistes von den Institutionen.[…] Sie löst die Treupflicht aus irrationalen Werten auf, hebt die Bindungen durch Kritik ins Bewußtsein, wo sie zerarbeitet und verdampft werden, und stellt Formeln bereit, die Angriffspotential, aber keine konstruktive Kraft haben, wie die Rede vom ‚neuen Menschen’ oder von der Unmenschlichkeit der Herrschaft.“[49]
  • Alexander Mitscherlich konstatierte in einem neuerlichen Nachdenken über die Aufklärung[50]
„Aufklärung ist bei uns neben den in Deutschland heimischen philosophischen Systemen nie so recht anerkannt worden. In der historischen Totalbilanz der letzten 200 Jahre hat uns rationalistische Trockenheit dann bitter gefehlt. Hochmut des kaiserlichen Deutschland und Afterglauben des Nationalsozialismus wären uns sonst vielleicht erspart geblieben. Und auch gegenwärtig steht es um ein Interesse für Aufklärung immer noch nicht gut.“
  • Mit dem steigenden Interesse an der Wissenschaft und der Welt, die sich auf horizontaler Ebene abspielt, begann sich der Mensch fast schon über die Natur zu setzen. Eine zunehmende Technisierung der Gesellschaft, die sich in der heutigen Zeit zeigt, kann als ein Nachteil der aufklärerischen Ideologien betrachtet werden. Eine Begründerin dieser Grundgedanken war Simone de Beauvoir.
  • Michel Foucault hat in seinem Essay „Die Ordnung der Dinge“ herausgearbeitet, dass durch die Instrumentalisierung der Welt im 18. Jahrhundert auch der Mensch zum Objekt geworden ist. Die Auseinandersetzung mit dem Thema Aufklärung hat für ihn nie aufgehört: „Die moderne Philosophie ist die Philosophie, die seit nunmehr zwei Jahrhunderten auf die so sehr unbedachtsam aufgeworfene Frage: Was ist Aufklärung? Eine Antwort zu geben versucht.“[51]
  • Postmoderne bzw. dekonstruktivistische Denker verneinen die Existenz absoluter objektiver Werte und Wahrheiten. Sie betrachten die Vernunft nicht als Basis der menschlichen Erkenntnis und vertreten einen radikalen politischen, sozialen und kulturellen Relativismus.
  • Jürgen Habermas wandte sich gegen die Bewertung der Aufklärung durch seine Lehrer Adorno und Horkheimer als Verfallsprozess. Er spricht von dem „unvollendeten Projekt der Moderne“[52], das in einem Prozess kommunikativen Handelns stets nach rationaler Begründung fragt. In einem Dialog mit Josef Ratzinger forderte er „die kulturelle und gesellschaftliche Säkularisierung als einen doppelten Lernprozeß zu verstehen, der die Traditionen der Aufklärung ebenso wie die religiösen Lehren zur Reflexion auf ihre jeweiligen Grenzen nötigt“[53] Ähnlich wie Kant setzt er auf ein republikanisches Verständnis im internationalen Rahmen und fordert einen europäischen Verfassungspatriotismus.
  • Die aktuelle Diskussion um die Aufklärung und den Islam.

Zitate

„Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“

Immanuel Kant, Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?

Christoph Martin Wieland dichtete[54]:

Dem Weisen genügt an sich ein aufgeklärter Geist
Dem sich der Dinge Werth in wahrem Lichte weist.


Siehe auch

Anmerkungen

  1. So etwa in Formulierungen wie „jemanden über einen Sachverhalt aufklären“, „ein Verbrechen aufklären“, „ein Kind sexuell aufklären“ mit einem „Aufklärungsflugzeug vor einer militärischen Auseinandersetzung Informationen über feindliche Stellungen erlangen“.
  2. in seinem Discours préliminaire (Einleitung) zur Encycloédie
  3. Das OED notiert die folgenden beiden Verwendungen „1865 J. H. STIRLING Secret of Hegel p. xxvii, Deism, Atheism, Pantheism, and all manner of isms due to Enlightenment. Ibid. p. xxviii, Shallow Enlightenment, supported on such semi-information, on such weak personal vanity, etc. 1889 CAIRD Philos. Kant I. 69 The individualistic tendencies of the age of Enlightenment.“
  4. Gertrude Himmelfarb: The Roads to Modernity: The British, French and American Enlightenments. Vintage, London 2008. S. 11–12.
  5. Norbert Hinske: Stichwort Aufklärung. In: Staatslexikon. Recht. Wirtschaft. Gesellschaft. Band 1, Herder, 7. Aufl. Freiburg 1995
  6. Wichtig wurde hier besonders Jonathan Israels Radical Enlightenment: Philosophy and the Making of Modernity, 1650–1750 von 2001.
  7. Inquiry Concerning Virtue or Merit [1699], wiederveröffentlicht als Treatise IV der Characteristics of Men, Manners, Opinions, Times. London, 1711.
  8. So Michel Foucault in seinem Buch ‚Überwachen und Strafen: Die Geburt des Gefängnisses (1975).
  9. Francis Hutcheson: An Historical Essay concerning Witchcraft, London 1718
  10. Immanuel Kant brachte die Diskussion auf, nach der die „Kopernikanische Wende“ einen Mentalitätswandel verursachte, den Menschen zwang, sich nicht länger als das Zentrum der Welt und des Heilsplans zu sehen.
  11. Edmond Halley, "An Estimate of the Degrees of the Mortality of Mankind", Philosophical Tansactions 196 (1693), S. 596-610 und Postscript S. 654-656. e-edition: http://www.pierre-marteau.com/editions/1693-mortality.html.
  12. Directions for seafaring … 1664 (?)
  13. John Locke: An Essay concerning Humane Understanding, 1690 (Ein Versuch über den menschlichen Verstand) und David Hume: An Enquiry Concerning Human Understanding. (1748; deutsch Untersuchung in Betreff des menschlichen Verstandes)
  14. John Locke formulierte die Präimsse „Nihil est in intellectu quod non antea fuerit in sensu“ in seinem Essay Concerning Humane Understanding 1690#
  15. Alexander Pope, Epitaph auf Newtons Tod, 1727.
  16. Christian Thomasius betont dies in seinem Versuch vom Wesen des Geistes, 1699,
  17. John Locke im Essay Concerning Humane Understanding London: 1690, Book II, Chap. XIV, 25/29, wo von 1689 als dem Jahr 5639 nach Schöpfung der Welt schreibt. Auf derselben Berechnungsgrundlage ausführlicher Benjamin Hederich: Anleitung zu den fürnehmsten historischen Wissenschafften, benanntlich der Geographie, Chronologie, Genealogie. 2. Aufl. Wittenberg: G. Zimmermannen, 1711. Alternative Annahmen basierten auf dem jüdischen Kalender (3761 v. Chr.) oder Harmonisierungsberechnungen, wie derjenigen, die den Weltbeginn auf das Jahr 4004 v. Chr. legte; die vier überzähligen Jahre resultieren aus einer Richtigstellung der Geburt Christi, die tatsächlich exakt 4000 Jahre nach der Weltschöpfung stattgefunden haben soll.
  18. Werner Krauss, Zur Anthropologie des 18. Jahrhunderts. Die Frühgeschichte der Menschheit im Blickpunkt der Aufklärung. Berlin, 1978; München; Wien, 1979.
  19. John Locke, Essay Concerning Humane Understanding. 1690, „Association of Ideas“ #
  20. Zukunftsvisionen in handelsüblichen Prognostika notieren in der Tradition von Nostradamus keine technischen Innovationen. Zukunftsromane werden erst ab 1733 geschrieben. Sie skizzieren nicht vor den 1770er Jahren Formen menschlichen Zusammenlebens, die sich von den zeitgenössischen, primär in der Moral, unterscheiden.
  21. J. Andreae: „Vorrede“ zu: Deutsche Acta Eruditorum 1, Leipzig: Johann Friedrich Gleditsch & Sohn, 1712.
  22. Arno Seifert, Quelle#
  23. Markus Paulus Hunold. Curieuse Nachricht von denen heute zu Tage grand mode gewordenen Journal- Quartal- und Annual-Schrifften [...] von M. P. H. Freyburg [Jena], 1716. Und: Heinrich Ludwig Goetten. Gründliche Nachricht von den frantzösischen, lateinischen und deutschen Journalen, Ephemeridibus, monatlichen Extracten, oder wie sie sonsten Nahmen haben mögen [...] von H. P. L. M. Leipzig; Gardeleben: H. Campe, 1718.
  24. J. Hübner: „Vorrede“ zu: Curieuses Natur- Kunst- Gewerck- und Handlungslexicon; Leipzig: 1712, §§ 8–27.
  25. Rezensiert in Deutsche Acta Eruditorum. 35. Leipzig: Johann Friedrich Gleditsch, 1715, S. 891-898, sowie in den Nummern 42 und 46 der Neuen Bibliothek oder Nachricht von neuen Büchern. Frankfurt/Leipzig, 1715.
  26. Laurenz Lütteken (Zusammenstellung); Carsten Zelle (Hrsg.): Haydn im Jahrhundert der Aufklärung; Göttingen: Wallstein, 2009; ISBN 978-3-8353-0503-8.
  27. Werner Braun: Johann Mattheson oder: Wieviel Aufklärung verträgt die Musik? in: Hans Erich Bödeker (Hrsg.): Strukturen der deutschen Frühaufklärung 1680–1720; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2008; ISBN 3-525-35343-X; S. 203–220.247–261.
  28. Spannend im Versuch den Titel zu nutzen ist die Sammelrezension die Ursula Kramer 2000 unter das Wort brachte: „Strukturwandel der Musik – neue Forschungen zur musikalischen Aufklärung“, Das achtzehnte Jahrhundert: Zeitschrift der Deutschen Gesellschaft für die Erforschung des Achtzehnten Jahrhunderts, Band 24 (2000), S. 93–96. Die rezensierten Titel trugen selbst jedoch das Wort Aufklärung nicht in ihren Titeln. (Im einzelnen waren das: Michael Embach; Joscelyn Godwin: Johann Friedrich Hugo von Dalberg (1760–1812); Mainz, 1998. Annette Keilhauer: Das französische Chanson im späten Ancien Régime; Hildesheim, 1998. Jörg Krämer: Deutschsprachiges Musiktheater im späten 18. Jahrhundert; Tübingen: Niemeyer, 1998. Laurenz Lütteken: Das Monologische als Denkform in der Musik zwischen 1760 und 1785; Tübingen: Niemeyer, 1998.
  29. Vgl. Béatrice Didier, La musique des Lumiéres : Diderot, l'Encyclopedie, Rousseau, Paris: Presses universitaires 1985.
  30. Siehe Rousseaus Rede von der natürlichen Melodie gegenüber der gelehrten und verworrenen Harmonie (die Wortwahl stammt aus dem Artikel Harmonie in seinem Dictionnaire de musique (1767), als persönliche Polemik gegen Rameau) diente bis ins folgende Jahrhundert als Argument im Kampf gegen das Barocke.
  31. Brief Goethes an Friedrich Zelter vom 9. Nov. 1829. Goethe grenzt das Streichquartett vom Virtuosenkonzert Paganinis ab, dem er weniger gewogen war. Max Hecker (Hrsg.): Briefwechsel zwischen Goethe und Zelter, Bd. 3 1828–1832, Leipzig: Insel 1918, S. 201.
  32. Tanzmeister wie Raoul-Auger Feuillet oder John Weaver
  33. Henning Eichberg: Leistung, Spannung, Geschwindigkeit. Sport und Tanz im gesellschaftlichen Wandel des 18./19. Jahrhunderts, Stuttgart: Klett 1978.
  34. So in Michel Foucault: Wahnsinn und Gesellschaft. Eine Geschichte des Wahns im Zeitalter der Vernunft, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1993 (Histoire de la folie à l'âge classique. Folie et déraison, 1961).
  35. Henri Baudet. Paradise on Earth. Some Thoughts on European Images of Non European Man. New Haven; London, 1965.
  36. Georg Friedrich Wilhelm Hegel: Fragmente über Volksreligion und Christentum. Werke in 20 Bänden; Band 1. Suhrkamp 1970, S. 21
  37. Georg Friedrich Wilhelm Hegel: Phänomenologie des Geistes [1807]. Werke in 20 Bänden; Band 3. Suhrkamp 1970
  38. Jürgen Stolzenburg: Hegels Kritik der Aufklärung. Zum Kapitel: „Der Kampf der Aufklärung mit dem Aberglauben“ in der Phänomenologie des Geistes. In: Wolfgang Hohgrebe (Hrsg.): Phänomen und Analyse. Grundbegriffe der Philosophie des 20. Jahrhunderts in Erinnerung an Hegels Phänomenologie des Geistes. Königshausen & Neumann, Würzburg 2008, 155-174
  39. Friedrich Nietzsche: Fünf Vorreden zu fünf ungeschriebenen Büchern. Über das Pathos der Wahrheit 1, KSA 1, S 30
  40. Theodor W. Adorno: Gesammelte Schriften in zwanzig Bänden, Band 3, Dialektik der Aufklärung, Frankfurt 1997, 60-61
  41. Friedrich Nietzsche, Nachlass 1884, Gruppe 25, 294 = KSA 11
  42. Die heilige Familie oder Kritik der kritischen Kritik, Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 2, S. 3 - 223, Februar 1845, 138
  43. Die deutsche Ideologie, [1], 394
  44. Friedrich Engels: "Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft", in: Karl Marx/Friedrich Engels – Werke. Dietz, Berlin. Band 19, 1962, 189-201, hier 192/193
  45. Max Weber, Wissenschaft als Beruf (1917/19), 7. Auflage 1984, 17 = Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, Mohr Siebeck, 7. Aufl. Tübingen 1988, 594
  46. Max Horkheimer und Theodor W. Adorno: Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente [1944 bzw. 1947], in: Theodor W. Adorno, Gesammelte Schriften, Bd. 3, Suhrkamp, 2. Aufl. Frankfurt 1984, 41
  47. Hannah Arendt: Über die Revolution (On Revolution New York 1963), dt. Ausgabe 1965; Piper, 4. Aufl. München 1994, ISBN 3-492-21746-XS. S. 107
  48. Arendt:Über die Revolution, 1994, S. 100
  49. Arnold Gehlen: Moral und Hypermoral, Klostermann, Frankfurt 1969, 102
  50. Alexander Mitscherlich: Nachdenken über die Aufklärung. In: Merkur 1977, 101-111; abgedruckt in: Das Ich und die Vielen, Piper, München 1978
  51. Michel Foucault: Was ist Aufklärung? Ein postmoderner Blick auf das 18. Jahrhundert. In: ders. Dits & Ecrits. Schriften Band IV (1980-1988), Suhrkamp, Frankfurt 2005, 687-707, hier 688
  52. Die Moderne – Ein unvollendetes Projekt. Philosophisch-politische Aufsätze, Leipzig 1990
  53. „Vorpolitische Grundlagen eines demokratischen Rechtsstaates?“, in: Jürgen Habermas und Josef Ratzinger: Dialektik der Säkularisierung. Über Vernunft und Religion, Herder, 7. Aufl. Freiburg 2005, 17
  54. Zwölf moralische Briefe in Versen, Heilbronn 1752

Werke

Ein besonderes Moment der Aufklärung wird in der Zeit um 1750 gesehen, in der eine große Zahl wichtiger Werke dieser Denkbewegung erschienen:

Literatur

Zur Einführung

  • Hans Joachim Störig: Weltgeschichte der Philosophie. 1950, überarbeitete und erweiterte Neuauflagen als Kleine Weltgeschichte der Philosophie. Kohlhammer-Verlag 17. Auflage, Stuttgart 1999, ISBN 3-17-016070-2
  • Werner Schneiders: Das Zeitalter der Aufklärung. Beck, München 1997, 2. Aufl. 2001, ISBN 3-406-44796-1
  • Ehrhard Bahr (Hrsg.): Was ist Aufklärung? Thesen und Definitionen. Reclam, Stuttgart 2004, ISBN 3-15-009714-2
  • Annette Meyer: Die Epoche der Aufklärung. Akademie, Belin 2010, ISBN 978-3-05-004443-9

Weiterführende Literatur (neueste zuunterst)

  • Ernst Cassirer: Die Philosophie der Aufklärung. (1932), Meiner, Hamburg 1998, ISBN 3-7873-1362-1
  • Werner Krauss: Studien zur deutschen und französischen Aufklärung. Rütten & Loening, Berlin 1963
  • Werner Schneiders: Die wahre Aufklärung. Zum Selbstverständnis der Deutschen Aufklärung. Alber, Freiburg / München 1974, ISBN 3-495-47280-0
  • Winfried Schröder (Hrsg.): Französische Aufklärung. Bürgerliche Emanzipation, Literatur und Bewußtseinsbildung. Reclam, Leipzig 1979.
  • Werner Krauss, Zur Anthropologie des 18. Jahrhunderts. Die Frühgeschichte der Menschheit im Blickpunkt der Aufklärung. Berlin, 1978; München; Wien, 1979.
  • Jürgen Stenzel (Hrsg.): Das Zeitalter der Aufklärung (Deutsche Schriftsteller im Porträt, Bd. 2), Beck, München 1980, ISBN 3-406-06020-X
  • Jochen Schmidt (Hrsg.): Aufklärung und Gegenaufklärung in der europäischen Literatur, Philosophie und Politik von der Antike bis zur Gegenwart. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1989. ISBN 3-534-10251-7
  • Wolfgang Martens (Hrsg.): Leipzig: Aufklärung und Bürgerlichkeit. Wolfenbütteler Studien zur Aufklärung 17, Heidelberg 1990
  • Philippe Ariès, Georges Duby, Roger Chartier (Hrsg.): Geschichte des privaten Lebens. 3. Band: Von der Renaissance zur Aufklärung [1986], übers. Fliessbach, Holger/ Krüger-Wirrer, Gabriele (Frankfurt a.M., 1991).
  • Peter Pütz: Die deutsche Aufklärung. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1991, ISBN 3-534-06092-X
  • Helmut Reinalter (Hrsg.): Die Aufklärung in Österreich. Ignaz von Born und seine Zeit. Lang, Frankfurt/M. 1991, ISBN 3-631-43379-4 (Demokratische Bewegungen in Mitteleuropa 1770–1850, 4)
  • Siegfried Jüttner, Jochen Schlobach (Hrsg.): Europäische Aufklärung. Einheit und nationale Vielfalt. Meiner, Hamburg 1992, ISBN 978-3-787310791 (Studien zum 18. Jahrhundert Band 14)
  • Fritz Wagner: Europa im Zeitalter des Absolutismus und der Aufklärung; Handbuch der europäischen Geschichte, 4; Union Verlag Stuttgart 1968, 3. Auflage: Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 1996. ISBN 978-3-12-907560-9
  • Barbara Stolberg-Rillinger: Europa im Jahrhundert der Aufklärung. Stuttgart 2000, ISBN 3-15-017025-7 (Rezension).
  • Werner Schneiders (Hrsg.): Lexikon der Aufklärung: Deutschland und Europa. C.H. Beck, München 1995 (Taschenbuchausg.: München: C.H. Beck, 2001. ISBN 3-406-47571-X).
  • Frank Kelleter: Amerikanische Aufklärung. Sprachen der Rationalität im Zeitalter der Revolution. Schöningh, Paderborn 2002, ISBN 3-506-74416-X
  • Panajotis Kondylis: Die Aufklärung im Rahmen des neuzeitlichen Rationalismus. Meiner, Hamburg 2002, ISBN 3-7873-1613-2
  • Jonathan Israel: Radical Enlightenment: Philosophy and the Making of Modernity 1650–1750, Oxford University Press, Neuauflage 2002, ISBN 0-19-925456-7
  • Jonathan Israel: Enlightenment Contested: Philosophy, Modernity, and the Emancipation of Man, 1670–1752, New York: Oxford University Press, 2006, Rezension
  • Wolfgang Hardtwig (Hg): Die Aufklärung und ihre Weltwirkung. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2010. [=Geschichte und Gesellschaft, Sonderhaft 23]

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