Benutzer:Elektrofisch/Zigeunerzentrale
Der erste polizeiliche „Nachrichtendienst für die Sicherheitspolizei in Bezug auf Zigeuner“ Kurzform: "Zigeunerzentrale" wurde 1899 in der Polizeidirektion München gegründet. Sie bildete das Vorbild für andere nationale und internationale "Zigeunerzentralen" der Polizei. Die Zentrale wurde in der Weimarer Republik von allen deutschen Ländern genutzt und finanziert. Ihr Ziel war es der herbeifantasierten "Zigeunerpalage" mit Hilfe modernster, polizeilicher Mittel, vor allem dem Aufbau einer Kartei mit Personendaten Herr zu werden. Die Erfassung führte im polizeilichen Alltag zu einer Gleichstellung von „Zigeunern“ und „nach Zigeunerart umherziehenden Personen“ mit Serienstraftätern.
Im Dritten Reich wurde sie stückweise aufgrund des Runderlass zur Neuordnung der Reichskriminalpolizei 1936 und 1938 zur "Reichszentrale zur Bekämpfung des Zigeunerunwesens" umgestaltet. Die Reichszentrale war Teil des neu gegründete Reichskriminalpolizeiamt (RKPA) in Berlin, das wiederum das Amt V des Reichssicherheitshauptamtes bildete. Zusammen mit der Rassenhygienische Forschungsstelle (RHF) organisierte die Reichzentrale über den Erkennungsdienst und Einzelauskünfte hinaus auch die Erfassung und Deportation die im Porajmos (Völkermord an Sinti und Roma) mündeten.
In personeller Kontinuität wurde die "Zigeunerstelle" 1946 in München rekonstituiert, erhielt später die ebenfalls dem NS-Sprachgebrauch entstammende euphemische Bezeichnung "Landfahrerstelle". Sie war Teil des bayrischen Landeskriminalamt und wurde in den 1970er Jahren als verfassungswiedrig aufgelöst. Ihre Personenakten wurden nach der Auflösung an Tsiganologen weitergereicht, die in der Tradition der RHF standen.
Gründung der Münchner Zigeunerzentrale 1899

Am 28. März 1899 entstand unter Leitung des Juristen und Polizisten Alfred Dillmann in München der „Nachrichtendienst für die Sicherheitspolizei in Bezug auf Zigeuner“ der kurz „Zigeunerzentrale“ genannt wurde.[1][2]
Der Gründung voraus gingen intersive politische Debatten über das Phantasma einer "Zigeunerplage". Angelika Albrecht hat auch die polizeiliche Wahrnehmung und Bekämpfung der "Zigeunerplage" in Bayern von 1871 bis 1914 untersucht.[3] Sie kommt zu dem Schluss, das die die Idee einer "Überflutung" der Länder mit "Zigeunern" aufgrund der polizeilichen Meldungen und der Kriminalstatistik im Gegensatz zur zeitgenössischen Wahrnehmung unbegründet ist. Das gilt auch für die stereotyp auftretenden Vorurteile zur Kriminalität. So findet beispielsweise die damals auch bei Behörden weit verbreitete These von häufigen Brandstiftungen durch "Zigeuner" in der Realität keine Entsprechung. Von 1871 bis 1914 läßt sich für Bayern nur ein Prozess gegen „Zigeuner“ mit dem Tatvorwurf Brandstiftung nachweisen.[4]
Allein zwischen 1900 und 1933 wurden in Deutschland etwa 150 Sonderverordnungen gegen "Zigeuner" erlassen,[5] die genug Raum für eine Kriminalisierung boten.
Arbeitsschwerpunkt der "Zigeunerzentrale" war der Aufbau einer "Zigeunerpersonenkartei".[6] Erfasst wurden in der Kartei alle „Zigeuner“ in Deutschland, die älter als sechs Jahre waren. Neben erkennungsdienstlichen Daten wurden auch Genealogien und Informationen zu Eigentum, Familienverheltnissen oder Delinquenz gesammelt.[7]
Bei der "Zigeunerzentrale" war durch Regionalbehörden jeden(!) "Zigeuner" sofort telefonisch oder per Telegraph zu melden und folgende Mitteilungen zu machen:
„1. Personalien der Mitglieder der einzelnen Bande. 2. Legitimationspapiere nach Inhalt, Datum und Fertigung, mit besonderer Berücksichtigung der etwa von bayrischen Behörden ausgestellten oder ausgedehnten Scheine. 3. Mitgeführte Pferde und sonstige Tiere, Wagen und sonstige bemerkenswerte Gegenstände. 4. Herkunft und Richtung der Wanderung. 5. Getroffene polizeiliche Maßnahmen, eingeleitete strafrechtliche Untersuchungen. 6. Angabe der Gründe, aus welchen von einer Beheligung im Sinne der eingangs erwähnten Entschließungen abgesehen wurde.“
Der letzte Punkt belegt den Druck, den man gegenüber den Regionalbehörden für nötig hielt um die Anordnungen aus München durchzusetzen. MAn setzte darauf, dass die untergeordneten Beamten lieber Repressionen gegenüber den "Zigeunern" verhängten, als schriftliche Erklärungen für ein Nichteingreifen zu verfassen.[9]
Weiterhin war die "Zigeunerzentrale" über eventuelle Urteile und Haftstarfen, sowie deren Strafvollzug zu unterrichten.[10] Wurden "Zigeuner" als Täter vermutet, hob man die Verjährungsfristen auf, die Richtschnur der Polizei war: Strafe um jeden Preis, mit dem Ziel die Betroffenen zu diskriminieren, stigmatisieren und kriminalisieren, wie Reiner Hehemann kommentiert.[11]
Mit der Gründung der "Zigeunerzentrale" hatten alle Destriktämter eine Übersicht all ihrer Akten über "Zigeuner" nach München zu schicken.[12] Aufgrund dieser umfassenden Datensammlung konnte ermittelt werden, das 1899 1242 "Zigeuner" durch Bayern resiten.[13]
Dillmanns "Zigeuner-Buch" von 1905

1905 kompiliert Dillmann aus der Kartei das "Zigeuner-Buch" mit steckbriefartigen Einzelangaben zu 3.350 Personen. Neben einer Einführung zur "Zigeunerplage" war für die behördliche Praxis vor allem der Personenteil inkusive Lichtbilder von Interesse.[14]
Das "Zigeuner-Buch" wurde in 7000 Exemplaren [15] verbreitet, d.h. an Behörden in und außerhalb Bayerns verschickt. Der Zugriff und die Materialfülle der "Zigeunerzentrale" weitete sich auch nach erscheinen des Buches immer mehr aus. Ab dem 14.4.1911 waren qua Erlass von allen "Zigeunern" landesweit Fingerabdrücke zu nehmen und der Zentrale zu übermittel, ab 21.4.1913 mußten die Standesämter Geburten, Heiraten und Todesfälle melden. [16]
Allerdings steht der Aufwand in keiner Relation mit den tatsächlichen Erfolgen.[17]
Nach dem Ersten Weltkrieg war das "Zigeuener-Buch" hoffnungslos veraltet und nur noch eingeschränkt zum Gebrauch geignet.[18]
Die Münchner "Zigeunerkonverenz" 1911
Die nur landesweite Reglung besaß Probleme, die im Rahmen einer Konverenz am 18. und 19. Dezember 1911 in München stattfand. Die Deligierten der Regierungen von Preußen, Sachsen, Württemberg, Baden, Hessen und Elsaß-Lothringen sprachen sich einhellig für die Errichtung von "Zigeunernachrichtendiensten" aus.[19] Der Versuch einer „Reichszigeunerzentrale“ mit Sitz in München scheiterte besonders am preußischen Widerstand.[20] Die preußischen Bedenken betrafen den Aufwand und die Effektivität einer solchen Zentrale, da Bayern bei der "Zigeunerplage" nicht besser da stand als Länder ohne Zentrale.[21] München blieb bzw. wurde ohne eine ofizielle "Reichszentrale" zu sein zur Hauptzentrale in Deutschland.[22]
Deutlichen Dissens gab es bei der Definition wer eigentlich ein "Zigeuner" sei. Zum einen wolle man die Behörden durch einen zu engen Zigeunerbegriff in ihrem Handeln nicht einengen, zum andern "harmlose" Personen nicht unnötig erfassen. Der Kompromiss bestand in einer Zweiteilung, die diffus "Zigeuner" und "nach Zigeunerart" herumziehende Personen summierte.[23] Das Problem der permanenten Abschiebungen aus dem jeweiligen Zuständigkeitsgebiet wurde besprochen, aber nicht gelöst, Zigeuner sollten in den Staat, dessen Staatsangehörigkeit sie besäßen abgeschoben werden. Der Einbürgerung von staatenlosen "Zigeunern" widersprachen die Vertreter Preußens, solange diese nicht ihre "Zigeunereigenschaft" abgelegt hätte. Elsaß-Lothringen schlug vor "Zigeuner" in die deutschen Kollonien zu deportieren.[24]
Weiterhin stellte Theodor Harster (München) die Möglichkeiten der Daktyloskopie vor.[25] Hermann Aichele, der im gleichen Jahr über die Zigeunerplage in Württemberg promovierte war ebenso anwesend wie Dillmann.[26]
Bayern ließ auf die Konverenz eine Denkschrift folgen, die in 30 Paragraphen eine umfassende Darstellung der Ziele und Aufgaben der "Zigeunerpolitik" und der "Zigeunerzentralen" darstellt. [27] Folgende Verhandlungen zur Vereinheitlichung des Vorgehens waren scheiterten am Partikularismus der Länder.[28]
Freistaat und Weimarer Republik (1918-1933)
Nur einen kurzen Moment war die "Zigeunerzentrale" arbeitsunfähig. Nach dem Ende der Bayrischen Monarchie wurden am 29.4.1919 die Akten der "Zigeunerzentrale" zusammen mit den Akten der politischen Polizei von Revolutionären verbrannt.[29]
Nach Ende der bayrischen Räterepublik wurde die alte Zigeunerpolitik rasch wieder aufgenommen, bereits 1922 war die "Zigeunerstelle" wieder voll einsatzfähig.[30] Die München nahm, nun nicht mehr auf Regierungsebene, sondern auf Ebene der Polizei die Verhandlungen zur Vereinheitlichung wieder auf.[31]
1925 waren in München Akten zu 14.000 Personen und Familien aus Deutschland angelegt.[32]
Karlruher Konverenz 1925 S.360
1926 Zigeunergesetz -> Aufgabe der Zentrale
Die Münchner Zentrale wurde von allen deutschen Ländern genutzt und finanziert.[33] Eine Reichsstelle, gab es in der föderalen Weimarer Republik so wenig wie eine Reichspolizei, beides sollte erst im Dritten Reich eingeführt werden.
Die "Reichszentrale zur Bekämpfung des Zigeunerunwesen" (bis 1945)
Im Nationalsozialismus wird mit dem "Runderlass zur Neuordnung der Reichskriminalpolizei" vom 20. September 1936[34] die organisatorische Selbständigkeit der Kriminalpolizei der deutschen Länder beseitigte und dem neu gegründeten Reichskriminalpolizeiamt unterstellte. Zu den Neugründungen gehört die "Reichszentrale zur Bekämpfung des Zigeunerunwesens", die als Punkt i des Erlasses aufgezählt wird. Die Überführung der "Zigeunerpolizeistelle bei der Polizeidirektion in München" wird angekündigt und mit einem Sondererlass vom 16. Mai 1938 vollzogen.[35] Zum Zeitpunkt der Übernahme der Münchener "Zigeunerzentrale" 1938 waren bereits über 17.000 Akten in denen insgesamt 30.903 Sinti und Roma registriert waren angelegt.[36] Mit dem Erlass Heinrich Himmlers vom 27. September 1939 wird das Reichskriminalpolizeiamt unter Leitung Arthur Nebes zum Amt V (Kriminalpolizei) des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA).
Stichpunkte Chef des RSHA wurde Reinhard Heydrich.
Ausführungsanweisung des Reichskriminalpolizeiamts (RKPA), 1.3.1939, gedruckt bei Döring: Zigeuner, 201ff. Zu den Kriminalpolizeileitstellen vgl. Patrick Wagner: Volksgemeinschaft ohne Verbrecher. Konzeptionen und Praxis der Kriminalpolizei in der Zeit der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus, Hamburg 1996, 235ff.
Neue Aufgaben?
Personen?
Beteiligung an Deportationen?
Planung von Deportatioen
Belegte Einzelfälle die die Arbeitsweise de Reichszentrale zeigen S. 390 bei Hohmann
Interaktion mit der RHF S. 394 Hohmann
Da die Arken der Reichszentrale von den Tätern bereinigt oder kriegsbedingt Verlohren sind, lassen sich ihre Aktivitäten in Einzelfällen nur durch Überlieferung in anderen Altenbeständen in Ausnahmefällen nachvollziehen, die aber das Zusammenwirken der Reichszentrale mit der RHF und lokalen Behörden gut belegen.
Liselotte W.
Wilhelm W. der mit einer "deutschblütigen" Frau verheiratet war und seine Familie gerieten im Juli 1938 beim Gesundheitsamt Karlsruhe erstmalig in Verdacht "Zigeunersprösslinge" zu sein. Im August 1941 erklärte die RHF ihn zum Zigeuner und seine Familie zu "Zigeunermischlingen". Am 8.11.1941 äußerte Eva Justin von der RHF Unsicherheit ob er "Zigeuner" oder "Zigeunermischling" sei. Sie regte eine Untersuchung im Gesundheitsamt Karlsruhe an. Nachkommenschaft sei aber auf jeden Fall zu verhindern. Im Oktober 1942 baten die Kinder das RKPA um "völlige Umschreibung auf Deutsch", die Karlsuher Polizei bestädigte im Begleitschreiben das sie dies aufgrund der Unaffälligkeit befürworte. Die Kripo Karlsruhe meldete am 21.1.1943, das Liselotte W., eine Tochter, im 5. Monat schwanger sei. Sie habe einem Schwangerschaftsabbruch und der Sterilisation zugestimmt, wenn ihr die Ehe mit Richard M. genehmigt würde. Wenig später meldete Karlsuher Polizei die Fahnenflucht und die Festnahme des "deutschblütigen" Richard M. Maly vom Reichszentrale weist am 27.1.1943 trotz bestehender Schwangerschaft Vorbeugehaft für Liselotte W. an. In Haft wird ihr ärztlich Haftunfähigkeit aufgrund der Schwangerschaft bescheinigt. Richard M. wird am 17.2.1943 wegen Fahnenflucht verurteit und am 16.4.1943 erschossen. Maly ordnet am 20.2.1943 die Deportation in das Frauenlager des KZ Auschwitz an. Am 16.3. erfolgt der Transport, ihr Tod ist dort mit Datum vom 7.5.1943 vermerkt. Bereits am 9.3. hatte Maly für den Vater und seine restlichen Kinder die "freiwillige" Sterilisation angeordnet.[37] Hohmann merkt an, das für dieses Vorgehen laut Richtlinien die Grundlagen nicht gegeben gewesen seien.
Erfassungen Karlsruhe durch Würth
- April 1938 80
- 16. August 1938 71 <- hier nachsehen.
Massendeportationen
Vorbereitung der Deportation
Am Sammelpunkt Festung Hohenasperg, der Maideportation 1940 leitete Josef Eichberger von der "Reichszentrale zur Bekämpfung des Zigeunerunwesens" die Deportation.[38]
Deportationen nach Auschwitz
Restauration als "Zigeunerpolizei" bzw. "Landfahrerstelle" in München (ab 1946)
Die amerikanische Militärregierung (OMGUS) löste 1945 die deutschen Polizeieinrichtungen auf, deren Funktion provisorisch von der amerikanische Militärpolizei übernommen wurde. Nach einer Weisung der Besatzungsbehörden vom 24. April 1946 baute Michael Freiherr von Godin die bayerische Landespolizei neu auf.[39]
Schon im Mai 1946 wurde im Landeserkennungsamt die "Nachrichtenstelle über Zigeuner" kurz "Zigeunerpolizei" rekonstituiert. Zwischen 1947 und 1951 wurde sie aufgrund der kurzzeitig schwindenden Legitimation eines offen rassistisch begründeten Antiziganismus verschleiernd in "Nachrichtensammel- und Auskunftsstelle über Landfahrer" umbenannt, Sitz war wiederum die Polizeidirektion München.[40]
Leiter der Münchner Landfahrerstelle wurde Ende der vierziger oder Anfang der fünfziger Jahre Josef Eichberger, der zuvor in der Reichszentrale maßgeblich an der Deportation deutscher Sinti und Roma in Konzentrationslager mitgewirkt hatte.[41] Der Vorsitzende des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma Romani Rose bezeichnet Eichberger als „Adolf Eichmann der Sinti und Roma“.[42] Auch weitere "Zigeunerexperten" der Landfahrerstelle arbeiteten vormals bei der Reichszentrale, hierzu gehörten Wilhelm Supp[43] oder Rudolf Uschold[44]
Mit Gründung der Bundesrepublik Deutschland 1949 entfielen die allierten Beschränkungen darunter die Aufhebung des "Zigeunergesetz" von 1926. [45] Die deutschen Innenministerien nahmen die Gründung einer "Bundeszentrale zur Bekämpfung der kriminellen Landfahrerei" sowie eines "Nachrichtendienstes und einer zentralen Registrierungsstelle" in Angriff.[46]
Im Mai 1949 wurde der Aktenbestand der "Landfahrerstelle" durch Akten der Rassenhygienischen Forschungsstelle (RHF) bereichert. Eva Justin vormals RHF, übergab an Rudolf Uschold vormals Reichzentrale, 40 Aktenordner mit den Genealogien, Karteien, Fotos usw.[47] Uschold forderte 1951 in "Die neue Polizei" eine bundesweite Zentrale um das "Landfahrerunwesen"(sic!) wirksam bekämpfen zu können. Geeignet sei hierfür aufgrund der umfangreiche Erfahrung und Material die Münchner Landfahrerstelle.[48] Am 22.12.1953 erhielt die Landfahrerzentrale mit der neuen Landfahrerverordnung, die in wesentlichen Teilen dem Zigeunergesetz von 1926 glich, eine neue Rechtsgrundlage für ihre rassistische Sondererfassung. Die Münchner Zentrale wurde de facto zur Bundeszentrale, der alle Bundesländer Daten übermittelten.[49]
Schon zuvor hatte die Landfahrerstelle sich erfolgreich als Expertenstelle erweisen können. Am 22. Februar 1950 legten die bundesdeutschen Finanzministerien den „Runderlass E 19 an die Wiedergutmachungsbehörden“ vor: „Die Prüfung der Wiedergutmachungsberechtigung der Zigeuner und Zigeuner-Mischlinge nach den Vorschriften des Entschädigungsgesetzes hat zu dem Ergebnis geführt, dass der genannte Personenkreis überwiegend nicht aus rassischen Gründen ... verfolgt und inhaftiert wurden." Als eine von mehreren regionalen Prüfinstanzen wurde das Landesamt für Kriminal-Erkennungsdienst in Stuttgart in Zusammenarbeit mit dem Zentralamt für Kriminal-Identifizierung und Polizeistatistik in München sprich die "Landfahrerstelle" beauftragt, in Entschädigungsverfahren richtungweisende Vorentscheidungen zu treffen.[50]
Die Landfahrerstelle unterstützte den in Tradition Robert Ritters stehenden Tsiganologen Hermann Arnold in dem sie u.a. Stammbäume ab den fünfziger Jahren an ihn auslieh.[51][52] 1960 wurde erneut das Akten mit Billigung des Bayrischen Innenministerium an an den Privatmann Arnold übergeben. Dieser hatte angegeben, sich seit 1947 mit sozialbiologischen Studien, insbesondere über "Zigeuner", beschäftigt zu haben.[53][54] Kopien der Akten stellte Arnold wiederum Polizeibehörden zur Verfügung.[55] Die Landfahrerstelle der Münchener Polizei wurde 1970 offiziell wegen Grundgesetzwidrigkeit aufgelöst.[56][57] Die zu Grunde liegende Landfahrerverordnung wurde 1970 aufgehoben. [58]
Im Oktober 2001, also über hundert Jahre nach Gründung des "Zigeunernachrichtendienstes", wurde die letzte verbliebene ethnische Sondererfassung, von Sinti und Roma in bayerischen Polizeiberichten offiziell eingestellt.[59]
Bayern als Vorbild: weitere nationale und internationale Zigeunerzentralen
Die "Zigeunerzentrale" war Vorbild für die Gründung von "Zigeunerzentralen" in anderen Ländern und Staaten, um nur wenige Beispiele aufzuzählen: In Sachsen war ab 1908 die Dresdener Polizeidirektion für die Sammlung von Personendaten, Fingerabdrücken und Fotos zuständig.[60] Die Schweiz schuf 1909 eine "Zigeunerregistratur" nach Münchner Vorbild.[61] Auch Baden besaß eine eigene "Nachrichtendienststelle" in Karlsruhe, die ab 1922 eng mit München kooperierte.[62] Weitaus nüchterner waren Urteile etwa des Arnsberger Regierungspräsidenten oder des Siegener Landrates, beide hielten den Aufwand für zu groß und die bestehenden Bestimmungen für ausreichend.
1932 beschloss die Internationale kriminalpolizeiliche Organisation (IKPK), die Vorgängerin von Interpol auf einer Tagung in Rom eine internationale „Zigeunerzentrale“ in Wien zu gründen.[63] Mit dem „Anschluss“ Österreichs am 12. März 1938 geriet auch die Wiener Zentrale in das Herrschaftsgebiet der Nationalsozialisten. Das IKPK wurde unter Leitung Reinhard Heydrichs nach Berlin verlegt. Unter den nach Berlin verlegten Akten befand sich auch die internationale Zigeunerregistratur, die wie andere Karteien vom RSHA für seine Zwecke genutzt wurde.[64]
Neugründungen von Zigeuenerzentralen in Deutschland lassen sich bis in die 60er Jahre nachweisen, beispielsweise informierte das Landeskriminalamtes NRW im April 1962 über die Einrichtung einer "Landfahrerzentrale", die bis November des gleichen Jahres bereits 2.662 Personen und 897 Kraftfahrzeuge erfasst hat.[65]
Juristische Fragen
verfassungskonform?
bis 1918
Arbeitsschwerpunkt der "Zigeunerzentrale" war der Aufbau einer "Zigeunerpersonenkartei", bei anderen Staatsbürgern war die Polizei auch damals nur dazu berechtigt diese Daten im Falle schwerer Straftaten zu sammeln.[66]
Nach 1945
Umgang mit den NS-Tätern
Siehe Hauptartikel: Porajmos, Abschnitte: Strafverfolgung und Zur rechtlichen und politischen Anerkennung des Genozids
Anklagen auch gegen die im Einzelfall nachgewiesenen Organisatoren von Deportationen führten in keinem Fall zu einer Verurteilung. Stattdessen wurden den Tätern, die noch im Polizeidienst für "Zigeuner" zuständig waren, sogar Aufgaben im Rahmen der Wiedergutmachung zugewiesen, die zur Vermeidung Wiedergutmachung an den Opfern führte.
Abgabe der Akten legal? / Aktenschwund
Literatur
- Gilad Margalit: Die deutsche Zigeunerpolitik nach 1945. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, 45. Jahrg., 4. H. (Okt., 1997), S. 557-588
- Josef Henke: Quellenschicksale und Bewertungsfragen. Archivische Probleme bei der Überlieferungsbildung zur Verfolgung der Sinti und Roma im Dritten Reich In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 1993, H1. S. 61–77
- Rainer Hehemann: Die „Bekämpfung des Zigeunerunwesens“ im Wilhelminischen Deutschland und in der Weimarer Republik, 1871-1933, Frankfurt am Main 1987.
Einzelnachweise
- ↑ Ministerialentschließung des bayrischen Ministerium des Inneren vom 28.3.1899, nach Reimar Gilsenbach in Ayaß S. 39
- ↑ Hehemann 1987, S. 285
- ↑ Angelika Albrecht: "Zigeuner in Altbayern 1871-1914. Eine sozial-, wirtschafts- und verwaltungsgeschichtliche Untersuchung der byerischen Zigeunerpolitik". Nach der Rezension von Martin Holler
- ↑ Angelika Albrecht: "Zigeuner in Altbayern 1871-1914. Eine sozial-, wirtschafts- und verwaltungsgeschichtliche Untersuchung der bayerischen Zigeunerpolitik". (S. 261-263) Nach der Rezension von Martin Holler
- ↑ Gilsenbach in Ayaß S. 19
- ↑ Gilsenbach in Ayaß S. 17
- ↑ www.romahistory.com Hans Hesse, Jens Schreiber: Vom Schlachthof nach Auschwitz: die NS-Verfolgung der Sinti und Roma aus Bremen, Bremerhaven und Nordwestdeutschland.
- ↑ Nach: Hehemann 1987, S. 285
- ↑ Hehemann 1987, S. 285
- ↑ Hehemann 1987, S. 286
- ↑ Hehemann 1987, S. 286
- ↑ Hehemann 1987, S. 287
- ↑ Hehemann 1987, S. 287
- ↑ www.romahistory.com Hans Hesse, Jens Schreiber: Vom Schlachthof nach Auschwitz: die NS-Verfolgung der Sinti und Roma aus Bremen, Bremerhaven und Nordwestdeutschland.
- ↑ Leo Lucassen: Harmful tramps » Police professionalization and gypsies in Germany, 1700-1945, S. 29-50
- ↑ Gilsenbach in Ayaß S. 17
- ↑ Angelika Albrecht: "Zigeuner in Altbayern 1871-1914. Eine sozial-, wirtschafts- und verwaltungsgeschichtliche Untersuchung der byerischen Zigeunerpolitik". Nach der Rezension von Martin Holler
- ↑ Hehemann 1987, S. 289
- ↑ Hehemann 1987, S. 291, S.344
- ↑ Holler, Martin (2004), Rezension zu: Angelika Albrecht: Zigeuner in Altbayern 1871 – 1914. Eine sozial-, wirtschafts- und verwaltungsgeschichtliche Untersuchung der bayrischen Zigeunerpolitik. In: [1].
- ↑ Hehemann 1987, S. 291
- ↑ Hehemann 1987, S. 293
- ↑ Hehemann 1987, S. 345
- ↑ Hehemann 1987, S. 353
- ↑ Hehemann 1987, S. S.344
- ↑ Hehemann 1987, S. S.344
- ↑ Hehemann 1987, S. S.354
- ↑ Hehemann 1987, S. S.357
- ↑ Gilsenbach in Ayaß 1988 S.18
- ↑ Hehemann 1987 S. 292 f.
- ↑ Hehemann 1987, S.358f.
- ↑ Donald Kenrick: Historical Dictionary of the Gypsies (Romanies). Lanham, Maryland • Toronto • Plymouth, 2007, 2. Aufl. S.97.
- ↑ Marglit S. 568
- ↑ RMBliV. 1936 S. 1339
- ↑ RMBliV 1938 S. 883, Mitteilungsblatt A S. 72
- ↑ Fings/Sparing 1995, S.182
- ↑ Hohmann S.395-399
- ↑ Romani Rose: [http://www.sintiundroma.de/content/downloads/publikationen/online/maidepor_140510.pdf "Der Abtransport ging glatt von statten". S. 3
- ↑ Siehe Polizei Bayern: Nach dem Zweiten Weltkrieg
- ↑ Margilit S. 568f.
- ↑ Margilit S. 568f.
- ↑ Peter Carstens: NS-Vergangenheit des BKA. Nach dem Vorbild des Reichskriminalamtes. In: FAZ vom 22.09.2007
- ↑ [http://www.bka.de/kriminalwissenschaften/veroeff/inh/sonstiges_pdf/12_22_das_bundeskriminalamt_stellt_sich_seiner_geschichte.pdf Bundeskriminalamt (Hrsg.): Das Bundeskriminalamt stellt sich seiner Geschichte. Dokumentation einer Kolloquienreihe, Köln 2008, S. 140.
- ↑ Zentralamt für Krim. Identifizierung u. Polizeistatistik, Abt. Zigeunerpolizei, Quelle u.a. MARGALIT ...
- ↑ Margalit S. 569
- ↑ Margilit S. 572-573
- ↑ Winter in Ayaß 1988 S. 145
- ↑ Uschhold: Das Zigeunerproblem. In: die neue Polizei Nr 3 und 4 München 1951 nach Gilsenbach in Ayaß 1988 S. 145
- ↑ (Hundsalz 1978:90; Winter 1988:146; Fings/Sparing 1995: 187)
- ↑ [http://www.bka.de/kriminalwissenschaften/veroeff/inh/sonstiges_pdf/12_22_das_bundeskriminalamt_stellt_sich_seiner_geschichte.pdf Bundeskriminalamt (Hrsg.): Das Bundeskriminalamt stellt sich seiner Geschichte. Dokumentation einer Kolloquienreihe, Köln 2008, S. 140.
- ↑ Gilsenbach nach Ayaß 1988, S. 146
- ↑ Arnold 1978, S. 4 nach Arnold Spitta S. 188 und 323, In: Tilman Zülch: In Auschwitz vergast, bis heute verfolgt. Rowohlt, Reinbek 1979, ISBN 3-499-14430-1
- ↑ Referenzfehler: Ungültiges
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-Tag; kein Text angegeben für Einzelnachweis mit dem Namen henke68. - ↑ Referenzfehler: Ungültiges
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-Tag; kein Text angegeben für Einzelnachweis mit dem Namen rose123. - ↑ Gilsenbach nach Ayaß 1988, S. 146f.
- ↑ Hohmann 1988, S. 203
- ↑ Gilsenbach nach Ayaß 1988, S. 146
- ↑ Gilsenbach in Ayaß 1988, S. 146
- ↑ [dipbt.bundestag.de/dip21/btd/16/021/1602197.pdf Anfrage an die Bundesregierung]
- ↑ Hehemann 1987 S.326
- ↑ Thomas Huonker im Tages-Anzeiger, Zürich vom 28.4.1997
- ↑ Hehemann 1987 S.322
- ↑ Unabhängige Expertenkommission Schweiz – Zweiter Weltkrieg (Hrsg.) (2000): Roma, Sinti und Jenische. Schweizerische Zigeunerpolitik zur Zeit des Nationalsozialismus. Beiheft zum Bericht: Die Schweiz und die Flüchtlinge zur Zeit des Nationalsozialismus. Verfasst von Thomas Huonker und Regula Ludi, unter Mitarbeit von Bernhard Schär, Bern S. 35
- ↑ Quellenlos aus Artikel Interpol
- ↑ Fings 1992, 124
- ↑ Gilsenbach in Ayaß S. 17