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Genitiv

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Der Genitiv, seltener Genetiv (von lat. casus genetivus — „die Herkunft bezeichnender Fall“), im Deutschen auch Wesfall oder Wessenfall, ist in der deutschen Grammatik der 2. Fall.

Sprachliche Funktionen des Genitivs

Im Genitiv stehen u. a. Wortgruppen, die ein Besitzverhältnis ausdrücken. In der Wortgruppe die Tür des Hauses steht des Hauses im Genitiv. Mit der Frage „Wessen Tür ist das?“ kann man das Genitivattribut bestimmen. Dieser Gebrauch des Genitivs wird in der lateinischen Grammatik als genetivus possessivus bezeichnet. In der Funktion als Bezeichner von Attributen in dieser possessiven Bedeutung (Possessivgenitiv) kommt der Genitiv im Deutschen am häufigsten vor. In der Universalienforschung wird er deshalb auch als Possessivmarkierung bezeichnet.

Daneben werden in der lateinischen Grammatik folgende weitere Funktionen des Genitivs unterschieden, die auch in der deutschen Sprache vorkommen:

  • genetivus qualitatis – der Genitiv bezeichnet eine Eigenschaft: „Ticket zweiter Klasse", „eine Freude kurzer Dauer"
  • genetivus partitivus – der Genitiv drückt eine Beziehung des Anteils aus: „der älteste Sohn der Familie", „die andere Seite der Medaille"
  • genetivus subiectivus – das Genitiv-Objekt ist Quelle einer Handlung: „der Rat des Freundes";
  • genetivus obiectivus – das Genitiv-Objekt ist Ziel einer Handlung: „Beachtung der Gesetze"
  • genetivus possessivus – der Genitiv zeigt ein Besitzverhältnis an: „Mutters Hut", „der Mantel des Vaters", „die Flagge der Bundesrepublik Deutschland"
  • genetivus explicativus / definitivus – der Genitiv erklärt oder beschreibt ein anderes Objekt näher: „Strahl der Hoffnung", „die Strafe der Verbannung"
  • genetivus hebraicus – der Genitiv steigert die Bedeutung des Objekts und drückt seinen höchsten Grad aus: „das Buch der Bücher"
  • genetivus auctoris – der Genitiv gibt eine Urheberschaft an: „Beethovens 1. Symphonie"

Funktion des Genitivs in anderen Sprachen

In verschiedenen Sprachen gibt es unterschiedliche Anwendungen des Genitivs. So erfordern beispielsweise in der russischen Sprache die Zahlwörter два, три und четыре (zwei, drei und vier) den Genitiv. Мне два года. – Ich bin zwei Jahre alt. Zahlen von fünf bis zwanzig fordern den Genitiv Mehrzahl, einundzwanzig den Nominativ, weil die Zahl auf eins endet, zweiundzwanzig bis vierundzwanzig wieder den Genitiv Einzahl (Мне двадцать два года.Ich bin zweiundzwanzig Jahre alt.) Dann folgt wieder Genitiv Mehrzahl bis 30, dann wiederholt sich alles bei jeder weiteren Dekade bis hundert, der Nominativ bei hunderteins und so weiter. Im Litauischen drückt der Genitiv im Passiv das Agens aus (possessive Satzkonstruktion, z. B. tėvo sergama - „der Vater ist krank“).

Genitiv als Objekt-Kasus

In der deutschen Sprache wird der Genitiv in seiner Funktion als Genitiv des Objekts von zahlreichen Verben regiert. Beispiele für solche Verben sind: bedürfen, ermangeln, gedenken, harren, pflegen (nur poetisch: der Ruhe pflegen), spotten, sich bedienen, sich besinnen, sich erfreuen (auch: sich freuen), sich erinnern, sich rühmen.

Satzbeispiele: Sie gedenken der Freunde. Sie erinnert sich ihres letzten Urlaubs. Er erfreut sich bester Gesundheit. Ich bediene mich des Genitivs.

Bei einigen dieser Verben ist es auch möglich, eine Präposition statt der Genitivkonstruktion zu verwenden: Sie erinnert sich an ihren letzten Urlaub. Er spottet über die Anwesenden. Sie erfreuen sich an den Blumen.

Bei vielen Verben aus der Rechts- und Gerichtssprache handelt es sich um Verben, deren Satzbauplan neben dem Genitiv den Akkusativ fordert. Beispiele: jemanden einer Sache anklagen, beschuldigen, überführen; aber auch jemanden einer Sache berauben, entheben, verweisen.

Genitiv bei Präpositionen

Bei gängigen Präpositionen wie z. B. wegen oder während wird der Genitiv in der Umgangssprache zunehmend durch den Dativ ersetzt. Vereinzelt ist neuerdings auch eine umgekehrte Entwicklung zu beobachten. In der Beamtensprache entwachsen aus einigen Nomen neu gebildete Präpositionen, etwa „seitens“. Im Bemühen um einen besonders gehobenen und offiziellen Sprachstil werden in Rundfunk und Presse gelegentlich Präpositionen, die in der Standardsprache den Dativ verlangen (entsprechend, entgegen, gemäß), mit dem Genitiv verbunden.

Ungeachtet solcher Tendenzen wird der Genitiv heutzutage bei Präpositionen immer dann durch den Dativ ersetzt, wenn ein Nomen im Plural weder durch einen Artikel noch ein Adjektiv mit Fallendungen begleitet wird, das heißt, wenn am Nomen allein nicht zu erkennen ist, dass es im Genitiv steht, weil die Form des Genitiv Plural mit der Form des Nominativ Plural übereinstimmt. So ist im Ausdruck „wegen Hagels“ der Genitiv möglich (das -s in Hagels lässt den Genitiv deutlich werden), im Ausdruck „wegen Hagelschauern“ muss der Dativ stehen, da der Genitiv im Plural („Hagelschauer") allein am Nomen nicht markiert werden kann.

In früherer Zeit verwendete man auch bei nachgestelltem ohne den Genitiv, so noch erhalten in zweifelsohne.

Viele deutsche Präpositionen, darunter manche, die heute als veraltet empfunden werden oder die einen geschraubten Kanzleistil repräsentieren, fordern ebenfalls den Genitiv. Beispiele dafür sind: abseits, abzüglich, anfangs, angesichts, anhand, anlässlich, anstatt, anstelle, aufgrund, ausgangs, ausschließlich, außerhalb, auswärts, ausweislich, bar, begierig, behufs, beiderseitig, beiderseits, beidseits, bergseits, betreffs, bezüglich, binnen, dank (auch mit Dativ), diesseits, eingangs, eingedenk, einschließlich, einwärts, ende, exklusive, fähig, im Falle, fernab, frei, froh, fündig, geachtet, gedenk, gelegentlich, gewahr, gewärtig, gewiss, gewohnt, habhaft, halber, hinsichtlich, hinsichts, infolge, inklusive, inmitten, innerhalb, innert, inwärts, jenseits, kraft, kundig, längs, längsseits, laut, ledig, linkerhand, linkerseits, links, linksseitig, mächtig, mangels, mithilfe, mittels, müde, nähe, namens, nördlich, nordöstlich, nordwestlich, ob (z. B.: ob des erlittenen Verlustes), oberhalb, östlich, im Rahmen, rechterhand, rechts, rechtsseitig, satt, seitab, seitwärts, schuldig, seitens, seitlich, sicher, statt, an … statt, südlich, südöstlich, südwestlich, teilhaft, teilhaftig, trotz (auch mit Dativ), überdrüssig, um … willen, unbenommen, unbeschadet, ungeachtet, ungedenk, unkund, unkundig, unteilhaft, unterhalb, unweit, unwert, unwürdig, aus Ursachen, verdächtig, verlustig, vermittels, vermöge, voll, voller, vonseiten, vorbehaltlich, während, wegen, weitab, wert, westlich, würdig, zeit, zufolge, zugunsten, zulasten, zuseiten, zuungunsten, zuzüglich, zwecks.

Attributiver Genitiv

Ein Genitiv kann auch ein Attribut markieren. Es hängt dann syntaktisch vom Bezugswort ab.

die Segel des Schiffes
der Bauch des Architekten

Dativ und Akkusativ gibt es nicht in dieser Form als Attribute. Aber auch sie können allein stehen, etwa der Dativ auf Briefumschlägen (Herrn Meier) oder als Akkusativ der Zeit (Wie lange bleibst du? – Den ganzen Tag.).

Form des Genitivs

Frage: „Wessen Blätter liegen auf dem Boden?
Antwort: „Die Blätter des Baumes liegen auf dem Boden!“

Frage: „Wessen Geräusche sind zu hören?
Antwort: „Die Geräusche des Autos sind zu hören!“

Frage: „Wessen Mobiltelefon klingelt?
Antwort: „Marias Mobiltelefon klingelt!“

Besonderheiten

  • Wenn ein Eigenname auf einen stimmlosen S-Laut endet und kein Artikel davor steht, wird zur schriftlichen Kennzeichnung des Genitivs der Apostroph verwendet. Endungen können z. B. Folgende sein: ce (z. B. in Bruce’), s (Klaus’), ss (Grass’), ß (Weiß’), tz (Katz’), z (Merz’) und x (Marx’).
    • Zu beachten ist, dass die genannten Buchstaben nur dann den Genitiv durch Apostrophierung bilden, wenn ihnen auch tatsächlich der Laut [s] entspricht oder er stumm bleibt; wenn nicht, wird in der geschriebenen ebenso wie in der gesprochenen Sprache ganz normal ein s angehängt, z. B. Miloševićs, nicht *Milošević (ebenso wie Millowitschs, nicht *Millowitsch) oder Benešs, nicht *Beneš (ebenso wie Bauschs, nicht *Bausch).
      • Eine Ausnahme hiervon stellen lediglich Wörter dar, die auf eines der Grapheme enden, das aber stumm bleibt. Man schreibt Jacques’ (und nicht *Jacquess) oder Giraudoux’ (und nicht *Giraudouxs), obwohl in der gesprochenen Sprache durchaus ein [s] angehängt wird (['ʒak+s]).
    • Da der Genitiv im Deutschen markierungspflichtig ist, kann der Apostroph bei nachgestellten Genitiven nicht verwendet werden. So ist in dem Syntagma Klaus’ Hund an Wortstellung und Intonation zu erkennen, dass Klaus hier im Genitiv steht; in dem Syntagma der Hund Klaus ist jedoch Klaus nur als der Name des Hundes interpretierbar, und dies kann auch nicht dadurch geändert werden, dass man Klaus einen Apostroph hinzufügt: *der Hund Klaus’ wäre beim Lesen zwar verständlich, aber ein nicht auszusprechender Text.
    • Sollen stilistisch unglückliche Genitive von Eigennamen, die auf einen S-Laut enden, wie Klaus’ Freund Thomas oder Marx’ „Kapital“ vermieden werden, kann man auf die veraltende Genitivbildung mit -ens zurückgreifen: Klausens Freund Thomas, Marxens „Kapital“. Ferner ist in diesem Fall auch die Umschreibung mit von möglich (analytische Formbildung: Thomas, der Freund von Klaus, „Das Kapital“ von Marx), gilt aber standardsprachlich als weniger 'vornehm'.
  • Bei festen Wendungen mit Namen wird der Genitiv oft durch ein mit dem Suffix -sche gebildetes Adjektiv ersetzt: statt Verners Gesetz heißt es: vernersches Gesetz oder Verner’sches Gesetz.
  • In einigen Fällen kann ein „flüchtiges e“ auftreten. Dann sind zwei Genitivvarianten möglich. Beispiel: des Baums/des Baumes.

Die Abtrennung des s durch Apostroph beim Genitiv ist als sächsischer Genitiv bekannt. Sie war bis ins 19. Jahrhundert auch in der geschriebenen und gedruckten deutschen Hochsprache noch verbreitet, von der Preußischen Akademie der Wissenschaften wurden die Werke Kants sogar im 20. Jahrhundert noch unter dem Titel „Kant's Gesammelte Schriften“ herausgegeben. Der sächsische Genitiv galt jedoch seit der Reform der deutschen Rechtschreibung von 1901 als Fehler. Mit dem vermehrten Eindringen von Anglizismen und Pseudo-Anglizismen in die deutsche Werbe- und Umgangssprache hat der sächsische Genitiv seit einigen Jahren wieder zunehmend Verbreitung gefunden („Peter’s Pilsbar“ statt „Peters Pilsbar“). Nach neuer Rechtschreibung ist er wieder zulässig, wenn damit die Grundform eines Personennamens verdeutlicht werden soll.

Mittlerweile wird der Apostroph aus Unkenntnis zunehmend auch vor andere s am Wortende gesetzt, vor allem beim Plural („Apartment’s“, „WC’s“), oder bei der Adverbbildung („mittwoch’s frische Austern“), was auch nach neuer Rechtschreibung falsch ist. Die Nichtunterscheidung der geschriebenen Genitiv- und Pluralformen ist auch im englischen Sprachraum verbreitet und Gegenstand der Kritik, wie man in der englischsprachigen Wikipedia nachlesen kann. Solcher übermäßiger Gebrauch des Apostrophs wird zuweilen polemisch als Apostrophitis bezeichnet, man spricht auch vom Deppenapostroph oder Idiotenapostroph und im Englischen vom „greengrocers' apostrophe“ („Gemüsehändler-Apostroph“).

Ein ausgelassener Buchstabe, wie ein ausgefallenes Genitiv-s, wird aber richtigerweise durch einen Apostroph dargestellt. Das ausgefallene (flüchtige) e bei der ursprünglichen Genitivendung es wird dagegen nicht durch einen Apostroph gekennzeichnet, Beispiel: des Baumes/des Baums; - außer optional bei Namen.

Beispiele

Frage: „Wessen Uhr ist defekt?
Antwort: „Hans' Uhr ist defekt.“ oder auch: „Hansens Uhr ist defekt.“
Frage: „Von wessen Wunderland wird erzählt?
Antwort: „Von Alice' Wunderland wird erzählt.“

Alternative Bildung des Genitivs

Der Possessivgenitiv kann im Deutschen durch präpositionale Fügungen mit von ersetzt werden (z. B. die Werke von Goethe). Dies geschieht vor allem in der Umgangssprache. Außerdem kann man mit der Konstruktion mit von die Unbestimmtheit von Pluralausdrücken betonen (eine Mutter von drei Kindern anstatt eine Mutter dreier Kinder). Stehen mehrere Attribute nebeneinander, werden die Genitiv- und die von-Konstruktionen zur stilistischen Variation benutzt (am Tag von Marias Geburtstag anstatt am Tag des Geburtstags Marias). Die Von-Konstruktion bietet auch einen Ausweg, wenn kein Wort die Genitiv-Endung tragen kann (das Geschrei von Gänsen; das Geschrei der Gänse dagegen beinhaltete nicht die Unbestimmtheit).

Eine weitere Form zur Anzeige des Besitzverhältnisses, die aber nur in der Umgangssprache und in Dialekten genutzt wird, ist eine Form mit nachgestelltem besitzanzeigenden Pronomen im Dativ: unsrer Oma ihr klein’ Häuschen, dem Vater sein Auto, Ernst Kuzorra seine Frau ihr Stadion (Johannes Rau) oder der Doris ihrem Mann seine Partei (Wahlkampfslogan der SPD 2002). Sie wird heute oft als unfein empfunden („Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod.“) und in der Standardsprache vermieden. Diese Form war in mehreren germanischen Sprachen verbreitet, beispielsweise in Englisch als „His-Genitiv“. In der altenglischen Sprache starb diese Genitiv-Form zunächst aus, entwickelte sich aber später neu und wurde dann durch den Genitiv mit Apostrophe ersetzt „father's house“. Volksetymologisch wurde diese Form als Kontraktion des „His-Genitivs“ aufgefasst und dadurch stabilisiert.

Siehe auch

Wiktionary: Genitiv – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
Wiktionary: Genitivattribut – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
Wiktionary: Genitivobjekt – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen