Kultstatus
Der Ausdruck Kult bezeichnet in der Szenesprache der Sub-, Massen-, und Gegenkultur (dem Englischen parallel gebildet) ironisch anerkennend eine Qualität, die Kulturphänomene (Fernsehserien und Rockbands, aber auch Autoren, Solisten oder Aufführungen bis hin zu Markenartikeln wie denen der untergegangenen DDR) in einem speziellen Anhängerkreis gewinnen können.
Das Wort wird in Komposita wie Kultfilm, Kultband, oder Kultautor verwendet und daneben agrammatisch adjektiviert: Diese Fernsehserie Serie ist kult Steigerung: Diese Fernsehserie Serie ist total kult (nicht korrekt dagegen die Flexion die kulte Serie). Slang und grammatikalisch bis auf den nicht vorhandenen Superlativ vollständig deklinierbar ist die Adjektivierung kultig. Um die spezielle Qualität der bezeichneten Gegenstände anzusprechen, existieren zudem die nicht länger dem Slang zuzurechnenden Wortfügungen Kultstatus und Kultcharakter in Sätzen wie Diese Serie hat Kultstatus (Kultcharakter) gewonnen.
Kult konnotiert zumeist Gegenstände der Massenkultur, die keinen Anspruch darauf erheben müssen, im Kulturbetrieb als hohe und herausragende kulturelle und kultrurtragende Leistungen wertgeschätzt zu werden. Kultstatus können genau so gut ganz abgelegene kulturelle Produktionen gewinnen, die von eingeschworenen Fangemeinden verehrt werden. Das Wort wird in der Regel ironisch gebrochen verwendet: Was nicht offen als kulturtragend anerkannt ist, findet da eine viel heftigere, an einen Kult erinnernde Protektion der Fangemeinde, die sich ihren Geschmack an diesem Gegenstand nicht verbieten läßt. Das impliziert fast immer, daß die Fans sich beträchtlich aus Kreisen rekrutieren, die eigentlich die hohe Kultur konsumieren - hier sich jedoch zu einem schichtenübergreifenden Geschmack bekennen.
Geschichte
Das Phänomen der Kultfilme, Kultbands und Kultserien kam im ausgehenden 20. Jahrhundert nach einer längeren Vorgeschichte auf, die das Subversive in der Massenkultur zuließ.
Bis in die Postmoderne vertraute die Avantgarde in der Kunstproduktion darauf, daß moderne experimentelle und atonale Musik genauso wie moderne akademische und abstrakte Malerei und Skulptur das Publikum früher oder später ebenso erobern würden, wie die Klassik das zuvor getan hatte. Die kommerzielle Massenkultur bot, so die verbreitete Meinung in linken Kreisen, als dem Kapitalismus entspringendes und darum zwangsläufig seine Interessen wiedergebendes Produkt, zu keiner gleichrangigen Revolte die Chance.
Mit der Popkultur der 1960er wurden diese Thesen fragwürdig. Kritische Auseinandersetzungen mit der Gegenwart fanden in der Rockmusik und auf großen Events wie Woodstock eher statt als in den Konzertsälen der Musikhochschulen, in denen junge Komponisten neue Streichquartette vorstellten. Eine effektive Gegenkultur, die sich gegen den Vietnamkrieg wie die Konsumkultur richtete, fand mit der neuen kommerziell breit vermarkteten Massenkultur Ausdruck entgegen der Annahme, daß Konsumkultur per se systembejahend ausgerichtet sein müßte.
In den 1970ern kam ein neues Phänomen hinzu: Über die Massenmedien verbreiteten sich Serien und Filme, die eine weitgehend unkritische populäre Wertschätzung quer durch alle, im Moment noch vor allem jungen, Konsumentenschichten erfuhren: Star Trek - "Raumschiff Enterprise" - wurde schichtenunspezifisch begeistert von der nächsten Generation im Fernsehn verfolgt. Neu war Ende der 1970er (und das gab im Verlauf dem Phänomen der Kultbands und Kultfilme die heutige Bedeutung) das Bekenntnis der neuen Publikumsgruppen zu ihren eigenen Erfahrungsräumen im Populären und Trivialen. Was man hier genossen hatte, mochte trivial sein, es bot trotzdem weit mehr an Nachdenkstoff und Anreiz für - eine im Ernstfall spielerische doch hoch komplexe - Beschäftigung und Identifikation als die hohe, anspruchsvolle Kultur. Eine eigene Vermarktung, ein neues Merchandising, trug dem neuen Kulturphänomen Rechnung: Fanartikel bilden die untere Ebene, Utensilien, die als nachgebildete Requisiten erworben werden können. Komplexer sind Erscheinungen wie die Herausbildung der klingonischen Sprache im Star Trek-Kontext: Die außerirdische Spezies, die Anfangs als gefährliche Bedrohung eingeführt worden war, wurde in der Serie auf Drängen der Fangemeinde ausgebaut und schließlich mit einer eigenen Sprache ausgestattet, die in Buchform publiziert von jedermann erlernt und gesprochen werden kann.
Kultfilme bildeten eigene ritualisierte Bereiche heraus: Die Rocky Horror Picture Show wird von Fangemeinden regelmäßig in speziellen Kinovorführungen besucht, bei denen eigene Zeremonien - wie das Streuen von Reis zum Begleitprogramm des Kinopubikums gehören.
Kult-Phänomene können dabei durchaus ihren Status auf eine Elite beschränken. Einzelne Filme großer Regisseure und Schauspieler erlangten von der Kritik Anerkennung als "Kultfilme", ohne dabei das Msassenpublikum, geschweige denn das Bildungsbürgertum anzusprechen. Kultfilme sind sie in den Augen ihrer eigenen cineastischen Gemeinde. Kult-Phänomene können gleichzeitig gezielt aus Produkten des Massenmarkts gebildet werden. Fußball - bis in die 1970er ein eher unterschichtenspezifischer Sport - gewann im Verlauf der letzten dreißig Jahre dank weltweiter Medienevents Kultstatus in Intellektuellenkreisen.
Zelebriert wird mit dem Kultstatus in der Regel etwas Schichtenverbindendes der gemeinsamen Verehrung des Kultphänomens. Ein Akt harmloser Revolte schwingt mit: Man stellt die Grenzen zwischen Hoch- und Massenkultur in Frage, nicht etwa dadurch, daß man die Hochkultur nach ihrem eigenen Regelement angreift und eine neue, erneut elitäre Kunstrichtung schafft, sondern dadurch, daß man sich nicht auf die hohe Kultur verpflichten läßt. Eine leichte Revolte bedeutet das, da man im selben Moment von oben nach unten soziale Trennlinien unterläuft, sich zu Unterschichtenkultur oder zur schichtenübergreifende Kultur bekennt. Die Rituale der Verehrung, die sich um die Kultphänomene ausbilden, erlauben und erleichtern zu diesem Zweck Begegnungen von Fangruppen aus unterschiedlichen Schichten - man spricht eine gemeinsame Sprache, verhält sich für die Dauer der Begegnung ähnlich. Die ironische Handhabung der Verehrung stabilisiert gleichzeitig die bestehende kulturelle Differenzierung: Unabhängig davon, daß Phänomene der Massenkultur Kultstatus gewinnen, bleibt die Trennung hoher und niederer Kultur gewahrt, man weiß, daß man hier Grenzen der gewöhnlichen Verehrung verläßt, eher einem irrationalen "Kult" anhängt als einem akzeptablen Geschmack.
Trash
Eine Verschärfung erfuhr die Kultur des Kultigen durch die Herausbildung des Trash in den 1980ern und 1990ern. Verehrung finden hier populäre Konsumartikel, die gegenüber der hohen Kultur gezielt provozieren. Das Phänomen ist breit und reicht von der Comicserie Die Simpsons mit ihrer Satire auf die beliebig geschmacklose Familie der unteren US-amerikanischen Mittelschicht über die im Design weit "trashigere" - primitiver, billigere - Comicserie Beavis and Butt-head bis zur Kultur der rechten Szene, die sich selbst als "white trash", unterprivilegierte Schicht weißer Rasse einstuft. Gerade das minderwertige, ordinäre, obszöne gewinnt als trash, als Abfall, hier Kultstatus, so das Angebot der subersiveren Kulturströmung des Kultigen.
Externe Links
http://www.castelligasse.at/Werbetechnik/merchandising/merchandising.htm