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Indianer

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Indianer ist die verbreitete Bezeichnung aller Menschen, die den Kontinent Amerika (Nord-, Mittel- und Südamerika) bereits vor der europäischen Kolonisierung bevölkert haben. Diese Völker sind ihrerseits allmählich durch Völkerwanderungen auf verschiedenen Wegen von Asien nach Amerika gelangt und haben sich dort vielfältig weiterentwickelt. Sie werden daher auch "Ureinwohner Amerikas" oder "indigene Völker" genannt.

Der Begriff

Die Bezeichnung "Indianer" (ursprünglich spanisch: indios) geht auf ein Missverständnis von Christoph Columbus zurück, der Amerika im Jahre 1492 für die Europäer entdeckte, aber glaubte, in "Indien" gelandet zu sein. So nannten die europäischen Seefahrer allgemein Ostasien, das sie über den westlichen Seeweg zu erreichen suchten. Auch nachdem sie ihren Irrtum erkannt hatten, behielten sie den Begriff dann bei.

"Indianer" ist die deutsche Version des englischen "Indians", mit dem die nordeuropäischen Kolonialmächte besonders die Ureinwohner Nordamerikas meinten. In Süd- und Mittelamerika dagegen wurden die voreuropäischen Bewohner auf Spanisch "Indios" genannt. "Indianer" oder "Indios" ist ein von Europäern verwendeter Sammelbegriff, der viele verschiedene Ethnien umfasst, die kulturell zum Teil sehr stark voneinander abweichen.

Die so genannten Völker Amerikas selbst kannten vor Columbus keine entsprechende Gesamtbezeichnung; sie definierten sich ausschließlich über ihre jeweilige Volksgruppe. Im Zuge der weißen Vorherrschaft, Verfolgung und Genozide gewannen sie jedoch zunehmend ein Zusammengehörigkeitsgefühl.

Heute verwenden sie in Nordamerika für sich die englischen Begriffe American Indian (Indianer) oder Native American (amerikanische Ureinwohner). Dieser Begriff umfasst wie das in Kanada gebräuchliche Synonym "First Nations" (Erste Nationen) auch die Inuit, Unangan und Yupik in Alaska und der nordkanadischen Arktis ("Eskimos"). Sie stammten zwar auch aus Asien, trafen aber später als die vorherigen indigenen Völker in Amerika ein und unterscheiden sich genetisch und kulturell stark von ihnen. Dies gilt auch für die Indigenen Hawaiis, Amerikanisch-Samoas und der Osterinseln. "Indianer" werden daher in der Regel nur die übrigen indigenen Völker Nordamerikas genannt.

In Mittel- und Südamerika herrscht die Bezeichnung Pueblos Indígenas (Indigene Völker Süd- bzw. Mittelamerikas) vor. Das Adjektiv "indigen" bezeichnet die Abstammung von asiatischen Vorfahren, übernimmt also die eingebürgerte Gleichsetzung von "indisch" mit "asiatisch".

Geschichte vor Ankunft der Europäer

Indianer 1916 in Kalifornien

Die Einwanderung von Menschen auf den amerikanischen Kontinent fand mit Sicherheit in verschiedenen Wellen statt. Der älteste gesicherte archäologische Fund stammt aus Chile und wird gemeinhin mit 13.800 v. Chr. datiert. Nimmt man eine alleinige Einwanderung über die Beringstraße von Sibirien nach Alaska an, so müssten deutlich ältere Funde aus Nord- und Mittelamerika noch ausstehen. Als andere mögliche Einwanderungsrichtungen wird ein Weg über Polynesien genannt, außerdem über den Nordatlantik. Letzteres wird von Anhängern unter anderem durch frappante Ähnlichkeit von Steinklingen der Clovis-Kultur mit solchen aus Europa untermauert. Die Inuit (auch Eskimo genannt) sind Vertreter der letzten großen voreuropäischen Einwanderungswelle.

In Mittel- und Südamerika entwickelten die Indianer städtische Hochkulturen, die großteils erst von den Spaniern vernichtet wurden. Tenochtitlan, die Hauptstadt des Aztekenreiches, war vor der Zerstörung durch Hernando Cortez' Truppen eine der größten Städte der Welt und größer als die europäischen Städte der Zeit. In Nordamerika existierten im östlichen Einzugsgebiet des Mississippi komplexe Gemeinwesen (Templemound-Kulturen), die jedoch bis kurz vor Ankunft der Europäer weitgehend zerfallen waren, vermutlich aufgrund ökologischer Katastrophen. An ihre Stelle traten kleinere Gemeinwesen, die in dörflichen Gemeinschaften lebten und Ackerbau betrieben. Im Südwesten der heutigen USA entstanden teilweise mehrstöckige Lehmbausiedlungen mit bis zu 500 Räumen, die Pueblos.

Viehzucht konnte sich unter den indianischen Kulturen fast gar nicht entwickeln, da es außer dem Lama und anderen Kameloiden wie Alpaca und Vicuña im Reich der Inka, dem Truthahn und dem Wolf keine domestizierbaren Tierarten gab. Man ging zu Fuß, transportierte Lasten selbst, Würdenträger in hierarchischen Gesellschaften Mittel- und Südamerikas mitunter auch in Sänften. Als Lasttiere standen neben dem Lama der Inka nur noch Hunde für kleinere Lasten zur Verfügung, die man in Nordamerika in einfache dreieckige Schleppgeschirre, Travois, einspannte.

Obwohl Amerika von weitverzweigten Handelsnetzen überzogen war, erwiesen sich die großen Wüsten Nordmexikos und die undurchdringlichen Urwälder Mittelamerikas als erhebliche Barrieren für den Technologieaustausch in der westlichen Hemisphäre. Außer einigen mittelamerikanischen Kulturen, die eine Art Bilderschrift besaßen (die Maya entwickelten diese zu einem echten Schriftsystem), hinterließen die Kulturen der westlichen Hemisphäre keine schriftlichen Zeugnisse der Vergangenheit. Unter den Prärieindianern existierten Chroniken, die graphische Symbole für das wichtigste Ereignis eines jeden Jahres innerhalb einer Gruppe verwendeten. Ohne mündlichen Kommentar waren diese Chroniken jedoch nicht verständlich. Die bedeutendste Bilderschrift ist die auf Baumrinde festgehaltene Stammes-Sage der Lenni Lenape, bekannt als Walam Olum. Indianische Überlieferung erfolgte daher großteils mündlich, wobei Tatsachenberichte und Mythen oft fließend ineinander übergehen. In jüngerer Zeit haben archäologische und geologische Funde jedoch bewiesen, dass indianische oral history Jahrhunderte und teilweise gar Jahrtausende zurückliegende Ereignisse bewahrt hat.

Geschichte nach Ankunft der Europäer

Siehe Hauptartikel: Indigene Völker Nordamerikas, Indigene Völker Südamerikas

Umstritten ist, wie zahlreich die Bevölkerung Amerikas vor Ankunft der Europäer war. Bevölkerungsschätzungen erfolgten oft erst, nachdem große Teile von regionalen Bevölkerungen bereits durch eingeschleppte Krankheiten, Vernichtungskriege und quasi Sklavenarbeit vernichtet worden waren. Viele Völker verschwanden nach 1492 durch eingeschleppte Seuchen, ohne dass ein Europäer sie überhaupt zu Gesicht bekommen hatte.

Skalp-Jagd
Datei:Massgrav.jpg
Indianer-Massengrab am Wounded Knee
Tote Crow Indianer 1874
Altes amerikanisches Sprichwort: Nur ein toter Indianer ist ein guter Indianer

Im 19. Jahrhundert und bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts wurden Schätzungen präkolumbianischer Bevölkerungen insbesonders durch US-amerikanische Anthropologen von Generation zu Generation auf Bruchteile vorheriger Schätzungen reduziert. Um 1940 ging man nach einer Publikation des einflussreichen Anthropologen Alfred Kroeber offiziell davon aus, dass 1492 in der gesamten westlichen Hemisphäre insgesamt lediglich acht Millionen und nördlich des Rio Grande nur etwa eine Million Menschen lebten (der US-Zensus von 1890 hatte 235.116 überlebende Indianer registriert). Diese Schätzungen waren maßgeblich politisch motiviert, da sie die stattgefundene Vernichtung indianischer Völker möglichst klein erscheinen ließ und den Mythos aufrecht erhielt, die Weißen hätten einen weitgehend "leeren" Kontinent erobert. In den 1960er Jahren machte sich die Berkely School unter Zuhilfenahme moderner Methoden daran, die präkolumbianischen Bevölkerungen einzelner Regionen insbesondere unter dem Gesichtspunkt damaliger Landwirtschaftstechniken und Carrying Capacities zu rekonstruieren. Demzufolge wurde die Bevölkerung von Hispaniola allein auf acht Millionen geschätzt, die von Zentralmexiko sogar auf 25 Millionen. Borah korrigierte demzufolge die Schätzung für Nordamerika auf 7,5 Millionen. Dobyns ermittelte später sogar eine präkolumbianische Bevölkerung Nordamerikas von 18 Millionen. Heutzutage schätzt die Mehrheit der führenden Anthropologen, dass die Gesamtbevölkerung der westlichen Hemisphäre um 1500 ca. 75 bis 110 Millionen Menschen betrug und nördlich des Rio Grande ca. 12 Millionen Menschen lebten. Das in dieser Hinsicht als sehr konservativ bekannte Smithsonian Institute hat seine Schätzung für Nordamerika vor einiger Zeit auf drei Millionen verdreifacht.

Besonders in der Karibik wurde die Bevölkerung innerhalb kürzester Zeit fast völlig ausgelöscht. Auch bei anderen Eroberungen, v. a. Perus, kam es zu exzessiven Massakern. Um die Frage der Behandlung der Indianer in Lateinamerika entspann sich ein umfassender ideologischer Konflikt mit den Exponenten Bartolomé de Las Casas als "Generalverteidiger der Indios" und Juán Ginés de Sepúlveda, der die Indios als eine Art Untermenschen betrachtete. Bemühungen zum Schutz der Indios scheiterten, stattdessen wurden die Überlebenden zur Arbeit zum Beispiel in Minen gezwungen.

In den britischen Kolonien in Nordamerika und später in den US-Bundesstaaten trugen die Skalpprämien zur Vernichtung der Indianer bei, manche Bundesstaaten bis in die 1880er Jahren. Ein Skalp wurde als Beweis für die Tötung eines Indianers betrachtet und finanziell entlöhnt. Durch dieses System wurde der Massenmord an Indianern zu einem lukrativen Wirtschaftszweig, der ohne den Einsatz der Armee auskam. In Kalifornien beispielsweise wurden so nach dem Goldrausch von 1849 innerhalb von nur zwei Jahrzehnten mehrere zehntausend Indianer ermordet.

Welchen Anteil wirtschaftliche Ausbeutung und desolate Sozialverhältnisse, kriegerische Auseinandersetzungen, Epidemien und geplanter Genozid an dieser demographischen Katastrophe tatsächlich hatten und in welchem Verhältnis sie zueinander standen, wird vermutlich dauerhaft einen ideologischen Streitfall darstellen, der sich aufgrund mangelnder Quellenlage nicht versachlichen kann. Fest steht nur, dass hunderte von Völkern mitsamt ihrer Kultur und Sprache vollständig vernichtet worden sind und die Vernichtung der indianischen Völker die größte demographische Katastrophe in der Geschichte der menschlichen Spezies darstellt.

Leben der Indianer in der Gegenwart

Mittel- und Südamerika

Indian Citizenship Act 1924, Präsident Calvin Coolidge und vier Osage-Indianer nach der Vertrags-Unterzeichnung vor dem Weißen Haus

Siehe Hauptartikel: Indigene Völker Südamerikas

In vielen Staaten Mittel- und Südamerikas bilden Nachkommen der Indianer heute einen großen Teil der Bevölkerung. In Mexiko wird die indigene Bevölkerung auf 10-30 Prozent geschätzt; Mestizen machen rund 60 Prozent der Gesamtbevölkerung aus. 10 Prozent der Menschen in Belize sind Indigene, 45 Prozent Halbblute. In Guatamala sind 45 Prozent Nachkommen der Maya. In Bolivien und Peru stellen die Indigenen die Mehrheit. Wenig zahlreich sind sie in Costa Rica, Kuba, auf der Dominikanischen Republik und in Uruguay.

Nur wenige indigene Sprachen sind amtlich anerkannt, Ausnahmen sind Aymara in Bolivien, Quechua in Bolivien und Peru sowie Guaraní in Paraguay. In Guatamala sprechen 40 Prozent der Menschen Maya, trotzdem gilt sie nicht als offizielle Amtssprache.

Nordamerika

Siehe Hauptartikel: Indigene Völker Nordamerikas

In Nordamerika leben die Indianer oft in Reservationen oder Reservaten. In Kanada sind die Reservate ursprünglich eine Nachfolge der Verträge (treaties), die die Indianer mit der Regierung unterschrieben, und die den Indianern bestimmte Stücke Land für ihre eigenen Zwecke "schenkten" und auf denen sie noch wohnen dürfen, ohne Steuern zu bezahlen. Viele Indianer sind aber in den letzten Jahren in Städte umgezogen, ebenso in den USA. In Kanada müssen "treaty"-Indianer, das heißt Personen, die als Indianer amtlich gemeldet sind, gewisse Steuern nicht zahlen, egal wo sie wohnen.

Die Indianerpolitik der USA war wankelmütig und wechselte je nach Regierung. Als Ergebnis leben die Indianer heute meist desillusioniert in Armut. In den USA sind Indianer eher eine Randgruppe mit wenig bis keiner Anerkennung. Gemäss Volkszählung 2000 machen die Indianer und Indigene Alaskas rund 1 Prozent der Gesamtbevölkerung aus, wovon etwa 85 % außerhalb von Reservationen leben, meist in Städten.

Kultur

Die indianischen Völker Amerikas unterschieden sich vor der Unterwerfung durch die europäsichen Einwanderer stark voneinander. Einige waren Jäger- und Sammler, andere lebten vom Fischfang oder betrieben Landwirtschaft. Einige lebten in kleinen Gruppen, andere hatten hoch entwickelte Nationen gebildet.

Trotz der deutlichen kulturellen Unterschiede zwischen den einzelnen Kulturen lassen sich einige Elemente feststellen, die bei den meisten indianischen Ethnien ähnlich sind. Dazu gehören der weit verbreitete Glaube an Tiergeister, das visionäre Fasten sowie der Mythos, dass Amerika auf dem Rücken einer Wasserschildkröte errichtet worden war. Dieser Mythos ist quer durch den ganzen Doppelkontinent anzutreffen.

In Nordamerika werden die Kulturen üblicherweise in zehn Kulturareale eingeteilt.

Siehe auch

Indianische Mutter mit Kleinkind, 1917

Literatur