Druckstoß

Ein Druckstoß (auch Wasserhammer, engl. pressure surge) bezeichnet die maximale dynamische Druckänderung eines Fluids. Umgangssprachlich wird der Begriff jedoch für den Druckanstieg in einer Rohrleitung verwendet, der beim zu raschen Schließen einer Absperrarmatur (oder Stellarmatur) auftritt. Druckstöße sind also generell in technischen Anlagen unvermeidbar (dies wäre nur mit einer unendlich langen Schließzeit möglich), weil diese mittels Armaturen geregelt werden. Das Ausmaß eines Druckstoßes lässt sich jedoch mindern. Druckstöße bewirken in Flüssigkeitssystemen weitaus höhere Druckanstiege als in Gassystemen. Die Information Druck wird von Druckwellen weitergegeben. Es handelt sich hierbei immer um Transversalwellen.
Geschichtliches

Bereits 1883 veröffentlichte Johannes von Kries die Theorie des Druckstoßes in einer Veröffentlichung des Blutflusses in Arterien.[1] Entgegen der landläufigen Meinung hat er vor Nikolai Egorovich Joukowsky (1847-1921) die Joukowsky-Formel aufgestellt. Dieser führte 1897 ausführliche Experimente an Trinkwasserleitungen durch und veröffentlichte seine Ergebnisse 1898[2]. Als generelle Bezeichnung des Druckstoßes setzte sich der Begriff Joukowsky-Stoß durch.
Ursachen
Soll ein Fluid in einer Rohrleitung beschleunigt werden, ist hierzu eine gewisse Kraft nötig.[3] Das zweite Newtonsche Gesetz besagt:
- (F = Kraft, p = Druck, A = Querschnittsfläche der Rohrleitung)
Die nötige Kraft resultiert in einer Änderung des Druckes. Beschleunigt wird ein Fluid in einer Rohrleitung z.B. durch das Schließen eines Ventils oder einer Absperrklappe (Klappenschlag) sowie durch das An- und Abfahren von Pumpen.[4] Die meisten Pumpen sind mit Rückschlagklappen versehen. Werden zwei oder mehr solcher Pumpen parallel betrieben und es findet ein Umschalten der Pumpen statt, kann durch die auslaufende(n) Pumpe(n) eine Rückströmung entstehen, welche von der Rückschlagklappe möglichst vermieden werden soll. Wird eine herkömmliche (relativ langsam schließende) Rückschlagklappe verwendet, schließt diese, wenn sich die Rückströmung bereits teilweise ausgebildet hat, ein Druckstoß entsteht.
Auswirkungen
Durch zu hohe Druckstöße können Schäden an der betroffenen Anlage auftreten. Rohrleitungen können schlimmstenfalls platzen, es Halterungen der Rohrleitungen können beschädigt werden. Zudem sind Armaturen, Pumpen, Fundamente und weitere Bestandteile des Leitungssystems (z.B. Wärmeübertrager) gefährdet. Bei Trinkwasserleitungen kann ein Druckstoß dazu führen, dass von außen Schmutzwasser eingesaugt wird. Da Schäden an Rohrleitungen nicht zwangsläufig sofort ersichtlich sind (z.B. bei der Beschädigung eines Flansches, ist es nötig, sich schon bei der Planung einer Rohrleitung mit dem Druckstoß zu beschäftigen. Beim hydraulischen Widder ist der Effekt des Druckstoß jedoch erwünscht.
Druckstoßphänomene
Der Joukowsky-Stoß
J. von Kries stellte folgende Gleichung auf:
(Δp = Druckänderung, ρ = Dichte, a = Wellenfortpflanzungsgeschwindigkeit, Δv=Geschwindigkeitsänderung)
Der so berechnete Druckstoß stellt die ideale physikalisch maximal mögliche Druckerhöhung dar. Da diese Abschätzung in den meisten Fällen jedoch zu konservativ ist, kann folgende Berechnungsmethode herangezogen werden[5]:

( = Schließzeit der Armatur)
mit der Reflexionszeit:
Die Reflexionszeit beschreibt die Zeit, die nötig ist, damit die Information "Druckänderung" von der Armatur bis zum Leitungsende und wieder zur Armatur weitergegeben wird. Bei dieser Abschätzung des Druckstoßes fällt die Wellenfortpflanzungsgeschwindigkeit nicht mehr ins Gewicht. Zu einer genaueren Abschätzung können Ventilkennlinien mit einbezogen werden.
Line-Packing
Da Reibungsverluste in der Rohrleitung auf den Druckstoß aufaddiert werden müssen, kann der real entstehende Druckstoß jedoch noch höhere Drücke erreichen (z.B. in Erdölpipelines). Beachtet werden muss, dass die Joukowsky-Gleichung u.a. deshalb nur eine ungenaue Näherung darstellt und deshalb Druckstöße eventuell numerisch simuliert werden müssen.
Druckerhöhung
Wird ein Fluid in einer Rohrleitung durch ein Ventil abgebremst, wird in Richtung upstream des Ventils Bewegungsenergie frei. Hierfür gilt:
(W = Bewegungsenergie, m = Flüssigkeitsmasse, v = Geschwindigkeit)
Dieser Energiebetrag wird in Volumenänderungsarbeit umgewandelt. Für die Volumenänderungsarbeit gilt:[6]
- (W=Volumenänderungsarbeit, V1 = Anfangsvolumen, V2 = Endvolumen, pd = Druckänderung)
Das Fluid wird also komprimiert. Da beispielsweise Wasser aufgrund seines hohen Kompressionsmoduls nahezu inkompressibel ist, entstehen bei der Verrichtung der Volumenänderungsarbeit hohe Drücke. Dieser Zusammenhang steht analog zum Bremsweg eines Autos. Je kürzer der Bremsweg ist, desto höheren Kräften sind die Fahrzeuginsassen ausgesetzt. Da wasserführende Leitungen beim Betreiben einer Anlage teilweise sehr schnell geschlossen werden müssen (z.B. bei einem Lastabwurf), sind die entstehenden Druckstöße dementsprechend hoch.
Drucksenkung
Beim Schließen einer Armatur bewegt sich downstream das Fluid von der Armatur weg. Die Druckänderung wird deshalb negativ. Unterschreitet der Druck den Dampfdruck des Fluids, bildet sich eine Dampfblase (siehe Kavitation). Durch den dann vorherrschenden Unterdruck wird das Fluid in Gegenrichtung beschleunigt und trifft auf das geschlossene Ventil. Es entsteht ein s.g. Kavitationsschlag, der die selben Auswirkungen wie ein Druckstoß hat.
Durchstoßreduzierende Maßnahmen und Faktoren
- Eine Erhöhung der Ventilschließzeit bewirkt eine Minderung des Druckstoßes.
- Der Einsatz von hydraulisch unterstützten Klappen erhöht deren Schließzeit.
- Schnell schließende Rückschlagklappen vermeiden einen Druckstoß beim Umschalten von Pumpen.
- Schwungräder bewirken längere Anfahr- und Abfahrzeiten von Pumpen.
- Wasserschlösser bewirken, dass das Fluid frei ausschwingen kann.
- Vakuumbrecher mindern den Kavitationsschlag.
Beachtet werden muss außerdem, dass die Wellenfortpflanzunggeschwindigkeit a durch zahlreiche Einflussfaktoren gemindert wird. Für a gilt:[7]
- ( = Dichte des Fluids, = Elastizitätsmodul des Fluids, = Elastizitätsmodul der Rohrwand,
- = Innendurchmesser der Rohrwand, s = Rohrwanddicke, = Querkontraktionszahl des Rohrwand)
Numerische Berechnungsmethoden
Für Rohrleitungssysteme werden Druckstoßberechnungen auf numerischem Wege durchgeführt. Hierzu dienen spezielle, leistungsfähige Computerprogramme. Als Grundlage dieser Programme dienen Druckstoßgleichungen, welche aus den Gesetzen der Massenerhaltung und der Impulserhaltung resultieren. Im Vergleich zu analytischen Methoden sind diese nicht nur für kompressible, sondern auch für inkompressible Medien geeignet. Zudem liefern numerische Simulationen, weil Randbedingungen wie Drücke, Massenströme, Reibungsverluste, Drehzahlen von Pumpen und Stellungen von Armaturen zeitabhängig berechnet werden. Die Rohrleitung wird in zahlreiche Einzelsegmente unterteilt und der Druckstoß in kleinen Zeitabschnitten berechnet. Ausgegeben werden die Ergebnisse z.B. als Zeitfunktionen der Drücke, der Dichten, der Massenströme, der Stellgrößen der Ventile oder der Pumpendaten. Es können auch dynamische Lasten berechnet werden, welche einer Strukturanalyse des Rohrleitungssystems dienen. Für numerische Lösungsverfahren werden jedoch schnelle Computersysteme benötigt. Außerdem muss zur Berechnung ein personeller Aufwand betrieben werden. Da so immense Kosten verursacht werden können, sollte ein Druckstoß nur numerisch berechnet werden, wenn es unbedingt notwendig ist.
Einzelnachweise
- ↑ A. S. Tijsseling, A. Anderson: A precursor in waterhammer analysis – rediscovering Johannes von Kries, S. 1-15 (pdf).
- ↑ N. E. Joukowsky: Über den hydraulischen Stoss in Wasserleitungsröhren. In: Mémoires de I’Académie Impériale des Sciences de St.-Pétersbourg, Ser. 1900, 8, 9, S. 1-72.
- ↑ H.-J. Lüdecke, B. Kothe: Der Druckstoß, KSB-Know-how Band 1, S. 11.
- ↑ H.-J. Lüdecke, B. Kothe: Der Druckstoß , KSB-Know-how Band 1, S. 5.
- ↑ G. Wossog: Handbuch Rohrleitungsbau, 2. Band, Berechnung, 1998, S. 279, ISBN 978-3-8027-2745-0.
- ↑ E. Doering, H. Schedwill, M. Dehli: Grundlagen der technischen Thermodynamik: Lehrbuch für Studierende der Ingenieurwissenschaften, 6. Band, 2008, S. 13, ISBN 978-3-519-46503-4.
- ↑ H.-J. Lüdecke, B. Kothe: Der Druckstoß, KSB-Know-how Band 1, S. 14.