Borreliose
Die Borreliose ist eine Gruppe von Krankheiten. Borreliosen sind multisystemische Infektionskrankheiten, die durch verschiedene Bakterien aus der Gruppe der Spirochäten ausgelöst werden. Die Erkrankungen kommen beim Menschen und allen anderen Säugetieren vor. Die Übertragung erfolgt in Deutschland vor allem durch den Holzbock, eine Schildzecke mit weltweit ungefähr 850 weiteren Unterarten, oder durch die Lederzecke (Gattung Ornithodoros) mit weltweit ungefähr 200 Unterarten.
Entdeckung und Namensgebung
Die Borreliose ist nach dem französischen Bakteriologen Amédée Borrel benannt. Bis 1985 glaubte man in Deutschland an keine Verbindung mit Zeckenstichen.
Erreger

Borrelien sind gramnegative spiralförmige Bakterien und gehören zur Familie der Spirochäten.
- Borrelien, siehe Hauptartikel Borrelien
Erreger der Lyme-Borreliose ist die Art Borrelia burgdorferi sensu stricto. In den USA ist Borrelia burgdorferi sensu stricto als humanpathogene Art verbreitet.
In Deutschland sind auch anderen Borrelien-Arten Auslöser von Krankheiten, was als Grund für eine unterschiedliche Behandlung in Europa und bei der Lyme-Borreliose in Amerika diskutiert wird.
Übertragung

Überträger des Bakteriums sind in der Regel Zecken, die den Erreger beim Saugen nach einigen Stunden (in der Regel in einem Zeitfenster von 8 bis 12 Stunden nach dem Einstich) auf den Menschen übertragen. In Deutschland ist das vor allem die Zecke Ixodes ricinus, auch Gemeiner Holzbock genannt. Zecken sind weltweit Überträger von mehr als 50 Krankheiten (siehe Zeckenstich). Zecken sollten daherso schnell wie möglich entfernt werden.
Eine direkte Übertragung der Borrelien von Mensch zu Mensch ist nicht bekannt, erkrankte Personen sind nicht ansteckend. Eine Übertragung durch Blutprodukte ist zwar grundsätzlich möglich, wird aber bislang als unwahrscheinlich angesehen. Nach Auskunft des Robert-Koch-Instituts ist die Borreliose nicht sexuell übertragbar. Genügend aussagekräftige Studien fehlen hierzu jedoch.
Borreliosen
Weltweit gibt es unterschiedliche Borreliose-Erkrankungern. Weitere, bis heute in Deutschland bekannte Krankheiten, die mit einem Zeckenstich übertragen werden und somit auch gleichzeitig mit der bekannten Lyme-Borreliose auftreten können sind :
- Lyme-Borreliose, siehe Hauptartikel Lyme-Borreliose
- das Zeckenrückfallfieber oder Rückfallfiebers (engl. Tick-borne relapsing fever, TBRF) verursacht durch Borrelia duttoni, Borrelia recurrentis und Borrelia hermsii
- bei Neuroborreliose wird gehäuft der Erreger Borrelia garinii gefunden
- der chronische Hauterkrankung Akrodermatitis chronica atrophicans Herxheimer, Auslöser Borrelia afzelii,

- des Erythema chronicum migrans (engl. erythema migrans or "EM" ), durch den Verursacher Borrelia spielmanii,
Neben diesen durch Zeckenstich in Mitteleuropa übertragbaren Borreliose Erkrankungen, existieren noch weitere humanpathogene Borrelienarten:
- Rickettsia slovaca
- Rickettsia conorii, das Zeckenstichfieber tritt im Mittelmehrraum und Asien auf.
Ko-Infektionen
- Ehrlichiose (HGE), ausgelöst durch Ehrlicha-Bakterien
- Babesiose, durch einen Parasit der Gruppe Sporentiere
- Chlamydien, vorwiegend Chlamydia trachomatis
Krankheitsverlauf
Eine sichere Diagnose kann oft nur anhand der Krankheitssymptome, des Krankheitsverlaufs, der Krankengeschichte gestellt werden. Bei Unklarheiten kann manchmal ein Behandlungsversuch mit Antibiotika Klarheit bringen. Allerdings besagt das Ansprechen auf die Antibiotikagaben nicht, dass eine aktive Borreliose vorliegt, und umgekehrt belegt ein Nicht-Ansprechen nicht, dass die Krankheit ausgeheilt ist. Welches die optimale Therapie gegen Borreliose darstellt, ist umstritten.
Nach einer durchgemachten Borreliose besteht keine Immunität.
Symptomatik
Es kann jedes Organ, das Nervensystem, die Gelenke und das Gewebe befallen werden. In der Regel äußert sich Borreliose Krankheiten durch unterschiedliche Symptome. Ein Verschwinden der Symptome bedeutet deshalb nicht, dass die Erreger eliminiert sind.
- Taubheitsgefühle, Muskelschmerzen, Kraftlosigkeit, Erschöpfungszustände, Lähmungserscheinungen,
- Gelenkschmerzen,
- Schwindel, Konzentrationsprobleme, Müdigkeit
- Schüttelfrost, Fieber,
- Kopfschmerzen, Nackensteifigkeit, Schwindel
- Sehbeschwerden, Übelkeit, Erbrechen
Statistik
Verbreitung
Der Erreger der Borreliose ist weltweit verbreitet. In Deutschland gibt es Informationen über die Durchseuchung des Holzbocks mit Borrelia burgdorferi. Allerdings fehlen aktuelle und ausreichend flächendeckende Studien über andere Borrelien in Zecken.
Infektionsrisiko
Eine Borrelieninfektion durch Zecken ist in ganz Deutschland und sogar in Städten möglich. Wie eine Studie am Max-von-Pettenkofer-Institut für Hygiene und Mikrobiologie in München zeigte, stellt „der direkte Kontakt mit Büschen in Gärten ein bisher unterschätztes Risiko“ dar, über Zeckenstiche an Borreliosen zu erkranken. Gleichwohl hat nicht jeder Zeckenstich eine Borrelieninfektion oder gar eine Erkrankung an Borreliose zur Folge. Nach Schätzung des Robert-Koch-Instituts liegt die Wahrscheinlichkeit, nach einer in Deutschland erlittenen Zeckenattacke an Borreliose zu erkranken, bei 1 zu 300. In Hochrisikogebieten muss man gemäß einer Studie der Universität Heidelberg von einer größeren Gefahr ausgehen. Bei etwa einem von zehn Betroffenen ist mit einer Erkrankung zu rechnen. Allerdings basieren diese Angaben lediglich auf Schätzungen, da zuverlässige Daten über das Erkrankungsrisiko nach einer erfolgten Infektion mit unterschiedlichen Borrelia fehlen. Die Übertragungsgefahr korreliert mit der Durchseuchungsrate der Zecken in den verschiedenen Regionen.
Diagnose nach Krankheitsbild
Es werden gerade in der Frühphase viele Borreliose-Fälle übersehen, da innerhalb der ersten Wochen noch keine messbaren Antikörperspiegel gegen Borrelienantigene gebildet werden (sogenannte diagnostische Lücke = Zeitpunkt von der Infektion bis zur ersten Antikörperproduktion).
Die Diagnostik der Borreliose geschieht in erster Linie aus dem Krankheitsbild des Patienten. Der Zeckenstich selbst ist dabei eindeutiger Anlass zu Nachbeobachtung auf Symptome des Frühstadiums. Es gibt eine Reihe von Symptomen, die für die einzelnen Stadien typisch sind. Daneben kann sich die Borreliose aber zusätzlich durch eine Vielzahl von unspezifischen Beschwerden wie Müdigkeit, Kopfschmerzen, Fieber, Nackensteifigkeit, Sehbeschwerden, Schwindel, Übelkeit und Erbrechen sowie psychische Veränderungen manifestieren. Die Deutsche Borreliose-Gesellschaft empfiehlt dabei eine Beobachtungsrist von 4 bis 6 Wochen für das Auftreten von Wanderröte (Erythema migrans), aber ebenso für Fieber ohne Hautrötung.
Diagnose durch Labortests
Wie im Folgenden erörtert, gibt es umfangreiche Labortests, die sich aber alle durch mangelnde Sensitivität auszeichnen. Das bedeutet, dass ein negativer Test die Krankheit nicht ausschließt.
Ein großes Problem bei der Feststellung der Borreliose ist die laborchemische (serologische) Unterscheidung zwischen einer abgeheilten Borreliose (Seronarbe) und einer noch aktiven, therapiebedürftigen Borreliose. Es kommt deshalb nach wie vor zu falsch negativen und falsch positiven serologischen Befunden. Hinzu kommt, dass die einzelnen Testverfahren nicht standardisiert sind und eine unterschiedliche Spezifität und Sensitivität aufweisen. Bei sehr sensitiven Tests besteht oftmals das Problem von sogenannten Kreuzreaktionen. Das bedeutet, der Test zeigt ein positives Borrelien-Ergebnis an, der Betreffende hat aber keine Borreliose (Alpha-Fehler, falsch-positiv). Genauso kommen falsche negative Ergebnisse vor (Beta-Fehler). Die Serologie ist vor allem in den frühen Phasen nicht zuverlässiger als 50 %. Neuere Tests sollen inzwischen eine etwas höhere Zuverlässigkeit aufweisen, die mit einer Sensitivität von ca. 70 bis 80 % angegeben wird. Allerdings sind dies Angaben der jeweiligen Labors, die nicht überprüft wurden. Auch bei einer floriden, behandlungsbedürftigen Borreliose können Entzündungsparameter wie BKS, CRP und andere akute-Phase-Proteine unauffällig bleiben, so dass normale Werte dieser akute-Phase-Proteine (Entzündungsparameter) nicht geeignet sind, eine aktive Borreliose auszuschließen.
In Deutschland sind zahlreiche Borrelien-Serologien mit unterschiedlichen Antigenkompositionen auf dem Markt, die eine große Bandbreite hinsichtlich der Sensitivität und Spezifität aufweisen. Deshalb kann es vorkommen, dass mit einem Test negativ und mit einem anderen positive Ergebnisse festgestellt werden. Es besteht weder eine Genehmigungspflicht für die Borrelien-Serologie, noch ist eine Teilnahme an Ringversuchen verpflichtend.
Daher sollte in Frühstadien nicht das Ergebnis einer Blutuntersuchung abgewartet werden, sondern unverzüglich bei entsprechendem klinischen Verdacht antibiotisch therapiert werden, da bei frühzeitiger Behandlung die Heilungschancen am größten sind. Eine sogenannte Wanderröte (Erythema migrans) muss sofort behandelt werden. Auch bei einem Verdacht auf eine manchmal klinisch wenig spezifische Neuroborreliose.
Stadien
1. Stadium: Lokalinfektion
Unter den klinischen Symptomen gelten als krankheitsbeweisend nur die Wanderröte, Erythema migrans ist ein eindeutiges Symptom für eine Borrelieninfektion. Die Wanderröte (tritt im Frühstadium der Borreliose bei ca. 40 bis 60 % der Infektionen auf. Es fehlt allerdings bei rund der Hälfte der Erkrankungen.
Bei einer Untersuchung am Universitätsklinikum Freiburg von 1990 bis 2000, die 86 Fälle von akuter Neuroborreliose umfasste, berichteten sogar nur 23 % der Patienten von einer Wanderröte. Bei Labortests von Blut oder Liquor wird die Diagnosegenauigkeit auf eine Borreliose ähnlich unsicher bewertet.
Ab Übertragung des Erregers kann es nach einer Inkubationszeit von meist 5 – 30 Tagen zu einer Lokalinfektion der Haut kommen, die mit einem charakteristischen Hautausschlag, dem Erythema migrans (Wanderröte) einhergeht.
Das Erythem verschwindet manchmal ohne Therapie, kann aber auch über Monate bestehen. Ein Rückgang des 'Erythema migrans' ist kein Beleg für eine Heilung, da der Erreger gestreut haben kann. Es dehnt sich meist langsam um die Einstichstelle einer Zecke aus.
Die vielen weiteren Symptome, die zahlreiche Organsysteme betreffen, können daher nur durch Ausschlussdiagnosen den Verdacht einer Infektion erhärten.
Typischerweise tritt innerhalb von 10-14 Tagen nach der erfolgten Borrelieninfektion eine sogenannte „Borreliose-Grippe“ auf mit allen Symptomen einer Grippe außer den üblichen Infektzeichen wie Schnupfen (Rhinitis) oder Husten. Fieber kann, muss aber nicht mit dabei sein. Des Weiteren können sich erhebliche Müdigkeits- und Erschöpfungsgefühle oder neu auftretende und wieder verschwindende Gelenkschmerzen zeigen. Meist besteht ein diffuses Krankheitsgefühl mit beeinträchtigtem Allgemeinbefinden, ohne dass eine Krankheit richtig fassbar wird. Auch Darmsymptome sind nicht selten und werden dann als Sommerdarmgrippe diagnostiziert, ohne dass der Zusammenhang zur Borrelieninfektion hergestellt wird. Dies gilt vor allem für die Fälle, die keine Wanderröte entwickeln. Ab dem Zeitpunkt der Borrelieninfektion werden auch Impfungen, Narkosen oder banale Infekte deutlich schlechter vertragen. Im Frühstadium der Neuroborreliose ist oftmals noch keine Infektion mit Borrelien nachweisbar.
Im ersten Stadium kann die Borreliose noch gut mit Antibiotika (Doxycyclin) behandelt werden. Notwendig ist jedoch eine ausreichend lange und hoch genug dosierte Therapie. Was ausreichend ist, ist in der Wissenschaft umstritten.
2. Stadium: Streuung des Erregers
Nach etwa 4 bis 16 Wochen, breiten sich die Erreger im ganzen Körper aus. Die Inkubations- und Latenzzeit kann auch länger sein. Der Patient leidet dann an grippeähnlichen Symptomen wie Fieber und Kopfschmerzen, was die Erkennung der Krankheit erschwert. Charakteristisch sind starke Schweißausbrüche. Durch die Ausbreitung im Körper kann es zu einem Befall der Organe, der Gelenke und Muskeln sowie des zentralen und peripheren Nervensystems kommen. Leitsymptome in diesem Stadium sind oftmals das Bannwarth-Syndrom mit starken radikulitischen Schmerzen und eine Facialisparese, die sich in einem schiefen Gesicht zeigt. Typisch sind auch von Gelenk zu Gelenk springende Arthritiden und Myalgien. Weiterhin kann es zu Störungen des Tastsinns, Sehstörungen und Herzproblemen, wie Sinustachykardien und Karditis kommen, was sich manchmal durch Herzklopfen und hohen Blutdruck sowie Pulsbeschleunigung bemerkbar macht. Das Immunsystem ist in diesem Stadium oft nicht mehr in der Lage, die Infektion zu bewältigen. Borrelien scheinen sich nur kurz im Blut aufzuhalten und sich sehr schnell im Bindegewebe festzusetzen. Hier sind sie vom Immunsystem und durch Antibiotika nur schwer zu eliminieren.
Ein problematischer Sonderfall ist die sogenannte Neuroborreliose, die zu vielfältigen Erkrankungen der peripheren Nerven und bei circa 10 % der Erkrankungen auch des Zentralnervensystems führen kann. In aller Regel tritt sie in der frühen Erkrankungsphase auf (bis etwa 10 Wochen), in der noch keine Antikörper gebildet wurden. Deshalb müssen in diesem Stadium ausreichend Antibiotika gegeben werden. Die Wahl des Antibiotikums richtet sich nach dem Befall und der Erkrankungsform. Wenn die Borreliose nicht rechtzeitig und ausreichend behandelt wird, so kann die Erkrankung fortschreiten und zu bleibenden Organschäden führen.
3. Stadium: chronische Infektion
Fraglich ist, ob eine Borreliose im III. Stadium noch heilbar ist. Wenn die Borreliose nicht rechtzeitig behandelt wird, kann es zu einer Erregerpersistenz und damit zu einer chronischen Infektion kommen (Spätmanifestation). Das heißt, die Krankheit kommt immer wieder (rezidiviert) oder verschlechtert sich zunehmend. Monate-, aber auch jahrelange symptomfreie Latenzzeiten mit anschließendem Wiederaufflackern der Erkrankung sind möglich. So tritt die chronische Hautentzündung Akrodermatitis chronica atrophicans Herxheimer (ACA) oft erst nach Jahren auf. Es kann auch zu einer chronischen rezidivierenden Lyme-Arthritis mit vielfältigen Krankheitsbildern kommen oder auch zu einem Befall des zentralen und peripheren Nervensystems (Neuroborreliose) mit Polyneuropathie, Borrelien-Meningitis, Lyme-Enzephalomyelitis oder einer Enzephalitis. Ebenso sind chronische Erkrankungen der Sinnesorgane und der Gelenke und Muskeln möglich. Die chronischen Erkrankungen der Gelenke werden Lyme-Arthritis genannt. Es kann aber auch zu einer entzündlichen Bursitis oder Arthrose kommen. Die unterschiedlichen Erreger scheinen verschiedene Krankheitsbilder auszulösen: Während bei einem Teil der Patienten fast nur die Gelenke betroffen sind, kommt es bei anderen hauptsächlich zu neurologischen Störungen. Daneben gibt es auch eine Gruppe von Patienten, die Herzprobleme meist verbunden mit Gefäßentzündungen haben. Mischformen sind möglich. Viele Borreliose-Patienten klagen über unerträgliche Erschöpfung, rasche Erschöpfbarkeit und chronische Müdigkeit, die sich auch durch ausreichend Schlaf nicht beseitigen lässt.
Differentialdiagnose
In Abhängigkeit vom Krankheitsstadium ist die Differenzialdiagnose weit gefächert. Es empfiehlt sich, weitere durch Zecken übertragene Erkrankungen und andere Infektionen (Babesiose, Ehrlichiose (HGE), Rickettsiose, Leptospirose, Bartonellose und andere) auszuschließen.
Die Borreliose kann eine Vielzahl von Erkrankungen „imitieren“. Es ist bei einer neurologischen Beteiligung an andere Ursachen, insbesondere Infektion mit neurotropen (auf die Nerven wirkende) Viren und Bakterien zu denken. Wichtig ist bei neurologischen Beschwerden die zuverlässige Abgrenzung gegenüber einer multiplen Sklerose, um eine schwerwiegende Fehlbehandlung mit Steroiden anstatt mit Antibiotika zu vermeiden. Bei Gelenkentzündungen kommen die aktivierte Arthrose, die rheumatoide Arthritis und andere Gelenkentzündungen in Frage. Eine Abgrenzung von einem Chronischen Erschöpfungssyndrom ist häufig schwierig.
Weitere wichtige Differenzialdiagnosen insbesondere bei erfolgloser Therapie sind Tumoren und andere Systemerkrankungen.
Leitlinien
Insbesondere im Hinblick auf die Therapie einer Borreliose ist zunächst zu erwähnen, dass es hierzu in Deutschland noch bislang keine nationale, evidenzbasierte Gesamtleitlinie zur Behandlung der Borreliose gibt.
In Deutschland gibt es u.a. die Therapiempfehlungen der Deutschen Borreliose-Gesellschaft, die sich an den ILADS-Leitlinien orientieren. oder der Universitat Ulm.
In den USA gibt es zwei konkurrierende medizinische Leitlinien. Da sind zum Einen die Leitlinien der IDSA (Infectious Diseases Society of America) sowie zum Anderen die der ILADS (International Lyme and Associated Diseases Society). Die IDSA-Leitlinien haben international einen wesentlichen Einfluss auf die Therapie der Lyme-Borreliose. Viele Ärzte schließen sich den Leitlinien der IDSA an, die beispielsweise eine chronische Lyme-Borreliose nicht anerkennt sondern vom Post-Lyme Syndrom spricht. Am 1. Mai 2008 ließ der Generalstaatsanwalt von Connecticut, Richard Blumenthal, diese IDSA-Leitlinien überprüfen. Begründet wurde die Untersuchung durch die Feststellung seines Ministeriums, die IDSA-Leitlinienkommission habe in unsachgemäßer Weise Überlegungen und Erkenntnisse abweichender medizinischer Meinungen und Nachweise ignoriert oder bagatellisiert. Des Weiteren konnte einflussreichen Mitgliedern der Leitlinien-Kommission geheim gehaltene Kapitalinteressen und Verflechtungen mit Versicherungsunternehmen und Pharmakonzernen nachgewiesen werden. Häufig beeinflussen die bis zum 1. Mai 2008 geltenden IDSA-Leitlinien die Entscheidungen der Ärzte über Art und den Umfang der Therapie, nicht nur in den USA sondern in vielen Ländern.
In den USA fragten viele praktische Ärzte nach Behandlungsrichtlinien, die auch Patienten berücksichtigten, die nach einer Kurzzeittherapie offenbar noch nicht geheilt waren. 2004 wurden die evidenzbasierten Leitlinien der ILADS veröffentlicht.
Die ILADS-Leitlinien beherrschen Therapieprinzipien, welche der Tatsache gerecht werden, dass die Borreliose durch negative Labornachweise nicht ausgeschlossen werden kann. So soll eine akute Therapie an den Symptomen orientiert sein, also bis zum Ende der Schmerzen geführt werden ohne einem festen Schema zu folgen. In der chronischen Phase wird eine monatelange Antibiotikatherapie mit eingeschlossen.
Therapie
Die Behandlung einer Borreliose stellt auf Grund der Möglichkeit des vielfachen Organbefalls eine interdisziplinäre Herausforderung der verschiedenen Fachdisziplinen in der Medizin dar. Die Prognose nach frühzeitiger antibiotischer Behandlung im ersten Stadium ist gut; die in manchen Quellen zitierten 95 % „folgenloser“ Ausheilung von Neuroborreliose beziehen sich jedoch nur auf den Anteil der Patienten mit akuter Neuroborreliose, die nach einem Jahr beschwerdefrei waren. Bei chronischer Neuroborreliose betrug der Anteil dagegen 66 %.
Da gerade im Frühstadium außer der Wanderröte kein sicherer Krankheitsnachweis möglich ist, stellt sich beim Auftreten von unspezifischen grippeähnlichen Symptomen und/oder Gelenkschmerzen kurz nach einem Zeckenstich die Frage einer Güterabwägung zwischen den Risiken und Nebenwirkungen einer auf Verdacht durchgeführten, eventuell überflüssigen mehrwöchigen Antibiotikatherapie einerseits und - bei Nichtdurchführung, aber auch einem denkbaren Misserfolg einer solchen Maßnahme - den möglichen gesundheitlichen, sozialen und finanziellen Folgen eines jahrelangen chronischen Leidens (das im Extremfall bis hin zur Erwerbsunfähigkeit führt) andererseits. Dabei muss auch das relativ sichere therapeutische Fenster von etwa 4 Wochen von der Infektion bis zum Beginn des II. Stadiums (Erregerstreuung und Beginn der systemischen Krankheit) berücksichtigt werden.
Die Verabreichungsform und Länge der Antibiotikatherapie richtet sich nach dem Krankheitsstadium, aber insbesondere nach der Krankheitsmanifestation. Hierbei sind individuelle Risikofaktoren der Patienten (wie z. B. eine Antibiotikaallergie oder eine Niereninsuffizienz) zu berücksichtigen. Je länger eine Borrelieninfektion dauert, umso schwieriger wird es, eine komplette Erregereliminierung zu erreichen. Für die Therapie stehen grundsätzlich verschiedene Antibiotika zur Verfügung. Es wird zwischen extrazellulären (außerhalb der Körperzellen) und intrazellulären Formen (in Zellen des Bindegewebes, des Knorpels, Fettgewebe und der Haut) des Erregers unterschieden. Im Laborversuch hat sich dabei gezeigt, dass der Erreger binnen Stunden zwischen beiden Formen wechseln kann. Dementsprechend sind die Antibiotika auszuwählen. Diese müssen auch „zellgängig“ sein, um die in den Körperzellen befindlichen Erreger abtöten zu können.
Im Frühstadium der Infektion sind Tetracycline wie Doxycyclin wegen der Zellgängigkeit und ihrer Wirksamkeit gegen andere, ebenfalls durch Zeckenstiche übertragene Erreger das Mittel der Wahl. Da die Generationenfolge der Borrelien deutlich länger ist als bei vielen anderen Erregern, enthalten neuere Therapieempfehlungen wie die der Deutschen Borreliose-Gesellschaft von 2008 eine Mindestdauer von 4 Wochen für die Monotherapie mit Antibiotika. Auch die Dosis ist zum Beispiel mit 400 mg Doxycyclin pro Tag höher als bei älteren Therapieempfehlungen. Zeigt das Mittel bei einer vorhandenen Wanderröte keinen Effekt, ist spätestens nach zwei Wochen ein Wechsel des Antibiotikums angeraten.
Besonders Spätformen der Borreliose (persistierend) weisen intrazelluläre Erreger auf. Unterstützt wird die Zellengängigkeit durch gleichzeitige Gabe von Hydroxychloroquin, das einen basischen Zustand in den Zellen herbeiführt und das Eindringen des Antibiotikums in die Zellen unterstützt. Zellgängige Antibiotika sind Clarithromycin und Azithromycin in Kombination mit Hydroxychloroquin. Es liegen jedoch keine überzeugenden klinischen Studien zur Wirksamkeit von Hydroxychloroquin vor.
Inzwischen werden auch in fortgeschrittenen Stadien andere Antibiotika als Cephalosporine eingesetzt, unter anderem Tetracycline, da die β-Lactam-Antibiotika (wie Ceftriaxon, Cefotaxim) im Verdacht stehen, sogenannte zystische oder zellwandlose Formen zu verursachen und bei intrazellulärer Persistenz nicht ausreichend zu wirken. Einige Behandlungsformen bestehen aus einer Kombination von intravenösen und oralen Antibiotika, wobei jedoch insgesamt keine überzeugenden Nutzenbelege vorliegen.
Für eine Behandlung der Lyme-Borreliose mit Cholestyramin ergibt sich weder eine wissenschaftliche Rationale noch ergeben sich hierzu Argumente aus kontrollierten Studien. Eine solche Behandlung wird nicht empfohlen.
Vorbeugung
Zeckenstichvermeidung
Siehe Hauptartikel Zeckenstich
Immunisierung
Aktive und passive Immunisierungen stehen bisher für Europa nicht zur Verfügung. Wegen der Heterogenität der Stämme (mindestens 7 OspA-Serotypen) ist die Entwicklung eines wirksamen Impfstoffes für Europa schwierig, so das Robert-Koch-Institut 2007. Da in Europa ein für Menschen geeigneter Borreliose-Impfstoff in nächster Zukunft nicht zur Verfügung stehen wird, sind vor allem weitere Forschungen zur Epidemiologie, zum Krankheitsverlauf, der Pathogenese, den diagnostischen Grundlagen und den therapeutischen Interventionen notwendig.
Literatur
Bücher
- Hans Horst: Zeckenborreliose Lyme-Krankheit bei Mensch und Tier. Demeter, ISBN 3-934211-49-6
- Patrick Oschmann, Peter Kraiczy: Lyme-Borreliose und Frühsommer-Meningoenzephalitis. Uni-Med, ISBN 3-89599-408-1
- Norbert Satz: Klinik der Lyme-Borreliose. Huber, ISBN 3-456-83430-6
- Wolfgang Kristoferitsch: Neuropathien bei Lyme-Borreliose. Springer, ISBN 3-211-82108-2
- H. Krauss, A. Weber, M. Appel, B. Enders, A. v. Graevenitz, H. D. Isenberg, H. G. Schiefer, W. Slenczka, H. Zahner: Zoonosen. Von Tier zu Mensch übertragbare Infektionskrankheiten. 3. Auflage, Deutscher Ärzte-Verlag, Köln 2004, ISBN 3-7691-0406-4
- Ute Fischer, Bernhard Siegmund: Borreliose - Zeckeninfektion mit Tarnkappe. Hirzel Verlag, Stuttgart 2007, ISBN 978-3-7776-1478-6
Aufsätze
- Brian Fallon: Die neuropsychiatrischen Manifestationen der Lyme-Borreliose Übersetzung der englischsprachigen Version 1992.PDF
- Hans-Peter Wirtz: Zecken als Krankheitsüberträger: Was tun bei einem Stich? In: Biologie in unserer Zeit. Jg. 2001, Bd. 31, Nr. 4, S. 229–238.
- Helge Kampen: Vektor-übertragene Infektionskrankheiten auf dem Vormarsch? Wie Umweltveränderungen Krankheitsüberträgern und -erregern den Weg bereiten. In: Naturwissenschaftliche Rundschau. Jg. 2005, Bd. 58, Nr. 4, S. 181–189.
- H. Krauss et al.: Borreliosen. In: Zoonosen. Von Tier zu Mensch übertragbare Infektionskrankheiten. 3. Auflage, 2004, Deutscher Ärzteverlag. PDF 6 Seiten)
- Dieter Hassler: Phasengerechte Therapie der Lyme-Borreliose In: Chemother. J. Jg. 2006, Bd. 15, S. 106–111. PDF (6 Seiten)
- C. Rauter et al.: Distribution of clinically relevant Borrelia genospecies in ticks assessed by a novel, single-run, real-time PCR. In: J. Clin. Microbiol. Jg. 2002, Bd. 40, S. 36-43. PMID 11773090
- Vorlage:Zitation PDF
Siehe auch
Weblinks
- Deutschen Borreliose-Gesellschaft e.V.
- Darstellung der Geschichte des Krankheitsverständnisses
- Leitlinien der AWMF zur Neuroborreliose
- Leitlinien der IDSA zur Lyme-Borreliose. (PDF; 3,1 MB) Abgerufen am 14. August 2010.
- International Lyme and Associated Diseases Society