Schriftrollen vom Toten Meer
Qumran

Qumran oder Khirbet Qumran ist eine Ruinenstätte am Toten Meer. In unmittelbarer Nähe der Stadt wurden 1947 von Beduinen die Schriftrollen von Qumran entdeckt. Sie wurden in elf Höhlen direkt an der Küste des Toten Meeres gefunden, als ein Beduine eine entlaufene Ziege suchte.
Im Januar 1949 wurden vier Schriftrollen durch den Metropoliten Samuel in die USA gebracht. Er hatte sie vorher den Beduinen abgekauft. Am 1. Juli 1954 kaufte Yigael Yadin (Dozent an der Hebräischen Universität, früherer Stabschef der israelischen Streitkräfte) für 250.000 Dollar die Rollen und brachte sie nach Israel. Der Kaufpreis wurde von einem reichen Geldgeber aufgebracht. Mit drei von Eliezer Sukenik gekauften Rollen werden sie in einem gesonderten Museum (Schrein des Buches) aufbewahrt.
Eine zweite bedeutende Sammlung von Rollen entstand im Rockefeller Museum / Archäologischen Museum von Palästina in Jerusalem. Dieses anfänglich von Rockefeller finanzierte Museum wurde 1966 vom Jordanischen Staat verstaatlicht und fiel dann während des Sechs-Tage-Krieges am 6. Juni 1967 an den Israelischen Staat.
Die Schriftrollen vom Toten Meer

Die etwa 1000 in Qumran geborgenen Fundstücke reichen von Fragmenten bis zu fast vollständigen Schriftrollen. Sie sind in Hebräisch, Aramäisch, Nabatäisch oder Griechisch verfasst. Die Handschriften haben unterschiedliches Alter. Sie stammen aus der Zeit zwischen dem 3. Jahrhundert v. Chr. und dem späten 1. Jahrhundert n. Chr.. Die Datierung der einzelnen Handschriften erfolgt vor allem durch die Methode der Paläographie. Insgesamt ist davon auszugehen, dass die überwiegende Mehrheit der in Qumran entdeckten Schriften in vorchristlicher Zeit entstanden ist.
Die Texte beinhalten Teile des Tanach (Altes Testament der Bibel), Kommentare zu biblischen Texten, sowie bislang unbekannte Schriften, die teilweise einer vorher unbekannten jüdischen Sekte zugeschrieben werden. Die Experten gehen heute mehrheitlich davon aus, dass die Qumran-Gemeinschaft der unter anderem aus den Schriften des Josephus bekannten jüdischen Gruppierung der "Essener" zuzuordnen ist.
Um Qumranschriften zitieren zu können hat sich durchgesetzt, erst die Höhlennummer, dann ein großes Q und dann die Schriftrollen/Fragmentennummer wiederzugeben. Haben die Rollen schon einen Namen, wird dieser abgekürzt verwandt, um die Übersicht zu vereinfachen. 4Q123 wäre also Fragment Nummer 123 aus Höhle vier. 1QS ist die sogenannte "Sektenregel" aus Höhle eins. Danach kommen hinter dem Komma die Zeilennummern.
Biblische Texte
Die in den Höhlen von Qumran gefundenen alttestamentlichen Schriften (z.B. die Jesajarollen oder der Habakukkommentar) geben neue Einblicke in die Geschichte der biblischen Textentwicklung, beispielsweise zur Beziehung zwischen Masoretischem Text und Septuaginta. Großes Aufsehen erregte die aus der Zeit um 200 v. Chr. stammende Jesaja-Rolle. Sie ist weit über 1000 Jahre älter als alle bisher gefundenen hebräischen Bibelmanuskripte. Auf 7,34 Meter gibt sie nahezu lückenlos den Text des Propheten Jesaja wieder. Dieser deckt sich bis auf wenige unbedeutende Abweichungen mit der bis dato ältesten vollständigen Bibelhandschrift, nämlich der des Codex Leningradensis, und zeugt somit von der Genauigkeit der Überlieferung biblischer Texte.
Neben den biblischen Texten gibt es noch diverses Material zu apokryphen Büchern der Bibel, die hier nicht im einzelnen aufgeführt werden.
Sektenschriften
Die sogenannten Sektenschriften sind Texte, die Aufschluss über Lehre und Leben der Qumrangemeinschaft geben. Es ist, wie oben gesagt, strittig, ob es sich wirklich um Essener handelt, aber mangels anderer Zuordnungsmöglichkeiten hat sich diese Bezeichnung weitgehend durchgesetzt. Dass sich auch Widersprüche zu dem von Josephus über Essener gesagten finden, kann z.B. auch dadurch erklärt werden, dass es eine besondere Gruppe der Essener war, oder Josephus diese Gruppierung sehr vereinfachend für seine römischen Leser dargestellt hat.
Wenn von "Sekte" die Rede ist, dann ist dies auch nur deshalb der Fall, weil sich diese Bezeichnung bereits eingebürgert hat, natürlich ist sie an sich anachronistisch. Aber die vehemente, ja streckenweise militante Ablehnung des "offiziellen" Kultes und der gängigen theologischen Vorstellung, verbunden mit einem exklusiven Erwählungsglauben und apokalyptischen Weltuntergansphantasien lässt diese Bezeichnung nicht ganz unpassend erscheinen.
- CD - Die Damaskusschrift Sie ist ein Brief, der schon bekannt war, weil eine Abschrift von ihm in der Geniza einer Kairoer Synagoge gefunden wurde. Er trägt deshalb den Titel CD (Cairo Damascus Document) und nicht die Bezeichnung 4QD - das ist die Nummer des Qumranexemplares dieses Textes. Der Inhalt spricht von Israel als dem Volk, das in die Irre geht, aber von einem Neuanfang, den Gott mit seinem Auserwählten Rest beginnt. Die Regeln für den Rest werden durch eine Verschärfung der Gebotsauslegung geprägt. Sie sieht die neue Gemeinschaft durch Priester und Leviten geleitet und fest strukturiert.
- 1QS - Die Sektenregel Sie wird als Grunddokument der Qumran-Gemeinschaft betrachtet. In ihr findet sich ein starker Dualismus zwischen Gut und Böse, Licht und Finsternis. Beide Seiten werden repräsentiert durch Gott und Belial, und jeweils deren geistlicher Anhängerschaft (Engel und Dämonen) wie deren menschliche "Kinder". Als Mensch kann man nur Kind des Lichts oder der Finsternis sein. Ähnlich wie in CD sind strenge Regeln für die Gemeinschaft niedergelegt. Diese Lebensregeln sind zum Teil rituell, was den Tages- und Jahresablauf angeht, sehr wichtig ist aber auch die Moral, die die Anhänger auszeichnen muss. Wer den Idealen nicht genügt, wird ausgeschlossen. Auch hier taucht wieder das hierokratische Element auf, die Leitung durch Priester und Leviten.
- 1QH - Die Hymnenrolle Eine Sammlung von Gebeten und Liedern ähnlich den Psalmen. In diesen Texten geht es um Schmerz und Trauer wie um Sieg und Freude. Es gibt noch diverse Stücke und Fragmente aus Höhle 4, die den Liederschatz noch erweitern. Eine Sammlung in Deutscher Übersetzung ist als Buch erschienen. Siehe Literatur.
- 1QM - Die Kriegsrolle Sie handelt - neben weiteren Schriften auch aus Höhle 4 - vom Krieg in der Endzeit zwischen den Kindern des Lichts und der Finsternis. Schlachtordnungen werden aufgestellt, Feldzeichen aufgerichtet und dergleichen. In dieses Szenario werden massiv theologische Perspektiven eingebaut: Priester und Leviten als Anführer der einzelnen Abteilungen, ein Messias als oberster Feldherr, symbolische Zahlen und rituelle oder an die Bibel erinnernde Vorgehensweisen.
Bewertung der Qumran-Rollen
Die Bedeutung der Schriftfunde für die Erhellung der Geschichte des antiken Judentums ist enorm. Sie ermöglichen nicht nur eine präzisere Zuordnung der Jesus-Bewegung zu den damaligen religiösen Gruppierungen, sie erhellen auch den Prozess der Kanonisierung der alttestamentlichen Schriften. Darüberhinaus erweitern sie das Corpus der sogenannte zwischentestamentarischen Literatur erheblich.
Die späte Veröffentlichung aller Dokumente (1990 war ein Großteil der Texte noch unpubliziert) führte dazu, dass von vielerlei Seite Spekulationen bis hin zu Verschwörungstheorien und Polemiken gegen die Kirchen laut wurden, die teils auch ein großes Publikum ansprachen. Dies hatte nach dem Herausgeber der deutschen Übersetzung, Johann Maier, aber auch positive Effekte, "denn die Qumranforschung geriet neuerlich in den Brennpunkt des Interesses, und die Publikationsarbeit wurde unter dem Druck der öffentlichen Meinung neu und effektiver organisiert." (J. Maier, Vorwort, Quellenausgabe Band I (s. Literatur)). Inzwischen liegt die knapp 40 Bände umfassende wissenschaftliche Edition der Texte komplett vor (Titel: "Discoveries in the Judaean Desert", Oxford University Press).
Literatur
Quellenausgaben
- Johann Maier, "Die Qumran-Essener: Die Texte vom Toten Meer. UTB Reinhardt 1995.
- Band I: Die Texte der Höhlen 1-3 und 5-11. ISBN 3-8252-1862-7
- Band II: Die Texte der Höhle 4. ISBN 3-8252-1863-5
- Band III: Einführung, Zeitrechnung, Register und Bibliographie. ISBN 3-8252-1916-X
- Klaus Berger, Psalmen aus Qumran, Frankfurt 1997 ISBN 3458335978
Wissenschaftliche Literatur
- Hartmut Stegemann: Die Essener, Qumran, Johannes der Täufer und Jesus. Ein Sachbuch. Freiburg: Verlag Herder. 1993 (beste Einführung)
- James C. VanderKam: Einführung in die Qumranforschung. Geschichte und Bedeutung der Schriften vom Toten Meer. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. 1998. (= UTB) ISBN 3-8252-1998-4
- Philip R. Davies/George J. Brooke/Phillip R. Callaway: Qumran. Die Schriftrollen vom Toten Meer. (Darmstadt) Wissenschaftliche Buchgesellschaft. 2002. ISBN 3-534-16497-0