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Jo Lherman

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Walter Ullmann, geboren am 5. Januar 1898 in Wien (Corino: Musil, S. 746), gestorben am 5. Mai 1949 in Paris (nach Hans Buchheim: Aktuelle Krisenpunkte des deutschen Nationalbewusstseins, 1967, S. 205). Aliasnamen Jo Lherman, oft auch als Jo Lhermann, Joe Lhermann, Jo Lehrmann, Joe Lehrmann geschrieben, sowie Gaston Oulmàn. Regisseur, Theatergründer, Journalist.

"Angeblich geboren am 4. Januar 1897" (Corino 746). Auch Geburtsdaten 1879 werden verbreitet, Todesdatum scheint ebenfalls nichts weniger als sicher. Der geführte Doktortitel wohl missbräuchlich. Offenbar mehrfach verurteilt wegen betrugs und Urkundenfälschung sowie anderer Eigentumsdelikte.

Frühe Jahre

War wohl Sohn eines Wiener Spediteurs. Ein Aktenstück aus Wien von 1937 gibt eine ganze Reihe von kurzzeitigen Haftstrafen aus den Jahren 1920 und 1921 an, und zwar wegen Betrugs, Diebstahls und Unterschlagung in Rostock, Schongau, Berlin, München und Zwickau (Schaber, S. 117 und 118). In Thüringen (wohl Jena) als Regisseur? (so Döblin)

In Berlin: Jo Lherman

Mitte 1923: Gemeinsam mit Emil Szittya, nun unter dem Namen "Dr. Jo Lherman", Pläne zur Eröffnung eines Theaters in der Lützowstraße, Berlin, Name: Das Theater. Soll mit Spekulation auf die fallende Mark finanziert werden. Spricht Arnolt Bronnen an, der wiederum bei Bertolt Brecht nach einem Stück fragt (Quelle: Bronnen).

Brecht und Bronnen inszenieren Stück von Hans Henny Jahnn (Pastor Ephraim Magnus). Fällt durch, Jahnn irritiert. Wegen ungedeckter Schecks wird Theater geschlossen und Lhermann verhaftet (Quelle: Bronnen, Hecht).

Ab 1924 gibt Lherman gemeinsam mit dem Schriftsteller und Dramaturgen Walter Gutkelch die dem Surrealismus verbundene Zeitschrift "Das Dreieck" heraus.

Dezember 1924: "Brecht-Abend" mit dem Rezitator Franz Konrad Hoefert (u.a.) (Quelle: Hecht).

Januar 1925: Herausgeber des Dreieck-Sonderhefts "Die Lyrik der Generation".

1925 "Kette von Uraufführungen" (Schaber) in Stuttgart. Berlin: Ensemble "Junge Generation". Uraufführung einer Komödie von Leo Matthias (Klavier), Verriss von Herbert Jhering, halbes Lob von Alfred Kerr.

1926 erreicht er in Heilbronn eine Uraufführung von Hermann Kasack: Die Schwester. Später in Kassel Ernst Glaeser: Seele über Bord.

3. April 1929 Berlin: Regisseur der Uraufführung von Robert Musils „Die Schwärmer“. Vernichtende Kritik, großer Ärger mit Musil.

Führt 1930 (Berlin) in einer Mittagsvorstellung "Die Verbannten" von James Joyce urauf; fürchterlicher Verriss von Herbert Ihering. Quelle: Wilhelm Fügen: Kritisches Erbe. Dokumente zur Rezeption von James Joyce ... S. 87ff.

Offenbar weitere Probleme mit der Justiz (Haftstrafe wegen Urkundenfälschung), Zeitpunkt nicht genau festzustellen (1927? 1929?).

16. Januar 1931 in Wien verhaftet ("über Intervention der StA Würzburg"), dem Wiener Landesgericht für Strafsachen I "zugeführt". Damals wird zum ersten Mal den dt. Behörden sein wahrer Name bekannt (vorher 10 Jahre lang sorgfältig Alias gehütet). Quelle: Corino 746 und 1697.

Dann (?) freiberuflicher Theaterkritiker, in der Provinz öfter abgedruckt.

Ab 1931 in Wien: Redakteur in Das Blaue Heft, auch Theaterkritiker und Publizist (letzteres teilweise unter seinem richtigen Namen); u.a. Beitrag zu Carl von Ossietzky (Schaber).

Zeit des Nationalsozialismus

Ab 1933 in Paris. Gibt eine Reihe von Büchern heraus ("Les Editions Bergis"). Soll dort auch Ersparnisse von Emigranten mittels gefälschter Poststempel unterschlagen haben.

Ende 33/Anfang 34 in Brünn bei Will Schaber und Else Rüthel: Gründet mit Schaber eine deutschsprachige Presseagentur in der Tschechoslowakei, muss jedoch schon vor der ersten Ausgabe untertauchen, da er steckbrieflich in Paris gesucht wird (s. auch Sudetenland, Band 33, 1991).

Geht nach Lissabon, dann Spanien, und gründet im Bürgerkrieg einen Pressedienst, diesmal allerdings offenbar eher für Franco-Sympathisanten. Soll im Sommer 1937 in Barcelona verhaftet worden sein wg. Umgehung der Kriegszensur.

Verbleib bis 1942 unbekannt. Wird am 16. Sept. 1942 in Wien wegen zahlreicher Eigentumsdelikte zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt und ins Straubinger Gefängnis verbracht.

Nach dem Krieg: Gaston Oulmàn

SS treibt die Straubinger Häftlinge in den letzten Kriegstagen teilweise nach Moosburg (Stalag VI), dort Befreiung. Es gelingt ihm, unter dem Namen "Dr. Gaston Oulmàn" erneut Kontakte zu knüpfen. Bietet Belasteten an, ihre Besitztümer in Sicherheit zu bringen (die natürlich alsbald verschwinden). Erreicht darüber und über Kontakte mit Künstlern in München bald ausgezeichnete Beziehungen (Trude Hesterberg, Curt Riess). Gibt sich als Kubaner aus und lässt sich eine "War Correspondent"-Uniform mit kubanischer Flagge schneidern. Bietet sich Wittelsbachern als politischer Freund an und versucht in München sogar eine monarchistische Partei zu gründen.

Lernt schließlich den amerikanischen Rundfunkbeauftragten für Bayern und Intendanten bei Radio München Field Horine kennen. Wird offizieller Radioberichterstatter der Nürnberger Prozesse in München. Sein letzter Kommentar (der übrigens gar nicht übel war, s. Schaber) wird im ganzen deutschen Sprachraum verbreitet. Dann AP-Korrespondent und Gründung einer eigenen Agentur, die aufgrund Etikettenschwindels schnell in Schwierigkeiten gerät. Soll sich auch als Tröster und Helfer der Naziwitwen (schirach, Blomberg etc.) angeboten haben.

Aufgrund zunehmender Zweifel an seiner Identität und seinem Gebaren geht er nach Saarbrücken und wird "poltischer Direktor" des Saarfunks (1948). Zunehmend politische und journalistische Probleme, wird dann verhaftet, Blanko-Grenzscheine werden bei ihm gefunden, verbringt sein letztes Lebensjahr in Paris, wo er erneut eine Presseagentur gründet. Veröffentlicht dort u.a. ein Interview mit Friedrich Gaus über Hitler-Stalin-Pakt. Begraben auf dem Friedhof Pantin.

Literatur

  • Will Schaber: Der Fall Ullmann – Lherman – Oulmàn. In: Exilforschung. Ein internationales Jahrbuch. Band 7, 1989: Publizistik im Exil, S. 107-118.
  • Karl Corino: Robert Musil. Reinbek 2003, S. 746ff.
  • Carl von Ossietzky: Lherman. In: ders.: Sämtliche Schriften, Band 2, S. 622ff. zuerst in: Prager Tagblatt, 18. Februar 1926
  • Arnolt Bronnen: Tage mit Bertolt Brecht. München: Desch, 1960
  • Werner Hecht: Brecht-Chronik. Frankfurt 1997