Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung
Die Aufmerksamkeitsdefizit-Störung (ADS) oder Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung (ADHS) nach DSM-IV ist neben aggressiven Verhaltensweisen das am häufigsten diagnostizierte Störungsbild des Kindes- und Jugendalters.
Kernsymptome sind dabei Aufmerksamkeitsstörungen, Impulsivität und optional Hyperaktivität.
ADS ist als Attention Deficit Disorder (ADD) in der DSM-IV definiert. ADS und ADHS werden heute in der Literatur synonym verwendet; es kann als Unterscheidung dienen, daß von "ADS" ohne-, und von "ADHS" mit ausgeprägtem Hyperaktivitätssymptom gesprochen wird; einige Autoren verwenden auch "ADS", um auszudrücken, daß die Hyperaktivität nicht mehr, wie früher, das Leitsymptom ist. Laut ICD-10 wird ADS als Hyperkinetisches Syndrom (HKS) bezeichnet.
Früher war es bekannt als Minimale Cerebrale Dysfunktion (MCD) (englisch Minimal Brain Dysfunction (bis in die 60er Jahre -Damage)), in der Schweiz wiederum als Psychoorganisches Syndrom (POS).
Die häufigen, jedoch ungenauen und widersprüchlichen Presseberichte zum Thema mystifizieren ADHS eher als darüber aufzuklären. Auch im politischen Sektor wird ADHS kontrovers diskutiert.
Einführung
ADS ist eine
- meist behandelbare,
- lebenslang persistierende (bleibende),
- meist genetisch bedingte (nach einigen Biologen immer)
- auf einer neurobiologischen Störung der vorderen Gehirnregionen basierende
- Symptomatik,
die mit erheblichem Leidensdruck für Betroffene und Angehörige einhergeht. Das Suchtrisiko und das Risiko von Betragensstörungen von unbehandelten ADS-Betroffenen ist stark erhöht. ADS erlaubt allerdings auch eine offenere Wahrnehmung und geht sehr häufig mit Empathie und Kreativität einher, so daß behandelet ADS-Betroffene durch Betonung ihrer Stärken gute Lebensaussichten haben.
ADS-Symptome
Kernsymptome
Die Kernsymptome von ADHS sind:
- Aufmerksamkeitsstörungen (Vorzeitiger Abbruch von Tätigkeiten, insbesondere bei kognitiven Leistungen)
- Impulsivität (Handeln ohne vorheriges Überlegen und Unfähigkeit, abzuwarten)
Häufig, aber bei weitem nicht immer, tritt noch als ehemaliges Leitsymptom auf:
- Hyperaktivität (Exzessive motorische Ruhelosigkeit)
Die Hyperaktivität war ehemals das einzige sichere Symptom, und aus dem besseren Verständnis der Genese seit 1990 hat sich ergeben, daß mehr Betroffene als bisher diagnostiziert werden können und sich das Geschlechterverhältnis zwischen betroffenen Frauen und Männern von 1:9 auf 1:3 verschieben konnte. Die Rate der Betroffenen, früher mit 3-6% angegeben, wird heute eher an der oberen Grenze gesehen und ist noch nicht vollständig erforscht. Auch Raten von 10-15%, teils bis 25%, wenn man leicht betroffene nicht Therapiebedürftige hinzurechnet, erscheinen heute zunehmend realistisch.
Als Voraussetzung für die Diagnose ADHS müssen die Symptome mindestens seit sechs Monaten vorliegen und erstmals schon vor dem siebten Lebensjahr aufgetreten sein. Dabei müssen sie deutliche Beeinträchtigungen für das Leben der betroffenen Person mit sich bringen. Ein Ausschluss von möglichen anderen Störungen, welche die hyperkinetischen Symptome besser erklären würden, ist dabei unerlässlich. Es darf zum Beispiel keine tief greifende Entwicklungsstörung, eine Schizophrenie oder eine andere psychotische Störung vorliegen.
Der ICD-10 unterscheidet, für das Hyperkinetische Syndrom (HKS), eine "Einfache Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörung" und die "Hyperkinetische Störung des Sozialverhaltens" bei zusätzlicher Störung des Sozialverhaltens.
Das Diagnostische Manual DSM-IV lässt eine differenziertere Diagnosestellung bei einer situationsübergreifenden Störung zu und unterteilt in drei ADHS-Erscheinungsbilder:
- ADHS, kombinierter Typ (häufigste Erscheinungsform mit allen drei Kernsymptomen)
- ADHS, vorwiegend unaufmerksamer Typ (primär Aufmerksamkeitsstörung, geringe Hyperaktivität und Impulsivität)
- ADHS, vorwiegend hyperaktiv-impulsiver Typ (primär Hyperaktivität und Impulsivität, geringe Aufmerksamkeitsstörung)
Weitere häufig bei ADS-Betroffenen beobachtete Symptome
Neben den Kernsymptomen können verschiedene zusätzliche Auffälligkeiten aus ADS oder durch ADS ausgelösten Begleiterkrankungen auftreten, in klinischen Untersuchungen sind hyperkinetische Störungen ohne komorbide Störungen sogar die Ausnahme.
Häufig sind dissoziale Verhaltensstörungen (bei mehr als 50 % aufgrund geringer Frustrationstoleranz durch erhöhte Impulsivität auch im affektiven Bereich), Lernstörungen (in der Schule sind 80 % der Betroffenen mindestens zwei Noten schlechter als Durchschnitt), Tic-/Sprech-/Sprachstörungen und Beziehungsprobleme aller Art.
Neben den negativen Symptomen werden aber sehr häufig eine ausgeprägte Phantasie, Hypersensibilität, eine hohe Intelligenz und ein besonderes Körpergefühl beobachtet, das sich in einer niedrigen Schmerzschwelle wie auch in besserem Wissen über die Vorgänge im Körper äußern kann. Nicht selten spüren schwangere ADS-Frauen die Bewegungen ihres Kindes, bevor dies nicht-betroffene Frauen tun.
ADS-Kinder sind häufig Schreikinder, die schnell laufen können und den Mutterleib für ständige Bodenturnübungen verwenden.
Diagnostik
Voraussetzung für jede Behandlung von ADHS ist eine fundierte Diagnose durch einen mit der Materie vertrauten Arzt, Psychiater oder Psychologen, die auch Differentialdiagnosen und eventuelle begleitende Krankheiten (z.B. Depression, Angstkrankheit) berücksichtigt.
Es hat sich bei Betroffenen sehr häufig als schwierig herausgestellt, einen kompetenten Facharzt für ADS zu finden, und sehr viele Betroffene werden erst in relativ hohem Alter diagnostiziert. Kirsten Stollhoff rechnet vor, daß bei den etwa 5% schwer Betroffenen, von denen man realistischerweise ausgehen kann, 1999 584.700 Kinder in Deutschland behandlungsbedürftig wären; behandelt wurden davon nur 10%. 1990 wurden gar nur 2.500 Kinder in Deutschland medikamentös behandelt.
Hinweise für ADS können leicht gefunden werden, beispielsweise durch Konzentrationstests wie der BP-Konzentrationstest nach Esser, der von jedem Lehrer im Klassenrahmen durchgeführt werden könnte. Kinder, die in solchen Tests auffallend schlecht abschneiden, sollten einem kompetenten Neurologen oder Pädiater zur weiteren Abklärung vorgestellt werden. Namen von mit ADS befaßten Fachärzten finden sich in vielen Kassenärztlichen Vereinigungen in Deutschland, die häufig eigene ADS-Zirkel haben. Es muß betont werden, daß ein schlechtes - oder gutes - Abschneiden in einem bestimmten Test nicht automatisch eine oder keine ADS bedeutet, aber als Hinweis dienen kann.
Weitere Diagnostik funktioniert über Beurteilungen von Lehrern ("sehr verträumt und unkonzentriert", "zappelig", aber auch "schlechte Schrift" und "langsam"), Befragung der Eltern, und auch der Kinder selbst. Zusätzlich wird in der Regel ein MRT und ein EEG angefertigt, um andere Erkrankungen auszuschließen.
Ein weiterer Hinweis ergibt sich aus der Reaktion auf bestimmte Medikamente. Seit den 30er Jahren weiß man, daß ADS-Betroffene paradox auf Beruhigungs- und Stimulanzmedikamente reagieren das heißt, sie können auf Beruhigungsmittel und Narkose lebhaft reagieren und andere Dosen verlangen, während sie auf Stimulanzien oder Kaffee beruhigt ansprechen.
Dies macht man sich in der Therapie zunutze: Das als bisheriger Goldstandard in der ADS-Behandlung eingesetzte Methylphenidat ist eigentlich ein Stimulanzmittel.
Behandlung
Ziel der Behandlung ist es, das individuell unterschiedlich vorhandene Potential auszuschöpfen, die sozialen Fähigkeiten auszubauen und eventuelle Begleitstörungen zu behandeln. Im Allgemeinen sollte die Behandlung multimodal erfolgen, das heißt, es sollten parallel mehrere Behandlungsschritte durchgeführt werden (Psychotherapie + Psychosoziale Interventionen + Pharmakotherapie).
Prophylaxe
Für die Behandlung von Babies, Klein- und Schulkindern mit ADS, aber auch für nicht-ADS-Betroffene empfehlenswert, hat sich das Marburger Konzentrationstraining (MKT) herausgestellt.
Ähnlich dem Autogenen Training beruht es auf verbaler Selbstinstruktion. Seine Ziele sind:
- Training der Selbststeuerung
- vernünftiger Umgang mit Fehlern
- Verbesserung der Leistungsbereitschaft
- Zutrauen in eigenes Können
- Stärkung der Eltern
- Verbesserung der Interaktion zwischen Eltern und Kind
Damit ist es auch bei vollkommenen gesunden Kindern oder bei Kindern mit ungesicherter Diagnose sehr empfehlenswert.
Autogenes Training kann ebenfalls als unterstützende "sanfte" Maßnahme bei älteren Kindern und Erwachsenen hilfreich sein.
Information
Eingehende Information aller beteiligten Personen über ADHS ist wesentlicher Bestandteil jeglicher Therapie. Betroffene sollten Bescheid wissen über die Art der Störung (ADHS ist keine Geisteskrankheit, kein Schwachsinn und keine Faulheit), die Symptome, die konkret möglichen Alltagsschwierigkeiten und etwaige Behandlungsmöglichkeiten.
Neben dem ärztlich-psychologischen Gespräch gibt es einschlägige Literatur, sowohl für Eltern als auch für betroffene Erwachsene und Kinder, wobei diese Bücher im Aufbau oft auf die Art der Störung Rücksicht nehmen (wenig Fließtext, viele Zeichnungen, usw.).
Medikamentöse Einstellung
Die Medikation ist bei mittel- und schwer Betroffenen obligatorisch. Nur durch Medikation kann eine weitere Therapie erst greifen. Die Medikation nimmt einen Großteil des beträchtlichen Leidensdruckes von Betroffenen, aber auch deren Eltern, Angehörigen und Umfeld.
Grundmedikation
Zur medikamentösen Behandlung der AHDS werden in erster Linie Stimulanzien eingesetzt, die den Dopaminstoffwechsel im Gehirn beeinflussen. Dazu gehören insbesondere Methylphenidat (siehe auch Ritalin, Medikinet) und Amphetaminderivate (D-L-Amphetamin), in der Schweiz auch Dexamin. Beide Medikamente werden seit Jahrzehnten eingesetzt und mindestens 70 % der Betroffenen sprechen darauf an, wobei Methylphenidat heute in der Schulmedizin als Mittel der Wahl gilt.
Zusätzlich können Antidepressiva zur Behandlung eingesetzt werden.
Die Wirkung der Stimulanzien zeigt sich bei vielen ADHS Patienten bereits nach einer halben Stunde. Sie werden gewöhnlich ausgeglichener und aufmerksamer, allerdings hält die Wirkung bei den Kurzzeit-Präparaten nur wenige Stunden an. Da die optimal wirksame Dosis sehr unterschiedlich sein kann, ist es wichtig, die Dosierung individuell einzustellen. Neuerdings sind auch Präparate erhältlich, die nur einen Teil des Wirkstoffes sofort abgeben und den Rest über Stunden verteilt. Damit lassen sich morgendliche Einmalgaben erreichen.
Methylphenidat wird seit 1959 eingesetzt und ist im Rahmen der Kurzzeitwirkung umfangreich untersucht worden. Langzeitanwendungen werden kontrovers diskutiert, manche Experten warnen vor einer möglichen Beeinträchtigung der Gehirnentwicklung durch Methylphenidat. Aufgrund dessen sollte der Wirkstoff nur nach sorgfältiger ärztlicher Indikationsstellung im Rahmen eines Gesamtbehandlungskonzeptes verordnet werden.
Die Einstellung auf das Medikament erfolgt nach der so genannten Titrationsmethode, in dem der Arzt zunächst die notwendige Einzeldosierung (in der Regel zwischen 5 und 20 mg) und die individuelle Wirkungsdauer (ca. 3-5 h) bestimmt. Anhand von Beobachtungsbögen wird die Wirkung von Eltern, ggf. Lehrern oder Therapeuten beurteilt und danach die Dosierung angepasst. Die notwendige Dosis variiert individuell stark. Während man früher davon ausging, dass die Regeldosis nicht über 1 mg pro Kilogramm Körpergewicht liegen sollte, ist heute eine derartige Empfehlung nicht mehr gängig.
Aufgrund der kurzen Wirkzeit kann an deren Ende ein Rebound-Phänomen auftreten. Hierbei nehmen die Patienten wieder Symptome der Unruhe bzw. Hyperaktivität wahr. Eine zu hohe Dosis von Methylphenidat führt ebenfalls zu Unruhegefühl oder innerer Anspannung, selten auch zu einer deutlichen Reduktion der Aktivität mit Mattigkeit und einem Unlustgefühl. Diese Erscheinungen halten für die Wirkdauer an und können im nachhinein durch angemessene Dosisfindung korrigiert werden.
Nebenwirkungen der Behandlung mit Stimulanzien sind normalerweise auf die Einstellungsphase begrenzt und kurzzeitig. Zu den häufigen Nebenwirkungen gehören Appetitminderung oder auch Magenbeschwerden, Kopfschmerzen und seltener Ticstörungen. Während bei einigen Kindern zunächst Schlafprobleme auftreten können, benötigen andere Kinder sogar eine kleine Dosis Methylphenidat um ihre gedankliche Unruhe und Reizfilterschwäche behandelt zu bekommen und zum Schlaf zu finden.
ADHS-Patienten weisen ein erhöhtes Suchtrisiko auf, weshalb die Gabe von Stimulanzien lange als Risiko für eine spätere Suchtentwicklung galt. In Studien wurde gezeigt, dass die Gabe von Methylphenidat nicht zu einer Abhängigkeitsentwicklung beiträgt. Vielmehr scheint sich das Risiko für frühzeitige Nikotin-, Alkohol- bzw. Drogenabhängigkeit zu vermindern. Nur bei bewusst missbräuchlicher Verwendung oder extrem hohen Dosierungen besteht ein Toleranzeffekt mit der Gefahr einer Abhängigkeitsentwicklung.
Derzeit gibt es neben dem Markenprodukt Ritalin verschiedene Generika (z.B. Medikinet, Equasym) des kurzwirksamen Methylphenidat. Zusätzlich gibt es die nur über die internationale Apotheke erhältlichen Retardpräparate Ritalin SR und Ritalin LA. Neuere Darreichungsformen kombinieren eine akute Wirkstofffreisetzung mit einer verzögerten Abgabe über 8-10 h, z.B. Concerta und Medikinet Retard.
Auch bei Erwachsenen stellt die Behandlung mit Methylphenidat nach den geltenen Leitlinien in Deutschland die medikamentöse Behandlung der ersten Wahl dar. Allerdings ist derzeit kein derartiges Präparat in Deutschland für die Behandlung bei Erwachsenen zugelassenen, kann jedoch vom Arzt im Rahmen eines Heilbehandlungsversuches verordnet werden (sog. "off-label"-Verordnung). Allerdings ist bei einigen Krankenkassen derzeit die Kostenübernahme nicht geklärt. In der Schweiz wird Ritalin von der Krankenkasse auch für Erwachsene bezahlt, Dexamin jedoch weder für Erwachsene noch für Kinder.
Strattera (Wirkstoff Atomoxetin) ist ein seit März 2005 in Deutschland erhältliches Antidepressivum (sog. Noradrenalin-Wiederaufnahme-Hemmer), der sich in internationalen Studien ebenfalls als wirksam in der Behandlung von ADHS erwiesen hat. Der Wirkeintritt kann jedoch im Gegensatz zu Stimulanzien erst nach einigen Wochen beurteilt werden, da das Medikament schrittweise auf die Wirkdosis (in der Regel 1,2 mg/kg Körpergewicht) eingestellt werden muss.
Ferner liegen zur Wirkung und den Nebenwirkungen von Atomoxetin noch keine Langzeitstudien vor, da das Medikament erst zu kurz auf dem Markt ist.
Weitere Medikation
Darüber hinaus kommen trizyklische Antidepressiva und selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer in Frage, die jedoch nur bei einem wesentlich kleineren Prozentsatz der Betroffenen wirken und aufgrund des ungünstigen Nebenwirkungsprofils nur in Ausnahmen Verwendung finden. Mit großem Erfolg werden Antidepressiva eingesetzt, wenn Depressionen als Begleiterkrankungen auftreten, da diese Mittel dann nicht nur die Depression, sondern auch die ADS-Symptomatik positiv beeinflussen können. Hierbei haben sich zwei Mittel als besonders geeignet herausgestellt.
Mirtazepin (Handelsname Remergil) ist ein tetrazyklishces Antidepressivum, das die Bildung von Serotonin und Noradrenalin anregt.
Venlafaxin (Handelsname Trevilor) ist ein Selektiver Serotonin- und Noradrenalin-Wiederaufname-Hemmer.
Beide Mittel wirken mit der Beeinflussung des Serotoninhaushaltes nicht nur gegen die Manien und Depressionen, sondern die Noradrenalin-Komponente wirkt auch auf Antriebskraft und Konzentration des ADS-Betroffenen.
Psychotherapeutische Behandlungsmethoden gelten als ein wesentliches Therapieangebot im Rahmen der multimodalen Therapie. Zielsetzung ist dabei, einen möglichst angemessenen Umgang mit den ADHS-Besonderheiten und Problemen zu erwerben. Im Kindesalter orientieren sich verhaltenstherapeutische Therapieprogramme daran, in einem Elterntraining Informationen zu ADHS und geeignete Hilfen zum Aufbau erwünschten Verhaltens zu vermitteln (z.B. Verstärkersysteme mit einem Token-System oder Response-Cost, feste Strukturen und Regeln, Hilfen im Umgang mit Problemverhalten). Weitere Zielbereiche können die Verbesserung der Selbststeuerung (z.B. durch Coaching, Selbstinstruktionstraining oder Selbstmanagement-Methoden) und Selbstwertgefühl der Kinder und Jugendlichen sein.
Im Erwachsenenalter fehlen bisher Untersuchungen, die einen Wirkungsnachweis der Psychotherapie bei ADHS zeigen. Derzeit laufen jedoch Forschungen, die unter anderem ein spezielles Fertigkeitentraining bei ADHS-Erwachsenen untersuchen. Es ist zu erwarten, dass auch bei Erwachsenen verhaltenstherapeutische Therapieangebote effektiv sind. Allerdings weisen betroffene Erwachsene häufig Begleitstörungen (z.B. Ängste, Depressionen, Essstörungen, Suchtprobleme, Persönlichkeitsstörungen) auf. Liegen erhebliche Selbstwertprobleme und negative Selbstüberzeugungen vor, können auch psychoanalytische Behandlungsangebote zur Stärkung der Ich-Strukturen hilfreich sein. Da häufig das gesamte Familiensystem betroffen ist, haben auch systemische Behandlungskonzepte einen Stellenwert in der Therapie. Die Berücksichtigung der selbst betroffenen Elternteile hinsichtlich der Bindungsstrukturen und Interaktionsverhalten in der Familie gewinnen zunehmend an Bedeutung.
Weitere Behandlungsunterstützung
Coaching
Nährstofftherapie
Relativ neu ist ein Behandlungsansatz durch Näherstofftherapie. Dabei wird die medikamentöse Einstellung mit der Aufnahme von Omega-3-Fettsäure, Omega-6-Fettsäure, Magnesium, Zink und Vitamin E durch Lebensmittel oder Nahrungsergänzungspräparate normalerweise in Kapselform kombiniert. Ebenfalls wird empfohlen, in dieser Therapie vor allem den Konsum von Lebensmitteln mit hoher Glykämischer Last zu vermeiden und möglichst proteinhalte mit kohlenhydratreicher Nahrung zusammen zu verzehren; also beispielsweise zum Frühstück Quark mit Honig zu sich nehmen.
Die Wirksamkeit ist noch umstritten; allerdings schadet diese Therapie mit ihrer ausgewogenen Ernährung auch nicht, wie dies andere alternative Behandlungen tun. So gilt hier genauso wie bei der Oligo-Antigenen Diät: Ausprobieren, und wenn es Besserung bringt, beibehalten. Die benötigten Nährstoffe in Kapselform (in der Regel mit Fischöl und Nachtkerzenöl) kostet im Monat etwa 30 €.
Siehe unter Literatur.
Behandlung Erwachsener mit Nikotinpflastern
In neuerer Zeit wurde eine Studie gemacht, Erwachsene mit ADS mit Nikotinpflastern zu behandeln; hierbei trat eine deutliche Besserung der Symptomatik auf. Dies erklärt, daß viele ADS-Betroffene früh mit dem Rauchen beginnen.
Alternative Behandlungen
Oligo-Antigene Diät
Die Oligo-Antigene Diät ist ursprünglich ein Verfahren bei Neurodermitis und wirkt in 10-20% der Fälle. Hierbei wird dem Patienten vier Wochen lang eine Diät nur aus allergisch unbedenklichen Nahrungsmitteln verabreicht.
Kommt es zu einer Besserung der Symptome, so werden nach und nach im Viertagesrythmus weitere Nahrungsmittel zugesetzt und geprüft, ob sich die Symptomatik wieder verschlechtert; dann wird dieses Nahrungsmittel vollkommen ausgesetzt. Nach einiger Zeit sollte so herauskommen, welche Nahrungsmittel beim Patienten unbedenklich sind.
Wirkungslose und umstrittene Ansätze
Andere Ansätze befassen sich mit "alternativer" Medizin (z.B. Algen). Jedoch sind diese meist wirkungslos und teils nicht unumstritten, da die gesundheitliche Bedenkenlosigkeit nicht gewährleistet werden kann.
Seit den 90ern gibt es den NLP-Ansatz ( D. Blackerby). Die Grundannahme für die Anwendung von NLP-Wissen besteht darin, dass die Symptome durch die "innere Wahrnehmung" des Einzelnen verursacht werden. Mit NLP-Wissen soll die Struktur der inneren Wahrnehmung erforscht und auch gezielt beeinflusst werden.
NLP heilt auch nicht, sondern hilft nur mit der Besonderheit besser klar zu kommen, sie zu verstehen und Fehlreaktionen zu vermeiden.
Familientherapien und tiefenpsychologische Therapien sind, sofern der behandelnde Psychologe sie nicht als ein Aspekt der multimodalen Therapie ansieht und ADS rein tiefenpsychologisch zu erklären versucht (siehe Abschnitt in diesem Artikel), nachgewiesenermaßen wirkungslos; tiefenpsychologische- und vor allem Verhaltenstherapien eingebettet in ein Behandlungskonzept eines Neurologen oder Nervenarztes dagegen können die Symptomatik nachhaltig zusammen mit einer medikamentösen Einstellung und einem Coaching verbessern.
Zu Algen schreibt das Buch "Hochrisiko ADHS":
- Auch Algen verordnet der Heilpraktiker gern und viel. Es sind ganz spezielle Algen, die nur wirken, wenn sie von Jungfrauen bei Mondlicht geerntet werden. (Die Behauptung, die Wirkung sei erst sichergestellt, wenn die Algen von einäugigen, farbenblinden Pastorentöchtern eingebracht werden, die an einem Sonntag geboren wurden, hat sich als bösartiges Gerücht der Pharmaindustrie herausgestellt.....)
- Diese Algen sind teuer und nachweislich wirkungslos im Hinblick auf die ADHS-Symptomatik, können aber Leber und die Nerven schädigen. Das kanadische Gesundheitsministerium warnt nachdrücklich vor diesem "Allheilmittel", das auf höchst unseriöse Weise beworben wird.
Zu den meisten alternativen Therapien gibt es Untersuchungen und Doppelblind-Studien, die ihre Wirkungslosigkeit - teils ihre Gefährlichkeit - nachweisen.
Häufige Begleiterkrankungen
Sehr häufig sind emotionale Störungen wie reaktive Depressionen und Angststörungen, da der Betroffene sehr häufig von sozialen Gruppen zurückgewiesen wird. Bei Frauen werden auch Eßstörungen beobachtet.
Auswirkungen auf die Biographie
Stärken durch ADS
Neben den negativen Symptomen haben ADS-Betroffene auch viele Stärken oder Eigenschaften, die richtig eingesetzt Stärken sind. So betrachten viele Experten wie auch Betroffene ein richtig eingestelltes ADHS als Gabe.
Zu ihren Stärken gehört ihre Hypersensibilität, daß sie Veränderungen sehr schnell erfassen können, was sich meist in einer besonderen Empathie und einem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn äußert; ihre Begeisterungsfähigkeit, die sich in besonderer Kreativität und Liberalität äußern kann, ihre Impulsivität, die sie richtig dosiert zu interessanten Gesprächspartnern macht; der Hyperfocus, der zu lang ausdauerndem und konzentriertem Arbeiten an bestimmten Themen führen kann, und viele andere.
Hyperaktivität kann auch zu besonderer Begeisterung am Leistungssport führen.
Alle diese Stärken sind ADS-Symptome, die ADS-Betroffene mit leichter bis mittlerer ADS selbst- und mittlere bis schwer Betroffene unter Verhaltenstherapie lernen können, für sich einzusetzen. Viele ADS-Betroffene werden auch als hochintelligent beschrieben.
Thom Hartmann hat in seinem Buch Eine andere Art die Welt zu sehen die These aufgestellt, dass Betroffene aus genetischer Sicht "nur" die Nachfahren der steinzeitlichen Jäger und Sammler (Hartmann nennt sie daher "Hunter") seien. Ihm zufolge baut die moderne Gesellschaft jedoch auf "Farmer"-Systemen auf, was die "Hunter" dazu zwingt, sich erst in diesen zurechtzufinden und sich diese Grundlagen anzueignen.
In seinem 2000 erschienenen Buch ADD: Veränderungen selbst bewirken plädiert Hartmann dafür, ADHS als eine Eigenschaft zu sehen, die durchaus verändert bzw. behoben werden kann.
Da ADS vor allem durch die Biographien von Betroffenen diagnostiziert wird, finden viele ADS-erfahrene Psychologen Hinweise auf ein Vorliegen von ADHS in der Lebensgeschichte vieler berühmter Persönlichkeiten.
Es ist zwar immer problematisch, von Toten Parameter wie den IQ zu bestimmen. Die Diagnostik durch Biographie von ADS-Betroffenen macht diese Hinweise allerdings etwas sicherer als die beschriebene IQ-Bestimmung, die manchmal auch von ideologischen Faktoren abhängig ist; des Weiteren ist ADS so stark verbreitet, daß es fast schon unwahrscheinlich wäre, wenn nicht auch viele bedeutende Persönlichkeiten die Symptomatik hätten.
Gefahren
Auslöser für ADS: die Striatofrontale Dysfunktion
Bei allen untersuchten ADS-Patienten fanden sich eine Anomalie im vorderen Hirnlappen, die über die sehr kostspielige Positronen-Emissions-Tomographie (PET) nachweisbar ist. Hier sind Dopamin- und Noradrenalin-Haushalt geregelt. Funktionstomogramme zeigten stark herabgesetzte Aktivitäten der Nervenzellen in diesem Bereich.
Prof. Klaus-Henning Krause (Friedrich-Baur-Institun an der Ludwig-Maximilians-Universität München) wies nach, daß im Synaptischen Spalt von ADS-Betroffenen zu viele Transporterproteine für Dopamin vorliegen und sich dieses Verhältnis durch Behandlung mit Dopamin-Wiederaufnahmehemmern wie Methylphenidat normalisiert.
Andere, ebenfalls mit ADS in Verbindung gebrachte Hormone sind Noradrenalin (mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit) und Serotonin.
Die Störung hat eine starke genetische Komponente, so dass die Familienanamnese fast immer Fälle in der Verwandtschaft ergibt.
Untersuchungen von ADS-Betroffenen ergaben Defekte im Dopamin-D2-Rezeptorgen, Dopamin-D4-Rezeptorgen, Dopamintransporter-Gen und Dopamin-Beta-Hydroxylase-Gen.
Dopamin-D2-Defekte finden sich nicht nur bei ADS, sondern auch bei Neigung zu anderen Symptomatiken wie Alkoholismus, Posttraumatische Belastungsstörung, Tourette-Syndrom, Spielsucht, Suchtverhalten bis hin zur Polytoxikomanie, Impulsstörungen und Zwangsstörungen.
Einerseits geht man davon aus, daß am Entstehen einer genetischen Striatofrontalen Dysfunktion noch andere Gene beteiligt sind. Andererseits ist noch nicht vollständig geklärt, ob das Syndrom auch unter anderen Bedingungen außer den angesprochenen Gendefekten entstehen kann. Es besteht auch die Möglichkeit, daß ebenfalls genetisch bedingte Enzymdefekte zur Striatofrontalen Dysfunktion führen können.
Die Striatofrontale Dysfunktion kann sich anscheinend also äußern durch
- Überangebot von Transporterproteinen für Dopamin, Noradrenalin und möglicherweise weitere Hormone
- Unterangebot der betroffenen Hormone
- Bernd Hesslinger hat ebenfalls bei ADS-Betroffenen Verkleinerungen in Bereichen des frontalen Orbits des Gehirns untersucht.
Risikogruppen bei Entstehung der Striatofrontalen Dysfunktion
Die Striatofrontale Dysfunktion entsteht genetisch, so daß das Auftreten von ADS bei nahen Verwandten ein Risiko für ADS bei Kindern bedingt.
Ebenfalls findet sich ADS häufig mit anderen Erbkrankheiten wie dem fragilen X-Syndrom oder dem Gilles-de-la-Tourette-Syndrom.
Eine andere Risikogruppe sind Frühchen, wie Anne Beke in einer Untersuchung herausfand.
Wenn die Mutter in der Schwangerschaft Nikotin, Alkohol oder Drogen konsumiert hat oder Mutter und/oder Vater zum Zeitpunkt der Zeugung unter chronischem Alkoholismus litt, haben die Kinder ein signifikant höheres Risiko, ADS-Betroffen zu werden. Besonders Alkohol hat sich in Untersuchungen als gefährlich herausgestellt.
ADS in der Literatur
Heinrich Hoffmann beschrieb als erster in seinem Buch "Der Struwwelpeter" Mitte des 19. Jahrhunderts die Symptome von ADHS in seiner Schilderung vom Zappelphilipp und Hans Guck-in-die-Luft.
Bei der Arbeit mit ADS-Betroffenen fielen Psychologen aber immer wieder bekannte Personen auf, bei denen sie Hinweise auf ADS fanden; entweder durch ihre eigene Lektüre, oder durch Hinweise ihrer Patienten, die sich von einem bestimmten Autor besonders verstanden fühlten.
Als Beispiele seien an dieser Stelle Ludwig van Beethoven, Winston Spencer Churchill, Walt Disney, Thomas Edison, Albert Einstein, Benjamin Franklin, John F. Kennedy, Theodore Roosevelt, Jules Verne, H.G. Wells, Orson Welles, die Familie von Thomas Mann, Hermann Hesse, Friedrich Nietzsche, E.A. Poe, Heinrich von Kleist, Friedrich Schiller und die Gebrüder Wright genannt.
Auch in der Kinder- und Jugendliteratur werden immer wieder Kinder beschrieben, bei denen sich Hinweise auf ein Vorliegen von ADHS finden, neben den oben bereits erwähnten Zappelphillipp und Hans-guck-in-die-Luft sind dies exemplarisch Pippi Langstrumpf, Michel aus Lönneberga und Tom Sawyer.
Vorkommen
ADHS betrifft nach den Kriterien des DSM-IV ca. 4-8 % aller Schulkinder in Deutschland. Nimmt man die Bemessungsgrundlagen des ICD-10 für das Hyperkinetische Syndrom, so erhält man Schätzraten von 1-3 %. Rein rechnerisch bedeutet das, dass in jedem Klassenzimmer durchschnittlich etwa ein betroffenes Kind sitzt. Fest steht, dass Jungen gegenüber Mädchen deutlich häufiger von Symptomen betroffen sind, die meisten Studien geben das Verhältnis zwischen 3:1 und 9:1 an. Da bei Mädchen jedoch häufiger der unaufmerksame Typus auftritt und diese sich meist ruhiger und unauffälliger verhalten, kann man davon ausgehen, dass die "Dunkelziffer" der betroffenen Mädchen deutlich höher ist und ein Verhältnis von 3:1 realistisch ist.
Die Prävalenz von ADHS im Erwachsenenalter wird mit zwischen 1,3 und 4,7 % angegeben (Quelle: Deutsches Ärzteblatt Ausgabe 37 vom 10. September 2004). In diesem Alter bildet sich die Hyperaktivität stark zurück, und ADS wird von Komorbiditäten begleitet, häufig Depressionen, Angststörungen und Störungen des Selbstbildes.
ADS im Erwachsenenalter ist seit 1995 bekannt und seit 2003 auch in Deutschland anerkannt.
Fast alle Experten betonen, dass heutzutage nicht mehr Kinder betroffen sind als früher. ADHS tritt aber aktuell verstärkt und offensichtlicher zu Tage. Als Gründe dafür werden allgegenwärtige Reizüberflutung durch Computer, Handys, Fernsehen und die häufiger vorzufindende Strukturlosigkeit in Familie, Schule und Gesellschaft angeführt. Mit diesen Gegebenheiten sehen sich ADHS-Betroffene im allgemeinen einer größeren Herausforderung gegenüber, ihr Leben zu gestalten.
Problematisch ist die Diagnosestellung, da die Hauptsymptome auch als völlig normale Entwicklungsphasen im Vorschulalter auftreten und die Unterscheidung zwischen Normvariation und Auffälligkeit Eltern und Erziehern daher oft schwer fällt. In einer Studie von Manfred Döpfner konnten einzelne Symptome vor allem bei bis zu 31 % der Jungen festgestellt werden, die notwendige Anzahl der Kriterien für eine ADHS-Diagnose erreichten hier aber nur 6 % aller Kinder.
In den letzten 30 Jahren wurden zumeist Erziehungsfehler, Elternproblematik, Vernachlässigung und frühkindliche Traumata für die Ursachen von ADHS gehalten und die Störungen grundsätzlich als soziales und pädagogisches Problem angesehen. Diese Ansichten werden von neueren Untersuchungen jedoch ausgeschlossen.
Ursachen von ADHS
Nach derzeitigem Stand der Wissenschaft ist ein multifaktorieller Erklärungsansatz für ADHS am wahrscheinlichsten: Gegebene, genetisch-biologische Merkmale werden hierbei durch psychosoziale Faktoren beeinflusst. Bei der Genese scheinen die psychosozialen Bedingungen eine allenfalls geringe Rolle zu spielen, aber sie tragen wohl stark zur Ausprägung des Schweregrads der Störung bei.
Trotz verschiedenartigster Sichtweisen lässt sich festhalten, dass primäre Ursachen genetischer Art sind. Diese bewirken eine Störung des Neurotransmitterstoffwechsels (insbesondere Dopamin ist zu nennen) und andere cerebrale Störungen. Der oft angeführte Einfluss von Hirnschädigungen und Nahrungsmittelzusätzen wird allgemein bezweifelt.
Es lassen sich daneben verschiedene Störungen der Selbstregulation feststellen, welche durch die klassischen hyperkinetischen Symptome zutage treten. Diese wiederum führen zu einer Zunahme negativer Interaktionen mit Eltern, Peers und Lehrern, was durch ungünstige Bedingungen in Familie und Schule noch verstärkt werden kann.
Dadurch wird wiederum eine Zunahme der hyperaktiven Symptomatik bewirkt sowie die Entstehung komorbider Symptome (beispielsweise Leistungsdefizite, aggressives Verhalten, emotionale Störungen) begünstigt. Ein regelrechter Teufelskreis entsteht.
Hypoaktive ADHS-Kinder
Dieser ADS-Typ fällt, wenn überhaupt, zumeist erst im Jugendalter auf. Häufig sind Mädchen davon betroffen. Im Gegensatz zu dem auffälligen, hyperaktiven Subtypus sind diese Kinder eher ruhig und verträumt.
Meistens können sie sich sehr gut alleine beschäftigen, und sind in ihrer eigenen Welt oft zufrieden. Erst mit konkreten Leistungsanforderungen, bekommen sie ihre Probleme. Manchmal schon im Kindergarten, meistens jedoch erst in der Schullaufbahn.
Diese sogenannten "Träumer" werden mit der Welt der Leistungsanforderungen, der Gruppenregeln und Verhaltensnormen konfrontiert, die sie verunsichern und irgendwann einmal schließlich überfordern. Typischerweise kommt es zu einem unerklärlichen Versagen in der Schule. Vorhandenes Potential wird nicht ausgeschöpft, und die Betroffenen gelangen in einen Kreislauf der Frustration.
Obwohl normale oder gar überdurchschnittliche Intelligenz vorhanden ist werden diese Kinder häufig als "unterdurchschnittlich begabt" bzw. "eigenbrötlerisch" oder gar "faul" wahrgenommen.
ADHS und Hochbegabung
Ein hochbegabtes ADHS-Kind korrekt zu diagnostizieren, stellt sich als diffizile Herausforderung dar, da sich die beiden Phänomene einander durchaus ähnlich sein können und sich gegebenenfalls gegenseitig überlagern.
Eine Verwechslung von ADHS und Hochbegabung lässt sich allerdings durch einen gängigen Intelligenztest ausschließen.
Intelligente und speziell hochbegabte Kinder sind von ADHS oft schwerer betroffen als normal begabte ADHS-Kinder. Dank ihrer Intelligenz können sie sich über einen längeren Zeitraum anpassen und integrieren, jedoch fällt die Diskrepanz bei ihnen umso höher aus, wenn sie damit fehlschlagen. Selbstkrisen und Depressionen können die Folge sein.
Bekannt ist dieses Phänomen unter anderem aus der Schule, wo immer wieder hochbegabte Schüler in fortgeschrittenen Klassenstufen einen erheblichen Leistungseinbruch zeigen ohne dass sonstige äußere Gründe dies erklären könnten.
Medizinische Sicht
Während bei einer funktionellen Kernspintomographie an ADHS-Patienten eine verringerte Aktivierung im rechtsseitigen präfrontalen System sowie eine erhöhte frontale und verringerte striatale Aktivierung bei "go/no-Aufgaben" festgestellt wurden, liefern normale nicht-studiengebundene Methoden wie Computertomographie (CT) und Kernspintomographie (MRT) keinen Anhaltspunkt für das Vorliegen von ADHS bei einem Betroffenen.
Bei der Positronen-Emissions-Tomographie (PET) wurde ein um 8,1 % verminderter Glucoseumsatz im linken Frontallappen und bei der Single Photon Emissionscomputertomografie (SPECT) eine geringe Durchblutung des Frontallappens und des Striatums sowie eine erhöhte Dopamintransporter-Konzentration im Striatum festgestellt (Dougherty et al. in: Lancet 354 (1999) 2132-2133; Dreel et al. in: Eur.J.Nucl.Med. 25 (1998) 31-39).
Aus den Ergebnissen von Zwillingsstudien kann geschlossen werden, dass die Disposition "ADS/ADHS" erblich ist und im familiären Verband selten einmalig auftritt. Im International Consensus Statement on ADHD (International Consensus Statement on ADHD: January 2002 Clinical Child and Family Psychology Review 5(2): 89-111; Jun 2002) schreiben die Autoren, dass bei keiner psychiatrischen Erkrankung der genetische Anteil mit 70–95 % so hoch wie bei den charakteristischen ADHS-Symptomen sei. Dies entspräche etwa dem Wert, wie er für die Körpergrösse des Menschen beschrieben werde. Es sei ein erstes Gen nachgewiesen worden, das mit grosser Wahrscheinlichkeit für diese Störung zum Teil verantwortlich sei.
Dem widersprechen Fachleute anderer Disziplinen mit Hinweis auf die vergleichbaren psychosozialen Umstände innerhalb der untersuchten Familien.
Die Diagnose wird in der Praxis häufig mit Hilfe eines "Diagnoseschlüssels" gestellt, der einzelne Symptome zur Überprüfung angibt und eine Kombination dieser als Notwendig zur Diagnose erklärt. Siehe "Weblinks".
Diskussion
ADS ist zwar lange bekannt, und es existieren auch Langzeitstudien zur Behandlung mit Methylphenidat und zur Biographie unbehandelter Betroffener; die Durchbrüche in der Erforschung der Genese von ADS und das Begreifen als neurobiologische Störung folgten aber erst Alan Zametkins PET-Studie von 1990. So ist ADS immer noch nicht vollständig erforscht, und der aktuelle Forschungsstand ist auch außerhalb der Neurologie noch nicht vollständig realisiert - von einigen Gruppen wird er auch bewußt ignoriert.
Auch werden häufig von Journalisten zur Auflagensteigerung Ängste vor dem unter das BTM-Gesetz fallende Methylphenidat und die gezielte Persönlichkeitsveränderung von ADS-Betroffenen durch Medikation und Verhaltenstherapie aufgegriffen und ausgeschlachtet. Daß es dadurch zu einer Verunsicherung von Eltern Betroffener kommt und so ein ADS-Kind eventuell unbehandelt bleibt und in seiner Biographie so den erweiterten Risiken von Sucht, Depression und sozialem Absturz ausgesetzt ist, wird von ihnen nicht beachtet oder billigend in Kauf genommen.
Auch politische oder psychologische Ideologien können auf dem Rücken von ADS-Betroffenen propagiert werden.
Tiefenpsychologische Sicht
Aus Sicht einiger Entwicklungspsychologen und Psychoanalytiker wird es für unwahrscheinlich gehalten, dass die entsprechenden Symptome auf einem angeborenen Stoffwechseldefekt basieren. Vielmehr müssten frühkindliche lebensgeschichtliche Faktoren als ursächlich angesehen werden. ADS/ADHS steht mit einem veränderten Stoffwechsel im Gehirn in Verbindung. Dieser veränderte Stoffwechsel muss jedoch keine ursächliche Erklärung für das Verhalten der Kinder darstellen. Ebensogut könne man annehmen, dass sich das plastische menschliche Gehirn bei ADS-Kindern so entwickelt hat, weil sie bestimmte Erfahrungen machten. Diese ebenfalls in der Psychologie vertretene These sieht den Grund des Verhaltens eher in den Erfahrungen des Kindes als in der Vererbung.
Aus tiefenpsychologischer Sicht sind die Eltern und Erzieher also integraler Bestandteil des Phänomens und die Störungen im Verhalten der Kinder nur wiederum Manifestationen der Verhaltensprobleme ihrer Bezugspersonen. Folgt man dieser Sichtweise, ist die Bezeichnung für dieses Syndrom nicht weniger treffend, da die Kinder und Jugendlichen an den Aufmerksamkeitsdefiziten zum Beispiel ihrer Eltern ihnen gegenüber leiden und dies durch entsprechende aufmerksamkeitschaffende Aktivitäten (Hyperaktivität) zu kompensieren versuchen.
Diese Sichtweise hält keiner Bestätigung durch Studien stand; Psychologen, die versucht haben, ADS-Betroffene nach dieser Sichtweise zu "heilen", haben in vielen Fällen den Leidensdruck von Betroffenen und ihren Bezugspersonen unnötig erhöht und eine wirkungsvolle Therapie weiter hinausgezögert (siehe Stollhoff, Hochrisiko ADHS). Des weiteren führt sie zu einer Stigmatisierung von Eltern ADS-Betroffener, die durch ihr Kind schon genügend Leidensdruck haben.
Auf keinen Fall kann diese Sichtweise erklären, weswegen einige Geschwister ADS-Betroffen sind, andere, teils Zwillingsgeschwister, aber nicht.
ADHS ist nicht spezifizierbar
KritikerInnen gehen davon aus, dass es sich bei ADHS nicht um ein abgrenzbares und spezifisches Syndrom handelt, sondern um eine unspezifische Sammlung von Symptomen, wie sie ihrer Meinung nach auch bei anderen systemischen Erkrankungen, zum Beispiel aus dem rheumatodien Formenkreis, zu finden seien. Sie nehmen an, dass die Probleme von ADHS-Betroffenen einen anderen Hintergrund haben und die Unterordnung unter eine gemeinsame Diagnose somit sehr willkürlich sei.
Besonderheiten, bei denen Hyperaktivität häufig ein Merkmal ist, sind das Angelman-Syndrom und Autismus.
Manchmal wird ADS auch als Modekrankheit bezeichnet, von skrupellosen Nervenärzten erschaffen, um ihr Auskommen zu sichern.
Diese Kritiker haben meist keinerlei Erfahrung in der Behandlung von mehreren ADS-Betroffenen. Vor allem wird von ihnen die organische Nachweisbarkeit von ADS ignoriert.
Literatur
Fachliteratur
- Manfred Döpfner: Hyperaktivität und Impulsivität. In: D.H. Rost (Hrsg.): Handwörterbuch der pädagogischen Psychologie. Weinheim: Beltz, 2001. (260-265)
- Manfred Döpfner: Hyperkinetische Störungen. In: F. Petermann (Hrsg.). Lehrbuch der klinischen Kinderpsychologie. Göttingen: Hogrefe, 2002. (152-179)
- Hesslinger B, Tebartz van Elst L, Thiel T, Haegele K, Hennig J, Ebert D: Frontoorbital volume reductions in adult patients with attention deficit hyperactivity disorder. Neuroscience Letters (2002) 328 (3): 319-321
- Bernd Hesslinger: Psychotherapie der ADHS im Erwachsenenalter. Hograefe 2004, ISBN 3801718565
- Johanne Krause und Klaus-Henning Krause: ADHS im Erwachsenenalter. Stuttgart 2004 (2.Auflage). ISBN 3794523717
- Kathleen G. Nadeau: A Comprehensive Guide to Attention Deficit Disorder in Adults. Research, Diagnosis and Treatment, 1995, ISBN 0876307608
- Paul Wender: Aufmerksamkeits- und Aktivitätsstörungen bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen. ISBN 317017097X
Auswirkungen von ADS auf die Biographie
- Doris Ryffel-Rawak: ADS bei Erwachsenen, Huber, Bern, 2003, ISBN 3456836317 und Wir fühlen uns anders!, Huber, Bern, 2003, ISBN 3456839596 - Erklärung der Symptomatik und einiger ADS-Karrieren anhand von Patientenberichten
- Kirsten Stollhoff (Hrsg.), Hochrisiko ADHS. Plädoyer für eine frühe Therapie., Schmidt-Römhild, 2003, ISBN 3795007968 - Erklärung der Symptome und ADS-Karrieren, die in Kriminalität und Dissozialität endeten, weil sie nicht oder zu spät diagnostiziert wurden
Für Eltern
- Dieter Claus, Elisabeth Aust-Claus, Petra-Marina Hammer: "Das ADS-Buch. Neue Konzentrations-Hilfen für Zappelphilippe und Träumer. Oberstebrink 1999, ISBN 398044936X
- Manfred Döpfner, Stephanie Schürmann und Gerd Lehmkuhl: Wackelpeter und Trotzkopf. Hilfen für Eltern bei hyperkinetischem und oppositionellem Verhalten. Weinheim: Beltz, 2000.
- Jeffrey Freed und Laurie Parsons: Zappelphilipp und Störenfrieda lernen anders, 3. Auflage 2002, ISBN 3-407-22834-1
- Fritz Jansen, Uta Streit: Eltern als Therapeuten Springer, Berlin 2005, ISBN 3540555935
- Cordula Neuhaus: Das hyperaktive Baby und Kleinkind, Urania Stuttgart 2003, ISBN 3332014110
- Cordula Neuhaus: Das hyperaktive Kind und seine Probleme, Urania Stuttgart 2003, ISBN 3332008722
- Cordula Neuhaus: Hyperaktive Jugendliche und ihre Probleme, Urania Stuttgart 2000, ISBN 3332010883
Für Betroffene
- Dieter Claus, Elisabeth Aust-Claus, Petra-Marina Hammer: "ADS Das Erwachsenen-Buch. Hilfe zur Selbsthilfe. 2002, ISBN 3934333060
- Edward M. Hallowell und John J. Ratey: Zwanghaft zerstreut. Die Unfähigkeit aufmerksam zu sein. 1999, ISBN 3499607735
- Cordula Neuhaus: Lass mich, doch verlass mich nicht - ADHS und Partnerschaft, München 2005, ISBN 3423341068
- Doris Ryffel-Rawak: ADHS bei Frauen, 2004, ISBN 3456841213
- Sari Solden: Die Chaosprinzessin. Frauen zwischen Talent und Misserfolg. BV-AH e.V. ISBN 3933067022
- Lynn Weiss: Leben mit ADS, Brendow 2003, ISBN 3870679700
- Lynn Weiss: Eins nach dem anderen... Das ADD-Praxisbuch für Erwachsene ISBN 387067833X
Nährstofftherapie
- Prof. Dr. Michael Hamm und Dr. med. Mirko Berger: ADHS bei Erwachsenen - Die Nährstofftherapie. Hannover 2004, ISBN 3899935101
- Georg Keller: Hilfe bei AD(H)S. Knaur 2004, ISBN 3426669358
ADS als Chance
Diese, normalerweise aus den USA stammenden, Bücher verklären teilweise die positiven Aspekte von ADS - sind allerdings gerade deswegen Balsam für ADS-Betroffene, die neben einem hohen Leidensdruck und vielen Schwächen auch klare Stärken erleben.
- Thom Hartmann: Eine andere Art, die Welt zu sehen. Schmidt-Römhild 1997, ISBN 3795007356
- Thom Hartmann: ADHS als Chance begreifen Schmidt-Römhild 2004 ISBN 3795007925
- Lynn Weiss: ADS im Job, Brendow 2003, ISBN 3870679948
Kritisch
- Gerald Hüther und Helmut Bonney: Neues vom Zappelphilipp., Düsseldorf 2002. ISBN 3530401315
- Nicola Raschendorfer: ADS: Und wenn es das gar nicht gibt? Verlag an der Ruhr, 2003. ISBN 3860728210
Weblinks
- ADD-Online Umfangreiche Informationen zu ADHS/HKS.
- Bundesverband Aufmerksamkeitsstörung/Hyperaktivität e.V. Website eines Selbsthilfeverbandes.
- http://www.ads-kurse.de/ads_adhs_selbsthilfegruppen.htm Adressen von Selbsthilfegruppen zu ADS
- Web4Health Viele Informationen, insbesondere zu Medikamenten und Therapien.
- DGPPN Leitlinien zu ADHS bei Erwachsenen. [PDF-Format]
- Hypies.de Seite für und von Betroffenen.
- Eigen-Sinn Private Selbsthilfeseite für hochbegabte Kinder mit ADHS.
- ADS-Kritik Website, welche die Existenz von ADHS bestreitet.