Eckhard Jesse
Eckhard Jesse (* 1948) ist ein deutscher Politikwissenschaftler. Er ist Inhaber des Lehrstuhls für politische Systeme, politische Institutionen der Technischen Universität Chemnitz.
Biographie
- 1971-1976 Studium der Politikwissenschaft und der Geschichtswissenschaft
- Stipendiat der Friedrich-Ebert-Stiftung
- 1978-1983 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Trier
- 1982 Dissertation ("Die Gestaltung des Wahlrechts in der Bundesrepublik Deutschland. Eine Analyse der politischen und wissenschaftlichen Auseinandersetzungen um Wahlsystem- und Wahlrechtsänderungen")
- 1989 Habilitation ("Streitbare Demokratie in der Bundesrepublik Deutschland. Das Beispiel des Extremistenbeschlusses von 1972")
- seit 1993 Professor an der TU Chemnitz (Professur für politische Systeme, politische Institutionen).
- Jesse ist Gründungsmitglied des Veldensteiner Kreis, Redakteur der Zeitschrift MUT und gilt als anerkannter Extremismusexperte für die Bundeszentrale für Politische Bildung, das Bundesministerium des Innern sowie das Bundesamt für Verfassungsschutz.
Forschungsschwerpunkte
Jesses Forschungsschwerpunkte sind die Demokratieforschung, Extremismus- und Totalitarismusforschung, Wahl- und Parteienforschung, politisches System der Bundesrepublik Deutschland sowie die historischen Grundlagen der Politik.
Extremismus & Demokratie
Gemeinsam mit Professor Dr. Uwe Backes vom Dresdner Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung (HAIT) gibt Jesse seit 1989 das renommierte Jahrbuch Extremismus & Demokratie heraus. Das Jahrbuch Extremismus & Demokratie sowie die Schriftenreihe gleichen Namens sind inzwischen zu Standardwerken für Extremismusforscher avanciert. Zum Wissenschaftlichen Beirat des Jahrbuchs gehören bekannte deutsche Politikwissenschaftler: Prof. Dr. Klaus von Beyme (Universität Heidelberg), Prof. Dr. Karl Dietrich Bracher (Universität Bonn), Prof. Dr. Jürgen W. Falter (Universität Mainz) und Prof. Dr. Peter Graf Kielmansegg (Universität Mannheim).
Nach Angaben der Herausgeber will das Jahrbuch "die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Problemkreis des politischen Extremismus fördern":
- Die Entwicklung in Deutschland steht im Mittelpunkt. Ereignisse und Konstellationen des jeweils vorausgegangenen Jahres sollen dokumentiert und aufgearbeitet, die neu erschienene Literatur umfassend gewürdigt werden.
- Das Jahrbuch will die wissenschaftliche Forschung fördern und zugleich Informationen und Impulse für Praktiker (Politiker, Ministerialbeamte, Sicherheitskräfte, Pädagogen usw.) anbieten. Es versteht sich als Diskussionsforum, Nachschlagewerk und Orientierungshilfe zugleich.
In einer von Uwe Backes und Eckhard Jesse herausgegebenen Schriftenreihe Extremismus & Demokratie im Nomos-Verlag publizierten u.a. Patrick Moreau, Viola Neu, Jürgen P. Lang, Andreas Klump und Christian Menhorn über verschiedene Themen wie beispielsweise Skinheads, Scientology oder die PDS.
Am Fachgebiet Politikwissenschaft der TU Chemnitz betreut Jesse ein von der Hanns-Seidel-Stiftung finanziertes Promotionskolleg "Politischer Extremismus und Parteien".
NPD-Verbotsverfahren
Jesse war Gutachter im gescheiterten NPD-Verbotsverfahren. In der Zeitung Die Welt äußert er sich skeptisch zu einem NPD-Verbot: "Wozu alle Versuche geführt haben, die NPD mundtot zu machen und zu verbieten, haben wir ja in der Vergangenheit gesehen. Sie gibt es immer noch, und sie konnte sogar nach Jahrzehnten in einen deutschen Landtag einziehen." (Die Welt, 25.1.2005)
Kontroverse und Kritik
Jesses Totalitarismus- und Extremismus-Theorie
Professor Eckhard Jesse und sein Kollege Professor Uwe Backes vom Dresdner Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung gelten als besonders profilierte Vertreter der Extremismusforschung sowie der Totalitarismustheorie. Auf beiden Forschungsgebieten sorgen sie mit ihren Thesen für kontroverse Diskussionen und teilweise vehemente Ablehnung. So wird die Renaissance der Totalitarismustheorie nach 1990 von der radikalen Linken hinsichtlich möglicher Relativierungen des Holocaustes und deren Rezeption durch die extreme Rechte kritisch wahrgenommen. Aus dieser Sicht besitze die von Kritikern vielfach als "Totalismusdoktrin" bezeichnete Denkart die Funktion, durch die Gleichsetzung der NS-Dikatur mit der SED-Diktaur, Auschwitz zu relativieren. Außerdem wird die Zusammenarbeit von Uwe Backes und Eckhard Jesse mit Autoren moniert, die als neu-rechts und geschichtsrevisionistisch eingestuft werden.
Jesses Wirken in der Neuen Rechten
Jesse und Backes veröffentlichten 1990 gemeinsam mit dem als Vorreiter der deutschen Neuen Rechten bezeichneten Rainer Zitelmann den Sammelband „Schatten der Vergangenheit“. Jesse fordert in diesem Sammelband in seinem Artikel „Philosemitismus, Antisemitismus und Anti-Antisemitismus“ das Ende der „selbstquälerischen Form der Vergangenheitsbewältigung“. Mit diesen Impulsen zur Historisierung des Nationalsozialismus positioniere er sich - so seine Kritiker - im Sinne eines positiven Nationalismus der Neuen Rechten, dem das Erinnern an Auschwitz im Wege stehe. Wie später Martin Walser, so wird auch Jesse wegen seiner vermeintlichen Forderung nach einem Schlussstrich unter die Aufarbeitung der deutschen NS-Geschichte kritisiert. [1]
Jesses Nähe zu Autoren wie Uwe Backes und Hans-Helmuth Knütter, die von einigen Kritikern der Neuen Rechten zugeordnet werden, förderten die Kritik an dem Extremismusforscher Jesse. Backes, mit dem Jesses seit 1988 das Jahrbuch Extremismus & Demokratie herausgibt, ist seit 1999 stellvertretender Direktor des Dresdner Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung, dem u.a. Saul Friedländer eine Relativierung der NS-Verbrechen vorgeworfen hat. Saul Friedländer und andere verließen das Kuratorium des Instituts, weil sich diese Einrichtung nicht bereit war, sich von einem Aufsatz zu distanzieren, der das Hitler-Attentat Georg Elsers unter ethischen Gesichtspunkten kritisierte. Jesses Kollege am HAIT Lothar Fritze bemerkte, dass „wohl kaum einer von uns bereit wäre, einer Person von der Kompetenz Elsers die Berechtigung zuzusprechen, Gefahren, die sie sieht, auf eine Weise abzuwehren, die uns notfalls in den Tod schickt.“
Hans-Helmuth Knütter, Autor der "Faschismuskeule" und von links als "Protagonist der Anti-Antifa" bezeichnet, galt Ende der 80er/Anfang der 90er als Förderer Jesses. Knütter wird vorgeworfen, nach einer fortschreitenden Rechtsentwicklung die erforderliche Distanz zur extremen Rechten verloren zu haben. Manche Kritiker betrachten Jesses Standpunkt als Totalitarismus-Experte im Lichte seiner früheren Zusammenarbeit mit Knütter. (s. 1 ff)
Jesse wird darüber hinaus seine ständige Mitarbeit als Redakteur der Zeitschrift MUT vorgeworfen.
Kritiker werfen Jesse zudem vor, personell mit exponierten Vertretern der Neuen Rechten zusammengearbeitet zu haben, und Gegner der Erinnerungspolitik an Auschwitz mit seiner Extremismus- und Totalitarismustheorie wissenschaftlich zu munitionieren, womit er zu einem wichtigen Stichwortgeber, Denker und Strategen für geschichtsrevisionistische Gruppen und Personen geworden sei.
Kritik am Jahrbuch
Von "antifaschistischer" und "antirassistischer" Seite wird dem Jahrbuch die Gleichsetzung von Antifaschismus mit Rechtsextremismus vorgehalten.
Die Vorstellung Jesses, auch die Verbote dieser unterschiedlichen politischen Richtungen 1:1 zu behandeln, stößt auf Unverständnis. So stellten Jesse und Backes in einem Interview im Jahrbuch 2004 an den Verfassungsschutz-Präsidenten Heinz Fromm die Frage:
- "In der Bundesrepublik Deutschland werden seit den 1970er Jahren keine inländischen linksextremistischen Vereinigungen mehr verboten, hingegen zahlreiche rechtsextremistische. Worauf führen Sie diesen Umstand zurück? Muss das Prinzip der Verhältnismäßigkeit der Mittel nicht nach der einen wie der anderen Seite gelten?"
Siehe auch
Publikationen
- Uwe Backes, Eckhard Jesse: Vergleichende Extremismusforschung, Baden-Baden 2005, ISBN 3832909974. Dieser Band enthält die grundlegenden Aufsätze von Backes und Jesse zur Extremismusforschung aus den vergangenen Jahren
- Uwe Backes, Eckhard Jesse (Hrsg.): Jahrbuch Extremismus & Demokratie (E & D), diverse Bände seit 1989, aktuelle Ausgabe: 16. Jahrgang 2004, Baden-Baden, ISBN 3832909966.
- Eckhard Jesse (Hrsg.): Totalitarismus im 20. Jahrhundert : eine Bilanz der internationalen Forschung, 2. erw. und aktualisierte Aufl., Baden-Baden 1999. ISBN 3-7890-5954-4.
- Eckhard Jesse, Uwe Backes: Politischer Extremismus in der Bundesrepublik Deutschland, 4. Aufl., Bonn 1996. Standardwerk der Extremismusforschung
- Eckhard Jesse, Uwe Backes und Rainer Zitelmann : Die Schatten der Vergangenheit. Impulse zur Historisierung des Nationalsozialismus, Berlin 1990, Ullstein Verlag.
Weblinks
Zu Professor Dr. Eckhard Jesse
Kritik an Professor Dr. Eckhard Jesse sowie der Totalitarismus- und Extremismustheorie
Personendaten | |
---|---|
NAME | Jesse, Eckhard |
KURZBESCHREIBUNG | LehrstuhlInhaber der Professur für politische Systeme, politische Institutionen der Technischen Universität Chemnitz |
GEBURTSDATUM | 1948 |
GEBURTSORT | bei Leipzig |