Bergkarabach
Bergkarabach
Der aserbaidschanische Name ist Dağlıq Qarabağ. "Qara bağ" ist aserbaidschanisch und bedeutet „Schwarzer Garten". Die Bezeichnung rührt vermutlich daher, dass sich das z.T. wasserreiche Karabach mit seinen dunklen Nadelwäldern von den umliegenden Gebieten landschaftlich abhebt. Im Armenischen heißt es Արցախ' (Arts'ach). International gebräuchlich ist die russische Bezeichnung Нагорный Карабах, die üblicherweise als „Nagorny Karabakh" transkribiert wird.
Geografie
Bergkarabach ist ein Gebiet in Aserbaidschan (bis 26. November 1991 ein Autonomes Gebiet, abgeschafft durch die Sonderentscheidung des aserbaidschanischen Parlaments) mit 146.000 Einwohnern (Stand 1. Januar 2003) und einer Fläche von 4.400 km². Hauptstadt ist Stepanakert (armenischer Name der Stadt) bzw. Xankəndi (aserbaidschanischer Name der Stadt) und ist auch unter der alten Umschrift Chankendi bekannt. Das Klima ist sehr kontinental, d.h. es gibt heiße, meist trockene Sommer und kalte Winter.
Geschichte
Bergkarabach ist eine seit dem Mittelalter mehrheitlich armenisch besiedelte Gebirgsregion und dem christlich-armenischen Kulturkreis zugehörig. In Folge der arabischen Besetzung im 8. Jahrhundert stand Karabach unter der Kontrolle verschiedener vorwiegend islamischer Völker, z.B. Kurden, Araber, Lesgier, Perser und ins Niederkarabach zugewanderten nomadischen Turk–Stämmen. Bis ins 18. Jahrhundert konnten sich lokale armenische Fürstentümer halten, die als Vassalenherrscher der Khanen von Gäncä und Karabach regierten. 1805 unterstellte sich der Khan von Karabach dem Russischen Reich. 1813 trat Persien im Vertrag von Gülistan Karabach und andere Khanate offiziell an Russland ab, wobei Karabach Teil des Gouvernements Elisawetpol wurde. Nach dem Persisch-Russischen Krieg von 1827/28 siedelten viele Armenier aus dem persischen Herrschaftsgebiet nach Bergkarabach über. Die meisten Armenier in Bergkarabach sind deshalb Abkömmlinge dieser Zugewanderten, denn es gab damals weniger Armenier in Bergkarabach als heute. Für das bessere Verständnis des Konflikts ist wichtig, dass die Armenier sich mit dem nach Süden drängenden Russischen Reich verbündeten, weil sie eine christliche Schutzmacht bzw. Oberherrschaft wünschten, was Russland selbstverständlich nur zupass kam, während sich die Muslime von den Russen unterdrückt fühlten. Dieses Moment spielt bis heute eine wichtige Rolle. Die damals etablierten Grenzen sind auch der Grund dafür, dass bis heute der südliche Teil Aserbaidschans im Iran liegt.
Bergkarabach ab 1917
Nach der Oktoberrevolution von 1917 erhoben sowohl Armenien als auch Aserbaidschan Anspruch auf Bergkarabach. Das „Zentralkomitee der Sowjetrussischen Kommunistischen Partei" gliederte es im Juli 1921 als sog. Autonomes Gebiet der Aserbaidschanischen SSR an (offiziell seit 1923). Lange blieb es still um Bergkarabach, bis es in den 60er Jahren erneut zu vereinzelten Unruhen kam. Die Armenier fühlten sich diskriminiert und waren besorgt, weil ihr Anteil an der Bevölkerung in Berg-Karabach langsam aber stetig abnahm (1926: 93,5% 1989: 77%) [1].
Von 1988 bis zum Ende der Sowjetunion
1988 eskalierte der Konflikt. Es gab Schießereien mit mehreren Toten und Massendemonstrationen in Armenien und Aserbaidschan. Am 28. und 29. Februar kam es in der Stadt Sumgait nördlich von der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku zu anti-armenischen Pogromen, bei denen Dutzende Armenier ums Leben kamen. [2] In der Folge kam es zu beidseitigen Ausweisewellen der jeweiligen Minderheit, die zu bewaffneten Auseinandersetzungen führten, die auch Truppen der Roten Armee der schon sehr schwachen Zentralregierung in Moskau nicht zu beenden wussten.
Der Krieg um Bergkarabach von 1992 bis 1994
Es kam zum blutigen Krieg mit dem massiven Einsatz aller Waffengattungen. Anfangs war die Lage vollkommen chaotisch, weil die innenpolitische Situation in Armenien und Aserbaidschan extrem instabil war, außerdem kämpften aus der Roten Armee desertierte Russen, Ukrainer u.a. als Söldner auf beiden Seiten. Aserbaidschan war sowohl in Bezug auf die Anzahl der Soldaten als auch auf die technische Ausrüstung überlegen. Mit der Unterstützung der Streitkräfte Armeniens wurden jedoch die aserbaidschanischen Militäreinheiten hinter die heutige Frontlinie zurückgedrängt, wobei 15,25 % des aserbaidschanischen Territoriums besetzt wurden. Seit dem 12. Mai 1994 ruhen die Waffen. Beide Seiten nahmen im Verlauf des Krieges ethnische Säuberungen vor, die bei weitem schlimmer waren als das Massaker von Sumgait. Es starben schätzungsweise 17.500 Armenier und 25.500 Aserbaidschaner, 700.000-800.000 Aserbaidschaner und 300.000 Armenier wurden zu Flüchtlingen. Zur Zeit bildet die Nagorno-Karabachische Republik, die Bergkarabach und umliegende besetzte aserbaidschanische Bezirke umfasst, ein international nicht anerkanntes Autonomiegebiet, in dem nach Vertreibungen praktisch keine Aserbaidschaner mehr leben. Ein Anschluss an Armenien wird mittelfristig erstrebt, stößt jedoch auf die strikte Ablehnung auf internationaler Seite (ua. Turkstaaten). Auch die Republik Armenien erkennt die Unabhängigkeit von Bergkarabach offiziell nicht an, um die Situation nicht noch weiter zu verschärfen. Sie führt die Friedensverhandlungen mit Aserbaidschan.
Der Konflikt aus juristischer Sicht
Beim Bergkarabach–Konflikt, steht das Recht auf Selbstbestimmung eines Volkes dem Recht auf territoriale Integrität eines Staates gegenüber.
Die armenische Position
Am 31. August 1991 erklärte die Aserbaidschanische SSR ihren Austritt aus der UdSSR gemäß Art. 72 der Verfassung der UdSSR von 1977, der das Recht zum „freien Austritt aus der UdSSR“ garantierte. Ein Regulierungsmechanismus wurde durch das Gesetz der UdSSR vom 3.4.1990 „Über das Verfahren der Entscheidung von Fragen, die mit dem Austritt einer Unionsrepublik verbunden sind“ geschaffen. Dort war ein Schutz für die einer Unionsrepublik Angehörigen Autonomen Gebiete bzw. Autonomen Republiken festgeschrieben: das Recht, sich durch Volksabstimmung gegen den Austritt der UdSSR zu entscheiden und außerdem über ihren Rechtsstatus selbst zu bestimmen. Diese Möglichkeit nahm Bergkarabach am 2.9.1991 wahr und erklärte sich zur Unionsrepublik im Staatsverband der UdSSR, was durch Volksabstimmung am 10.12.1991 bestätigt wurde. Prof. Dr. Otto Luchterhandt, Universität Hamburg: „Als nach dem Untergang der UdSSR (25.12.1991) die Republik Aserbaidschan international anerkannt und in die KSZE/OSZE aufgenommen wurde, gehörte ihr deswegen nach damals geltendem UdSSR-Recht die Republik Bergkarabach schon gar nicht mehr an. Für den Rechtsstatus von Bergkarabach hatte daher die völkerrechtliche Anerkennung Aserbaidschans durch die Staatengemeinschaft unmittelbar keine Bedeutung, da die völkerrechtliche Anerkennung eines Staates sich nur auf den Staat als solchen, als „abstraktes Subjekt“, nicht aber auf seine konkreten Grenzen bezieht." [3].
Die aserbaidschanische Position
Die Abschaffung der Autonomie von Bergkarabach hängt mit der Sonderentscheidung des aserbaidschanischen Parlaments vom 26.11.1991 zusammen [4]. Gemäß dem Artikel 4 des Verfassungsgesetzes über die Unabhängigkeit der Republik Aserbaidschan vom 18.10.1991 [5] blieb die Verfassung der Aserbaidschanischen SSR von 1978 in Kraft. Artikel 70 der Verfassung von 1978 [6] : Das Territorium der Aserbaischanischen SSR darf ohne ihre ausdrückliche Zustimmung nicht geändert werden. Artikel 78: Der Aserbaischanischen SSR gehören die Autonome SS Republik Naxçıvan und das Autonome Gebiet Bergkarabach (AGBK). Wiederum Artilkel 83: AGBK ist ein autonomes Gebiet innerhalb der Aserbaidschanischen SSR. Artikel 114: Nur der Oberste Sowjet der Aserbaidschanischen SSR ist befugt über die Grenzen von AGBK zu entscheiden. Die Entscheidung über die Unabhängigkeit Bergkarabachs wurde von der Versammlung angenommen , deren Legislaturfrist bereits am 30. September 1990 abgelaufen war und wo die Vertreter des Bezirks Schaumjan anwesend waren, der nicht ein Teil des Verwaltungsgebiets von AGBK war und deren Entscheidung von der Versammlung der Volksdeputierten der UdSSR ohne jegliche Reaktion blieb. Offiziell und völkerrechtlich gesehen ist das Gebiet immer noch aserbaidschanisches Territorium. In den gegenwärtigen Grenzen wurde Aserbaidschan im März 1992 in die UNO aufgenommen und wurde als solches auch von Armenien anerkannt. Bis Ende 1991 gab es keine UdSSR mehr, die die hypothetische und höchst zweifelhafte Rechtmäßigkeit der Volksabstimmung in Bergkarabach anerkennen könnte.
Fazit
Es erscheint sehr unwahrscheinlich, dass die beiden Seiten den Krieg erst begannen, nachdem sie sich eine genaue Vorstellung von der völkerrechtlichen Dimension gemacht haben. Vielmehr sind die oben genannten Positionen erst im Nachhinein formuliert worden. Für die internationale Gemeinschaft sind weniger rechtliche Feinheiten entscheidend bei der Abwägung zwischen Selbstbestimmungsrecht und Recht auf territoriale Integrität. Entscheidendes Moment in solchen Konflikten ist vielmehr, welche Konsequenzen eine mögliche Entscheidung hätte. Hierbei spielen die regionalen Interessen Russlands, der Türkei, des Irans und der USA eine wichtige Rolle, die auf den Ölreserven Aserbaidschans beruhen. Die Entscheidung fiel zu Gunsten der territorialen Integrität Aserbaidschans aus. Der Weltsicherheitsrat hat 1993 vier Resolutionen bezüglich der Bergkarabach-Frage verabschiedet, die den Abzug der armenischen Truppen aus den besetzten aserbaidschanischen Bezirken forderten und denen bis heute nicht Genüge getan worden ist [7]. Der Europarat hat die Okkupation von 15,25 % des aserbaidschanischen Staatsgebietes (Bergkarabach und Nachbarbezirke) durch die Republik Armenien zuletzt in einer Resolution vom Januar 2005 als rechtswidrig gerügt [8].
Die weitere politische Entwicklung
1992 hat die Minsker Gruppe der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (seit 1994 OSZE, zwischen 1975-1994 Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa – KSZE) ihre Arbeit aufgenommen, deren wichtigste Aufgabe es ist, einen internationalen Beitrag zur friedlichen Lösung des Bergkarabach-Konfliktes zu leisten. Zu den Mitgliedern dieses Gremiums gehören neben den direkt am Konflikt beteiligten Seiten elf weitere Staaten, darunter auch Russland, die USA, Frankreich, die Türkei, Deutschland, Italien u.a. Seit 1997 wird dieses Gremium von einer dreiköpfigen russisch-amerikanisch-französischen Gruppe von Ko-Vorsitzenden geleitet. Sie unternehmen regelmäßige Reisen in die Krisenregion und unterbreiten den beteiligten Seiten verschiedene Lösungsvorschläge, die vollendete Tatsachen (armenische Kontrolle über Bergkarabach und die sechs umliegenden aserbaidschanischen Bezirke) mit der territorialen Integrität Aserbaidschans zu vereinbaren versuchen. Doch diese Vorschläge und auch die 1994 während der Budapester Gipfelkonferenz der OSZE erzielten scheinbaren Durchbrüche im Konfliktlösungsprozess blieben erfolglos. Der Konflikt erwies sich als destruktiver Faktor so weit reichend, dass die durch ihn verursachten innenpolitischen Krisen in beiden Ländern mehrmals zum Umsturz der amtierenden Regierungs- und Staatschefs führten. Nach dem aserbaidschanischen Präsidenten Eltschibej fiel auch der armenische Präsident Levon Ter-Petrosjan Anfang Februar 1998 dem Berg-Karabachkonflikt „zum Opfer". Seit 1998 sind die Friedensverhandlungen zwischen Aserbaidschan und Armenien auf die Ebene der im unregelmäßigen Turnus stattfindenden Zusammentreffen der aserbaidschanischen und armenischen Präsidenten verlegt worden. In beiden beteiligten Ländern wächst eine durch Krieg oder Flüchtlingselend geprägte Generation heran, die Zivilgesellschaften sind schwach. Eine Bewegung wie „Frieden jetzt!" in Israel scheint in der gegenwärtigen Periode des Hasses reine Utopie zu sein, ganz im Gegenteil versuchen die Oppositionsparteien sich mit besonderem Nationalismus zu profilieren. Ohne Druck von außen wird es in absehbarer Zeit keine Lösung geben. „Die politische, sicherheitspolitische und wirtschaftliche Zukunft Aserbaidschans und Armeniens liegt in der gemeinsamen Mitgliedschaft in der NATO und in der EU. Doch dieses Ziel wird nur zu realisieren sein, wenn zuvor der Nagorny–Karabach–Konflikt politisch am Verhandlungstisch gelöst ist. Armenien wird sich aus Berg–Karabach und den besetzten aserbaidschanischen Gebieten vollständig zurückziehen müssen. Im Gegenzug wird Aserbaidschan Nagorny–Karabach einen autonomen Status zuerkennen müssen, der eine armenische Regierung in Stepanakert akzeptiert. Der Korridor von Nagorny–Karabach nach Armenien muss durch eine UN-Friedenstruppe gesichert werden. Beide Staaten werden Gewinner einer politischen Lösung des Nagorny–Karabach–Konfliktes sein." Vorlage:Lit
Aktuell: Friedensgespräche in entscheidender Phase
Steven Mann, der US-amerikanische Ko-Vorsitzende der Minsk-Gruppe, sagte auf einem offiziellen Empfang der Französischen Botschaft in Jerewan: „Ja, es gibt die Möglichkeit einer Lösung des Konflikts im Laufe dieses Jahres." Er fügte hinzu, dass eine Vereinbarung entweder noch in diesem Jahr oder erst innerhalb der folgenden hundert Jahre erreicht werden würde. Die Verhandlungen sind demzufolge an einem kritischen Punkt angelangt. Bisher scheiterten die Friedensverhandlungen vor allem daran, dass die armenische Seite erst nach einem Friedensvertrag die besetzten Gebiete räumen wollte („Paketlösung" genannt), während Aserbaidschan den Truppenabzug zur Bedingung zur Bedingung für Friedensverhandlungen erhob („Stufenplan"). Jetzt scheint ein Zwischenmodell möglich. In einem ersten Schritt verständigen sich Armenien und Aserbaidschan, wie es der französische Ko–Vorsitzende ausdrückte, auf die „grundlegenden Prinzipien" einer Lösung. Aus diplomatischen Kreisen in Jerewan sickerte durch, dass in zehn bis fünfzehn Jahren in Bergkarabach ein Referendum stattfinden solle, indem die Bevölkerung über den Verbleib bei Aserbaidschan, die Unabhängigkeit oder den Anschluss an Armenien abstimmen würde. Im Gegenzug würden die armenischen Truppen nach Unterzeichnung so eines Abkommens fünf oder sechs der sieben besetzten aserbaidschanischen Bezirke um Bergkarabach räumen. Gleichzeitig sollten in der Region Friedenstruppen aus Ländern stationiert werden, die nicht der Minsk-Gruppe angehören – so würde indirekt die Präsenz russischer oder türkischer Truppen ausgeschlossen. Sollten sich die Bewohner von Bergkarabach schließlich in einem Referendum für die Autonomie oder den Anschluss an Armenien entscheiden, sollte wohl auch ein internationalisierter, von Friedenstruppen bewachter Korridor zwischen Armenien und Bergkarabach eingerichtet werden. Der Teufel steckt dabei im Detail. Wer genau darf am Referendum teilnehmen? Und was wird im Falle einer Vereinigung mit Armenien mit der aserbaidschanischen Minderheit in Bergkarabach und der armenischen Minderheit im Distrikt Schaumjan geschehen, der zur Zeit von armenischen Truppen kontrolliert wird? Wäre der Kompromiss für die Regierungen innenpolitisch durchsetzbar? Das Zeitfenster für eine Lösung ist jedenfalls begrenzt. Am 27. August treffen sich die Präsidenten Kotscharjan und Alijew in Kasan. Bis dahin muss es zumindest grundlegende Einigkeit geben, ansonsten bleibt für viele Jahre wohl nur das Prinzip Hoffnung. (Quelle für Zitate und inoffizielle Verlautbarungen: www.armenialiberty.org)
Literatur
Prof. Johannes Rau: Der Nagorny-Karabach-Konfklikt (1988-2002) Verlag Dr. Köster, Berlin 2003 ISBN 3-89574-510-3