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Studentenverbindungen in der DDR

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DDR-Studentenverbindungen waren Studentenverbindungen, die während der Zeit der DDR an den Universitäten der DDR, zum Beispiel in Jena, Leipzig, Erfurt, Tharandt, Dresden, Freiberg, Magdeburg und Greifswald, gegründet worden sind.

Während unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs die traditionellen Studentenverbindungen als Hort der bürgerlichen Gesellschaftsschicht und damit des Klassenfeindes galten und verboten, bzw. in den Westen abgedrängt wurden, erkannte die SED-Führung spätestens in den 1980er Jahren zumindest in der Geschichte der politisch aktiven und revolutionären Burschenschaften gewisse „progressive Traditionslinien“, die von den „reaktionären Traditionslinien“ losgelöst und gesondert bewahrt werden könnten.

Diese ideologische Rückendeckung ermöglichte es einer Gruppe von wenigen neugegründeten Verbindung bis zur Wende in der DDR zu überleben. Heute sind die meisten dieser Verbindungen in der Rudelsburger Allianz zusammengeschlossen

Sowjetische Besatzungszone

Die Studentenverbindungen stellten für die sowjetischen Besatzer und die deutsche kommunistische Führungsschicht der Nachkriegszeit - genauso wie zuvor schon für die Nationalsozialisten - eine „ewiggestrige“, konservative Gruppierung dar, die reaktionäre Ziele verfolgte und mit der keine Revolution zu machen sei. Deshalb hatten bereits die Nationalsozialisten alle Studentenverbindungen verboten und ihre Mitglieder in Kameradschaften innerhalb des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes eingegliedert. Dabei gelangen aber an einigen Orten, zum Beispiel in Leipzig, heimliche und im Rahmen der Kameradschaft getarnte Wiedergründungen, so dass gegen Kriegsende durchaus an einigen Orten verbindungsstudentische Strukturen an den Universitäten bestanden.

Doch schon bald, nachdem die sowjetische Verwaltung ihre Arbeit aufgenommen hatte, war ersichtlich, dass eine Existenz auf dem Boden der sowjetischen Besatzungszone nicht möglich sein werde. Die hier ansässigen Verbindungen versuchten, möglichst viel an Material und historischen Erinnerungsstücken in den Westen zu schaffen und an einer Universität in der neu entstehenden Bundesrepublik eine neue Existenz aufzubauen. Die Berliner Verbindungen verlegten sich an die neugegründete Freie Universität Berlin oder an die Technische Universität Berlin im Westen der Stadt.

Die bereits im Berufsleben stehenden Mitglieder („Alte Herren“), die nicht in den Westen gingen, verhielten sich bedeckt und zeigten ihre Sympathie für das traditionelle Studentenwesen nicht in der Öffentlichkeit. Die im Westen wiedergegründeten Verbindungen hielten mit den „Alten Herren“ in der DDR nur auf sehr diskrete Weise Kontakt. So verschwand die verbindungsstudentische Kultur auf dem Gebiet der DDR innerhalb weniger Jahre völlig aus dem Bewusstsein der Bevölkerung.

DDR: Abkehr von der bürgerlichen Tradition

Interessanterweise sind bereits in der Frühphase der DDR ehemalige Verbindungsstudenten in der Führungselite des neuen Staates vertreten.

So war Heinrich Homann, von 1972 bis 1989 Vorsitzender der NDPD, in den Jahren 1960 bis 1989 stellvertretender Vorsitzender des Staatsrates, Mitglied beim Corps Thuringia Jena und beim Corps Brunsviga Göttingen.

Reinhold Lobedanz, Präsident der Länderkammer der DDR, war Mitglied beim Corps Lusatia Leipzig.

Sogar über Karl-Eduard von Schnitzler, Chefkommentator des DDR-Fernsehens und Moderator der Fernsehsendung „Der schwarze Kanal“, gibt es das – allerdings unbestätigte - Gerücht, er sei in den 1930er Jahren in Freiburg im Breisgau Mitglied einer schlagenden Verbindung gewesen.

Dies wurde in der DDR natürlich nicht thematisiert.

Bei den Studenten im Westen war der Bezug zu den östlichen Landesteilen nicht abgebrochen. Besonders enge Beziehungen bestanden bei den „Flüchtlings“-Verbindungen, den Verbindungen in Berlin oder bei den Verbindungen an den Universitäten in Grenznähe, wie Göttingen. So ist von Verbindungsstudenten aus Berlin bekannt, dass sie Fluchthilfe-Aktionen und Tunnelgrabungen unter der Mauer durchführten. Teilweise wurden Freunde und Verwandte mit Medikamenten und Lebensmitteln versorgt. Ein Corpsstudent wurde vor ein westdeutsches Gericht gestellt, weil er nach einer geplatzten Fluchthilfe-Aktion einen DDR-Grenzer bei einem Feuergefecht erschossen haben soll. Göttinger Verbindungsstudenten leisteten über Jahrzehnte ehrenamtliche Hilfe im wenige Kilometer entfernten Grenzdurchgangslager Friedland.

An den Universitäten in der DDR und in der jüngeren Bevölkerung verschwand das Wissen über die verbindungsstudentischen Traditionen gründlich. Nach der offiziellen Doktrin der SED-Führung war die DDR jetzt ein „Arbeiter- und Bauernstaat“ und die Universitäten standen endlich den Kindern der werktätigen Bevölkerung offen. Dies wurde als Sieg über das reiche Bürgertum gefeiert, wobei das Verbindungsstudententum als Symbol dieser verhassten Gesellschaftsschicht galt.

Deutlich wurde diese Haltung anhand einer „Kantate“, die auf Geheiß von Walter Ulbricht, dem SED-Generalsekretär und Staatsratsvorsitzenden der DDR, am 19. Oktober 1959 anlässlich des 550jährigen Bestehens der Universität Leipzig vorgetragen wurde:

Wo gestern nur Söhne der Reichen gesessen,
Wo gestern blasierte, zerschnittene Fressen
Vom Dunst des letzten Kneipens umweht,
Saß lernend der Bauer, da saß der Prolet.
Die Köchin begann jetzt, den Staat zu regieren
Und schickte den Sohn und die Tochter studieren,
So, wie es Wladimir Iljitsch geheißen:
Die Macht und die Bildung an sich zu reißen.
Es siegte bei dieser letzten Mensur
Die proletarische Diktatur.

Erneute Hinwendung zur studentischen Tradition

Doch bereits in den frühen 60er Jahren gab es erste zaghafte Versuche von Studenten in der DDR, etwas über die Traditionen zu erfahren. Hauptsächliches Interesse galt am Anfang dem alten studentischen Liedgut. Literatur stand nicht zur Verfügung und musste heimlich von privaten Dachböden zusammengesammelt werden. So kam auch mancher Couleurgegenstand ans Tageslicht, mit dem die Studenten der damaligen Zeit noch nicht viel anfangen konnten. Die wenigen alten Kommersbücher wurden dazu teilweise per Hand abgeschrieben. Kontakte zu bestehenden Verbindungen in der Bundesrepublik bestanden nicht und wurden offensichtlich zu der Zeit auch nicht gesucht.

Besonders in den Evangelischen und Katholischen Studenten-Gemeinden (ESG/KSG), wo altes, nicht-sozialistisches Liedgut gepflegt werden konnte, wurden zunehmend traditionelle studentische Lieder gesungen. Teilweise wurde auch versucht, die Lieder in öffentliche Veranstaltungen hineinzutragen, was aber schwierig blieb und nicht von allen Seiten gutgeheißen wurde.

Auch wurde die etwaige Entwicklung von eigenständigen studentischen Traditionen wirksam verhindert, da die sozialistische Jugend in der Freien Deutschen Jugend (FDJ) organisiert und damit von Partei und Staat kontrolliert sein sollte. Der Aufbau selbstverwalteter studentischer Strukturen stand dem Führungsanspruch der Partei im Wege.

Zeitzeugen berichten, dass interessierte Studenten begannen, durch verschlüsselte Zeitungsanzeigen alte Couleurgegenstände zusammenzusuchen. Auch an der Leihgarderobe des Leipziger Theaters kam eine Studentenmütze zum Vorschein, die von Näherinnen einen örtlichen Textilfabrik gegen Spenden von Westkaffee in größerer Zahl kopiert wurde.

Das Erscheinungsbild der Studenten während der heimlichen Zusammenkünfte glich zu der Zeit auch wohl mehr einem Verkleiden in historischen Kostümen und einem Nachspielen der Traditionen, zumal das Couleur noch wie auf den Dachböden gefunden kunterbunt gemischt getragen beziehungsweise laienhaft zusammengenäht wurde.

Neben dem Singen der alten Lieder wurden auch bald die alten Bräuche beim Trinken und Feiern nachgeahmt, soweit das auf dem Kenntnisstand der damaligen Zeit möglich war. Die ersten Kommerse in Couleur fanden dann auch auf den Studentenbuden oder in abgelegenen Waldhütten statt. An ein Auftreten in öffentlichen Lokalen war noch nicht zu denken.

Während es in den 60er und 70er Jahren bei einer allgemeinen Pflege studentischer Traditionen bleib, wurden zu Beginn der 80er Jahre die ersten Verbindungen mit traditionellen Namen und unter zunehmender Verwendung traditioneller Identitätssymbole gegründet, alles natürlich heimlich. Ein Rückgriff auf früher an den betreffenden Hochschulorten beheimateten Verbindungen wurde nicht gemacht, die Informationen über die früheren Verhältnisse standen nur bruchstückhaft zur Verfügung. Auch bestanden in der ersten Hälfte der 80er Jahre noch keine Kontakte zu den „Flüchtlings“-Verbindungen oder deren Dachverbände im Westen. Auch hatten offensichtlich nie Kontakte zu den in der DDR lebenden Alten Herren früher dort ansässiger Verbindungen bestanden, die die Tradition hätten vermitteln können.

Schon bald bildeten sich aber Organisationsformen:

  • Am 29. Mai 1986 fand ein erstes offizielles Zusammentreffen von Vertretern verschiedener Verbindungen aus Dresden, Erfurt, Freiberg, Halle, Jena, Leipzig und Magdeburg in Schmiedeberg im Gasthaus "Zur Schmiede" statt.
  • Am 20. Juni 1987 richtete die Verbindung (später K.D.St.V.) Salana Jenensis den ersten „Allianzkommers“ der DDR-Studentenverbindungen auf der Rudelsburg aus. Bei dieser Veranstaltung waren nur 19 Teilnehmer anwesend, die teilweise mit Flößen und in Zinkbadewannen auf der Saale angereist waren. Der zweite Kommers fand im Jahre 1988 in Saaleck statt, da die Gaststätte auf der Rudelsburg geschlossen hatte. Am dritten Kommers im Jahre 1989 nahmen bereits über 100 Personen aus Ost und West teil. Medienberichte in der bundesdeutschen Presse erweckten das Interesse der Staatssicherheit.
  • Im Januar 1988 wurde seitens der SED-Führung der Kulturbund-Freundeskreises "Studentische Kulturgeschichte" gegründet, der bis Mai 1989 bestand. Damit sollte sichergestellt werden, dass die neuen Tendenzen unter der Oberhoheit der staatlichen Stellen blieben. Die Entstehung einer Selbstverwaltung - wie bei Studentenverbindungen seit jeher Grundprinzip - sollte verhindert oder rückgängig gemacht werden.
  • Am 10. Februar 1990 wurde dann von den Verbindungen, die sich regelmäßig auf der Rudelsburg getroffen hatten, die Rudelsburger Allianz gegründet. Die Allianzfarbe ist „weiß“ als „Summe aller Farben“, Wahlspruch „In varietate unitas!“ (deutsch: „Einheit in Vielfalt!“). Mitglieder können nur die Verbindungen werden, die vor dem 9. November 1989 eine Tradition in der DDR besitzen – „unabhängig von weltanschaulicher, politischer oder sonstiger Ausrichtung der einzelnen Verbindungen und ihrer Mitglieder und unabhängig von ihrer Zugehörigkeit zu den verschiedenen Dachverbänden“. Seitdem veranstaltet die Rudelsburger Allianz am ersten Samstag nach Pfingsten ihren Allianzkommers auf der Rudelsburg.

Wiedervereinigung

Nach der Wiedervereinigung im Oktober 1990 änderte sich die Situation für die DDR-Verbindungen. Bereits im Frühjahr und Sommer 1990 hatten die ersten Verbindungen, die ursprünglich auf dem Gebiet der DDR gegründet und in der Nachkriegszeit in den Westen gegangen waren, ihren Sitz wieder in die alte Heimat verlegt. Diese Verbindungen hatten meist über Jahrzehnte im Westen existiert und eine vergleichsweise zahlungskräftige Altherrenschaft. Praktisch alle hatten im Westen ein eigenes Korporationshaus besessen, das jetzt zugunsten des Ankaufs einer neuen Immobilie im Osten verkauft wurde. Für den potenziellen Nachwuchs war eine derartig ausgestattete Verbindung oft attraktiver als eine finanzschwache Neugründung. Es entstand eine neue Verbindungsszene, die DDR-Verbindungen waren keine Vorreiter und Exoten mehr.

Die einzelnen Verbindungen reagierten unterschiedlich. Einige schlossen sich studentischen Dachverbänden aus dem Westen an, was aber nicht immer funktionierte. Einige versuchten, ihren Weg wie zu DDR-Zeiten weiter alleine zu gehen. Andere nahmen ein Angebot aus dem Westen an, als Aktive die Tradition einer Verbindung weiter zu pflegen, die aus dem Westen in den Osten verlegen wollte. Alle in der DDR gegründeten Verbindungen können heute Mitglied in der Rudelsburger Allianz werden, ganz gleich, für welche Lösung sie sich entschieden haben. Aber nicht alle haben dieses Angebot angenommen. Einige haben mittlerweile ihren Aktivenbetrieb eingestellt und existieren nur noch als Altherrenverband.

Siehe auch

Studentenverbindung, Geschichte der Studentenverbindungen, Liste verbindungsstudentischer Begriffe, Rudelsburger Allianz

Literatur

  • Gaudeamus igitur. Laßt uns fröhlich sein. Historische Studentenlieder, zusammengestellt, bearbeitet und kommentiert von Günter Steiger und Hans-Joachim Ludwig, 1. Auflage Leipzig 1986, 3. Auflage Leipzig 1989 [1]
  • Ein Deutschland ist, soll sein und bleiben. Festgabe der Friedrich-Schiller-Universität Jena zur 135. Wiederkehr des Wartburgfestes deutscher Studenten. 18./19. Oktober 1917 bis 18./19. Oktober 1952. Verfaßt und zusammengestellt von einem Kollektiv von Studenten und Aspiranten der Fachrichtungen Geschichte, Pädagogik und Germanistik, Jena 1952.
  • FDJ-Studentenliederbuch. Herausgegeben vom Zentralrat der Freien Deutschen Jugend über Verlag Junge Welt. Berlin 1987
  • Günter Steiger, Aufbruch - Urburschenschaft und Wartburgfest, Urania-Verlag, Leipzig 1967

Die Rudelsburger Allianz