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Petrus Hispanus

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Petrus Hispanus ist ein bedeutender Logiker des 13. Jahrhunderts. Er verfasste um 1240 zwölf Traktate, die unter dem Namen „Summulae logicales“ tradiert wurden. Sie stellen die populärste mittelalterliche Einführung in die Logik dar und wurden bis ins 17. Jahrhundert gelesen.

Autorschaft

Oft wird der Logiker Petrus Hispanus mit dem portugiesischen Mediziner Petrus Hispanus (1205-1277) identifiziert, der in seinem letzten Lebensjahr zum Papst Johannes XXI. ernannt wurde. Diese Identifizierung ist aber nicht gesichert und umstritten, da auch ein Dominikaner namens Petrus Hispanus als möglicher Autor der Summulae logicales diskutiert wird.[1][2]

Bedeutung

Schon von Dante wird Petrus Hispanus in der Göttlichen Komödie unter den Weisheitslehrern im Sonnenhimmel des Paradiso (XII, 134-135) gerühmt als Pietro Ispano lo qual già luce in dodici libelli (Petrus Hispanus, dessen Licht auch schon in den zwölf Büchern leuchtet).[3] Seine Summulae logicales wurde immer wieder neu aufgelegt und kommentiert und waren bis ins 17. Jahrhundert an Universitäten verbreitet. Sie enthalten unter anderem eine frühe Version der Kurzdarstellung der aristotelischen Syllogistik. Diese deckt sich weitgehend mit derjenigen von William of Sherwood. Die Datierung der Logik-Schriften beider Logiker wird unterschiedlich eingeschätzt, so dass deren Priorität nicht eindeutig ermittelt werden kann. Wegen der nachweislichen Unabhängigkeit beider Logiker hat ihre einprägsame Darstellung für den scholastischen Unterricht wahrscheinlich einen unbekannten Vorläufer. Sie erreichte aber über Petrus Hispanus erst Popularität. Seine Darstellungsmethode wird bis heute zur Aristoteles-Interpretation herangezogen und ist daher bedeutungsvoll.

mnemotechnische Syllogistik

Die Summulae logicales des Petrus Hispanus referieren im ersten Teil die aristotelische Logik und ergänzen im Tractatus IV eine Mnemotechnik zur Syllogistik der ersten Analytik des Aristoteles. Sie findet sich auch in Kapitel III der Introductiones in logicam von William of Sherwood. Beide Scholastiker übersetzten die aristotelischen Sätze in eine verständliche Sprache und kürzten sie symbolisch ab. Ihre Übersetzung kann rückgängig gemacht werden und tastet den logischen Gehalt der originalen Syllogistik nicht an. Daher besteht der logische Fortschritt der scholastischen Darstellung nur in der Symbolisierung mit ihrem mnemotechnischen Zweck. Letzter konzentriert sich in einem Merkgedicht, das die 19 aristotelischen Syllogismen aufzählt und mit Namen benennt:[4][5]

Barbara celarent darii ferio baralipton.
Celantes dabitis fapesmo frisesomorum.
Cesare camestres festino baroco darapti.
Felapton disamis datisi bocardo ferison.

Codierung der Prädikate und Syllogismen

Die Scholastiker ersetzten die schwer verständlichen Prädikate, die Aristoteles in seinen Analytiken gebrauchte, durch die unmittelbar verständlichen Prädikate, die Aristoteles in früheren logischen Schriften gebrauchte, und kürzten sie durch folgende Vokalsymbole ab:

Vokalsymbol[4][5] verbales Prädikat[6] deutsche Übersetzung Prädikat der Analytiken[7] Prädikat in moderner Abkürzung
a omnis A est B Jedes A ist ein B B kommt jedem A zu AaB
e nullus A est B Kein A ist ein B B kommt keinem A zu AeB
i quidam A est B Irgendein A ist ein B B kommt irgendeinem A zu AiB
o quidam A non est B Irgendein A ist kein B B kommt irgendeinem A nicht zu AoB

Die scholastische Merknamen nennen in ihren ersten drei Vokalen jeweils die vorkommenden Prädikate der Reihe nach. Folgende Tabelle hebt die bedeutungstragenen Vokale fettgedruckt hervor und gibt die Übertragung in Syllogismen mit zwei Prämissen und einer Konklusion an. Diese Syllogismen werden dabei notiert mit dem Regelpfeil → mit Bedeutung „also“. Die Zuordnung der Syllogismen zu den drei Figuren des Aristoteles setzt das Merkgedicht voraus:

Figur Merkname Syllogismus Beispiel des Petrus Hispanus[8]
1. Figur[9] barbara BaA, CaB → CaA Jedes Lebewesen ist ein Wesen, jeder Mensch ist ein Lebewesen, also: Jeder Mensch ist ein Wesen.
celarent BeA, CaB → CeA Kein Lebewesen ist ein Stein, jeder Mensch ist ein Lebewesen, also: Kein Mensch ist ein Stein.
darii BaA, CiB → CiA Jedes Lebewesen ist ein Wesen, irgendein Mensch ist ein Lebewesen, also: Irgendein Mensch ist ein Wesen.
ferio BeA, CiB → CoA Kein Lebewesen ist ein Stein, irgendein Mensch ist ein Lebewesen, also: Irgendein Mensch ist kein Stein.
1. Figur-Variante[10] baralipton BaA, CaB → AiC Jedes Lebewesen ist ein Wesen, jeder Mensch ist ein Lebewesen, also: Irgendein Wesen ist ein Mensch.
celantes BeA, CaB → AeC Kein Lebewesen ist ein Stein, jeder Mensch ist ein Lebewesen, also: Kein Stein ist ein Mensch.
dabitis BaA, CiB → AiC Jedes Lebewesen ist ein Wesen, irgendein Mensch ist ein Lebewesen, also: Irgendein Wesen ist ein Mensch.
fapesmo BaA, CeB → AoC Jedes Lebewesen ist ein Wesen, kein Stein ist ein Lebewesen, also: Irgendein Wesen ist kein Stein.
frisesomorum BiA, CeB → AoC Irgendein Lebewesen ist ein Wesen, kein Stein ist ein Lebewesen, also: Irgendein Wesen ist kein Stein.
2. Figur[11] cesare NeM, XaM → XeN Kein Stein ist ein Lebewesen, jeder Mensch ist ein Lebewesen, also: Kein Mensch ist ein Stein.
camestres NaM, XeM → XeN Jeder Mensch ist ein Lebewesen, kein Stein ist ein Lebewesen, also: Kein Stein ist ein Mensch.
festino NeM, XiM → XoN Kein Stein ist ein Lebewesen, irgendein Mensch ist ein Lebewesen, also: Irgendein Mensch ist kein Stein.
baroco NaM, XoM → XoN Jeder Mensch ist ein Lebewesen, irgendein Stein ist kein Lebewesen, also: Irgendein Stein ist kein Mensch.
3. Figur[12] darapti SaP, SaR → RiP Jeder Mensch ist ein Wesen, jeder Mensch ist ein Lebewesen, also: Irgendein Lebewesen ist ein Wesen.
felapton SeP, SaR → RoP Kein Mensch ist ein Stein, jeder Mensch ist ein Lebewesen, also: Irgendein Lebewesen ist kein Stein.
disamis SiP, SaR → RiP Irgendein Mensch ist ein Wesen, jeder Mensch ist ein Lebewesen, also: Irgendein Lebewesen ist ein Wesen.
datisi SaP, SiR → RiP Jeder Mensch ist ein Wesen, irgendein Mensch ist ein Lebewesen, also: Irgendein Lebewesen ist ein Wesen.
bocardo SoP, SaR → RoP Irgendein Mensch ist kein Stein, jeder Mensch ist ein Lebewesen, also: Irgendein Lebewesen ist kein Stein.
ferison SeP, SiR → RoP Kein Mensch ist ein Stein, irgendein Mensch ist ein Lebewesen, also: Irgendein Lebewesen ist kein Stein.

Codierung der Regeln und Beweise

Die Konsonanten der scholastischen Merknamen geben zusätzlich die Beweismittel an, die Aristoteles in seinen Beweisen einsetzte. Eine lückenlose Erklärung der Konsonanten gab nur Petrus Hispanus. Er codierte damit das aristotelische Regelsystem der Syllogistik, das folgende Tabelle fasst:[4]

Konsonant-Symbol Argument aristotelische Regel
b am Anfang barbara BaA, CaB → CaA
c am Anfang celarent BeA, CaB → CeA
d am Anfang darii BaA, CiB → CiA
f am Anfang ferio BeA, CiB → CoA
s Konversion AeB → BeA oder AiB → BiA
p subalterne Konversion AaB → BiA
m Prämissentausch A, B → B, A
c in der Mitte indirekter Beweis A → B wird bewiesen, indem aus A und nicht-B ein Widerspruch abgeleitet wird
unbezeichnet kontradiktorisch AaB=nicht(AoB) und AeB=nicht(AiB), stillschweigend angewandt

Die scholastischen Merknamen erfassen die Syllogismen samt Beweis mit Ausnahme der Beweise von darii und ferio (1. Figur), die Aristoteles später nachreichte, um sein Axiomensystem zu reduzieren. Folgende Tabelle hebt die bedeutungstragenen Konsonanten der Merknamen fettgedruckt hervor und überträgt die Codierung in die Beweise des Aristoteles. Diese werden in der scholatischen Symbolisierung übersichtlich und präzise nachvollziehbar:

Figur Merkname aristotelischer Beweis des Syllogismus
1. Figur-Variante[10] baralipton BaA, CaB barbara CaA subalterne Konversion AiC
celantes BeA, CaB celarent CeA Konversion AeC
dabitis BaA, CiB darii CiA Konversion AiC
fapesmo BaA, CeB subalterne Konversion Konversion AiB, BeC Prämissentausch BeC, AiB ferio AoC
frisesomorum BiA, CeB zweimal Konversion AiB, BeC Prämissentausch BeC, AiB ferio AoC
2. Figur[11] cesare NeM, XaM Konversion MeN, XaM celarent XeN
camestres NaM, XeM Prämissentausch XeM, NaM Konversion MeX, NaM celarent NeX Konversion XeN
festino NeM, XiM Konversion MeN, XiM ferio XoN
baroco indirekt mit XaN-Annahme NaM, XaN, XoM barbara XaM, XoM Widerspruch
3. Figur[12] darapti SaP, SaR subalterne Konversion SaP, RiS darii RiP
felapton SeP, SaR subalterne Konversion SeP, RiS ferio RoP
disamis SiP, SaR Konversion PiS, SaR Prämissentausch SaR, PiS darii PiR Konversion RiP
datisi SaP, SiR Konversion SaP, RiS darii RiP
bocardo indirekt mit RaP-Annahme SoP, RaP, SaR barbara SoP, SaP Widerspruch
ferison SeP, SiR Konversion SeP, RiS ferio RoP
mnemotechnisch nicht berücksichtige aristotelische Beweise
1. Figur[13] darii indirekt mit CeA-Annahme BaA, CeA, CiB camestres CeB, CiB Widerspruch
ferio indirekt mit CaA-Annahme BeA, CaA, CiB cesare CeB, CiB Widerspruch

Merknamen-Varianten

Der scholastische Merkvers kursiert heute in verschieden Varianten. Der Kernbestand blieb unverändert und umfasst die Syllogismen der 1., 2. und 3. Figur. Die Variante der 1. Figur wurde später durch eine 4. Figur ersetzt, die nur die beiden Prämissen vertauscht. Dadurch wurde aber eine Änderung der Merknamen nötig, und zwar wurden baralipton, celantes, dabitis, fapesmo und frisesomorum umgewandelt in folgende Merknamen, die den Code für die Regeln benutzen und den Beweis des modifizierten Syllogismus genau angeben:

Bamalip, Calemes, Dimatis, Fesapo, Fresison.

Manchmal wird die Liste der 19 aristotelischen Syllogismen vervollständigt auf alle 24 möglichen Syllogismen. Dazu werden fünf Merknamen ergänzt, nämlich die bei Aristoteles fehlenden Abschwächungen der Syllogismen barbara, celarent, camestres, cesare, calemes durch eine Konversion ihrer Konklusion, deren Konsontant-Code aber nicht immer im Namen erscheint (fehlendes s oder p am Schluss):

Barbari, Celaront, Camestrop, Cesaro, Calemop.

Diese modifizierten und ergänzten Merknamen finden sich auch im Syllogistik-Artikel.

Porphyrianischer Baum

Petrus Hispanus prägte im Tractatus II, Kapitel 11 der Summulae logicales den Begriff des Porphyrianischen Baums als Name für den Baum, mit dem Boëthius das auf den Kategorien des Aristoteles beruhende Klassifikationsystem des Porphyrios visualisierte.[14]

Werke

  • Petrus Hispanus: Tractatus = Summulae logicales, ed. L. M. De Rijk, Assen, 1972.
Deutsche Übersetzung: Petrus Hispanus: Logische Abhandlungen. Aus dem Lateinischen von W. Degen und B. Bapst, München 2006, ISBN 3-88405-005-2

Einzelnachweise

  1. Die Zuschreibung zum Dominikaner Petrus Hispanus vertritt: Ángel d'Ors: Petrus Hispanus O. P., Auctor Summularum (I), in: Vivarium 35,1 (1997), S. 21-71. Ángel d'Ors: Petrus Hispanus O.P., Auctor Summularum (II): Further documents and problems, in: Vivarium 39,2 (2001), S. 209-254. Ángel d'Ors: Petrus Hispanus O.P., Auctor Summularum (III). "Petrus Alfonsi" or "Petrus Ferrandi"?, in: Vivarium 41,2 (2004), S. 249-303. Der erste dieser Beiträge erschien unter dem gleichen Titel auch in spanischer Übersetzung in Dicenda 19 (2001), S. 243-291, und ist in dieser Fassung als Online-Version verfügbar.
  2. Die alte Zuschreibung zu Papst Johannes XXI. vertreten: W. Degen und B Bapst: Logische Abhandlungen, München 2006, Vorwort.
  3. Ángel d'Ors: Petrus Hispanus O. P., Auctor Summularum (I), in: Vivarium 35,1 (1997), S. 21
  4. a b c Petrus Hispanus, Summulae logicales, Tractatus IV 13
  5. a b William of Sherwood: Einführung in die Logik III, Edition Hamburg 1995, S. 76
  6. lateinische Übersetzungen der Prädikate aus: Aristoteles: Topik II 1, 108b35ff, Aristoteles: De interpretatione 7, 17b17-212
  7. Übersetzung der Prädikate aus: Aristoteles: Erste Analytik A1, 24a18f
  8. Petrus Hispanus, Summulae logicales, Tractatus IV
  9. Aristoteles: Erste Analytik A4 25b37b-26a2, 26a23-28, vollkommene Syllogismen (Axiome)
  10. a b Aristoteles: Erste Analytik A7 29a24-27, nachgereichte Beweise der modifizierten ersten Figur, explizit aufgeführte Syllogismen erst bei: Theophrast, Logikfragmente, ed. A .Graeser: Die logischen Fragmente des Theophrast, Berlin, New York, 1973, Fragmentgruppe F17
  11. a b Aristoteles: Erste Analytik A5 27a5-39
  12. a b Aristoteles: Erste Analytik A6 28a17-35
  13. Aristoteles: Erste Analytik A7, 29b9-14
  14. Boethius, In Porphyrium commentariorum III, in Migne, Patrologia Latina 64, 103