Taylorismus

Als Taylorismus bezeichnet man das von dem US-Amerikaner Frederick Winslow Taylor (1856–1915) begründete Prinzip einer Prozesssteuerung von Arbeitsabläufen, für das sich der Begriff Scientific Management durchsetzte. Der Begriff Taylorismus wird synonym, jedoch in vorwiegend kritischem Kontext verwendet. Meist ist dabei nicht das originäre Konzept des Scientific Management gemeint, sondern seine Umsetzung und Wirkung[1].
Taylorismus
Gleichzeitig mit der Popularität des Scientific Management entstand auch die Bezeichnung Taylorismus. Beide Begriffe wurden zunächst sowohl von Anhängern als auch Kritikern benutzt. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts wird Taylorismus jedoch fast nur noch in kritischem Zusammenhang verwendet. Dabei richtet sich die Kritik vor allem auf folgende Aspekte[2]:
- Detaillierte Vorgabe der Arbeitsmethode „one best way“,
- exakte Fixierung des Leistungsortes und des Leistungszeitpunktes,
- extrem detaillierte und zerlegte Arbeitsaufgaben,
- Einwegkommunikation mit festgelegten und engen Inhalten,
- detaillierte Zielvorgaben bei für den Einzelnen nicht erkennbarem Zusammenhang zum Unternehmungsziel sowie
- externe (Qualitäts-)Kontrolle.
Anfängliche Reaktionen
Wegen der damit verbundenen Entgelterhöhungen wurde das „Taylor-System“ anfangs von den Arbeitern durchaus oft positiv aufgenommen. Der erste Widerstand, der sich regte, ging nicht gegen den Einsatz der Stoppuhr zur Bemessung von Vorgangszeiten und gegen die als inhuman bezeichneten Arbeitsbedingungen, womit aber im Wesentlichen die entstehende Monotonie des Arbeitstages und das im Taylorismus vorherrschende mechanistische Menschenbild adressiert war, sondern kam aus dem Management, das durch das Arbeitsbüro (Arbeitsvorbereitung) seine Entmachtung fürchtete.
In den USA kam es zuerst in den staatlichen Waffenfabriken zu einzelnen Streiks gegen den Einsatz des Systems. Es wurden Eingaben bei beiden Häusern des Parlaments eingereicht und Taylor musste Scientific Management vor einem Ausschuss rechtfertigen. Die Anhörungen führten schließlich - neben einem Abschlussbericht - zu einer weitergehenden Untersuchung durch eine wissenschaftlichen Kommission, deren Ergebnisse im so genannten Hoxie-Bericht (nach dem Leiter der Kommission, Robert Hoxie) publiziert wurden[3].
Der Hoxie-Bericht lobte zwar das Konzept an sich, kritisierte jedoch vehement die Methoden[4]:
- Die Ergebnisse der Zeitstudien seien von Einflussgrößen abhängig, welche nicht hinreichend kontrolliert würden.
- Das System entmachte den Arbeiter und mache ihn in bedenklichem Umfang disponibel.
- Die Methoden zur Ermüdungsmessung seien zu grob und oberflächlich.
- Das System vereinzle den Arbeiter, zerstöre die Solidarität und sei damit demokratiefeindlich.
In der Folge wurden der Einsatz von Stoppuhr und Prämienlohn für staatliche Fabriken in den USA 1916 verboten und blieben es bis 1949.
Ein unnützes Unterfangen, wie man bei Gegnern und Befürwortern fand, da es sich dabei um die Verbannung einzelner Methoden handelte, die das System selbst, als Paradigma einmal in der Welt, jedoch nicht mehr beseitigen konnte. Bereits ehe der Hoxie-Bericht erschien, hatten die Arbeitsingenieure begonnen, den Gewerkschaften - von Taylor selbst vehement abgelehnte - Mitspracherechte bei der Findung von Arbeitsnormen zuzugestehen.
In Deutschland wurde von Wissenschaftlern und Ingenieuren zwischen den beiden Weltkriegen für Scientific Management geworben. Angesichts der fatalen wirtschaftlichen Situation, in der Kapital knapp war, erhoffte man sich eine Lösung in der Effizienzsteigerung, die das System versprach. Die negative Rezeption gründete sich hier viel mehr noch als in den USA in einer mangelhaften Umsetzung. Den Rationalisierungsgewinn wollte man, die in Verbindung damit propagierten erhöhten Entgelte aber nicht. So kam es zu Verzerrungen und oft waren es diese Verzerrungen, die jedoch als Bestandteil des Systems angesehen wurden, gegen die sich Proteste richteten.
In der deutschen Rezeption und Weiterentwicklung des Scientific Management, der REFA-Methodenlehre, sind die Kritiken des Hoxie-Bericht, insbesondere bezüglich Mitbestimmung und der Zeitstudien beseitigt. Gleichwohl sind diese Methoden und das zu Grunde liegende Paradigma gemeint, wenn heute von Taylorismus im negativen Sinne gesprochen wird.
Gegenbewegung und Kritik

Ab Mitte der 1960er Jahre setzten massive Gegenbewegungen zum Taylorismus ein, die auf Humanisierung und Demokratisierung der Arbeitswelt drängten (Siehe: Human-Relations-Bewegung). Die Übernahme des Taylorismus in der Verwaltungsreform nicht nur Anglo-Amerikas sondern zum Beispiel auch in Deutschland im Rahmen des besonders seit den 1980er Jahren virulenten New-Public-Management führte zu großen Problemen bei Kapazität und Effektivität.
Aufgrund einseitiger Handlungsorientierung gilt die Herangehensweise Taylors als keineswegs so wissenschaftlich wie von Taylor postuliert. So wurden von ihm keine Theorien erstellt und geprüft, sondern mittels Experimenten Feststellungen getroffen, welche dann als Postulat galten. Einzelne Experimente (zum Beispiel die Schaufelgrößenuntersuchung) wurden zum Teil nur an zwei oder drei Arbeitern über einen kurzen Zeitraum beobachtet und dann verallgemeinernd publiziert.
Verschiedene Schriftsteller wie Aldous Huxley (Schöne neue Welt) und Jewgeni Samjatin (Wir) benutzten das, was sie als Taylorismus ansahen, als eine Grundlage ihrer Dystopien. Samjatin mockiert sich etwa: „Ja, dieser Taylor war gewiss der genialste Mensch der alten Welt.“ Oder: „Wie konnten die Menschen von damals ganze Bibliotheken über einen gewissen Kant schreiben, während sie Taylor, diesen Propheten, der zehn Jahrhunderte vorausblickte, kaum erwähnten?“ Der Taylorismus wird von seinen Kritikern oft als eine Spitze der Entfremdung in der Arbeit gesehen.
Robert Kurz kritisiert in seinem Schwarzbuch Kapitalismus die Tatsache, dass Taylor im Stahlwerk bei einer Lohnerhöhung von 60 % eine Leistungssteigerung von 370 % erzielte, als einen Abzug an Lebensenergie.
Eine falsche Aneignung des Taylorismus ist dessen – durchaus häufige – Übertragung auf das höhere Management oder gar die Entrepreneure selbst (oder in der Verwaltung dann auf die leitenden Beamten). Taylor selbst hatte dies in seinen The principles of scientific management jedoch nachdrücklich ausgeschlossen.
Herausgehobene Experimente
Ein oft zitiertes Experiment von Taylor war das Schaufelgrößenexperiment. Er ging davon aus, dass für einen „Schaufler“ ein bestimmtes Gewicht pro Schaufelbewegung optimal ist. Dazu nahm er gute Schaufler als Beobachtungsobjekte. Um ein zuverlässiges Ergebnis zu erhalten, erhielten diese Arbeiter einen Extra-Lohn. Dann wurden für diese Arbeiter die Lasten auf der Schaufel (durch die Schaufelgröße) und auch andere die Arbeit betreffenden Umstände kontinuierlich über einige Wochen verändert. Dabei fand er heraus, dass eine Schaufellast von 9,5 kg optimal für Erdarbeiten sei.
Kritik an dieser Studie: Ihre Repräsentativität ist nicht gegeben. Es wurden „erstklassige“ Arbeiter ausgesucht und lediglich vereinzelte Stichproben genommen. Der Extra-Lohn als Motivation wurde nicht beachtet. Der Zeitraum war zu kurz, um auf Langzeitwirkungen schließen zu können.
Einzelnachweise
- ↑ Diese Bezeichnung fand in auf Scientific Management referenzierenden Werken zunächst auch in positiven Konnotationen Verwendung. Zum Beispiel: Herbst, Edgar: Der Taylorismus in unserer Wirtschaftsnot. 2. erw. Auflage Leipzig: Anzengruber, 1920.
- ↑ Grap, Rolf: Neue Formen der Arbeitsorganisation für die Stahlindustrie. Aachen: Augustinus, 1992 (Aachener Beiträge zu Humanisierung und Rationalisierung 4). - ISBN 3-86073-088-6. S. 18 ff.
- ↑ Hoxie, Robert Franklin: Scientific management and labor. New York: Appleton, 1915. Gerade in Deutschland muss man darauf achten, das Buch nicht mit „Frey, John P.: Scientific management and labor. Cincinnaty: Rosenthal, 1918.“ zu verwechseln. Frey war Vertreter der Gewerkschaft in der Hoxie-Kommission und seine Darlegungen sind seine persönliche Meinung. Anders als der Hoxie-Report selbst, ist Freys Buch in deutsch erschienen und wird deswegen gerade in Deutschland oft für den originalen Bericht gehalten (Vgl: Hebeisen, Walter: F. W. Taylor und der Taylorismus : über das Wirken und die Lehre Taylors und die Kritik am Taylorismus. Zürich: vdf, 1999. – ISBN 3-7281-2521-0. S. 116.)
- ↑ Ebbinghaus, Angelika: Arbeiter und Arbeitswissenschaft : Zur Entstehung der „wissenschaftlichen Betriebsführung“. Opladen: Westdeutscher Verlag, 1984. - ISBN 3-531-11667-3. S. 110 f.
Literatur
- Taylor, Frederick W.: Shop Management. In: Transactions, American Society of Mechanical engineers, Bd. XXVIII (1903), S. 1337-1480.
- Deutsch: Die Betriebsleitung insbesondere der Werkstätten. Berlin: Springer, 2007 (Nachdruck der 3., vermehrten Aufl. Berlin, 1914; 2., unveränd. Neudr. 1919.). - ISBN 3540721479.
- Taylor, Frederick W.: The principles of scientific management. New York: Cosimo, 2006 (Nachdruck der Ausgabe: London: Harper & Brothers, 1911). - ISBN 1596058897.
- Deutsch: Die Grundsätze wissenschaftlicher Betriebsführung. Düsseldorf: VDM, 2004 (Nachdruck der Ausg. München, Oldenbourg, 1913). - ISBN 3-936755-65-5.
- Ebbinghaus, Angelika: Arbeiter und Arbeitswissenschaft : Zur Entstehung der „wissenschaftlichen Betriebsführung“. Opladen: Westdeutscher Verlag, 1984. - ISBN 3-531-11667-3.
- Haußer, Christian: Amerikanisierung der Arbeit? : Deutsche Wirtschaftsführer und Gewerkschafter im Streit um Ford und Taylor (1919-1932). Stuttgart: ibidem, 2008. - ISBN 978-3-89821-920-4.
- Head, Simon: The new ruthless economy : work & power in the digital age. Oxford: Oxford University Press, 2005. - ISBN 0-19-517983-8. - detaillierte Beschreibung und Analyse der neotayloristischen Praktiken in der Automobilindustrie und im Dienstleistungssektor in den USA.
- Hebeisen, Walter: F. W. Taylor und der Taylorismus : über das Wirken und die Lehre Taylors und die Kritik am Taylorismus. Zürich: vdf, 1999. – ISBN 3-7281-2521-0. S. 116.
- Kanigel, Robert: The one best way : Frederick Winslow Taylor and the enigma of efficiency. 1. paperback ed. Cambridge, Mass.: MIT Press, 2005. - ISBN 0-262-61206-2.
- Michel, Karl Markus (Hrsg.); Wieser, Harald (Hrsg.); Enzensberger, Hans Magnus (Bearb.): Arbeitsorganisation : Ende des Taylorismus? Berlin: Rotbuch 1976 (Kursbuch 43). - ISSN 0023-5652.
- Pokorny, Rita: Die Rationalisierungsexpertin Irene M. Witte (1894-1976) : Biografie einer Grenzgängerin. Berlin: TU, 2003 (Diss., PDF-Volltext). – Über eine deutsche Vertreterin des Taylorismus
- Volpert, Walter (Hrsg.); Vahrenkamp, Richard (Hrsg.): Frederick Winslow Taylor : Die Grundsätze wissenschaftlicher Betriebsführung. Weinheim: Beltz, 1977. - ISBN 3-407-54043-4.
- Spender, John-Christopher (Ed.); Kijne, Hugo J. (Ed.): Scientific Management : Fredrick Winslow Taylor's Gift to the World? Norwell, Mass.: Kluwer, 1996. - ISBN 0-7923-9758-4.
- Todesco, Rolf: Der rationale Kern im Taylorismus. In: A&O Zeitschrift für Arbeits- und Organisationspsychologie, (1994) Nr. 3, (Volltext).