Verlag Klaus Wagenbach
Der Verlag Klaus Wagenbach wurde 1964 gegründet und bringt heute mit 12 Mitarbeitern ca. 60 Bücher pro Jahr heraus. Er erwirtschaftet einen Umsatz von etwa 2 Millionen € und ist damit zu den kleineren Verlagen zu zählen. Literarischer Schwerpunkt des Verlags Klaus Wagenbach ist Italien. Der Weg hin zu einem profilierten literarischen Verlag gelang trotz oder wegen der heute seltenen Meinung, dass Profit nicht an erster Stelle steht.
Vita Klaus Wagenbach
Diese Einstellung wird besonders deutlich am Gründer des Verlages, Klaus Wagenbach. Dieser wurde 1930 in Berlin geboren, wo er auch seine Kindheit verbrachte und nach dem Abitur in Frankfurt eine Buchhändlerlehre im „Suhrkamp vorm. S. Fischer Verlag“ absolvierte, dann, nach der Trennung der beiden Verlage 1950 im S. Fischer Verlag. Anschließend studierte er Germanistik, Kunstgeschichte und Archäologie in Frankfurt und München, promovierte darauf 1957 mit dem Thema „Franz Kafka. Eine Biographie seiner Jugend“. Schon damals engagierte er sich politisch unter anderem, indem er regelmäßig an Tagungen der „Gruppe 47“ teilnahm, die zu dieser Zeit Zentrum der jüngeren deutschen Literatur war. Von 1957 bis 59 arbeitete er als Lektor im „Modernen Buch-club“ in Darmstadt, daraufhin kehrte er als Lektor für deutsche Literatur in den S. Fischer Verlag zurück. Als der S. Fischer Verlag einige Jahre später von dem recht liberalen Ehepaar Bermann-Fischer an den konservativen Holtzbrinck-Konzern verkauft wurde, beinhaltete dies auch die baldige Kündigung des jungen, kontroversen Lektors Klaus Wagenbach im Frühjahr 1964. Wagenbach hielt es aufgrund seiner radikalen literarischen und linkspolitischen Ansichten für aussichtslos, in einem anderen Verlag frei arbeiten zu können und beschloss, sich seinen Arbeitsplatz selbst zu schaffen.
Verlagsgründung
1964 verkaufte Klaus Wagenbach eine Wiese, die ihm sein Vater geschenkt hatte zusammen mit ein paar weiteren beweglichen Gütern seines Lektorenhaushalts, summierte dies zu den Einnahmen aus seinem 2. Buch „Franz Kafka in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten“ und gründete den Verlag Klaus Wagenbach mit Sitz in Berlin. Der Erlös von etwa 100.000 DM deckte gerade die reinen Herstellungskosten der ersten 11 Bücher und des kleinen Verlagsalmanachs – Miete und Gehälter, Vertriebs- und Vertreterkosten waren nicht vorgesehen.
Grundsätze der Verlagsarbeit
Gleichzeitig wurden auch die bis heute gültigen allgemeinen Grundsätze der Verlagsarbeit zusammen mit einigen Autoren (wie Günter Grass, Ingeborg Bachmann, Hans Werner Richter, Johannes Bobrowski) der ersten Stunde festgelegt:
- Die Arbeit des Verlags dient nicht dem Profit, sondern folgt den inhaltlichen Absichten.
- Allen Autoren wird Honoraregalität auf höchstem Niveau und Absicherung vor Missbrauch ihrer Rechte gewährt, sowie ein Maximum an Selbstverwirklichung, Mitsprache und Information zugesichert.
- Die Bücher müssen billig sein.
- Die Leser sollen nicht nur durch Texte über die Bücher, sondern auch durch Auszüge aus den Büchern informiert werden, mit einem kostenlosen jährlichen Almanach.
Verlagsgeschichte
1965 – 1970
Als im März 1965 die ersten Bücher erschienen, hätte der Verlag sofort in Konkurs gehen müssen, was Klaus Wagenbach durch eine List zu verhindern wusste. Die Bücher erschienen in einer Serie, die sich in Format und Farbe stark von allem anderen unterschied, wodurch sie in den Buchhandlungen auffielen. Sie waren in strengem schwarz gehalten und erschienen im Quartformat, was ihnen auch ihren Reihentitel „Quarthefte“ einbrachte. Beginnend mit Erinnerungen von Kurt Wolf in dieser Reihe nun Texte von damals völlig unbekannten Autoren wie Christoph Meckel und Johannes Bobrowski mit sehr bekannten von Ingeborg Bachmann, Günter Grass und Hans Werner Richter kombiniert, die sich mit je einem Buch am Projekt dieses alternativen Verlags beteiligten. Wagenbachs List ging auf: Die Buchhändler mussten zumindest die Bücher von Ingeborg Bachmann und Günter Grass einkaufen, die wiederum Nr. 4 und 6 einer Serie waren, die man besser komplett vorrätig hielt. Zwar wurde diese List schnell erkannt und auch öffentlich gerügt, aber zu dem Zeitpunkt standen die schwarzen Bücher schon in den Regalen, wo sie bis heute zu finden sind. Klaus Wagenbach wollte auch von Beginn an eine Spaltung der Literatur in West- und Ostdeutschland nicht hinnehmen und veröffentlichte so den im Westen boykottierten Stephan Hermlin und den im Osten boykottierten Wolf Biermann. Biermanns Balladen, denen Wagenbach den Titel „Die Drahtharfe“ gab, sorgten dafür, dass der Verlag alle zugesagten Lizenzen aus der DDR verlor und dafür, dass Klaus Wagenbach ein Einreise-, später sogar Durchreiseverbot bis 1973 durch die DDR erhielt, so dass er Berlin nur mit dem Flugzeug verlassen konnte. Ferner waren hiermit alle Pläne eines Ost-West-Verlages. 1966 lernte Klaus Wagenbach Erich Fried kennen, dessen Gedichtband „Und Vietnam und“ er im gleichen Jahr veröffentlichte, wenngleich sich lange niemand fand, der auch nur bereit war, ihn zu rezensieren. Der große Erfolg kam für Erich Fried erst mit der Veröffentlichung seines 17.Buches 1979, den „Liebesgedichten“, die bis heute eines der erfolgreichsten Bücher des Verlages überhaupt geblieben sind und über 250.000-mal verkauft wurden. Klaus Wagenbach und Erich Fried blieben bis zu Frieds Tod 1988 Freunde. Im Herbst 1967 erschien die erste „Quartplatte“ (8 Autoren lesen aus ihren Quartheften), die 1968 aufgrund breiteren Interesses in Serie ging. Im gleichen Jahr wurden u. a. die Sprechgedichte von Ernst Jandl als „Quartplatte“ veröffentlicht, den Wagenbach bei einer Autorenlesung kennen gelernt hatte. Ebenfalls im Jahr 1968 erschienen das „Lesebuch. Deutsche Literatur der sechziger Jahre“ (eine nonkonformistische Alternative zum gewöhnlichen Deutschschulbuch und bis heute eines der erfolgreichsten Bücher des Verlages) und der erste „Tintenfisch“ (ein Jahrbuch für Literatur). Auch die Gründung der Reihe „Rotbücher“ fand im Jahr 1968 statt. Die Rotbücher waren eine ausschließlich der Neuen Linken und der außerparlamentarischen Opposition (APO) gewidmete Buchreihe, die eine politisch-theoretische Ergänzung der belletristischen Literatur darstellte. 1969 begann der Verlag mit der von verschiedenen anderen abgelehnten Gesamtausgabe der Shakespeare-Übersetzungen von Erich Fried. Im Sommer 1970 wurde die Vierteljahrsschrift „Kursbuch“ durch den Verlag Klaus Wagenbach vertreten und von Hans Magnus Enzensberger herausgegeben, da der Suhrkamp Verlag es aus politischen Gründen abgelehnt hatte, die Zeitschrift fortzuführen. Zur Sicherung der Unabhängigkeit wurde eigens eine „Kursbuch GmbH“ gegründet.
Anfänge der kollektiven Verlagsverfassung
Ende 1969 initiierte Klaus Wagenbach das Experiment einer kollektiven und solidarischen Verlagsarbeit. Dies beinhaltete, dass der Verlag als einer der ersten in der Bundesrepublik ein Statut bekam, das die Rechte und Pflichten aller Mitarbeiter – auch der Besitzer – klar und deutlich regelte. In seinen wesentlichen Punkten sah es eine weitgehende Mitbestimmung der Verlagsangehörigen bei allen ökonomischen Prozessen, gleiches Gehalt für alle Mitarbeiter und regelmäßige Besprechungen vor. Bei dieser Verlagsverfassung wurde das Lektorat von der Kollektivierung ausdrücklich ausgeschlossen und erhielt eine autonome Verfassung. Manuskripte wurden dreifach lektoriert (also von allen 3 Lektoren) und nur bei Einstimmigkeit veröffentlicht. 1971 verwandelte Klaus Wagenbach seinen Verlag in eine GmbH mit 2 Gesellschaftern, wodurch er dem Kollektiv die Hälfte seiner Verlagsanteile schenkte.
1970 - 1984
Im Jahr 1972 kam es zu heftigen Auseinandersetzungen über die autonome Lektoratsverfassung. Klaus Wagenbach hielt Entscheidungen über Manuskripte für nicht kollektivierbar und hatte zudem der Kollektivierung seines Verlags nur unter der Voraussetzung der Lektoratsautonomie zugestimmt. Am 13. Mai 1973 fand eine Generalversammlung unter Anwesenheit der Autoren statt, bei der nach fast 10-stündiger Diskussion einige Autoren die Spaltung des Verlages vorschlugen und sich alle bis auf 3 für einen neuen Verlag Klaus Wagenbach entschieden. Klaus Wagenbach schied mit seiner Frau und Wolfgang Dreßen unter großen finanziellen Verlusten aus dem Verlagskollektiv sowie der „Kursbuch-GmbH“ aus und verlor zudem den Serientitel „Rotbücher“ und den Namen des Verlagsalmanachs „Das schwarze Brett“. So entstanden auf der einen Seite der Rotbuch-Verlag, auf der anderen der alte und zugleich neue Verlag Klaus Wagenbach. 1971 wurde ein Ermittlungsverfahren wegen „Bambule“, dem Text eines Fernsehspiels von Ulrike Meinhof, gegen Klaus Wagenbach eröffnet. Er verlor den Prozeß. Auch 1971 veröffentlichte das Kollektiv in der Reihe „Rotbuch“ ein Manifest der RAF mit dem Titel „Über den bewaffneten Kampf in Westeuropa“, was zusammen mit dem „Roten Kalender für Schüler und Lehrlinge, 1972“ die Berliner Staatsanwaltschaft dazu veranlasste, Hausdurchsuchungen im Verlag vorzunehmen und beide Publikationen sowohl im Verlag, als auch in den Buchhandlungen zu beschlagnahmen. Die Schriften enthielten Aufforderungen zur Gewalt und kriminellen Vereinigung sowie Anstiftung zur Sachbeschädigung. Was folgte, waren eine ganze Reihe von Klagen unter anderem auch wegen dem „Roten Kalender 1973“, in welchem Klaus Wagenbach die Erschießung zweier Studenten durch die Polizei als „Ermordung“ titulierte, was ihm eine Klage wegen Beleidigung einbrachte. Er wurde in erster Instanz freigesprochen, verlor aber nachdem der Polizeipräsident Revision einlegte und wurde zu einer Strafe von 1.800 DM Geldstrafe und 20.000 DM Gerichtskosten verurteilt. Klaus Wagenbach verlor jeden seiner 4 Prozesse zwischen 1974 und 75. Er wurde zu Geldstrafen und einer Gefängnisstrafe von 9 Monaten auf Bewährung verurteilt. 1975 beginnt Klaus Wagenbach die neue Buchreihe „Wagenbachs Taschenbücherei“ (WAT), obwohl der Verlag nach Spaltung und Prozessen kurz vor dem Konkurs steht. Gegen den allgemeinen Trend enthielten die Taschenbücher neben literarischen Texten hauptsächlich politische aus der jeweiligen Zeit und wurden unter dem Motto gegründet: „Lasst uns Denken und Laune anstiften statt vorschreiben. Und den Kopf schütteln, dass heißt lockern.“. Der Verlag begann zudem seinen Schwerpunkt dahingehend zu verändern, dass er in zunehmendem Maße italienische Literatur veröffentlichte. 1979 erhielt Klaus Wagenbach seine erste öffentliche Anerkennung: Der „Kritikerpreis 1979 für Literatur“ wurde ihm vom „Verband der deutschen Kritiker“ für die Anthologie „Vaterland, Muttersprache – Deutsche Schriftsteller und ihr Staat“ verliehen. Neben der Courage zur Literatur und ihrer kritischen Funktion und für seine gesamte verlegerische Wirksamkeit, würdigten die Kritiker Klaus Wagenbach als einen mutigen Anwalt seiner Autoren. Bedingt durch schwindendes Interesse der Leser an politischer Literatur, gab der Verlag 1979 die Buchreihe „Politik“ auf, band allerdings deren wichtigste Bücher um und integrierte sie so in die Taschenbücherei und in das 1981 entstehende „Allgemeine Programm“. Dieses „Allgemeine Programm“ besteht bis heute und vereinigt umfangreiche wissenschaftliche Texte und großformatige Bücher, die den Absichten des Verlages entsprechen: also Kunst- und Sozialgeschichtliches, Philosophie und politisch-analytische Bücher mit linkem, emanzipatorischem Charakter, die andere Verlage abgelehnt hatten. 1984 wurde zum 20-jährigen Verlagsbestehen der „Fintentisch“ herausgegeben, ein umfangreicher Almanach zur Verlagsgeschichte mit ausgewählten Gedichten und Texten aus Publikationen vergangener Jahre.
1985 – 2002
1987 gründete der Verlag die Reihe „SALTO“, deren Bücher nach klassischer handwerklicher Tradition hergestellt und ich leuchtend rotes Leinen gebunden werden und somit Texte der zeitgenössischen Literatur in einer klassischen, traditionellen Form präsentieren. (z.B. Autoren wie Erich Fried, Carlo Emilo Gadda, Djuna Barnes, Virginia Woolf) Die Reihe „SALTO“ wurde ein voller Erfolg, auch im Bereich des Geschenkbuches. 1988 begründet Klaus Wagenbach die Reihe „Kleine Kulturwissenschaftliche Bibliothek“, die hauptsächlich wissenschaftliche Essays enthält. 1989 erschien zum 25-jährigen Verlagsjubiläum der Almanach „Das schwarze Brett“, der auf dem „Fintentisch“ basierte. 1990 erhielt Klaus Wagenbach vom römischen Kulturgüterministerium den mit 33.000 dotierten Preis „Il Premio Nazionale per la Traduzione“ für die Verbreitung italienischer Literatur im deutschen Sprachraum. 1993 begann das umfangreichste Projekt des Verlages: Die Veröffentlichung der Gesamtwerke von Erich Fried mit zum Teil bisher unveröffentlichten Texten des Lyrikers. 1997 fand eine Umgestaltung der Taschenbücher statt, 1998 wurde die CD/MC Reihe „Wagenbachs LeseOhr“ begründet. 2002 übergibt Klaus Wagenbach seinen Verlag an seine Frau Susanne Schüsseler und seine Tochter Nina Wagenbach, bleibt dem Verlag aber weiterhin als Lektor und Berater erhalten.
Quellen
- Klaus Wagenbach: Fintentisch: ein Almanach. Wagenbach, Berlin 1984, ISBN 3-8031-3011-5