Châtelperronien
Das Châtelperronien ist die früheste jungpaläolithische Silex-Industrie, die auf die Zeit vor ca. 38.000 - 32.000 Jahren datiert wird und sich daher mit dem Aurignacien zeitlich überschneidet. Der Begriff Châtelperronien wurde 1906 von Henri Breuil eingeführt, nach der Fundstelle Grotte des Fées bei Châtelperron (Département Allier).
Verbreitung
Das Châtelperronien ist lediglich in Frankreich und Nordspanien verbreitet. In Frankreich findet es sich hauptsächlich im Südwesten (Départements Charente, Dordogne, Lot und Vienne), im westlichen Pyrenäenraum sowie im Loire- und im Seinebecken.
Zeitlicher Rahmen
Das Châtelperronien bildet den Übergang vom Mittelpaläolithikum (Moustérien) zum Jungpaläolithikum. In Südfrankreich wird es gemäß der Gliederung von Denis Peyrony als „Périgordien I“ (auch Périgordien ancien oder Périgordien inférieur) bezeichnet.[1] Das Châtelperronien bestand zeitgleich zum Unteren Aurignacien und wurde vom Mittleren Aurignacien abgelöst. Mittels Radiokohlenstoffdatierung wurde das Châtelperronien zwischen 35 000 und 29 000 BP datiert (entspricht kalibriert etwa 40.000 bis 33.000 Jahre v. Chr.).
Klima
Das Châtelperronien liegt in einem Interstadial der Würmeiszeit − einem klimatisch zwar etwas milderen, aber sehr instabilen Zeitabschnitt.
Archäologisches Inventar


Charakteristisch für die Werkzeugsindustrie des Châtelperroniens ist die Neuentwicklung der Châtelperronien-Spitzen (oder -Messer) mit gebogenem, abgestumpften Rücken.
Das Châtelperronien zeichnet sich einerseits durch das Vorkommen typischer jungpaläolithischer Elemente wie Knochen-, Geweih- und Elfenbein-Werkzeuge, Klingen und Schmuck aus. Elfenbein wurde weit häufiger als Werstoff verwendet als Geweih.[2] Andererseits weisen Inventare des Châtelperronien noch einen deutlichen Anteil mittelpaläolithischer Technologien wie das Vorkommen der Levalloistechnik auf.
In anderen Regionen Europas kommen andere, zum Teil ähnliche Übergangsindustrien vor, so in Ost- und Mitteleuropa das Bohunicien und Szeletien, in Italien das Uluzzien.
Ein bedeutendes Merkmal der Châtelperronien-Kultur ist das Auftreten von Schmuckgegenständen, beispielsweise Ohrgehänge, durchbohrte und eingeritzte Zähne, aber auch Fossilien für Amulette, Ketten usw. Die massive Verwendung von Knochenmaterial zur Herstellung von Waffen und Werkzeugen ist ein weiteres wichtiges Merkmal und hat nur wenige Vorläufer in den Neandertaler-Kulturen des Mittelpaläolithikums, wie die Knochenspitzen aus Salzgitter-Lebenstedt oder der Großen Grotte bei Blaubeuren.
Menschenreste
Der Fund der Bestattung von Saint-Césaire in Châtelperronien-Schichten belegt die Zugehörigkeit dieser archäologischen Kultur zu den Neandertalern. Wiederholt wurden in Fundplätzen mit Châtelperronien Interstratifikationen von Neandertalern und Cro-Magnon-Mensch diskutiert, z. B. in El Pendo (Nordspanien), Roc de Combe und Le Piage 15 (Frankreich) [3] sowie auch in der Typlokalität Grotte des Fées.[4][5][6] Die Frage, wer die Träger des Châtelperroniens waren und inwieweit solche Interstratifikationen belegbar sind, spielt eine große Rolle in der Diskussion zur Genese der jungpaläolithischen Kleinkunst.[7]
Fundplätze
Frankreich
- Arcy-sur-Cure, Yonne
- Brassempouy, Landes
- Grotte des Fées, Châtelperron, Allier − Typlokalität
- Combe Capelle, Dordogne
- Gargas, Hautes-Pyrenées
- Isturitz, Pyrenées-Atlantiques
- La Ferrassie (Schicht E), Dordogne
- La Quina, Charente
- Le Moustier, Dordogne
- Le Piage, Lot
- Quincay, Vienne
- Roc de Combe, Lot
- Saint-Césaire, Charente-Maritime
Nordspanien
Literatur
- Breuil, H. Etudes de morphologie paléolithique. 2. L'industrie de la grotte de Châtelperron (Allier) et d'autres gisements similaires. Revue Ecole Anthropol. Paris 29, 29–40 (1910)
- Delporte, M. H. L'industrie de Châtelperron et son extension géographique. Congrès Préhist. Fr. 14, 233–250 (1955)
- Delporte, M. H. Les fouilles des grottes paléolithiques de Châtelperron (Allier). Gallia 13, 79–84 (1955)
- Delporte, M. H. La Grotte des Fées de Châtelperron (Allier). Congrès Préhist. Fr. 15, 452–477 (1957)
- Leroi-Gourhan, A. Les fouilles d'Arcy-sur-Cure (Yonne). Gallia Préhistoire 4, 3–16 (1961)
Einzelnachweise
- ↑ D. Peyrony: Les industries „aurignaciennes“ dans le bassin de la Vézére. Bulletin de la Société Préhistorique Française XXX, 1933, S. 543–559.
- ↑ d'Errico, F.D., Zilhao, J., Julien, M., Baffier, D. and Pelerin, J.: Neanderthal Acculturation in Western Europe? A Critical Review of the Evidence and it's Interpretation. Current Anthropology Supplement to 39, 1998, S. S1-S44 doi:10.1086/204689
- ↑ Bordes, J.-G.: Les interstratifications Châtelperronien / Aurignacien du Roc-de-Combe et du Piage (Lot, France). Analyse taphonomique des industries lithiques; implications archéologiques. Université de Bordeaux I, 2002
- ↑ Wil Roebroeks: Time for the Middle to Upper Paleolithic transition in Europe. Journal of Human Evolution, Volume 55/5, 2008, S. 918-926 doi:10.1016/j.jhevol.2008.08.008
- ↑ B. Gravina, P. Mellars and C. Bronk Ramsey, Radiocarbon dating of interstratified Neanderthal and early modern human occupations at the Chatelperronian type-site. Nature 438 (7064), 2005, S. 51–56 doi:10.1038/nature04006
- ↑ Paul Mellars, Brad Gravina, Christopher Bronk Ramsey: Confirmation of Neanderthal/modern human interstratification at the Chatelperronian type-site. PNAS February 27, 2007, Vol. 104/9, S. 3657-3662 doi:10.1073/pnas.0608053104
- ↑ Zilhão, J., D'Errico, F., Bordes, J.-G., Lenoble, A., Texier, J.-P. et Rigaud, J.-P.: Analysis of Aurignacian interstratification at the Châtelperronian-type site and implications for the behavioral modernity of Neandertals. PNAS Vol. 103/33, 2006, S. 12643–12648 doi:10.1073/pnas.0605128103