Die Schock-Strategie

Die Schock-Strategie: Der Aufstieg des Katastrophen-Kapitalismus ist ein im September 2007 in deutscher Übersetzung aus dem Englischen erschienenes kapitalismuskritisches Buch der kanadischen Journalistin Naomi Klein.
Die Autorin führt anhand von zeitgeschichtlichen Beispielen aus, wie Schocks wirtschaftlicher oder militärischer Art und Naturkatastrophen dazu genutzt werden können, über politischen Einfluss Privatisierungen nach dem Modell der Chicagoer Schule und insbesondere Milton Friedmans in nationalen Volkswirtschaften gegen den politisch artikulierten Willen der Mehrheit der Bevölkerung durchzusetzen.
Kernthesen und Rezeption
Nach einer Einleitung beschreibt Klein im ersten Kapitel des Buches die historische Herkunft der Elektroschocktherapie in der Psychiatrie und besonders die Experimente des Psychiaters Donald Ewen Cameron, der im Auftrag der CIA in den 1950er Jahren Gehirnwäsche-Experimente durchführte, in denen die gezielte Zerstörung der Persönlichkeit von Patienten gelang, die Wiederherstellung einer neuen Identität jedoch misslang, und zieht Parallelen zwischen diesen Schocktherapien, Foltermethoden und der neoliberalen Wirtschaft.
Im zweiten Kapitel geht Klein auf die Chicagoer Schule und Milton Friedman und dessen neoliberale Theorien ein.[1] Diese seien nach wirtschaftlichen Schocks, militärischen Niederlagen oder Naturkatastrophen grundsätzlich dazu genutzt worden, um breite Privatisierungsmaßnahmen und den Abbau sozialstaatlicher Mechanismen durchzusetzen. Nach dem exemplarischen sogenannten Wunder von Chile unter Pinochet sei die Schock-Strategie unter anderem auch in der Volksrepublik China unter Deng Xiaoping, in Großbritannien von Margaret Thatcher nach dem Falklandkrieg, in Russland unter Boris Jelzin, New Orleans in den USA nach dem Hurrikan Katrina sowie im Irak nach dem amerikanischen Einmarsch angewandt worden. Detailliert geht sie auf die Vorbereitungen ein und kommentiert die Umsetzung anhand historisch beobachtbaren Geschehens.
Neben Milton Friedman wird in Kleins Buch auch Jeffrey Sachs kritisiert. Die Theorien dieser beiden Ökonomen und deren praktischen Umsetzung lägen der Politik des IWF und der Weltbank zugrunde, diese würden zu Verelendung und Ausbeutung in weiten Teilen der Welt beitragen.
Die Darstellung wurde unter anderem durch Joseph E. Stiglitz[2] als gut belegte und sehr aufschlussreiche[3] Darstellung der Ausbreitung des Neoliberalismus gewertet[4].
Johan Norberg und Tyler Cowen[5] hingegen behaupten, Kleins Kernthese und ökonomische Beispiele hielten keiner genauen Überprüfung stand, sie liefere weniger Beweise denn eine Aufeinanderfolge konstruierter Behauptungen[6]. Norberg nannte als Gegenbeispiel den Stopp der marktwirtschaftlichen Reformen in China nach dem Tian'anmen-Massaker 1989.[7] Er widerspricht Klein auch hinsichtlich der Entwicklung der weltweiten Armut, die entgegen vieler ihrer Äußerungen seit 1990 in erheblichem Maße gesunken sei, dies sei in Übereinstimmung, nicht im Gegensatz zu marktwirtschaftlichen Öffnungen.[8]
Im Counterpunch und in der FAZ[9] wurde Klein unterstellt, schwarz zu malen und eine allgemein menschliche und aus der Historie bekannte Vorgehensweise"[9] auf einen nahezu verschwörungstheoretisch betrachteten Neoliberalismus zu verengen. Schwerwiegende Ereignisse und Niederlagen seien immer schon als Chance und Möglichkeit für Reformen und Erneuerung gesehen und genutzt worden. Die Erneuerungsfähigkeit und Innovationskraft des Kapitalismus sei nicht nur in Bezug auf Milton Friedman und das sogenannte Wunder von Chile festzustellen. Umgekehrt sei die Ablösung von Diktatoren durch demokratische Volksbewegungen, so im Falle des ANC in Südafrika, keine Garantie für wirtschaftlichen Erfolg[2].
Alexander Cockburn schreibt[10], dass Klein den bedeutenden Einfluss auch anderer, eher linksliberaler Wirtschaftstheoretiker auf internationale Wirtschaftsinstitutionen ignorieren würde. Klein mobilisiere mit detailliert und sorgfältig recherchierten[11] empörenden Fakten, die postulierten Zusammenhänge blieben aber vage, sie rüttle ihre Anhänger und Leser auf, ohne Handlungsalternativen zu zeigen"[12].
Verfilmung
Der britische Regisseur Michael Winterbottom drehte nach Naomi Kleins Buch einen Dokumentarfilm, der bei den Internationalen Filmfestspielen Berlinale im Februar 2009 uraufgeführt wurde.[13] Der Rezensent der taz charakterisierte den Film als "eine Art Infotainment-Agitprop".[14]
Warwick Preis 2009
Für die englischsprachige Originalausgabe "The Shock Doctrine: The Rise of Disaster Capitalism" erhielt Naomi Klein im Jahr 2009 den mit 50.000 £ dotierten Warwick-Preis der englischen Universität Warwick.[15][16]
Textausgaben
- Naomi Klein: The Shock Doctrine: The Rise of Disaster Capitalism; Metropolitan Books/Henry Holt, New York 2007, ISBN 978-0-8050-7983-8 (Erstausgabe)
- Naomi Klein: Die Schock-Strategie: Der Aufstieg des Katastrophen-Kapitalismus; Aus dem Engl.; S. Fischer, Frankfurt am Main 2007, ISBN 978-3-10-039611-2
Weblinks
- Offizielle Website (englisch)
- Informationen zum Buch beim Fischer-Verlag
- Rezension von Nick Beams wsws.org, 26. März 2008
- „Die Folterkeller der Globalisierung“ Thomas Fischermann im Gespräch mit Naomi Klein, Zeit Online, 10. September 2007
- Neues von Naomi Rezension in Zeit Online, 6. September 2007
- Katastrophale Welt, Gespräch mit Naomi Klein auf Kulturzeit vom 16. Oktober 2007 (Video 5:36 min)
- Interview in der Wochenzeitschrift Freitag 2. November 2007
- Der Terror des Katastrophen-Kapitalismus, Rezension von Eren Güvercin in Zukunft, November 2007
- Naomi Klein deckt die „Meister-Erzählung“ und die Gewalt des Neoliberalismus auf. Doch „Die Schock-Strategie“ missfällt besonders deutschen Medienmännern., Rezension der Rezensionen von Brigitta Huhnke, LabourNet.de, 21. Oktober 2007
Belege
- ↑ Thomas Fischermann: Kapitalismuskritik: Die Folterkeller der Globalisierung. Naomi Klein, Ikone der Globalisierungskritiker, hat ein neues Buch geschrieben.
Auszüge aus einem Gespräch mit der AutorinZEIT online 11. September 2007 - ↑ a b Joseph E. Stiglitz: Bleakonomics, New York Times, 30. September 2007
- ↑ John Gray: The end of the world as we know it, The Guardian, 15. September 2007
- ↑ Felix Lee: Schule der Monster taz.de vom 2. Februar 2008
- ↑ Tyler Cowen: Shock Jock, New York Sun 3. Oktober 2007
- ↑ Johan Norberg: The Klein Doctrine: The Rise of Disaster Polemics Cato Institute, abgerufen 15. Oktober 2008
- ↑ Johan Norberg: The Klein Doctrine: The Rise of Disaster Polemics Cato Institute. 14. Mai 2008.
- ↑ Johan Norberg: Three Days After Klein's Response, Another Attack. Cato Institute. 4. September 2008.
- ↑ a b Philip Plickert: Chicago regiert die Welt in der Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12. Oktober 2007.
- ↑ [1] CounterPunch, 22./23. September 2007, On Naomi Klein's "The Shock Doctrine", von Alexander Cockburn
- ↑ Rudolf Walther in der Frankfurter Rundschau, 18. September 2007: Die Folter als stummer Partner (Buchbesprechung)
- ↑ Robert Jacobi: Erst der Schock und dann das Heil Sueddeutsche.de 10. September 2007
- ↑ "[2]" - Interview mit Michael Winterbottom und Mat Whitecross im Tagesspiegel
- ↑ STEFAN REINECKE: "Das Superhirn ist schuld"
- ↑ http://www2.warwick.ac.uk/fac/cross_fac/prizeforwriting?fromGo=http%3A%2F%2Fgo.warwick.ac.uk%2Fprizeforwriting
- ↑ The Guardian:Outstanding 'complexity' wins Naomi Klein £50,000 inaugural Warwick prize. 25. Februar 2009