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Westerhüsen

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Lage Westerhüsens in Magdeburg
Stephanus-Turm
Gierfähre über die Elbe
Kanonenkugel am Weibezahlschen Hof
Ehemaliges Gemeindehaus Westerhüsen
Knoblauch-Siedlung
Fahlberg-List 1953

Westerhüsen ist ein an der südlichen Stadtgrenze gelegener Stadtteil der Landeshauptstadt Magdeburg mit einer Fläche von 7,243 km² und 3.015 Einwohnern (Stand 31. Dezember 2009).

Geografie

Westerhüsen liegt am Westufer der Elbe und grenzt im Süden an den Salzlandkreis. Die benachbarten Stadtteile sind Beyendorf-Sohlen im Westen und Salbke im Norden, wo die Welsleber und Blumenberger Straße als Trennlinie verläuft.

Der im Nordosten gelegene bebaute Anteil des Stadtteils beträgt nur etwa 11 Prozent der Gesamtfläche. Im Wesentlichen konzentriert sich die Bebauung entlang der Durchgangsstraße Alt Westerhüsen, lediglich westlich des Bahnhofs Magdeburg-Südost der Bahnlinie Magdeburg - Leipzig liegen noch weitere Straßen. Die Bausubstanz besteht sowohl aus Einfamilienhäusern wie auch aus mehrgeschossigen Mietshäusern.

Das Gebiet des Stadtteils steigt von 49 Metern am Elbufer in westlicher Richtung zu den zu Salbke gehörenden Sohlener Bergen bis auf 97,8 Meter an. Südwestlich der Ortslage liegen die Wellenberge. Im Süden erreicht der Frohser Berg 115,5 Meter. Davor liegen landwirtschaftlich genutzte Flächen sowie das kleine Feuchtgebiet Pötritzer Sumpf. Am südlichen Ortsausgang befindet sich der etwa 20 Hektar große „Volkspark Westerhüsen“. Das ursprüngliche Kerngebiet des Dorfes liegt etwas erhöht über der Elbe, wobei der Siedlungsbereich durch die westlich gelegenen kleinen Höhenzüge gegen Westwinde geschützt war. Die Bodenverhältnisse sind für die Landwirtschaft etwas ungünstiger als dies in den westlich gelegenen Gebieten der Magdeburger Börde der Fall ist.

Infrastruktur

Westerhüsen dient heute vorwiegend Wohnzwecken, einige kleine Gewerbebetriebe sind hier angesiedelt. Hervorzuheben ist der Schulkomplex mit dem Europäischen Bildungswerkes für Beruf und Gesellschaft und dem Kaufmännischen Bildungszentrum. Der Stadtteil verfügt mit dem Bahnhof Magdeburg Südost über eine S-Bahn-Station und wird von einer Straßenbahnlinie erschlossen. Über die Straße Alt Westerhüsen führt die kürzeste Straßenverbindung zur Nachbarstadt Schönebeck. Die Fähre Westerhüsen verbindet Westerhüsen mit dem Ostufer der Elbe.

Geschichte

Anhand von Ausgrabungen konnte festgestellt werden, dass im Bereich des heutigen Westerhüsens bereits in der frühen Jungsteinzeit (um 3000 v. Chr.) Menschen lebten. Entsprechende zur Linienbandkeramik und zur Walternienburg-Bernburger Kultur gehörige Funde wurden auf dem Grundstück Alt Westerhüsen 130 im südlichen Teil des Ortes gemacht. In die mittlere und späte Bronzezeit wurden gefundene Urnengräber datiert. Westlich des Straßenbahndepots wurden seltene Körpergräber festgestellt, die aus der frühen Eisenzeit stammen.[1]

Die erste urkundliche Erwähnung fand in den „Corveyer Traditionen“ der Jahre 826 - 853 statt, in denen Schenkungen in Westeros erfolgten. Der Name Westerhüsen enthält das altsächsische Wort „hus“ für Haus, sodass damit vermutlich ein in Westen gelegener Einzelhof bezeichnet wurde. Es gibt Vermutungen, wonach sich die Bezeichnung Wester als Unterscheidung zu einem Osterhüsen ergab. Danach soll sich in nordöstlich von Salzelmen, ebenfalls an der Post- und Heerstraße nach Calbe (Saale) gelegen, dieses Osterhüsen befunden haben.[2] Im 9. Jahrhundert missionierte der Halberstädter Bischof Hildegrim in der Gegend und weihte die von ihm gegründeten Kirchen dem Heiligen Stephanus. Da die Westerhüser Kirche ebenfalls Stephanus geweiht war, werden Vermutungen angestellt, dass ihr Ursprung bis in diese Zeit zurückreicht.[3] Die anfängliche Holzkirche wurde zu Beginn des 13. Jahrhunderts durch einen Steinbau ersetzt.

Urkunde von 936

Am 13. September 936 wurden ein Teil der Einnahmen des Ortes Uuesterhuse durch König Otto I. dem Stift Quedlinburg übertragen. Südlich des Dorfes befand sich im Mittelalter der später zur Wüstung gewordene Ort Pötritz sowie das Westerhüser Gehölz, ein heute nicht mehr bestehendes Waldgebiet. 1523 wurde für die Kirche von dem Magdeburger Stückgut- und Glockengießermeister Claas Backmester eine 550 Kilogramm schwere Bronzeglocke gegossen, die heute noch vorhanden ist und zu den ältesten Kirchenglocken Magdeburgs zählt. Ab 1563 unterstand Westerhüsen dem Magdeburger Domkapitel und der Kirche des Klosters Berge. Schon für das 16. Jahrhundert wird eine Elbfähre in Westerhüsen erwähnt. Während der Belagerung und Zerstörung Magdeburgs im Jahr 1631 im Dreißigjährigen Krieg schlug der Feldherr General Tilly 1631 sein Hauptquartier im Weibezahlschen Hof in Westerhüsen auf und setzte an der Fähre seine Truppen über die Elbe. In die Fassade des noch heute bestehende Gehöfts wurde zur Erinnerung hieran eine Kanonenkugel eingemauert. In dieser Zeit sollen in der Umgebung Westerhüsens auch drei Schanzen angelegt worden sein.[4] Die westlich der Welsleber Straße bestehende Flurbezeichnung Das Sauerfeld nach der Schanze könnte auf eine solche Befestigungsanlage zurück gehen. Westerhüsen selbst wurde im Laufe des Krieges beinahe vollständig zerstört und entvölkert.

Im Zuge des Wiederaufbaus der Region nach dem Krieg verschwanden der bis dahin am Ufer der Elbe und den in der Umgebung befindlichen Höhenzügen bestehende Wald. Nach der Ansiedlung von pfälzischen und französischen Kolonisten in der Französischen Kolonie und der Pfälzer Kolonie in Magdeburg siedelten sich ab 1740 auch einige Kolonisten in Westerhüsen an. Zwischen 1715 und 1873 lag die Schiffsmühle Westerhüsen an einem kleinem Mühlenhafen vor Westerhüsen in der Elbe. Darüber hinaus bestanden mehrere Windmühlen im Ort so die Böckelmannsche Windmühle, die Bodenburgsche Windmühle, die Curiosche Windmühle und die Hossesche Windmühle, die jedoch allesamt nicht erhalten sind. Im Jahr 1750 wütete ein Großfeuer im Dorf. Auch während der französischen Besetzung der Festung Magdeburg wurde das Dorf 1812 in Mitleidenschaft gezogen.

Mit der Neuordnung der preußischen Kreisverwaltung kam Westerhüsen 1818 zum Kreis Wanzleben. 1835 zählte der Ort etwa 700 Einwohner. Lebten die Einwohner über die Jahrhunderte von der Landwirtschaft, der Fischerei und der Elbschifffahrt, trat in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein Wandel ein. Im Zuge der Industrialisierung in Deutschland wurde 1838 in Westerhüsen die erste Magdeburger Zuckerfabrik errichtet. Später entstand durch die beiden Unternehmer Constantin Fahlberg und Adolf Moritz List 1886 das Unternehmen Fahlberg-List, die erste Saccharinfabrik der Welt, in der später Pharmaerzeugnisse und ab 1927 Superphosphat produziert wurden. Das Werk entwickelte sich zum größten Chemiebetrieb Magdeburgs. Der steigende Bedarf an Arbeitskräften führte zum Ende des 19. Jahrhunderts zu einem intensiven Wohnungsbau, zunächst entlang der Durchgangsstraße mit mehrstöckigen Mietshäusern. Viele der historischen Bauernhäuser verschwanden zugunsten zwei- oder dreistöckiger Mietshäuser. Das Siedlungsgebiet dehnte sich weiter nach Westen auch auf den Bereich zwischen der Hauptstraße und der Bahnstrecke und letztlich auch westlich der Bahntrasse aus. Im Jahre 1885 hatte der Ort 2.293 Einwohner. Diese Zahl erhöhte sich binnen 15 Jahren auf 3.823. Im Sommer 1904 sank der Elbpegel so stark, dass die in der Elbe vor Westerhüsen befindlichen Hungersteine bei Westerhüsen an die Oberfläche traten.

Als 1910 mehrere Vororte Magdeburgs eingemeindet wurden, gehörte auch Westerhüsen dazu. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde Westerhüsen zum Standort städtebaulich interessanter Wohnsiedlungen. Westlich der Bahnlinie entstand zwischen 1923 und 1925 inmitten der Feldflur die Siedlung Arnold-Knoblauch-Straße. Es wurden zweigeschossige Doppelhäuser errichtet, die kostengünstig unter Verwendung eines Kiesbeton-Schüttverfahrens hergestellt wurden, das der Merseburger Stadtbaurat Friedrich Zollinger entwickelt hatte. Die Häuser wurden einheitlich mit tonnengewölbten Dächern (Zollingerdach), die ebenfalls Zollinger entworfen hatte, versehen. Westlich des Bahnhofs entstand ab 1926 die Siedlung Welsleber Straße, in der zunächst auch die Zollingerhäuser mit ihren Tonnendächern gebaut wurden. Daneben entstanden Mehrfamilien- und Reihenhäuser im konservativen Stil mit Satteldach. Später wurden zweigeschossige flachgedeckte Häuserzeilen gebaut, deren Fassaden im Stil des Neuen Bauens gestaltet und durch vorspringende Klinkerbänder in einzelne Hausabschnitte unterteilt wurden. Hier wurden erstmals Stahlbetonbalken und ein Montagekran eingesetzt. Am 6. September 1926 wurde die Straßenbahnlinie Magdeburg - Schönebeck, die auch durch Westerhüsen führte, eingeweiht. Im Jahr 1925 entstand in der Elbe vor Westerhüsen, in der Nähe der Kirche, eine Flussbadeanstalt.

Trotz der Nähe zu großen Industriebetrieben wie dem Fahlberg-List-Werk im benachbarten Salbke, erlitt Westerhüsen während der Bombenangriffe auf Magdeburg in den Jahren 1944 und 1945 kaum Schäden. Lediglich das Schiff der Stephanuskirche wurde am 14. Februar 1945 von einer Bombe getroffen und zerstört. Am 11. April 1945 rückte eine amerikanische Panzerdivision aus westlicher Richtung kommend bis an das Elbeufer in Westerhüsen vor. Der Versuch, von dort aus am östlichen Ufer einen Brückenkopf zu bilden, scheiterte am Widerstand der deutschen Flakstellung.

Grundsteinlegung im Mai 1954 für den neuen Betriebshof der LPG in der Welsleber Straße

Nach dem Krieg wurde das Fahlberg-List-Werk enteignet und in einen Volkseigenen Betrieb umgewandelt. Die Zahl seiner Beschäftigten stieg auf 1.700, und die Superphosphatproduktion sowie die Herstellung von Pflanzenschutzmitteln verschaffte dem Werk eine führende Stellung im ganzen damaligen Ostblock. 1953 verloren auch die in Westerhüsen ansässigen 15 Landwirte ihre Selbständigkeit und wurden in die LPG „Freie Erde“ überführt. Diese errichtete von 1954 bis 1960 in der Welsleber Straße einen neuen Betriebshof. Von hier aus wurde mit 160 LPG-Mitglieder 950 Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche bearbeitet. Die Flächen erstreckten sich nach dem 1969 erfolgten Beitritt der LPG Fermersleben/Salbke mit 35 Hektar und der LPG Beyendorf mit 85 Hektar auch auf die Gemarkungen dieser angrenzenden Stadtteile und Dörfer. Es wurden auch ostelbisch gelegene Wiesen und Weiden bewirtschaftet. Südlich der Ortslage Westerhüsen betrieb die LPG eine Gärtnerei und baute Gemüse im Treibhaus an.

Zu dieser Zeit entstanden in der Welsleber Straße auch einige neue mehrgeschossige Wohnblocks. 1964 wurde der Stephanikirchturm saniert und mit einer neuen achtkantigen Haube in Zwiebelform versehen. Am 19. Juli 1969 wurde der Straßenbahnverkehr nach Schönebeck eingestellt und Westerhüsen Endstation der Straßenbahn.

Nach der politischen Wende von 1990 zog sich die Landwirtschaft ganz aus Westerhüsen zurück. Das Fahlberg-List-Werk wurde zunächst privatisiert und als GmbH weitergeführt. Der pharmazeutische Zweig wurde kurz darauf von der Salutas Pharma GmbH übernommen und 1995 nach Barleben verlagert. Für 40 Millionen Euro wurde die ehemalige Chemie-Ingenieurschule im Süden das Stadtteils in ein modernes Schulzentrum, der Berufsbildende Schulen IV „Dr. Otto Schlein“ umgebaut. Im Februar 1966 begannen die Magdeburger Verkehrsbetriebe am Ortsausgang mit dem Neubau eines Straßenbahndepots. Dieses wurde von 1996 bis 2001 komplett neu errichtet als Straßenbahnbetriebshof Südost.

Bauwerke

Bemerkenswert ist der von der Sankt-Stephanus-Kirche erhalten gebliebene Kirchturm. Direkt an der Hauptstraße befindet sich das mit einem kleinen Uhrenturm versehene aus dem 19. Jahrhundert stammende Gemeindehaus Westerhüsen. Ebenfalls an der Straße Alt Westerhüsen befindet sich mit der Hausnummer 132 die Hohmannsche Villa, eine zweigeschossige 1911 errichtete Jugendstilvilla. Der Weibezahlsche Hof (Alt Westerhüsen Nummer 153) vom Anfang des 17. Jahrhunderts trägt zur Erinnerung an den Dreißigjährigen Krieg eine Kanonenkugel in der Fassade. Gleichfalls unter Denkmalschutz stehen das Cafe Kies in der Holsteiner Straße, die ab 1885 entstande Grundschule Westerhüsen, der Bischoffsche Hof und die Gerloffsche Villa in der Nähe der Elbe und der Bahnhof Magdeburg Südost.

Die Fähre Westerhüsen ist die einzige Gierfähre Magdeburgs und ermöglicht vor allem Fußgängern und Radfahrern ein Übersetzen über die Elbe.

Personen

In Westerhüsen geboren wurde 1886 der spätere Schönebecker Heimatforscher und Kommunalpolitiker Wilhelm Schulze (1886 - 1971).

Max Brauer, später Oberbürgermeister von Altona und dann Bürgermeister Hamburgs, schloss um 1900 seine Lehrausbildung als Glasbläser in Westerhüsen ab. Der spätere Präsident des Deutschen Handballverbandes der DDR Hermann Milius besuchte von 1909 bis 1917 in Westerhüsen die Volksschule und wohnte auch später noch im Stadtteil. Die spätere DDR-Sportlerin Karin Balzer besuchte bis 1955 die Betriebsberufsschule "Heinz Kapelle" von Fahlberg-List in Westerhüsen.

Literatur

Infoseiten zu Westerhüsen

Einzelnachweise

  1. Herausgeber: Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Geographisches Institut, Arbeitsgruppe Heimatforschung, Band 19, Magdeburg und seine Umgebung, Akademie-Verlag Berlin 1972, Seite 117
  2. Marta Doehler, Iris Reuther, Siedlungsentwicklung in Westerhüsen Magdeburg Südost, Landeshauptstadt Magdeburg 1995, Seite 19
  3. Herausgeber: Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Geographisches Institut, Arbeitsgruppe Heimatforschung, Band 19, Magdeburg und seine Umgebung, Akademie-Verlag Berlin 1972, Seite 117
  4. Marta Doehler, Iris Reuther, Siedlungsentwicklung in Westerhüsen Magdeburg Südost, Landeshauptstadt Magdeburg 1995, Seite 19

Koordinaten: 52° 4′ N, 11° 40′ O