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Kurt Schuschnigg

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Kurt Alois Josef Johann Schuschnigg, bis 1919: Edler von Schuschnigg (* 14. Dezember 1897 in Reiff am Gartsee, Welschtirol; † 18. November 1977 in Mutters bei Innsbruck, Tirol) war während der Zeit des austrofaschistischen Ständestaates von Juli 1934 bis März 1938 diktatorisch regierender Bundeskanzler von Österreich.

Leben

Schuschnigg war Sohn einer in Tirol ansässigen altösterreichischen Offiziersfamilie, die am 2. April 1898 in den Adelsstand erhoben wurde. Die Wurzeln der Familie liegen am Radsberg bei Klagenfurt. Die Familie war ursprünglich slowenisch-kärntnerischer Abstammung (slowenische Schreibung des Namens Schuschnigg: „Šušnik“).

Junge Jahre und Politik

Kurt Schuschnigg besuchte das JesuitengymnasiumStella Matutina” in Feldkirch. Nach dem Studium der Rechtswissenschaften in Freiburg im Breisgau und Innsbruck eröffnete er 1924 eine Rechtsanwaltskanzlei. In Innsbruck war er Mitglied der A.V. Austria Innsbruck, damals im CV, heute im ÖCV. 1926 heiratete er Herma Masera, mit der er einen Sohn (Kurt, * 1926) hatte. Sie verstarb am 13. Juli 1935 bei einem Autounfall in der Nähe von Pichling bei Linz (Gedenkstein an der Bundesstraße 1). Gleichzeitig engagierte er sich auch in der Christlichsozialen Partei. Ab 1927 war er der jüngste Abgeordnete im Nationalrat. Da er der Heimwehr misstraute, gründete er 1930 einen eigenen Kampfverband, die betont katholischen und antisemitischen Ostmärkischen Sturmscharen.

Justizminister gegen die Demokratie

1932 wurde er Justizminister im Kabinett von Bundeskanzler Karl Buresch bzw. Engelbert Dollfuß. Schon damals wurde in der Bundesregierung offen über die Beseitigung der Demokratie diskutiert. Schuschnigg wird im Ministerratsprotokoll vom 17. Juni 1932 mit der Wortmeldung erwähnt, „die Regierung stehe (...) vor der Entscheidung, ob sie es weiter verantworten könne, mit dem Parlament zu arbeiten und ob der nächste Kabinettswechsel nicht gleichbedeutend mit der Ausschaltung des Parlaments sein müsste“.[1]

1933 wurde Schuschnigg zusätzlich Unterrichtsminister. Die 1920 abgeschaffte Todesstrafe wurde auf sein Betreiben mit dem Standrecht vom 11. November 1933 wieder eingeführt.[2]

Nach dem Februaraufstand von 1934 weigerte er sich in seiner Eigenschaft als Justizminister, dem Bundespräsidenten Gnadengesuche von Februarkämpfern vorzulegen. Vielmehr ließ Schuschnigg als abschreckendes Beispiel, um die Kämpfe schneller zu beenden, acht der dutzenden Todesurteile sofort vollstrecken, unter anderem am schwer verwundeten Karl Münichreiter.[3] Dollfuß und Schuschnigg wurden daher von der Sozialdemokratie noch Jahrzehnte später „Arbeitermörder“ genannt. Viele Jahre später bezeichnete er in einem Fernsehinterview Münichreiters Hinrichtung als „Fauxpas“.[4]

Bundeskanzler 1934–1938

Nachdem Engelbert Dollfuß – der das Parlament ausgeschaltet, alle Parteien verboten und den Verfassungsgerichtshof aufgelöst hatte – beim Juliputsch vom österreichischen Nationalsozialisten Planetta ermordet worden war, folgte ihm Schuschnigg 1934 im Amt des Bundeskanzlers. Mit 36 Jahren bei Amtsantritt ist er bis heute der jüngste österreichische Bundeskanzler. Wie Dollfuß diktatorisch regierend, versuchte er den austrofaschistischen Ständestaat nach seinen Vorstellungen zu formen, was ihm aber nicht gelang. Er versuchte, Österreich als zweiten, christlichen, „besseren deutschen Staat”, als es das Deutsche Reich war, zu positionieren. Von 1934 bis 1936 wohnte Schuschnigg im Palais Augarten. Im September 1934 erreichte die Anzahl der politischen Häftlinge, die in Anhaltelagern und Notarresten festgehalten wurden, 13.338. Insgesamt wurden rund 16.000 Österreicher aus politischen Gründen im Ständestaat inhaftiert.[5]

Die Regierung Schuschniggs wird in der Forschung wechselweise bezeichnet als: Halbfaschismus, halb-faschistische Diktatur, Klerikal-Faschismus oder Austrofaschismus.[6]

Auf eine Schutzmacht angewiesen, begab er sich in noch stärkere Abhängigkeit von Benito Mussolinis Italien, als dies schon unter Dollfuß der Fall gewesen war. Nach der Besetzung Äthiopiens benötigte der international isolierte Mussolini aber Hitlers Rückendeckung, wodurch Österreich unter immer stärkeren Druck des Deutschen Reichs kam. 1936 kam es daher zum so genannten Juliabkommen, in dem Hitler zwar die Souveränität Österreichs anerkannte und die Tausend-Mark-Sperre aufhob, dafür aber verlangte, dass die österreichische Außenpolitik der deutschen entsprechen müsse. Zusätzlich wurden die dem Nationalsozialismus nahestehenden Edmund Glaise-Horstenau Minister ohne Portefeuille und Guido Schmidt Staatssekretär für Äußeres. Viele Nationalsozialisten mussten im Rahmen der Einheitspartei Vaterländische Front unter dem Deckmantel des so genannten „Volkspolitischen Referats“ oberflächlich ins Regime integriert werden. In einem geheimen Teil des Juliabkommens wurden viele zuvor verbotene nationalsozialistische Zeitungen wieder erlaubt. Unter Anderem wurde durch diesen Schritt der Untergang des Austrofaschismus eingeleitet. Schwierigkeiten hatte Schuschnigg auch mit den Vertretern der Heimwehr in der Regierung.

Hitler machte seit Anfang 1938 mehr Druck. Am 12. Februar 1938 kam es auf dem Berghof zum Diktat des Berchtesgadener Abkommens. Hitler zwang Schuschnigg, Arthur Seyß-Inquart als Innenminister in sein Kabinett aufzunehmen. Ein Angebot der illegalen Sozialdemokraten zur Unterstützung des Kampfes für die Unabhängigkeit Österreichs lehnte Schuschnigg ab, da die Sozialdemokraten die Wiederzulassung ihrer Partei und freier Gewerkschaften zur Bedingung machten. Schuschnigg versuchte noch eine Volksabstimmung über die Unabhängigkeit Österreichs abzuhalten, welche selbst von den illegalen Sozialdemokraten und Kommunisten unterstützt worden wäre. Unter dem Druck der Nationalsozialisten wurde die Volksabstimmung abgesagt, und kurz darauf wurde Schuschnigg zum Rücktritt gezwungen. Trotz eines anderslautenden Versprechens Hitlers marschierten deutsche Truppen in Österreich ein.

In der Rundfunkrede vom 11. März 1938 fielen Schuschniggs berühmte Worte, mit denen er vor der Welt festhielt, dass die Regierung „vor der Gewalt weiche“, doch wolle er unter keinen Umständen „deutsches Blut“ vergießen. Er schloss mit den Worten „Gott schütze Österreich“. Am 12. März überschritten Truppen der deutschen Wehrmacht die Grenze und marschierten ohne Widerstand in Österreich ein. Die Nationalsozialisten vollzogen den Anschluss Österreichs am 13. März per Gesetz. Schuschnigg stand von nun an unter Hausarrest und wurde Ende Mai von der Wiener Gestapo inhaftiert[7]. Kurz darauf heiratete er seine zweite Frau Vera[8], geschiedene Gräfin Fugger von Babenhausen, geb. Gräfin Czernin von Chudenitz, mit der er eine Tochter hatte. „Als er im Herbst 1938 nach München verlegt wurde, wog der 1,83 Meter große Schuschnigg knapp mehr als 40 Kilo.“[9]

Häftling in NS-Konzentrationslagern 1939–1945

Schuschnigg wurde im Reichssicherheitshauptamt in der Prinz-Albrecht-Straße in Berlin verhört und danach in mehreren Konzentrationslagern inhaftiert: KZ Dachau, KZ Flossenbürg und ab 1941 KZ Sachsenhausen. Im KZ Sachsenhausen lebte er in einem Einfamilienhaus, wohin ihn seine Familie, Frau und Kinder in Sippenhaft begleiteten. Schuschnigg, dem wie anderen inhaftierten Politikern, Sozialisten und evangelischen Kirchenführern, wie Martin Niemöller der offizielle Prominentenstatus zuerkannt war, der bevorzugte Behandlung bedeutete, hatte dort einige Hafterleichterungen. Eine so genannte Ostarbeiterin besorgte den Haushalt und begleitete dessen Gattin auch zu Einkäufen in die Stadt. Schuschniggs Sohn Kurt ging täglich aus dem KZ Sachsenhausen heraus ins Gymnasium und nächtigte später während seines Marinedienstes im Urlaub bei seinem Vater.[10] Offizielle Prominente erhielten im KZ bessere Ernährung und individuelle Rücksichtnahme, Schuschnigg angeblich seine Möbel, seine umfangreiche Bibliothek, bestmögliche Ernährung mit täglich einer Flasche Wein, die sogenannte „Diplomatenverpflegung”. Ein Schauprozess gegen ihn war für die Zeit nach dem Krieg geplant.

Am 24. April 1945 wurde er zusammen mit über 130 anderen prominenten Sonder- und Sippenhäftlingen aus dem KZ Sachsenhausen evakuiert. Unter dem Befehl von SS-Obersturmführer Edgar Stiller und SS-Untersturmführer Bader, die den Auftrag hatten, die Gefangenen im Zweifelsfall zu liquidieren, brachen sie mit Bussen und Lastwagen zu einer Odyssee in die Dolomiten auf. In Niederdorf (Südtirol) zwang der Wehrmachts-Hauptmann Wichard von Alvensleben mit seiner Kompanie die SS zur Aufgabe und zum Abzug. Zusammen mit den anderen wurden am 4. Mai 1945 Schuschnigg, seine Frau Vera und die Tochter Elisabeth von den Amerikanern befreit[11].

Amerikanischer Staatsbürger

1948 ging Schuschnigg in die Vereinigten Staaten und wurde Professor für Staatsrecht an der Saint Louis University, Missouri, wobei er auch die amerikanische Staatsbürgerschaft erwarb. Trotzdem kehrte er 1968 nach Österreich zurück, betätigte sich aber nicht mehr politisch. Auch nach seiner Rückkehr wurde Schuschnigg „für den Bruch mit der demokratischen Verfassung von 1920/29, den er schon als Justizminister unter Engelbert Dollfuß systematisch herbeigeführt hatte“, von der österreichischen Justiz nicht zur Verantwortung gezogen.[12]

Werke

  • Dreimal Österreich. Verlag Thomas Hegner, Wien 1937
  • Ein Requiem in Rot-Weiß-Rot. Aufzeichnungen des Häftlings Dr. Auster. Verlag Amstutz, Zürich 1946
  • Österreich. Eine historische Schau. Verlag Thomas Morus, Sarnen 1946
  • Im Kampf gegen Hitler. Die Überwindung der Anschlußidee. Verlag Amaltea, Wien 1988, ISBN 3-85002-256-0
  • Dieter A. Binder (Hrsg.): Sofort vernichten. Die vertraulichen Briefe Kurt und Vera von Schuschnigg 1938–1945. Verlag Amalthea, Wien 1997, ISBN 3-85002-393-1

Literatur

  • Walter Goldinger: Kurt Schuschnigg. In: Friedrich Weissensteiner und Erika Weinzierl (Hrsg.): Die österreichischen Bundeskanzler. Leben und Werk. Österreichischer Bundesverlag, Wien 1983, ISBN 3-215-04669-5.
  • Anton Hopfgartner: Kurt Schuschnigg. Ein Mann gegen Hitler. Verlag Styria, Graz/Wien 1989, ISBN 3-222-11911-2.
  • Lucian O. Meysels: Der Austrofaschismus – Das Ende der ersten Republik und ihr letzter Kanzler. Amalthea, Wien-München 1992, ISBN 978-3-85002-320-7.
  • Kurt von Schuschnigg: Der lange Weg nach Hause. Der Sohn des Bundeskanzlers erinnert sich. Aufgezeichnet von Janet von Schuschnigg. Verlag Amalthea, Wien 2008, ISBN 978-3-85002-638-3.

Einzelnachweise

  1. Ministerratsprotokoll Nr. 808, S. 244, zitiert nach: Emmerich Tálos, Wolfgang Neugebauer (Hrsg.): Austrofaschismus, Beiträge über Politik, Ökonomie und Kultur 1934–1938, Verlag für Gesellschaftskritik, Wien ²1984, ISBN 3-900351-30-9, S. 39.
  2. Wolfgang Neugebauer: Repressionsapparat – und Maßnahmen. In: Emmerich Tálos (Hrsg.): Austrofaschismus. Politik - Ökonomie - Kultur 1933-1938. Verlag Lit, Wien 2005, ISBN 978-3-8258-7712-5, S. 298-321, hier: S. 301.
  3. Arnold Suppan: Jugoslawien und Österreich 1918 – 1938. Bilaterale Außenpolitik im europäischen Umfeld. Verlag für Geschichte u. Politik, Wien 1996, ISBN 3-486-56166-9, S. 89; und Ludwig Jedlicka (Hrsg.): Vom Justizpalast zum Heldenplatz. Studien und Dokumentationen 1927 bis 1938. Österreichische Staatsdruckerei, Wien 1975, S. 201.
  4. Wolfgang Neugebauer: Repressionsapparat – und Maßnahmen. In: Emmerich Tálos (Hrsg.): Austrofaschismus. Politik - Ökonomie - Kultur 1933-1938. Verlag Lit, Wien 2005, ISBN 978-3-8258-7712-5, S. 298-321, hier: S. 303.
  5. Wolfgang Neugebauer: Repressionsapparat – und Maßnahmen. In: Emmerich Tálos (Hrsg.): Austrofaschismus. Politik - Ökonomie - Kultur 1933-1938. Verlag Lit, Wien 2005, ISBN 978-3-8258-7712-5, S. 298-321, hier: S. 314.
  6. Arnold Suppan: Jugoslawien und Österreich 1918 – 1938. Bilaterale Außenpolitik im europäischen Umfeld. Verlag für Geschichte u. Politik, Wien 1996, ISBN 3-486-56166-9, S. 94.
  7. Auszüge aus einem [BEDINGUNGSLOSE LOYALITÄT ZUM FÜHRER. In: Der Spiegel. (online). Brief Schuschniggs an Hitler]
  8. New York Times am 4.Juni 1938
  9. Herbert Lackner: Der tragische Kanzler. In: profil Nr. 9 (39. Jg.) 25. Februar 2008, S. 45. online
  10. Dieter A. Binder (Hrsg.): Sofort vernichten. Die vertraulichen Briefe Kurt und Vera von Schuschnigg 1938–1945. Verlag Amalthea, Wien 1997, ISBN 3-85002-393-1 und Herbert Lackner: Der tragische Kanzler. In: profil Nr. 9 (39. Jg.) 25. Februar 2008, S. 45. online
  11. Peter Koblank: Die Befreiung der Sonder- und Sippenhäftlinge in Südtirol
  12. Siegfried Mattl in ORF online
Normdaten: LCCN: n86820716